Enthusiasmus und Know-How mit Vision

Willem Twee Studios, s’Hertogenbosch

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(Bild: Copyright: Joker Nies)

Ob Analog-Veteran auf der Suche nach Herausforderung, Stockhausen-Fan oder einfach Liebhaber analoger Synthesizer, hier kommt jeder auf seine Kosten. Die Willem Twee Studios laden mit einem fantastischen Gerätespektrum zum Experimentieren ein.

Verteilt auf mehrere Studio(t)räume sind hier nicht nur diverse Klassiker der früheren modularanalogen Phase spielbereit aufgebaut, sondern auch deren Vorfahren. Eines der beiden Studios konzentriert sich ganz auf die 50er- und 60er-Jahre, als elektronische Musik noch aufwendig mit Test-Equipment und Messgeräten in zahlreichen Overdubs auf Band produziert wurde. Early Electronics: Begeben wir uns gleich mal ins Reich der Messgeräte. Durch einen kleinen Vorraum, der zurzeit als Werkstatt genutzt wird, aber auch als Aufnahmeraum dienen kann, geht es durch eine Glastür ins Allerheiligste. Sofort nimmt man den speziellen und intensiven Geruch von Röhren-Elektronik wahr. Der Duft ist eine Mischung aus Transformator-Isolations-Lack, warmem Staub und Bandabrieb mit einem Hauch von Kontaktspray.

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Linker Hand befindet sich ein großer Produktionstisch mit sehr angenehmer Höhe, um im Stehen zu arbeiten. In den Tisch bündig eingelassen sind, links angefangen, einige passive Bandpass-Filter, ein Mischpult mit DAW-Anschluss und drei Revox A 807 Bandmaschinen für Rohwickel-Bandmaterial, oder auf gut Denglisch: Open-Reel Betrieb.

Rikkert an zwei analogen Computern analoge Computer von Hitachi, Modell 240. Die geöffnete, auswechselbare Klappe ist gleichzeitig Program, Patch oder Preset, je nach Sichtweise.
Produktionstisch mit angenehmer Arbeitshöhe. Die Geräte mit den Halbkreis-Skalen (unten) sind Rundfunkempfänger.
The Wall: Viele Signale liegen an den Mischpulten an und können von dort verteilt und kombiniert werden.
Im Toonzaal finden regelmäßig Konzerte statt. Die Studios sind audiovisuell mit dem Konzertsaal vernetzt.
Unten ein Terzbandfilter, oben der geheimnisvolle Boxcar Averager – oder wüsste jemand spontan, was ein Boxcar Averager so macht?
Links das Serge-System, rechts Vocoder, Analogue Solutions Concussor, der Rob van Veidhuizen Sequenzer, Grafic Equalizer; ganz rechts Pekel Multioktav-Filter, Allison Hoch- Tief-pass, Wandel und Goltermann passiver Terzbandpass.
Von links nach rechts: PPG 1002, darauf PPG 314 Sequenzer, EMS The Putney; Korg 770 (oben), Roland Juno-60 (Mitte), Yamaha DX7
Das Herz von Studio 2, der ARP 2500

Die gegenüberliegende Wand wird von einem riesigen Rack beherrscht, das eine fantastische Sammlung bestens erhaltener und technisch voll funktionsfähiger Geräte beherbergt, die zum Teil bereits 75 Jahre alt sind. Viele Geräte wurden schon damals im 19-Zoll-Format gefertigt. Hier finden sich Messgeräte, Filter verschiedenster Art, Puls-Generatoren, Oszillatoren und diverse Maschinen, bei denen nicht mal die Bezeichnung erraten lässt, welche Funktion sie haben. Zum Glück hat man mit den beiden Enthusiasten die diese außergewöhnlichen Studios betreiben, sehr kompetente Berater zur Seite.

Eine holländische Erfolgsstory: Als Hans Kulk und Rikkert Brok aufeinandertrafen, entstanden sofort Synergien, die direkt in den Anfängen des Willem Twee Studio mündeten. 2015 übersiedelte die Test-Equipment-Sammlung, die Hans zusammengetragen hatte, aus den sehr beengten Verhältnissen eines kleinen Zimmers in das erste Studio. Bereits 2016 begann man mit ersten Workshops. Im zweiten Studio zog dann die Synthesizer-Sammlung des ehemaligen CEM-Studios ein, die von 2006 – 2016 im Studio von WORM in Rotterdam aufgebaut war. CEM (Contactorgaan Elektronische Muziek) wurde 1956 durch Phillips und die Gaudeamus Foundation gegründet und hat eine lange Odyssee hinter sich, von Utrecht über Hilversum, Arnhem, Amsterdam und Rotterdam, die schließlich im wunderbaren Hafen der Willem Twee Studios endet. Dass man finanzielle Unterstützung von Kulturstiftungen, der Stadt s’Hertogenbosch und dem Landkreis bekam, gehört zu dieser typisch niederländischen Erfolgsstory.

Seit Ende 2018 sind die Studios nun voll betriebsbereit, der Öffentlichkeit zugänglich und können von interessierten Musikern gebucht werden. Da sich ein eintägiger Aufenthalt kaum lohnt, bietet man auch eine Übernachtungsmöglichkeit an.

Modular Vintage

Spulen wir zwei Jahrzehnte vor und begeben uns in das zweite Studio, das mit einer großen Midas-Konsole bestückt ist. Für analoge Aufnahmen stehen zwei Telefunken M15A bereit, digital nimmt man mit einen iMac über ein Focusrite Saffire 6 mit Reaper Software auf.

Direkt in Marschrichtung durch die Studiotür prangt der ARP-2500-Altar. Da ducken sich die beiden ARP 2600 auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes fast schüchtern weg. Neben Klassikern wie einem modifizierten EMS The Putney und einem umfangreichen Serge-System gibt es selbst gebaute Sequenzer, VCAs, Multiples und andere nützliche Helfer. Ein Analogue-Solutions Concussor Drummodul steht bereit wie auch einige selten anzutreffende Synths wie ein PPG 1002 mit 314 Step-Sequenzer und 313 Sequential Switch, ein Wasp mit zwei Spider Sequenzern oder ein Crumar Compaq Synth. Alles in allem die perfekte Spielwiese für den Synth-Liebhaber.

Nichts für Schwächlinge. Die passiven Bandfilter bringen dank der verbauten Trafos richtig Kilos auf die Waage, haben aber einen sehr charakteristischen Sound.
Recht unromantischer Look im Vergleich zu manchen Eurorack Designs. Dafür hat man die wichtigsten Formeln gleich parat.
Oben: Multiplyer/Divider, unten: Passbandfilter mit einzelnen Filterausgängen.
Oben: Rauschgenerator mit speziellen Funktionen; unten: zwölfkanaliger Sinus-zu-Puls-Generator, Eigenbau von Rob van Veidhuizen
Die Orgel im ToonZaal, wird gerne für Ausgangsklänge genutzt.
Auch in Studio 2 finden sich einige ältere Spezialitäten, wie dieser Pekel Multioktav-Filter.
Es geht nichts über gute Praktikanten. Rob van Veidhuizen baute diesen Sequenzer mit eine Ghilmetti-Steckfeld aus der Bastelkisten.
Gleich zwei ARP 2600, vorne links ein seltener Crumar Compaq
Crumar Compaq. Der Name ist Programm.
Eine Sammlung Analog-Computer Module von Siemens. Im Hintergrund Teile des Serge-Systems.
Links: ein Nord Modular der ersten Generation; rechts die Fernsteuereinheiten für Kameras, wie die im Hintergrund.
Hans Kulk mit Studenten in einer ersten Version des Studios.
Zwei analoge Computer von Hitachi, Modell 240
Links: passives Filter, Schwebungssummer, Abstimmbare Anzeigeverstärker Rechts Tieffrequenzgenerator, Frequenzgeneratoren.

Multimedial aufgestellt

Die Überraschung ist perfekt, als Rikkert eine Tür öffnet, wir durch einen schmalen Gang gehen und plötzlich auf der Empore eines Konzertsaals stehen. Der Raum bietet Platz für 135 Zuschauer, hat eine hervorragende Akustik und wird für Konzerte mit Kammermusik, Experimentellem oder Improvisation genutzt. Ein Steinway C-Flügel und eine Kirchenorgel stehen zur Verfügung, die laut Rikkert gerne von Studiomietern genutzt werden, um Klangmaterial zu generieren, das dann weiterverarbeitet wird. Wenn keine Konzerte stattfinden, kann der Raum auch als Hallraum von den Studios aus genutzt werden. Die Studioräume und der Konzertsaal sind nicht nur audiotechnisch vernetzt, es gibt auch mehrere, auf fernsteuerbaren Gimbals montierte Kameras, deren Bilder sich in den Saal projizieren oder live streamen lassen.

Willem Twee ist also nicht nur für intensive Studioarbeit prädestiniert, sondern bietet auch die Möglichkeit, das Erarbeitete live zu präsentieren. Dabei sind fast alle Geräte in beiden Studios bereits sinnvoll vernetzt. Viele Signale liegen direkt an den Mischpulten an, man kann sich also ganz auf die Klanggestaltung konzentrieren, ohne erst einmal Hirnschmalz und Zeit in eine Basiskonfiguration investieren zu müssen. Wer einen Überblick über den Gerätepark bekommen möchte, sollte sich die Equipment-Liste der Studios runterladen, die zwar nicht Topaktuell ist, aber einen guten Einblick gewährt (siehe Link am Ende des Artikels). Wer immer informiert sein will, schickt eine Mail an studios@willem-twee.nl oder abonniert den Newsletter.

Einmal im Jahr, Mitte März, findet dort auch das FAQ-Festival statt, das sich ganz der experimentellen Elektronik widmet. Für dieses Jahr steht eine Kollaboration mit dem EMS Institut Stockholm auf dem Programm, außerdem soll der Ausnahme-Elektroniker Paddy Steer zu Gast sein.

www.willem-twee.nl/willem-twee-toonzaal
www.willem-twee.nl/studios
www.faqfestival.nl


Das Willem Twee Team – Hans Kulk und Rikkert Brok im Gespräch

Wann habt ihr euch kennengelernt, und wie ging das alles los mit dem Studio?

Hans Kulk: Ende 2014 kontaktierten mich die Leute von Musiques & Recherches in Brüssel, die gerne in Holland ein Konzert machen wollten. Da dachte ich, ich frage mal beim Toonzaal. Direktor Henri Broeren kannte ich schon von Earational Festival (experimentelle Musik), wo ich in 2001 eine AV-Installation gemacht hatte. Er hatte den Saaltechniker und Organisator des FAQ Festivals, Rikkert Brok, dabei, und wir beschlossen, dass das M&R Acousmonium ein gutes Projekt für das FAQ Festival 2015 wäre. So lernte ich Rikkert kennen, und für die Organisation des Events trafen wir uns bei mir zu Hause auf einen Kaffee. Dann lud ich Rikkert nach oben in mein privates Studio ein. Dieses Studio war schon seit 30 Jahren meine Aufgabe, und ich bekam immer mehr Besuchsanfragen von Gruppen junger Studenten, aber hatte einfach keinen Platz. (lacht )

Rikkert war begeistert und sagte: »Ok, du hast die Geräte, und wir haben einen Raum, lass uns ein Studio einrichten.« Der Direktor, ein Komponist elektronischer Musik, war auch gleich begeistert und sagte nur: »Ruft das Umzugsunternehmen an!«

In den darauffolgenden Tagen und Nächten wurde der erste Teil der Geräte in das Toonzaal Studio gebracht, aufgebaut, und die ersten Workshops und Kurse starteten Anfang 2016. Bald kam der Rest meines Studios dazu, und durch das Zusammenwirken mehrerer Organisationen entstanden die Willem Twee Studios. Auch das alte CEM Studio von Armeno Alberts wurde dann Teil des Studios.

Was gefällt dir besonders an den alten Geräten?

Stabilität, Signalqualität, exakt definierte Frequenz- und Amplituden-Werte. Die Konstruktion, die haptische Kontrolle des Gerätes und die Klangresultate.

Verlangt der Umgang mit dem Test-Equipment eine andere »Denkweise«? Oder wie würdest du dein Vorgehen mit den Geräten beschreiben?

Der Anfang der elektronischen Musik war möglich durch Testgeräte aus den technischen Abteilungen von Rundfunkstationen. Die Klänge der Komponisten Anfang der 1950er haben eine bestimmte Signatur. Insbesondere den direkten Kontakt vom Musiker mit dem Gerät: Durch Knöpfe zum Klang ergibt sich eine spezielle Verbindung zwischen dem Musiker mit einer Klangvorstellung und dem aktuellen Klang. In dieser Zeit ist es ganz wichtig, weil junge Menschen nur durch Software Musik anfassen und eher visuell statt auditiv den Kontakt aufnehmen. Für direkte künstlerische Expressivität ist diese analoge Gerätedenkweise eine Öffnung in eine musikalische Dimension.

Ihr habt auch Hilfe von Technikern bei der Wartung der Geräte?

Rikkert Brok: Paul van Twist ist einer unser Techniker, der früher für Phillips gearbeitet hat. Er kümmert sich insbesondere um das Test-Equipment.

Einige Synthesizer wurden dem Studio geschenkt?

Ja, z. B. das Formant-System von Peter Heijnen, das noch renoviert wird. Weil unser Ziel ist, dass man das Studio wie ein Instrument nutzen kann, werden die Formant-Module von Cinch- bzw. 2-mm-Bananen-Steckern auf Standard-4-mm Bananenbuchsen umgebaut und sind dann kompatibel zum Serge-System.

Das ist ein ungewöhnlicher Sequenzer mit Ghilmetti-Steckfeld …

Den hat einer unserer Praktikanten gebaut. Das Steckfeld war vorhanden, und er fragte, ob er damit einen Sequenzer bauen darf. Die passenden Pins fürs Steckfeld, mit interner Diode, hat er auch selbst gebaut!

Hier finden auch Workshops statt?

Drei- bis viermal im Jahr machen wir Lab-Events, bei denen die Leute Instrumente bauen oder Präsentationen stattfinden. Am Abend finden dann Konzerte statt. Wir laden auch Leute für Vorträge ein, z. B. hatten wir Rob Hordijk mit seinem Modularsystem zu Gast.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Der Ortsname sollte, wenn schon, richtig geschrieben werden:
    ‘s-Hertogenbosch, das Apostroph steht für den früher im Niederländischen ebenfalls gebräuchlichen Genitiv, also “des Herzogs Wald(stück)”.

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  2. Ein Paradiestempel (überwiegend) analoger Musikklänge und Bearbeitung – klasse! Viel Glück und Erfolg.

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