Bearbeitung während der Aufnahme

Band-Recording: Vocals & Technik

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Foto: Matthias Zerres

Neben Mikrofon und Position gibt es weitere „Stellschrauben“, die den Sound des Gesangs stark beeinflussen. Zunächst ist die Wahl des Preamps wichtig, da sich das Signal durch verschiedene Konzepte stark verändern lässt. Auch hier entscheiden der Song und die Stimme. Möchte ich einen schönen, neutralen Sound, oder brauche ich etwas Ecken und Kanten? Wir kennen die verschiedenen Preamps in unserem Arsenal gut, probieren aber meistens mehrere Exemplare durch. Das Vorgehen gleicht dem bei der Auswahl der Mikrofone.

Ein bewährter Kniff für etwas „Griff“ ist die leichte Übersteuerung des Signals mittels des Preamps während der Aufnahme (natürlich in der analogen Domäne des Preamps und niemals laut in den Wandler). Wie reagiert er auf etwas mehr Gas? Wird er giftig, oder passiert etwas Interessantes? Brauche ich das für den Song? Hier ist große Sorgfalt geboten, um es nicht zu übertreiben; der Schmutz ist hinterher nicht mehr sauber zu bekommen. Gerade wenn der/die Künstler/in plötzlich lauter singt, kann aus dem: „klingt super“ ein „klingt eng und gepresst“ werden.

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Grundsätzlich sollte man sehr genau wissen, was man will und tut. Im Zweifelsfall sollte man lieber einen guten Grundsound aufnehmen, als später zu merken, dass es doch nicht so toll im Mix funktioniert – und das beim Gesang, dem Dreh- und Angelpunkt der ganzen Nummer!

Dies gilt auch für EQ und Kompressor. Wer sich nicht sicher ist, was das Signal verträgt, sollte bei der Aufnahme die Finger davon lassen. Ein Low-Cut (HiPass) um 90 Hz schadet aber nie. Doch auch hier gilt es zuzuhören und zu schauen, ob etwas Essenzielles verloren geht und ob die weitere Bearbeitung nicht besser erst beim Mix entschieden wird.

Wie man in der Aufnahmesituation die Psyche des Sängers so beeinflusst, um alles herauszukitzeln, zeigen wir in der Sound & Recording Ausgabe 04/15

Aber warum dann das Ganze? Wir nutzen sehr gerne einen Kompressor bei der Aufnahme, damit sich die Signale in der Session schon besser anfühlen, besser im (Rough-)Mix sitzen und bei der Aufnahme etwas analoges Flair mit auf den Weg bekommen. Beim Kompressor gilt das Prinzip: „Kiss the Needle“ (Küss die Nadel). Das hat nichts mit dem Bahnhofsvorplatz zu tun, sondern bedeutet, dass der Kompressor an lauten Stellen leicht arbeitet und das Signal um 1 bis 2 dB absenkt. Bei großen Sprüngen in der Dynamik steuern wir lieber den Preamp unterschiedlich aus. Entweder während der Aufnahme oder im Zuge mehrerer Einsätze in den verschiedenen Passagen. Wir merken uns dabei die Einstellungen, um schnell wieder den Normalpegel setzen zu können.

Wer mutig ist, kann auch stärker bei der Aufnahme komprimieren, aber auch hier gilt: Ist so, bleibt so. Für den Gesang sollte man hochwertige Komponenten nutzen und auch bei den Kompressoren wählerisch sein. Klassiker auf der Stimme sind der LA-2A und der 1176 aus dem Hause Urei/Universal Audio und der CL1B von Tube-Tech. Während der LA-2A gewissermaßen alles automatisch macht, gibt es beim 1176 die üblichen Verdächtigen unter den Parametern, bestehend aus Ratio, Attack und Release. Eine klassische Einstellung während der Aufnahme wäre bei uns eine Ratio von 4:1, mittlerer Attack und flottes Release. Später beim Mischen werden wir einige Setups mit den genannten Geräten beschreiben, die sich in der Praxis für den Mix bewährt haben.

Typische Einsätze für einen EQ bei der Aufnahmen wären etwa grobe Korrekturen, die einem schnell auffallen. Manchmal machen sich bedingt durch Raum und Körper Resonanzen um 200 Hz bemerkbar, die man ein wenig absenken kann. Auch hier sollte man Vorsicht walten lassen, ein üblicher Wert sind zum Beispiel 1,5 dB – radikales Verbiegen des Frequenzgangs sind hier eher nicht gefragt. Das selbe gilt eventuell für den Bereich um 1 –3,5 kHz, um die Stimme weicher zu machen, wodurch sie sich auf der anderen Seite aber auch weniger gut durchsetzt. Wir hören während aller Einstellungen auch immer wieder A/B, ob wir etwas verbessert haben oder nicht. Außerdem vermeiden wir unter allen Umständen zu lange Tests, um den Künstler/die Künstlerin nicht zu ermüden oder zu nerven.

Bleibt die Frage, mit welchem Pegel wir in die DAW gehen. Da wir generell in 24 Bit aufnehmen, lassen wir hier nichts anbrennen und vermeiden es, sehr laut in die Wandler zu gehen. Ein guter Richtwert sind unserer Meinung nach –10 dB unter digital 0 dB. Wenn ein Part zu leise oder zu laut ist, regeln wir am Preamp nach.

Bitte Ruhe und los! 

Meistens lassen wir den Sänger den Song einfach erst einmal durchsingen. Diesen Durchlauf nutzen wir, um den Sound einzustellen und tontechnische Entscheidungen zügig zu treffen. Aber Obacht: Der Sänger hört ja mit. Wir schonen seine Ohren und seine Geduld. Wichtig ist es auch, ein Gefühl für den Song zu bekommen, falls es keine Vorproduktion gab. Wir nehmen generell immer alles auf – manchmal passieren beim ersten Take Dinge, die sehr gut sind und sich nicht mehr 1:1 reproduzieren lassen. Es macht großen Sinn, sich im Folgenden komplett nach dem Sänger zu richten und eine gemeinsame Arbeitsweise in der Session zu entwickeln.

Manche Künstler singen gerne alles durch, andere stückeln lieber. Es kann auch am Song liegen. Emotionales ist oft besser in einem Rutsch, gibt es einen Part, der besonders schwierig ist, kann man sich diesem auch separat annähern. Wie es gerade passt.

Unserer Meinung nach sollte das Ziel bei der Gesangsaufnahme sein, alle Barrieren zwischen Sänger und Produzent aus dem Weg zu Räumen. Die Technik muss in den Hintergrund rücken. Je weniger Zeit und Aufmerksamkeit die Navigation im Song, das Erstellen neuer Spuren (wir haben vorab schon genug Spuren angelegt und auf den richtigen Ein- und Ausgang geroutet) und das Pegeln der Musik im Verhältnis zur Stimme dauert, umso mehr kann man sich um den Künstler und die Darbietung kümmern. Die wichtigen Dinge also. Es ist nichts schlimmer, als bei einer Aufnahme zu warten, dass es endlich weitergeht. Das gilt besonders bei allen Aufnahmen, wo nur eine Person involviert ist. Der Job des Tontechnikers ist es auch, niemanden warten zu lassen.

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