„Baustein-Akustikräume“ als Fortschritt

Mammutprojekt: ORF Mediencampus mit Räumen aus Boxy-Modulbauweise

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Im ORF-Mediencampus-Gebäude sind 35 Räume mit dem Boxy-System geplant; hier der Blick durch die mit Sichtlinien verbundenen Produktionsräume der Teststellung (Bild: Bruno Klomfar)

Die italienische Firma B-Beng bietet mit ihrem Boxy-System modulare Raum-in-Raum-Konstruktionen, mit denen sich laut Hersteller flexibel eine kontrollierte Akustik in Räume „einbauen“ lässt. Der Österreichische Rundfunk (ORF) ließ in einem neuen Gebäude in Wien gleich 35 Räume aus der Baustein-Technik konstruieren, um Redaktions- und Produktionsräume zusammenzuführen. Zu den Vorteilen gegenüber herkömmlichem Trockenbau zählen erwartbare und reproduzierbare Ergebnisse, so die Beteiligten – und nicht zuletzt deutliche Kostenersparnis. Das Projekt bot eine gute Gelegenheit, um über die Bauweise zu sprechen.

Eine akustische „Raumverkleidung“ individuell aus Modulen zusammenstecken, nach einem Lego-ähnlichen Prinzip: So lässt sich, deutlich vereinfacht, das Konzept des italienischen Unternehmens B-Beng zusammenfassen, das mit seiner daraus entstandenen Marke Boxy kontrollierte Raumakustik verspricht. Über Strukturpaneele auf Stahlbasis entsteht eine Raum-in-Raum-Konstruktion, die innen mit Akustikelementen ausgekleidet wird. Auch ein eigenes leises Belüftungssystem ist bei Bedarf in den Konstruktionen enthalten. Das Komplettsystem wird bereits in Studios oder Rundfunkstationen eingesetzt.

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Aktuell errichtet der österreichische Rundfunk in Wien ein Mammutprojekt, den ORF Mediencampus. „Wir konsolidieren aus technologischen, strategischen und aus Kostengründen die bisher auf verschiedene Standorte verteilten Sender und Kanäle im ORF-Zentrum auf dem Küniglberg, um alles in einem Cluster unterzubringen“, erklärt Martin Binder, der beim ORF im Gebäudemanagement arbeitet. „Bisher existierten am Küniglberg Produktions- und Redaktionsbereiche, verteilt auf unterschiedliche Gebäudeteile oder Stockwerke. Bei dem Neubau haben wir uns die Aufgabe gestellt, ein neues Arbeitsgefühl zu schaffen: Hochwertige Produktionsräume sollen in die Bürowelt integriert werden.“

Innenansicht eines Raums der Teststellung, nur mit Akustikmodulen und Glasscheiben bestückt – und einer Leinwand für Visualisierungen (Bild: Bruno Klomfar)

In dem neuen Studiokomplex werden der Klassik-Radiosender Ö1, die Popwelle Ö3 und FM4, das die jüngste ORF-Zielgruppe anpeilt, sowie die ORF TV-Sender zusammengeführt. Der Gedanke der nahtlosen Integration, sodass Redaktion und Produktion miteinander arbeiten können, stellt besondere Anforderungen an die akustische „Abschottung“: Büro- und Studioräume sollen zwar mit Sichtlinien kombiniert, aber gleichzeitig akustisch abgetrennt werden. Insgesamt 35 optimierte Akustikräume sind im Gebäude geplant, sie werden mit der Boxy-Modulbauweise errichtet; eine Premiere für den öffentlichen Rundfunk. Um vorab einen Eindruck vom zu erwartenden Ergebnis zu bekommen, fand ein Testaufbau statt – praktisch ein originaler Studioraum, der wieder abgebaut wurde. Beim ORF sprechen die Beteiligten von einer „neuen Generation des Studiobaus“, samt großen Einsparpotenzialen – und zeigen sich begeistert.

„Bisher sollte in Rundfunkstudios jede Eventualität beherrschbar sein – von der geflüsterten Aufnahme bis zur lauten Percussion-Gruppe“, so ORF-Mann Martin Binder. Die Anwendungen wurden beim Neubau neu evaluiert: „Wir decken 100 Prozent der Fälle ab, die erwartbar sind“, so ORF-Projektleiter Pius Strobl

Akustischer Fokus auf Alltagspraxis

„Wie alle Rundfunkanstalten unterliegen wir einem großen ökonomischen Druck. Es wird gefordert, jede Investition, mehrfach zu überdenken und neu einzuordnen“, erklärt Pius Strobl, Gesamtprojektleiter beim ORF. „Wir haben uns daher entschlossen, die ‚alten Pfade‘ der Rundfunktechnik praktisch zu verlassen. Im Zuge dessen haben wir eine neue Studiolandschaft entwickelt, die modernste Produktionsstandards garantiert und gleichzeitig wirtschaftlich günstiger ist als die bisherigen Investitions- und Rundfunktechnikplanungen. Im Betrieb sahen wir Einsparpotenziale.“

ORF-Gesamtprojektleiter Pius Strobl (Bild: ORF)

Strobl spricht mit den „alten Pfaden“ die Vorgaben des Instituts für Rundfunktechnik (IRT) in München an, das gerade aufgelöst wird. „Im akustischen Bereich existiert ein Normverhalten, was ein Rundfunkstudio leisten können muss. Dabei bestehen Ausnahmen, was einzelne Klänge oder besondere Lautstärken angeht. Im Standarddenken der europäischen Rundfunkanstalten wurde praktisch versucht, 100 Prozent dessen, was akustisch möglich ist, abzubilden. Wir sagen: Wir decken 100 Prozent der Fälle ab, die erwartbar sind. Mag sein, dass mal ein Ausreißer stattfindet – dann wird es vielleicht mal etwas lauter und man hört den Schall noch außerhalb des Studios. Damit werden wir leben können. Die letzten Prozente auf der Skala sind bekanntlich am teuersten. Lässt sich an dem Ende etwas einsparen, reduziere ich massiv die Kosten, ohne die Qualität der herkömmlichen Produktion zu beeinträchtigen. Davor stand bei uns die kritische Fragestellung: Ist für unsere Produktionen tatsächlich jede Eventualität hinsichtlich der Akustikplanung zu berücksichtigen, im Rahmen der Investition? Nach langen Diskussionen – auch mit der Technik – haben wir uns entschlossen, die ORF-Standards nicht automatisch weiterzubauen, sondern kritisch zu überprüfen und zu hinterfragen.“

„Vorhersagbares“ Akustik-Ergebnis gegenüber Trockenbau

Martin Binder ist seit 1989 beim ORF, er begann dort als gelernter Toningenieur. „Ich hatte das große Vergnügen, in den ORF-Bestandsstudios, Produktionsräumen, Aufnahmeräumen, Abwicklungsregien, mobilen Produktionsstätten und Fahrzeugen zu arbeiten, die allesamt eine hervorragende Qualität bieten.“ Es sei entsprechend viel Knowhow sowohl im ausübenden Prozess der Tonmeister als auch in der Rundfunkplanung vorhanden. „Am Küniglberg haben wir die erwähnten Produktionsräumlichkeiten – Hartbeton, Massivbauweise, Vorsatzschalen, GK10 [sog. „Grenzkurve“ des Instituts für Rundfunktechnik (IRT), das den Restschallpegel eines Raums beschreibt, der in erster Linie durch die Belüftung entsteht, wenn ansonsten Stille herrscht – d. Autor]. Da schlägt jedes Toningenieurherz höher, denn die Anforderung lautete: Jede Eventualität sollte beherrschbar sein – von der geflüsterten Aufnahme bis zur lauten Percussion-Gruppe. Wir haben das alles aufgenommen, und tun das noch immer! Gemeinsam mit unserem Akustikkonsolenten Peter Willensdorfer haben wir nun tatsächliche Betriebsschallpegel in unseren Produktionsstätten gemessen: Wie arbeiten die Toningenieure, wie arbeiten die Producer dort?“ Die Abwägung der akustischen Voraussetzungen beschreibt Binder so: „Heutzutage Produktionsräumlichkeiten auf Basis von GK10 zu bauen, ist bei 35 Räumlichkeiten bau- und kostentechnisch nicht notwendig und auch nicht sinnvoll machbar.“

Für den Innenausbau des Gebäudes suchten sie nach günstigeren Alternativen zum bisherigen Trockenbauverfahren, entdeckten schließlich das Boxy-System. Die mögliche Präzision sei war wesentlicher Aspekt. „Trockenbau war bisher ein Riesenthema bei uns“, erklärt Martin Binder. „Angenommen, zwei von zehn Arbeitern haben einen schlechten Tag und bohren unpräzise, dann finden akustische Übertragungen von Raum zu Raum statt. Der Raum wäre kaputt – nach der Messung müsste ich ihn wieder abreißen und von vorne beginnen. Das wäre ein Fiasko im Bauablauf. Deshalb wollten und mussten wir uns für ein System entscheiden, das auch im Bauablauf funktioniert – und das die akustischen Voraussetzungen, für die wir uns entschieden haben, auch garantiert.“ Nicht immer entspricht beim Trockenbau eine theoretisch berechnete Akustik dem anvisierten Ergebnis (siehe auch Studioszene Noble Sound Studio, Sound & Recording Nr.7+8, 2018, wo erst im zweiten Anlauf die gewünschte Akustik erreicht wurde). Die akustische „Vorhersagbarkeit“ des Modulsystems spare Geld, betont Binder. Andere Anbieter seien nicht in Frage gekommen. „Unserer detaillierten Recherche nach existiert niemand, der ein komplettes Studio bauen kann. Es gibt Anbieter, die Drum-Chamber bauen, Raum-in-Raum-Konstruktionen – allerdings nicht so, wie wir es brauchten.“ Die Grundlagen beschreibt Strobl wie folgt: „Ich stelle einen sauber ausgemalten Raum zur Verfügung, darin kommt ein System, das den Raum zum Leben erweckt. Der Raum in unserem komplexen Haussystem wird im Boxy-Setup bereits ‚mitgedacht‘: Der notwendige Doppelboden befindet sich beispielsweise in der Box. Macht der Fliesenleger oder Teppichschneider einen Fehler, habe ich kein Problem in der Substanz.“

B-Beng-Chef Lorenz Koch (links) mit Boxy-Erfinder Claudio Lamberini (Bild: Boxy System)

Lorenz Koch, B-Beng-Geschäftsführer, erinnert sich: „Dem ORF konnten wir bereits einen hochwertigen Radiosender zeigen, dessen neues Studio in Mailand komplett mit unseren Räumen ausgestattet wurde: Radio Dimensione Suono, kurz RDS – ein Privatsender, der in Italien landesweit ausstrahlt.“ Es sei ihnen wichtig gewesen, das Ergebnis und „Raumgefühl“ bereits im Vorfeld demonstrieren zu können. „Dazu fanden bereits vor Corona mehrere Reisen nach Italien statt, oder die Italiener kamen hier zu Besuch“, meint Strobl.

Martin Binder (ORF): „Falls zwei von zehn Arbeitern beim Trockenbau unpräzise bohren, finden akustische Übertragungen von Raum zu Raum statt. Der Raum müsste am Ende neu gebaut werden“

Planungsbeginn mit der Herausforderung „Fernsehstudio“

Zunächst wurde ein Fernsehstudio mit Regieraum besprochen, rekapituliert Martin Binder die Ausgangslage. „Neben den Flächen für die Radioproduktion sollte auch ein multimedialer Newsroom mit Newsstudio enthalten sein: Sieben Meter hoch, mit 250 Quadratmetern Fläche. An der gewünschten Positionierung mussten wir besonders auf Statik und Gewicht achten. Eine Studiobauweise mit fetten Betonwänden, wie wir sie am Küniglberg kennen, war schlicht nicht möglich. Wir mussten – überspitzt formuliert – eine Art Leichtbauweise finden, die akustisch alle Anforderungen an ein Studio erfüllt. Somit gaben wir Boxy als erste Aufgabe das Newsstudio, weil wir von ihren Fähigkeiten bei Radioräumen praktisch bereits überzeugt waren.“

Die größten Herausforderungen beim ORF-Projekt auf Boxy-Seite? Koch: „Die Räume wurden in ein Bestandsgebäude mit einem Gewichtslimit von 1.000 Kilogramm pro Quadratmeter eingesetzt. Das hört sich nach viel an, aber wenn ich 140 Tonnen Stahl reinstelle, muss ich mir genau überlegen, wie das funktioniert – zumal nur bestimmte Ablagepunkte vorhanden waren, über die das Gewicht abgelenkt werden muss. Dort mussten 16 Meter lange, 30 Zentimeter hohe Stahlträger bewegt und platziert werden – da muss man sich erstmal rantasten.“

Beim großen Fernsehstudio waren laut Koch spezielle Optimierungen nötig, weil die Kühllast viel höher sei: „Wenn große Scheinwerferanlagen rund um eine Deko platziert sind, entsteht schlicht Hitze. Beim Radiostudio existieren wiederum hohe Anforderungen, was die Restgeräusche durch Belüftungsanlagen angeht: Als Spezifizierung wurde GK20 verlangt [ein maximaler Restgeräuschpegel von 20 Dezibel im ansonsten „stillen“ Raum – d. Autor], wir kamen bei den Teststellungen unter GK15. Dazu kommen Entwicklungen, die mit dem Zeitgeist zusammenhängen: Radio wurde in den letzten Jahren visueller. Immer mehr Radiosender senden auch einen Video-Feed aus dem Studio im Netz. Die wollen nicht mit einem Fernsehsender konkurrieren, sondern visuelle Umsetzungen im Radiokontext intelligent aufgreifen.“ Er erwähnt bespielbare Glaswände wie beim Wetterbericht als Beispiel, „um Emotionen visuell übertragbar zu machen, möglichst ohne akustische Beeinträchtigungen im Raum.“ Für die Radioräume konnten sie auf den eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen, erklärt Koch.

Dazu kamen weitere Spezifikationen des ORF: „Ein Maximum an Flexibilität für die Verkabelungen sollte vorhanden sein, um auch auf zukünftige Anforderungen vorbereitet zu sein. Eine Modifikation des Gebäudes wäre in Zukunft nicht möglich. Sollte mal ein Raum umziehen, müsste die Verkabelung übernommen werden können.“

Vorab-Test

Am Ende kam von Boxy ein „fast maßgeschneidertes Produkt“ für den ORF, so Strobl. „In unserer Ü-Wagen-Garage wurde eine Studiolandschaft als Eins-zu-eins-Modell aufgebaut, um Akustik- und Lichtmessungen durchzuführen. Die Ergebnisse waren überraschend gut, sodass wir überzeugt sind, unsere Fernseh- und Radioformate darin gut produzieren zu können.“ Von der Qualität des Raums seien sie begeistert, meint Binder. „Unsere qualitativ hochwertigen Radiosender kommen aus ihren jeweiligen Standorten in Wien aus sehr passablen Produktionsräumlichkeiten. Von den kritischen Kollegen bekamen wir positives Feedback.“

Aufbau der Teststellung (Bild: Boxy System)

„Stille“ Klimatisierung ohne massiven Luftzug

Ein großer Vorteil von Boxy bestehe laut Binder auch in deren patentierten HKLS-Belüftungssystem. Im ORF-Zentrum kennen sie verschiedene Belüftungsvarianten. „Die Luft fällt in einen großen Querschnitt hinein, damit der Luftzug schön leise ist, dafür zieht es gefühlt auf der Nasenspitze. Bei Boxy tritt das so nicht auf.“ Es gehe um Qualität am Arbeitsplatz, betont Koch. „Wenn ein Redakteur acht, neun Stunden am Tag im Sender ist, sollte er sich in seinem Studio wohlfühlen können. In einem Berliner Sender existiert eine herkömmliche Schallkabine.

Außen hängt ein Schild der Geschäftsleitung, ‚alle 20 Minuten Stoßlüftung vorgeschrieben‘. Das ist noch ein Symptom für einen Kompromiss, um Aufnahmen zu machen – zu sagen: ‚Ich brauche für bestimmte Aufnahmen spezielle akustische Bedingungen. Dafür nehme ich in Kauf, dass ich mich einige Minuten in einem unnatürlichen Umfeld aufhalten muss.‘ Davon haben wir uns wegbewegt. Dieser Wohlfühlfaktor spielt eine große Rolle: In vielen Fernsehstudios haben beispielsweise die Mitarbeiter Probleme, weil auf der einen Seite eine hohe Entwicklung über die Lichtanlagen stattfindet. Auf der anderen Seite durchdringen die Belüftungssysteme, um das zu bewältigen, mit forscher Kraft die Räume. Die Leute haben im Nacken immer einen kalten Wind und müssen beispielsweise Rollkragenpullover tragen. Für Qualität am Arbeitsplatz brauche ich das passende Umfeld.“

Wie die verhältnismäßig „stille“ Klimatisierung gelöst wurde? „Vereinfacht ausgedrückt: Je größer und breiter die Luftwege sind, desto geräuscharmer sind sie. Andererseits müssen sie isoliert werden – wo eine große Öffnung ist, kommt auch mehr Schall durch“, erläutert Lorenz Koch. „Das sind sogenannte ‚Labyrinthe‘: Du wirkst auf die Werte über die Anzahl der Labyrinthe ein, um die Gesamtwege der Luft zu erhöhen. Auf der anderen Seite steht die Luftgeschwindigkeit: Bewegt sich die Luft langsam, aber stetig, entsteht eine geringere Geräuschentwicklung. Im Endeffekt spielen mehrere Faktoren zusammen, bei denen man sich auch nur teilweise in die Karten schauen lässt. Wenn es um modulare Akustikräume geht, glaube ich nicht, dass ein anderer Anbieter GK15 schafft. Das ist mehr der Tatsache zu verdanken, dass ein Boxy-Raum mit dem, was früher mal eine Schallkabine war, immer weniger zu tun hat. Das Produkt stellt eigentlich eine eigene Kategorie dar.“

Boxy-Chef Lorenz Koch: „Wer würde heute einen Radiosender aus Schallkabinen bauen? Viele unserer potenziellen Kunden würden gar nicht auf die Idee kommen, weil sie aus ihren Erfahrungen heraus denken, dass das als Trockenbau gelöst werden muss“

Es sei „eine Kombination aus mehreren Kriterien: Das Fernsehstudio ist beispielsweise fast sieben Meter hoch, 16 Meter lang und 13 Meter breit. Das ließe sich mit einer Schallkabine nicht bewerkstelligen – dabei geht es um Statik und Struktur. In herkömmlichen

Schallkabinen sind die Belüftungssysteme normalerweise sehr viel weniger ausentwickelt als in unseren Systemen. Das hängt auch damit zusammen, dass Boxy gezielt auf Anwendungsbereiche hin entwickelt wurde, die für Schallkabinen nicht vorgesehen waren. Wer würde heute einen Radiosender aus Schallkabinen bauen? Das ist eigentlich einer der interessantesten Punkte: Viele unserer potenziellen Kunden würden gar nicht auf die Idee kommen, sich damit auseinanderzusetzen, weil sie aus ihren Erfahrungen heraus denken, dass nur Trockenbaumaßnahmen in Frage kämen.“

Klangliche Unterschiede?

Und der Klang? Qualitativ unterscheide sich das akustische Ergebnis nicht von einer sehr aufwendigen, gelungenen Trockenbauweise, meint Binder nach der Teststellung. „Wir haben bei uns keine Trockenbaulösung im Konzern, die vom Aufwand her vergleichbar wäre. Bei anderen Sendern haben wir uns entsprechende Trockenbau-Varianten angeschaut und angehört – die kommen unserer Meinung nach nicht an die Boxy-Qualität heran.“ Die geplanten Radioräume sind rund 20 bis 32 Quadratmeter groß, darunter Sprecherstudios, Abwicklungsstudios, in denen ein Tontechniker Sendungen abwickelt, dazu Post-Production-Räume, in denen Jingles und Musiksequenzen produziert werden. „Wir haben viel mit unseren Flächen gespielt und immer abgewogen: Größe des Raums und Akustik-Image im Bezug zur restlichen Fläche, die wir zur Verfügung haben. Ich könnte natürlich in keinem der Räume ein Sinfonieorchester aufnehmen, aber dafür haben wir am Standort Küniglberg glücklicherweise Altbestandsstudios und passende Räumlichkeiten. Jeder der Radiosender kann im Neubau allerdings eine Gruppe aufnehmen oder live produzieren.“

Die Reflexionen der Glaswände auf der Innenseite der Produktionsräume konnten laut ORF durch Akustikmodule gut abgefedert werden (Bild: Bruno Klomfar)

Die Reflexionen der Glasfront, die die Produktionsräume optisch mit der „Bürowelt“ verbindet, seien ebenfalls gut akustisch lösbar gewesen: „Das ließ sich nach aktuellen, detaillierten Messungen sehr gut abfedern“, so Binder. Lorenz Koch erläutert das Konzept: „Die normalen Studiofenster sind – wie üblich – angewinkelt, um Reflexionen abzulenken, aber eine große Glaswand lässt sich nicht sinnvoll anwinkeln – dann würde zu viel Fläche im Raum verschenkt. Grundsätzlich zeichnet sich ein Boxy-Raum dadurch aus, dass er nackt ein riesiger Stahlkasten wäre, eine große reflektierende Fläche. So hätte er unnatürlich lange Nachhallzeiten. Der Raum ist mit Absorbern vollgepackt, so ausgewählt, um unterschiedliche Frequenzen zu absorbieren. Darin liegt auch unser Ansatz, um später eine Glaswand zu kontrollieren: Letztendlich platziere ich gegenüber der Glaswand unterschiedliche Absorber, um unerwünschten Flatterecho-Effekten entgegenzutreten.“ Man könnte nicht direkt hinter der Glaswand aufnehmen, dort würden naturgemäß Reflexionen auftreten, „aber mit ein, zwei Metern Abstand zur Glaswand entsteht ein sehr gutes Ergebnis.“

Die generelle Nachhallzeit der Module bleibt später im Raum fest eingestellt. „Die ORF-Anwendung hat gezielte und hohe Anforderungen an das Gleichgewicht der Raumakustik. Dadurch sollen später keine Veränderung mehr vorgenommen werden. Davon abgesehen: Ein normaler Akustikraum der Serie Boxy B ist ausgestattet mit ‚Double Face‘-Akustikelementen, die auf einer Seite absorbierend, auf der anderen eher reflektierend. Die Elemente sind per Magnet an der Wand befestigt. Ich kann sie mit wenigen Handgriffen von der Wand nehmen, umdrehen und so den Anteil und die Position der reflektierenden Elemente modifizieren. So lässt sich mechanisch die Nachhallzeit des Raums verändern.“

Blick auf das Rohgerüst – Lorenz Koch: „Nackt wäre ein Boxy-Raum ein Stahlkasten, eine große reflektierende Fläche“ (Bild: Bruno Klomfar Vienna Austria)

Physikalisch ist beim Thema Akustik meist lediglich von Oberflächen die Rede. Inwieweit unterscheidet sich das Ergebnis von der Absorption und Reflexion massiver Betonwände? „Jedes Boxy-Raumelement ist in sich elastisch, nicht starr wie eine 25 Zentimeter dicke Betonwand. Spielt ein Schlagzeuger in einem Boxy-Raum, vibriert jedes Element – das merkt man, wenn man die Hand darauflegt. Die Elemente sind konsequent vom Boden entkoppelt, es gibt keine physischen Schallbrücken, aber der Boxy-Raum wirkt wie ein riesiger Resonator. Dadurch kann selbst mit recht geringen Absorber-Durchmessern auch im niedrigen Frequenzbereich ein gutes Klangbild erzielt werden – weil der Raum strukturell auf eine Art und Weise dazu beiträgt, wie es ein Mauerwerk nicht kann.“ Dadurch werde mehr Energie absorbiert. Welche Vorteile hätte umgekehrt eine Trockenbausubstanz? „Wer massive Leistungen im absoluten Tieffrequenzbereich hat und dabei Wandstärken von 30, 40 Zentimeter auffährt, wird dort die Nase vorn haben“, so Koch. Bei einem Projekt für einen Automobilhersteller haben sie die Problematik auf andere Weise gelöst, erklärt er. „In der Physik lässt sich kaum etwas Neues erfinden, im Niederfrequenzbereich geht es um Masse. Bei dem Projekt setzen wir einen Boxy-Raum in einen Boxy-Raum. Dadurch kommen wir auch zu erstaunlichen Werten im Niederfrequenzbereich. Dabei bleibt das Prinzip bestehen, dass der Raum über die Kollektivleistung seiner Elemente zu einem überzeugenden Ergebnis kommt, allerdings wird zusätzlich eine Barriere geboten.“

Strobl: „Das Projekt ist vermutlich halb so teuer wie mit einer Trockenbaulösung“

Die Kosten des ORF-Gesamtprojekt sind auf 303 Millionen Euro gedeckelt, darin sind die reinen Baumaßnahmen ohne die Rundfunktechnik enthalten. Das Einsparpotenzial beim Innenausbau durch die Boxy-Technik, verglichen mit einer herkömmlichen Trockenbaulösung, verortet Strobl etwa bei der Hälfte. Sein Kollege Binder ergänzt: „Man muss sich dazu die Massivbauweise vor Augen führen, die alle kennen: Entkoppelte Raum-in-Raum-Konstruktionen, Beton in Massivbauweise, mit Vorsatzschalen und Akustikebenen – das erfordert Materialschlachten und einen riesigen Bauaufwand. Hier hat uns B-Beng Boxy wirklich beeindruckt: In den Raum wird ein Stahlträger mit Sylomer als Ground-Support hineingelegt, unter Berücksichtigung der statischen Möglichkeiten. Darauf wird der ‚Boxy‘-Raum aufgebaut. Nicht nur die Kosten an sich, sondern auch der Aufwand ist immens geringer.“ Dabei spielten auch die erwähnte Ausführungsqualität und Flexibilität eine Rolle.

„Für eine produktive Stimmung sollten Menschen, Räume und Technik optimal zusammenwirken”, formuliert Martin Binder die Zielsetzung des ORF

„Unser Anspruch war, die Konsolidierung der Sender in einer gemeinsamen Fläche zu gestalten: Redaktioneller Bereich, Produktionsbereich, dazu Freiflächen wie Teeküchen und Sozialbereiche sollen aus einem Guss wirken“, formuliert Martin Binder die Zielsetzung des ORF, die zusammen mit einem Architektenteam gelöst wurde. „Wo Menschen, Räume und Technik optimal zusammenwirken, entsteht unserer Meinung nach eine sehr anregende und produktive Arbeitsstimmung. Das war ein wesentlicher Faktor in der Planung. Mit Boxy konnten wir die Raum-in-Raum-Konstruktionen in die Redaktionscluster einpassen und modellieren. Hier ist die modulare Bauweise ein großer Vorteil. Die Raumaufteilung wird mittelfristig so bleiben, aber falls sich die Struktur meines Senders oder Kanals in einigen Jahren verändert, kann ich durch das System Umbauten vornehmen – ohne sechs Monate Trockenbaustaub und Baustellendrama auf der Etage. Dazu kommt, dass ich weiß, was ich am Ende bekomme. Für uns ist das ein tolles Werkzeug, um auch zukünftig flexibel zu sein.“

Das Thema sei die Zukunft, glaubt Strobl. „Jedes andere Medienhaus, das über multimediale Newsräume und neue Sendestudios nachdenkt, dürfte sich mit diesen Bauformen beschäftigen, schlicht aus Kostengründen. Meiner Meinung nach lässt sich nicht einfach begründen, dass der vor zehn Jahren gültige Standard im Studiobau so viele Vorteile mit sich brächte, um sich gegen ein modulares System zu entscheiden.“ Das sieht B-Beng-Chef Koch naturgemäß ähnlich: „Projekte wie beim RDS und ORF sowie zwei Aufträge vom Schweizer Staatsfernsehen, ITV und der Deutschen Welle signalisieren dem Markt, dass es hier eine Alternative gibt.“ Auf der International Broadcasting Convention (IBC) 2021 in Amsterdam wollen sie entsprechende Ergebnisse vorführen: „Dort stellen wir ein komplettes Studio auf, mit sechs Tagen Aufbauzeit.“

Strobl: „Jedes Medienhaus, das über multimediale Newsräume und neue Sendestudios nachdenkt, dürfte sich mit diesen Bauformen beschäftigen“

Der ORF Mediencampus soll indes Ende 2021 fertiggestellt sein, samt Belüftungstechnik und Verkabelung. 2022 erfolgt der Einbau der Rundfunktechnik. Im dritten Quartal 2022 wollen sie „on Air“ sein, heißt es beim ORF. „Das Projekt Medienstandort ORF ist das größte Bauprojekt, dass der ORF bis dato angegangen ist. Wir sind in Zeit und in Budget“, meint Martin Binder stolz. Das können derzeit vermutlich nur wenige Mammutprojekte von sich behaupten.

www.boxysystem.com/de/

www.orf.at


Mögliche Corona-Entlastung? Laut Boxy bieten UV-C-Klimaanlagen-Module eine „Viren-freie Zone“

Durch „keimtötende“ UV-C-Module aus Klimaanlagen und Lüftungsgeräten verspricht Boxy eine „Viren-freie Zone“ in den akustisch kontrollierten Räumen. Die Module werden auf Wunsch in den Räumen mit Belüftungsanlage integriert. „Bei richtiger Anwendung gewährleisten UV-C Strahlen einen hohen Grad an Desinfektion, der fast einer Sterilität nahekommt. UV-Licht wurde als wirksame Lösung gegen eine Vielzahl von Viren getestet“, so Boxy. Die Firma bezieht sich dabei unter anderem auf einen Artikel des „Journal of Virological Methods“, wonach unter anderem SARS durch die Exposition mit UV-Licht eliminiert werde. Der Einsatz von UV-C-Licht in den Boxy-Räumen sei daher eine nachhaltige Maßnahme für ein gesundes Arbeitsumfeld, so der Hersteller. Mehr Infos hier.

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