„Ich habe das Neve-Pult in der Mitte getrennt“

Die:Mischbatterie

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Stephan Zeh die:mischbatterie(Bild: die:mischbatterie)

Stephan Zeh betreibt in Bayern sein Studio, »die:mischbatterie«. Über die Jahre hat er an Projekten mit Alicia Keys, Plácido Domingo, Helene Fischer oder Phil Collins gearbeitet. Kürzlich erwarb er eine alte Neve 8068-Konsole … die er in der Mitte zersägte, um das Pult passend in die Regie einzubauen. Ein Gespräch über ungewöhnliche Ansätze und den manchmal reizvollen »Audio-Wahnsinn«.

»Ich habe in Tutzing [nahe München; Anm.d.Aut.] als Assi – als ›Tea Boy‹ sozusagen – in den Studios angefangen, die Peter Maffay ursprünglich gebaut hatte, und bin darüber in die Branche gekommen«, erinnert sich Stephan Zeh an seine Anfänge in den späten 1990er-Jahren. Sein eigenes Studio, »die:mischbatterie«, eröffnete 2006 in Riedering, »am Fuße der Alpen«, wie er sagt, rund 60 Kilometer von München entfernt. »Ich wohne mit meiner Familie nebenan, wir haben den Keller erweitert: Jetzt muss ich lediglich 17 Stufen aus meinem Wohnzimmer ›runterfallen‹ und kann beispielsweise mein Klavier recorden, jederzeit richtig kreativ werden, statt daheim unter Kopfhörern mit MIDI irgendetwas vorproduzieren zu müssen. Das kann sich manchmal etwas privat anfühlen, wenn Projekte auf mich zukommen, die trotzdem in erster Linie das Studio buchen wollen – wie etwa Moop Mama –, aber ich nehme mir gerne die Zeit, helfe bei Setup und Soundcheck, dann kriegen die das auch wunderbar hin.«

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Zeh arbeitete mit Helene Fischer, Peter Maffay, den Mandoki Soulmates, Laith Al-Deen oder den No Angels, er produzierte beispielsweise Alben für Cassandra Steen, Gil Ofarim und Alex Diehl. Sein Kundenstamm ist über die Jahre gewachsen. »Das war eigentlich immer Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich mache irgendwie alles, von Rock bis Schlager! (lacht) Mein Schwerpunkt ist handgemachte, organische Musik. Ich freue mich über jedes Projekt, das auf mich zukommt und Spaß macht, auch über kleine Acts – Hauptsache, wir wollen und können richtig kreativ sein!«

Stephan Zeh die:mischbatterie
Stephan Zeh mit Alicia Keys (Bild: die:mischbatterie)

Zuvor absolvierte der Toningenieur und Produzent einen Engineer-Kurs an der SAE, anschließend den Bachelor of Recording Arts. »Ich habe heute noch einen guten Freund, mit dem ich damals anfing: Für uns war es das größte, dort an einer Neve VR-Konsole drehen und auf eine Studer-Maschine aufnehmen zu können! Das war eine andere Liga – damals hatte ich noch ein altes Tascam M600, ein paar ADATs, Sampler und eines der ersten Harddisk-gestützen Systeme, den DR16 von Akai. Die Supervisors brachten uns viel Vertrauen entgegen: Wir ließen uns teilweise nachts im Hochschulstudio einschließen, um dort irgendwelchen Wahnsinn zu machen und Sachen auszuprobieren. Rückblickend würde ich sagen, man braucht diese Ausbildung vielleicht nicht unbedingt, aber wir haben für uns schon etwas rausgeholt.« Es sei wie bei vielen Ausbildungen: »Du kommst von der SAE und denkst, du könntest irgendwas – aber du fängst trotzdem erstmal wieder bei null an.« Er lacht.

Flexibles Setup

Ursprünglich wurde das Studio um eine Euphonix-Konsole herum geplant. »Ein tolles Pult, das über die Zeit meinen Workflow teils ›mit entworfen‹ hat – analog, mit 104 Inputs, Total Recall, voll automatisierbar. »Weil ich irgendwann zu faul war und nicht täglich umpatchen wollte, begann ich, meine Go-Tos – zum Beispiel Kompressoren – übers Routing in meine Mischungen zu integrieren – quasi als Sends und Returns statt per Inserts. So konnte ich auf meine Hardware zugreifen, ohne neu patchen zu müssen. Durch den ›Snapshot-Recall‹ konnte ich meine Outboards immer gleich eingestellt lassen und über die Busse und Sends den Sweetspot, also den passenden Pegel, finden – und das aus dem Sweetspot am Pult heraus. Das war für mich ein großartiges System und hat viel zu meinem Sound beigetragen. Ich konnte zum Beispiel die Kickdrum auf Bus 1 routen, dort lag der Neve 33609-Kompressor an, der Return kam auf Spur 25 zurück. Zweiter Bus: TSL3, Nächster Bus API – ein Multi-Bus-Konzept, ähnlich wie bei Michael Brauer [Brauer komprimiert Subgruppen anstelle von Summenkompression, beispielsweise basslastige Instrumente, Gitarren und Gesang getrennt, um bei Pegeländerungen nicht die Wirkungsweise eines Bus-Kompressors zu verändern; Anm.d.Aut.].

Irgendwann kam ich ›aus Versehen‹ darauf: Was passiert eigentlich, wenn ich Schlagzeug in den 33609 schicke und den Bass einfach mit dazupacke – wie klingt das, was passiert dann mit der Musik? Der Bass beginnt auf einmal, sich mit dem Schlagzeug zu verzahnen, es entstehen Wechselwirkungen. Die Spuren beginnen miteinander zu pumpen und geben der Nummer eine Art Groove. Dadurch entsteht für mich eine super-interessante dynamische Vernetzung, eine Attitude oder Ästhetik in einem Song, die mich mehr catcht, als wenn ich ›traditionell‹ vorgehen würde.«

Als Beispiel nennt er den Song Ein Geschenk von Haudegen: »Die ersten 4 Minuten bestehen nur aus Vocals, Piano und einem wunderbaren Orchester-Arrangement meines Freundes und Filmkomponisten Alex Komlew. Das wird im Verlauf schon super riesig. Erst am Ende kommt der Einstieg der Band, und es war gar nicht so einfach, nach dem Orchester nochmal einen draufzusetzen – gerade, weil dann nur noch die Rockband spielt. Hier hört man richtig, wie auf der Eins alle Parallel-Kompressoren richtig ›reinknallen‹ – so entsteht dieser Punch und die Attitude, von der ich gerne spreche. Aufgenommen hatte ich den Titel in den Hansa Studios in Berlin und dann hier im Studio gemischt.« 2017 bekam er für das Ergebnis den »Goldenen Bobby« vom Verband Deutscher Tonmeister (VDT).

Stephan Zeh die:mischbatterie
Aus Australien importiert: 2017 kaufte Stephan Zeh die Neve-Konsole als »Bastler-Projekt«, hier im Lieferzustand mit dem kompletten Frame, unter anderem ohne Preamp-Module. In der Form konnte Zeh das Pult nur mit baulichen Veränderungen ins Studio transportieren. (Bild: die:mischbatterie)

Konsolen-Wechsel: von Euphonix zu Neve

Später kam die »Sehnsucht« nach einer Veränderung auf: »Die Konsole klang etwas ›eng‹, so mein Gefühl: Je mehr Kanäle darüber liefen, je dichter die Summe war, desto ›kleiner‹ schien das Ergebnis. Ich wollte etwas offener Klingendes, das genug Punch bietet und die Summe nicht kleiner macht.« Das Equipment ist über die Jahre stetig gewachsen, zu jedem Gerät kann er eine Geschichte erzählen, so Zeh: »Wenn ich an einem Projekt gearbeitet und gemerkt habe, dass ich mit etwas nicht zurechtkam, musste ich Lösungen suchen. Bei einer Platte, die ich mischen sollte, waren die Vocals wirklich nicht besonders aufgenommen – ich erinnerte mich, dass ich mal in einem Studio war, wo mit einem Tube-Tech CL-1A aufgenommen wurde, was fantastisch klang. Ich habe den Kompressor dann zu einem guten Preis gefunden und ihn für die ganze Platte hergenommen, um die Vocals darüber zu mischen.

So gab es praktisch immer eine ›Dringlichkeit‹: Der Massive Passive kam für ein Album dazu, der Pultec-EQ für ein anderes«, erinnert er sich. Dabei stieß er irgendwann auf Neve-Module, zuerst Klone von Heritage Audio oder BAE, später auf alte Vintage-Module – 1073, 1075, 1066 – und auch neue Exemplare von AMS Neve. Der Weg zur Neve-Konsole sei dann praktisch vorgezeichnet gewesen. »Bei meinem Workflow hilft mir die Konsistenz und Sättigung der Übertrager in den Neve-Schaltungen. Heute habe ich im Pult alle Nuancen und finde zum Beispiel gut, Overheads über die neuen AMS Neve 1084-Module laufen zu lassen«, die sind nicht ganz so »träge« – Bass und Vocals klingen mega mit 1066 oder 1073 – meine BAEs dagegen sind interessant für E-Gitarren – die klingen einen Tick ›amerikanischer‹.«

Stephan Zeh die:mischbatterie
Zeh setzte kurzerhand die Metallsäge an, um das Pult zu zerlegen und einen »Center-Bucket« samt DAW-Bildschirm einzubauen. (Bild: die:mischbatterie)

Die »Trennung«

Nach einem Umweg stieß er 2017 auf einen Neve 8068-Frame in Australien. »Ich hatte etwas gefunden, an dem ich so lange basteln konnte, bis es mir gefällt! Das Pult wurde komplett überholt – samt neuer Farbe, neu bedruckt, selbst die Schriftart ist neu gesetzt, sodass sie genauso aussieht wie damals. Dazu habe ich das Pult in der Mitte gesplittet. Das war schon eine verrückte Idee. Die DAW steht mittlerweile im Zentrum des Workflows. Daher habe ich mir einen ›Center-Bucket‹ gebaut.« An der Stelle ist nun der Bildschirm untergebracht. »Heute sind entsprechende Pulte gängiger: Es gibt bereits gesplittete SSLs, die neuen APIs bekommst du auch schon mit DAW-Control in der Mitte.«

Stephan Zeh die:mischbatterie
Das fertige Pult samt Bildschirm-Center-Bereich wird vom Aufnahmeraum in den Regieraum verfrachtet. (Bild: die:mischbatterie)

Wie die Auftrennung ablief? Er lacht. »Das Pult kam per Luftpost in einer großen Holzkiste an«, erinnert er sich. »Ich habe es ausgepackt, angeschaut, und mich gefragt, ob es eine weise Entscheidung war:

Um das Pult am Stück zu verwenden, hätte ich zum Einbau die Wand öffnen und die Kabelschächte umbauen müssen. Mir war das damals zu heiß: ein halbes Jahr den Studiobetrieb einstellen und umbauen – in dem Zustand, in dem die Konsole war? Daher blieben wir zunächst auf der Euphonix.« Zeh interessierte sich für das metallverarbeitende Gewerk und kaufte sich Werkzeuge. »Ich hatte keine Erfahrung, musste mir alles selbst beibringen. Ich habe die Konsole in der Garage zersägt – das hört sich jetzt etwas wild an – aber bei ein paar Kupferbussen gingen wir tatsächlich mit der Metallsäge ran. Im Pult war viel Querverkabelung verbaut, alles Point-To-Point-verdrahtet: Zum Beispiel ging Bus 1 im Routing quer durchs Pult nach rechts, weil sich dort die Ausgangstrafos befanden. Danach ging´s wieder nach links – und so weiter … Wir haben angefangen, einige dieser Querverbindungen zu kürzen und wie etwa bei SSLs jeden Bucket für sich mit allen I/Os zu versehen. Am Ende hatten wir die Verkabelung und die Metallteile getrennt und konnten beide Neve-Teile ohne bauliche Veränderung in den Aufnahmeraum packen.«

Er arbeitete dreieinhalb Jahre lang in einer kleinen »portablen« Werkstatt im Aufnahmeraum, wenn er Zeit hatte. Im Dezember 2020 wurde die Euphonix-Konsole verkauft. Der Wartungsaufwand des Neve-Pults sei durch die umfangreiche Restaurierung bislang überschaubar, meint Zeh. »Das Pult steht ganz gut da, ein, zwei Kleinigkeiten haben wir übersehen – da weiß ich allerdings, dass eine Funktion bei einem bestimmten Kanal nicht funktioniert, und werde mich noch drum kümmern. Das Pult ist mein Producer-Werkzeug, es muss nicht für Fremdkunden zu 110 Prozent funktionieren: Wenn Kanal 17 spinnt, nehme ich Kanal 18. Hat ein Kanal ein bisschen mehr Höhen, nutze ich ihn gezielt dafür.« Seit dem Wechsel der Pulte hat er viel Hardware als fixe Inserts im Mix-Template integriert, ohne dafür das Pult nutzen zu müssen. »Ich suche mir so meine ›Verknüpfungspunkte‹ in meinen Mischungen. Ohne die mittlerweile hervorragende Delay-Kompensation und I/O-Infrastruktur meiner AVID-Wandler wäre dieser ganze parallele Wahnsinn so gar nicht möglich.«

Wie fällt sein Fazit zum Arbeiten mit dem Pult bislang aus? »Gerade bei organischer Musik spielt die neue Konsole ihre Stärken aus. Hier lassen sich tolle Aufnahmen machen, die man woanders vielleicht so nicht hinbekommt. Du kommst mit dem Outboard und der Konsole sehr schnell zu richtig guten Ergebnissen. Ging uns das nicht allen mal so: Du machst in den ersten Plug-in-Slot einen EQ rein, ziehst irgendwo 2 dB raus, und neun Plug-ins tiefer schiebst du wieder 1,5db rein … Klar, diese ›Millimeterarbeit‹ ist auch wichtig! Mit einem Fabfilter Q3 kannst du ultrapräzise eingreifen, aber änderst nie die Natur, die Haltung des Signals – es klingt nur sauberer. Mit meinem analogen Gerätepark kannst du Haltung entwickeln – natürlich umso mehr, wenn es schon vor dem Mikrofon und während der Aufnahme passiert. Da gibt es auch weniger Fehlentscheidungen, es ist etwas ›forgiving‹ – ob du 12 K oder 10 K anhebst, ist analog eher eine Geschmacksentscheidung.«

>> www.diemischbatterie.de

Studiosofa #45: Der Podcast mit Stephan Zeh

In unserer Podcast-Folge #45, damals noch Wochenrückblick genannt, sprachen wir bereits mit Engineer Stephan Zeh, dem Betreiber des Tonstudios die:mischbatterie über das hybride Mixing von analogen Signalen durch eine digitale Steuerung. Damals nutze er noch die Euphonix-CS2000-Konsole, die Anfang der 90er gebaut wurde und über eine digitale Steuerung verfügt, mit der bereits damals schon am Pult Total Recalls einer Session und u. a. das Abspeichern von Snapshots möglich waren.

Hybrides Mixing – Analoge Signale digital gesteuert – Stephan Zeh – Wochenrückblick #45

Viel Spaß beim Hören!

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