Modern Retro

Studioszene: Vox-Ton Studio, Berlin

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(Bild: Jubal Battisti)

Im beschaulichen Berliner Bezirk Weissensee hat sich ein internationales Produzententeam sein Traumstudio verwirklicht. Mit viel Leidenschaft und Eigenleistung entstand hier ein Ort, der in der aktuellen Recording-Landschaft seinesgleichen sucht. Ein Besuch im Vox-Ton Studio …

Etwas mehr Sound-Charakter gefällig? Dann sollte das Berliner Vox-Ton-Studio die richtige Adresse sein. Mit seiner beeindruckenden Auswahl an ausgesuchtem Vintage-Equipment dürften die Betreiber Francesco Donadello und Niels Zuiderhoek sowie das mehr oder weniger regelmäßig dort anzutreffende Produzententeam um Antonio Pulli, Simon Goff und Assistent Henrick-Johansson Havelka in der Lage sein, auch die eigenwilligste Klangvorstellung zu verwirklichen.

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Francesco betont, dass die Ausstattung des Studios nicht etwa nerdiger Selbstzweck sei, sondern eine Möglichkeit, um der zunehmenden Standardisierung von Produktionsmitteln entgegenwirken zu können. Zudem ließe sich das »richtig alte Zeug« vergleichsweise einfach warten und reparieren. Tatsächlich ist jedes Gerät, von der EQ-Kassette bis zur großen Bandmaschine, in bestem Zustand und jederzeit einsatzbereit. Da auch eine State-Of-The-Art-DAW mit hochwertigen Plug-ins und Wandlern nicht fehlt, lassen sich laut Francesco traditionelle und moderne Produktionsweisen beliebig und nahtlos miteinander verbinden − so geschehen etwa beim zweiten Longplayer der Berliner Electro-Allstars Moderat, deren Logic-Projekte in der Vox-Ton-Regie echt-analog nachbearbeitet wurden.

Vom Abstellraum zum Top-Studio

Vox-Ton ist im Wesentlichen das Baby von Francesco und Niels, die um 2012 zufällig in Berlin aufeinandertrafen. Francesco arbeitet als Mastering-Engineer bei Calyx-Mastering, Niels ist Freelance-Producer/Engineer. Ihre Setups lagern sie zunächst in einer geräumigen Fabriketage ein. Wenig später reift die Idee, selbige mithilfe des Vermieters − ebenfalls Musiker − und der Zusammenlegung des gemeinsamen Equipments in ein Studio zu verwandeln und dort ausgesuchte Projekte zu produzieren. Mit reichlich Eigenleistung entstehen innerhalb erstaunlich kurzer Zeit ein funktionierender Recording-Saal und ein Regieraum mit viel Platz, hervorragender Akustik und angenehmen Ambiente. Als Motivationshilfe dient dabei nicht zuletzt die dänische Indie-Band Efterklang, die ihr 2012er-Album Piramida von Francesco und Niels mitproduzieren lässt. Piramida entsteht quasi noch in der Vox-Ton-Baustelle, und Efterklang wird somit zum ersten Projekt des Studios.


Im Vintage-Paradies:

Das Berliner Vox-Ton Studio beeindruckt mit einer reichhaltigen und perfekt gepflegten Vintage-Ausstattung. Vom Joe Meek Preamp aus den 50er-Jahren bis zur 16-spurigen Studer A80 finden sich audiophile Schätze mit einem Höchstmaß an Charakter und Charisma. Aber auch eine moderne DAW mit Pro Tools HD, Logic X und Ableton Live fehlt nicht.

Der fast 50 m2 große Regieraum mit seinem Schmuckstück, der Cadac G-Serie Konsole von 1972: 24 Inputs und 12 Busse randvoll mit Marinair-Übertragern, Spulen-EQs und feinster Class-A-Technik. Sie entstammt den niederländischen Soundpush-Studios und wurde vollständig recappt.
Outboard aus 60 Jahren Studiotechnik: Darin Röhren-Preamps von Neumann und Altec.
Echte »Charakterschweine«: der passive Langewin EQ-258-A und darunter ein 175B Röhren-Limiter von Universal Audio aus den frühen 60er-Jahren.
Dazu ein Ampex MX15 Röhren-Preamp
EQs von Fairchild (Model 664) und Neve 1272A Preamps
Die drei Studer A80: Neben der 2-Zoll-16-Spur-Maschine finden sich noch zwei 2-Spur-Versionen. Die linke arbeitet mit Halb-Zoll-Bändern und dient als Master-Maschine, die rechte (Viertel-Zoll) wird meist als Effektgerät zweckentfremdet. Zusätzlich sind zwei Ampex-Bandmaschinen vorhanden.
Der gut 120 m2 große Recording-Saal mit reichlich Tageslicht. Dank schräger Decke und zahlreichen Absorbern liefert der Raum eine saubere Akustik mit Nachhallzeiten von 0,7 bis 1,4 Sekunden.
Zu den verfügbaren Instrumenten zählen nicht weniger als drei Flügel (Steinway A, D und Kawai Baby Grand), dazu diverse Orgeln, E-Pianos und Gitarren samt Amps. Nicht zu vergessen: Vox-Ton verfügt über mehr als 80 Mikrofone, ebenfalls aus sechs Jahrzehnten.

Jenseits des Mainstreams

Seit dem offiziellen Start des Studios im Jahre 2013 sind vor allem Künstler mit eigenwilligen Sound-Vorstellungen abseits des Mainstream auf Vox-Ton aufmerksam geworden. So zählte etwa der 2018 leider verstorbene islandische Filmmusikkomponist Jóhann Jóhannsson (u. a. Sicario, Arrival) zu den regelmäßigen Gästen im Vox-Ton Studio. Den Vox-Ton-Sound schätzen so unterschiedliche Künstler wie Modeselektor, David Sylvian, Hauschka, Pianist Chilly Gonzales, die US-Noise-Rocker Deerhoof oder Produzent und Jazz-Trompeter Richard Koch, dessen Album Wald vollständig auf Stereo-Röhren-Equipment realisiert wurde.

Eine enge Verbindung besteht auch zum Label Erased Tapes und zu dessen wohl bekanntesten Protagonisten Nils Frahm. Zu den aktuellsten Projekten gehört eine Kolaboration mit Rick Rubin für den italienischen Künstler Lorenzo Cherubini. Entgegen vieler Kollegen hält Francesco Social-Media-Präsenz für zweitrangig. Für die Entstehung von spannenden und langfristigen Projekten setzt er eher auf Mundpropaganda und persönliche Kontakte in einem großen kreativen Umfeld, wie Berlin es bieten kann.

www.vox-ton.com


Francesco Donadellos All-Time-Favorites

Francesco(Bild: Voxton)

Lieblingsalbum: The For Carnation / The For Carnation

Lieblingsproduktion: Beck (vor allem Colors)

Geilstes Konzert: Ennio Morricone in Antwerpen 2016

Lieblingsmikro: Neumann U67

Lieblings-Outboard: Universal Audio 175B Limiter

Lieblings-FX: Studer A80 (als Flanger, Delay, Pitch Shifter)

Lieblings-Plug-in: alles von Acustica

Ganz oben auf dem Wunschzettel: Neve 33609 Kompressor »Metal Knob«-Version, Sontec MEP-250 EQ

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Der Text unter dem Foto der zwei Schlagzeugern ist der selbe, wie im Foto von den Studers davor:-) Mal davon abgesehen, analoger Sound hat was eigenes, wohl klingendes.

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    1. Hallo Robert
      Danke für den Hinweis, ist korrigiert.

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