Behagliches Sound-Idyll

Studioreport: Deafbird Studios, Köln

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Abb1 - Credit deafBird
Wohnzimmer-Lebensgefühl; Blick in den vorderen Bereich des Regieraums; links im Bild: ein API »The Box«-Summierpult, über das die Mixing/Stem-Mastering-Kette läuft.

Philipp Stephan macht Filmmusik für Werbung, er produziert zudem Indie, Hip-Hop, Pop und R&B. Im Gespräch erzählt er, warum er Plug-ins gedanklich wie Hardware behandelt und wie wichtig die Intention beim Aufnehmen und Produzieren ist.

Das Kölner Komponistenviertel wirkt belebt und erscheint angenehm zeitlos. Der Kampf um Parkplätze findet scheinbar in aller Stille statt. Autos schleichen durch die eng beparkten Straßen, vorbei am Bäckerladen, vorbei an den Graffitis auf den Garageneinfahrten. Das mutet irgendwo zwischen halb heruntergekommenem Großstadt-Flair und urbanem Chic an; ersteres, wenn sich gerade die Müllabfuhr in der Mitte der Seitenstraße durch die Schneise zwängt, die von den Parkenden übriggelassen wurde, zweiteres, wenn die Sonne zwischen den Fassaden durchdringt und den Gehsteig sommerlich erleuchtet. Manchmal fällt beides zusammen.

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Im Keller eines Wohnhaus- und Bürogebäudes übernahm Produzent und Werbefilmkomponist Philipp Stephan ein Studio und baute es im vergangenen Jahr um. Der 30-Jährige kümmert sich neben Kompositionen auch um Sounddesign und produziert beispielsweise Indie-, Hip-Hop-, Pop- und R&B-Künstler. Zum Kundenstamm zählen etwa Universal Music, Porsche, Maserati, Ferrari, die Spielentwicklungsfirmen Polyphony Digital, Gran Turismo und Pokemon, und musikalisch hat er beispielsweise den Kölner Indie-Folk-Musiker Jules Ahoi betreut.

Inhaber Philipp Stephan - Credit deafBird
Inhaber Philipp Stephan war zum Thema Sättigung im Mixing & Mastering in unserem Podcast zu Gast . Den findet ihr unter www.soundandrecording.de/podcast.

Behagliche Studio-Oase

Besucher bekommen als Erstes einen Kaffee aus einer Siebträgermaschine in der Küche. Das Ritual zelebriert Stephan, der früher als Barista gejobbt hat, auf sympathische Weise. Trotz des vermeintlichen »Kellerstudio«-Malus’ fühlen sich die deafBird-Studios wie eine kleine Oase inmitten des Innenstadttrubels an. »Tageslicht war mir in der Praxis weniger wichtig: Wenn ich an Musik arbeite, brauche ich keine Natur. Klar, theoretisch wäre ein Studio in den Bergen schön – aber hier kommt man rein, und es fühlt sich wie in einem Casino an, man hat kein Zeitgefühl mehr. Manchmal gehe ich hoch und erwache wie aus einem Trance-Zustand in den Tag. So kann ich auch gut Abstand nehmen von den Produktionen.«

Zuverlässige Komplettproduktion

Philipp Stephan ist in Köln geboren, er wuchs zunächst in Atlanta, der amerikanischen Hip-Hop-Metropole, auf. Als er 13 war, kehrten seine Eltern nach Deutschland zurück. »Ich machte in meinem Kinderzimmer eigene Hip-Hop-Sachen und wollte schnell wieder nach Amerika!«, erinnert er sich schmunzelnd. Das Setup bestand aus einem alten Harddisk-Rekorder, mit dem er früher sein Klavierspiel aufgenommen hatte, dazu ein Alesis Drumcomputer – später kam Software hinzu. Der Berufswunsch im Bereich Tontechnik war vorgezeichnet. »Nach dem Fachabi ging ich an die SAE, um die Wissenslücken zu füllen und den Workflow in größeren Studios kennenzulernen. Durch die Arbeit mit Künstlern konnte ich während der Ausbildung Kontakte zu Werbeagenturen knüpfen, die ›richtige‹ Pop-Songs sowie Sounddesign suchten.«

Sein Portfolio habe als Alleinstellungsmerkmal geholfen: »Ich komponiere, produziere, schreibe Songs und mische. Dadurch konnte ich alles aus einer Hand anbieten, hatte passende Sänger zur Verfügung und konnte die Projekte recht schnell abliefern.« Er legt Wert auf gute Kommunikation mit Kunden sowie auf zuverlässige Arbeit. »Die Agenturen meinten: ›Wir haben einen Film, der jene Emotion braucht – schreibe einen Song darauf!‹ Sie ließen sich vom Ergebnis überraschen«, erzählt er. Eine Spezialisierung auf die Automobil- und Spielebranche entstand. »Ich habe viele historische Rennwagen für Porsche gesampelt. Oft habe ich bei Porsche-Touren das Kameraauto gefahren – bei den Jobs, für die ich auch die Musik schreiben sollte. Ich kannte das Fahrgefühl und konnte realistisch abbilden, wie ein Auto in der Kurve klingt. Das stimmt bei vielen Auto-Werbespots nicht – manchmal kommt ein Beschleunigungsgeräusch, während das Auto in die Kurve fährt. So entstand ein Kundenstamm, der mir vertraute, weil ich die Emotion passend mit Musik und Sounddesign verbinde. Das sind Kleinigkeiten, bei denen ich wahnsinnig ›abnerde‹ – genau wie beim Musikproduzieren, was Instrumente und Equipment angeht. Dass man selbst viel Freude und Liebe daran hat, hilft auch, dass die Jobs immer reinkommen. Eine Filmmusik zu schreiben ist für mich genauso cool, wie einen Hip-Hop-Track oder eine Rockplatte aufzunehmen.«

Stephan am Yamaha U3-Upright-Piano des Studios (Bild: Credit deafBird)

Werbefilm-Produktionen finanzieren »Sound-Idealismus«.

Im Studio ist neben den ATC 110 Pro-Midfield-Monitoren eine API The Box-Summierungskonsole vorhanden, dazu ein Rockruepel comp.one-Röhrenkompressor, ein WesAudio ngBusComp-Kompressor, ein Chandler TG-Zener-Limiter und ein Chandler Curve-Bender-EQ. Als Mikrofone nutzt er dynamische Standards, dazu unter anderem Neumann U47fet-Exemplare, Coles 4038-Bändchenmikrofone sowie Mikrofone der süddeutschen Manufaktur DS-audioservice.

An Instrumenten finden sich semi-modulare Synthesizer, ein altes Rhodes Suitcase-E-Piano-Modell, ein Wurlitzer 200A, ein altes Yamaha CP70, ein Hohner Pianet sowie eine Hammond-Orgel samt Leslie. »Wenn ein Label mit einem Indie-Künstler kommt, mit begrenztem Budget, ist das für mich auch in Ordnung: Das deckt die Kosten, man verdient was, aber es entspricht vielleicht nicht der ›Materialschlacht‹ vor Ort. Die Corporate-Jobs ›füttern‹ praktisch die Indie-Musiker: Dadurch kann ich mir trotzdem leisten, deren Platten musikalisch auf hohem Niveau umzusetzen.«

Stilistisch ist er offen. Es sei ein fast spiritueller Prozess, hier anzukommen, einen Kaffee zu bekommen und sich auf »Klangsuche« zu begeben: »Das ist Genreunabhängig: Den Klang suchen, der das Ganze erfüllt – das sind Leute, die hier reinpassen, egal, ob ich mitproduziere oder komponiere oder nicht.« Weniger sinnvoll sei das Studio für jemanden, der lediglich eine Produktion »wie am Fließband« abhaken möchte.

Beim »Findungsprozess« fällt ihm die Magie des Moments auf, die es einzufangen gelte: »Bei der Platte Dear von Jules Ahoi hatten wir die Vocals ursprünglich teils in der Regie aufgenommen, während er Gitarre gespielt hatte. Am Ende wollten wir den Gesang in einem anderen Studio neu aufnehmen, super trocken, in einer professionellen Booth – aber die passende Stimmung war weg.« Sie blieben bei den Ursprungsspuren. »Die Emotion merkt auch jeder Hörer, der sich nicht darauf fokussiert.«

Im Studio finden sich Synthesizer und alte E-Pianos, z. B. ein Wurlitzer 200A: »Die Lautsprecher plärren geil, bringen bereits Sättigung mit. Zur Mikrofonierung hatte ich auch Royer-Bändchenmikros ausprobiert – mit zwei Shure SM57 hatte ich die besten Ergebnisse. Da will ich eigentlich keinen Hi-Fi-Sound!« (Bild: NICOLAY KETTERER)

Die Suche nach der richtigen Gesangsstimmung

Für Gesangsaufnahmen nutzt er normalerweise den trockeneren der beiden Aufnahmeräume mit jeweils rund 25 m2 Nutzfläche. Das Ergebnis klingt akustisch gut sortiert, ohne wahrnehmbare Early Reflections – aber nicht »tot«. »Der Atmosphäre versuche ich bewusst, Rechnung zu tragen und habe Hue-Lights von Phillips installiert, mit denen ich die Lichtstimmung einstellen kann. Kürzlich hatte ich eine unerfahrene Sängerin hier, die sehr schüchtern war. Auf dem Sofa in der Regie saßen weitere Beteiligte – darunter ein Vocal-Coach. Für sie war elementar, das Licht herunterzudimmen, damit sie sich nicht wie auf dem Präsentierteller fühlt.« Das »private« Feeling sei wichtig, betont Stephan. »In Amerika ist oft ein zusätzlicher ›Vocal Producer‹ dabei, der beispielsweise nur auf die Stimmung achtet und dem Sänger Bilder in den Kopf gibt – wie ein Regisseur. Den Unterschied nimmt man wahr – am Ende entstehen im richtigen Flair Aufnahmen, die dich als Hörer in die Musik ›reinziehen‹. Kleine Unreinheiten – zum Beispiel etwas Kratziges in einer Gesangslinie – können am Ende von der Atmosphäre viel ausmachen. Bei deutschen Produktionen herrscht oft ein vermeintlicher Perfektionszwang, eine rein technische Sicht auf die Dinge. Aus dem Grund liegen meiner Meinung nach viele deutsche Produktionen nah am Schlager, weil alles glattpoliert klingt. In Amerika haben selbst die poppigsten Produktionen ›Attitude‹ – das kommt hierzulande aber immer mehr.«

Eines der DS-audioservice-Mikrofone, das Röhren-Großmembranmikrofon »Convert MC BoDie« von Dieter Schöpf, ein Wechselkapsel-System. Stephan begeistern die Impulswiedergabe und Direktheit, verbunden mit atmosphärischer Musikalität. (Bild: NICOLAY KETTERER)

»Wo will ich mit meiner Produktion hin?«

Intention sei in dem Fall das richtige Stichwort: »Wenn die Intention vor der Aufnahme feststeht, macht man nichts falsch. Früher habe ich als Produzent Fehler gemacht, indem ich ohne Intention an eine Komposition ging und mich im Kreis drehte: Ich fand einen Aspekt interessant, habe darauf aufgebaut – aber nicht verstanden, warum ich den Aspekt gut fand! Dann habe ich etwas Neues gemacht.« Sein »Rezept« mittlerweile? »Bei einer Produktion geht es darum, den ersten ›Funken‹ bis zum Ende durchzutragen – und nicht zu versuchen, Grundsätzliches zu verändern. Am ersten Tag, wenn der Funke entsteht, muss eigentlich das Arrangement stehen, damit man die Idee nicht zerstört.«

Beim Thema Arrangement erinnert sich Stephan an Hip-Hop: »In manchen Tonarten klingen 808-Sounds gut, in anderen flattern sie, oder es entsteht lediglich eine Resonanz oben. E funktioniert für Hip-Hop dahingehend hervorragend. Manchmal fragen sich Künstler, warum ihr Mix so schlecht klingt – vielleicht liegt es daran, dass die Tonart des Beats und die Auswahl der Sounds nicht miteinander harmonieren, sodass es unten nur matscht oder dröhnt: Wenn die Sounds nicht von Grund auf gut klingen, bekommt man sie vielleicht im Mix ›okay‹ hin, aber nicht von schlimm zu phänomenal.«

Die Intention sei ebenfalls grundlegend für Equipment-Entscheidungen: »Früher hatten scheinbar alle ambitionierten deutschen Hip-Hop-Musiker ein Brauner Phantom-Großmembran-Mikrofon – weil es angesagt und bezahlbar war. Aus meiner Sicht klangen die Ergebnisse immer spitz und brutal: Bekam ich eine Spur zum Mischen, hatte ich auf plosiven Vocals vier De-Esser in der Signalkette, für jedes Frequenzband einen! (lacht) Man sieht die Marke und den Ruf, hinterfragt aber nicht unbedingt, was wofür passt. Ich habe Hip-Hop-Vocals mit einem Shure SM7B bekommen, die super klangen – oder auch mit einem SM57!« Er empfiehlt auch hier die Arbeit mit Popschutz, so entstehe ein besseres Signal.

Blick auf die Rückseite des Regieraums, samt Sofa und einem Teil der Synthesizer-Sammlung

Bringt die Signalkette Verbesserungen?

Auch später in der Kette lohnt naturgemäß der Blick auf Details: »Ich bin Fan davon, Plug-ins wie Hardware zu behandeln und immer zu überprüfen, dass die Lautstärke gleich bleibt. Bringt das Werkzeug eine Verbesserung? Eine Vocal-Chain mit einem 1176- und LA2A-Kompressor funktioniert vielleicht immer irgendwie, aber das ist nicht der richtige Sound für jeden Sänger. Gerade, weil man Signalketten in der Plug-in-Welt schnell als Preset laden kann, verlässt man sich vielleicht zu sehr auf allgemeine Rezepte.« Stichwort Klangverbesserung: »Ich finde, Plug-ins schlucken oft Impulse – nur wenige erhalten sie. Der Klanghelm MJUC-Kompressor kommt für mich an das Gefühl von Hardware heran und macht die Klangbühne tatsächlich größer. Man muss sich die Zeit nehmen und hören. Generell gilt für mich: Plug-ins sind tolle Werkzeuge – aber sie sind nur gut, wenn du sie nicht zur ›Lebensrettung‹ von schlimmen Signalen nutzt.« (lacht)

Gute Akustikbedingungen und der »Wahnsinn« des Umbaus

Zum Beurteilen war eine passende Abhörsituation wichtig. Guido Apke von Apke Tontechnik hat ihn beim Umbau des Studios als Berater unterstützt. »Dass ich mittlerweile in dem entsprechenden Studio sitze, habe ich ihm zu verdanken. Er hat den Regieraum eingemessen, wir haben verschiedene Bespannungen und Holzplatten ausprobiert, dazwischen immer gemessen. Durch die Holzplatten vorne wurde der Klang etwas angenehmer und lebendiger. Zu trocken ist fürs Komponieren auch nichts. Guido saß hier teilweise noch um 5 Uhr morgens und hat die Gummis an den Lautsprechern zurechtgerückt, während ich auf der Couch geschlafen habe. (lacht) Die Monitore sind auf Stativen in der Wand, die jeweils mit 400 Kilogramm Quarzsand gefüllt sind. Der gesamte Akustikprozess hat ein Jahr gedauert. Man muss viel hören.« Zwischenzeitlich hat er den Regieraum für seinen Workflow nochmal neu angepasst.

Auch wenn die Monitore teuer waren, bei seinem Konzept gehe es nicht um teures Equipment, betont Stephan, auch nicht um große Markennamen. Für die Verkabelung nutzt er beispielsweise vernünftige Kabel, setzt auf kurze Kabelwege. Generell gebe es keine Recording-Geheimnisse, die alles gut klingen lassen, fasst er seine Erkenntnis zusammen. »Das ›Geheimnis‹ sind Hörerfahrung und eine gute Abhörsituation.«

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