Musikalische Selbstfindung

Interview: Tricky

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Tricky

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Musikalische Selbstfindung

Schleppende Zeitlupen-Beats gepaart mit abgrundtiefen Bässen, dazu knirschende Samples und mit Nikotin-veredelter Grabesstimme vorgetragene Geschichten, die kaum eine Schattenseite des Daseins auslassen – Triphop hat den Sound der Neunziger geprägt und Adrian Thaws aka Tricky hat, zusammen mit seinen früheren Wegbegleitern Massive Attack, den Triphop geprägt. Während letztere das Erfolgskonzept so lange wie möglich am Leben erhielten, entwickelte Tricky schon nach seinem ersten und überaus erfolgreichen Soloalbum von 1995 eine tiefe Abneigung gegenüber jeglicher Art von künstlerischer Stagnation und dem Auswalzen bekannter Konzepte – nur um sich, wie er 2013 im S&R-Interview berichtet, mit diesem Konzept selbst zu blockieren: Die ständige musikalische Sinnsuche nimmt zunehmend zwanghafte Züge an und verfängt sich im Netz der selbst auferlegten Ziele und Vorgaben. Erst mit dem 2013 erschienenen WerkFalse Idols erlaubt sich Tricky endlich, wieder ganz er selbst zu sein. Abseits von Major Companies und groß angelegten Toureen transportiert er mit traumwandlerischer Sicherheit den Sound der Neunziger erfolgreich ins aktuelle Jahrtausend. Schon ein Jahr danach liegt das neue, selbst betitelte Album auf dem Plattenteller. Ist der Bann endgültig gebrochen? Wir treffen einen höchst aufgeräumten und gesprächsfreudigen Tricky im sommerlich heißen Berlin.

Freiheit pur

Dein letztes Album False Idols hast du als einen lange überfälligen, künstlerischen Befreiungsschlag beschrieben. Wohin führen uns nun Adrian Thaws und seine neu erlangte Freiheit? 

Tricky: „Ich genieße meine Freiheit, Mann! Die Abkehr von den Major-Companies war einer der wichtigsten Schritte, die ich je gemacht habe. Kein Major hätte mir erlaubt, schon nach einem Jahr ein neues Album herauszubringen. Bei !K7 (Tricky’s aktuelles Label, Anm.d.Red.) geht das! Und es ist geradezu notwendig: seit ich von meinem Trip herunter bin, mich künstlerisch alle Viertelstunde neu erfinden zu müssen, bin ich in der Lage, mich völlig entspannt auf jede Musik einzulassen, die in mir steckt – Hiphop, Dub, Blues, sogar House! Wer glaubt, Tricky wäre ausschließlich Bristol-Sound, liegt total daneben. Adrian Thaws hat viele Facetten und einige davon finden sich jetzt auf Adrian Thaws. Für mich passiert im Moment total viel: ich versuche mich als Mensch zu entwickeln – weg von dem schrägen, oft schlecht gelaunten Typen, den viele zu kennen glauben. Und ich habe gelernt, dass es absolut wichtig ist, authentisch zu sein. Sich ständig selbst beweisen zu wollen, der kreativste von allen zu sein, ist genau so schwachsinnig und künstlerisch unbefriedigend, wie sich einen Produzenten einzukaufen, um auf einen angesagten Zug aufzuspringen. Ich wurde mal von Bono gefragt, ob ich ihnen (U2 Anm.d.Red.) Breakbeats produzieren würde. Ich hab gesagt, nee – ihr seid U2 und ich bin Tricky. Wie soll das zusammen passen? Das wäre doch kein Stück authentisch. Genauso wenig mag ich es, selber mit Produzenten oder gar „richtigen“ Musikern zusammenzuarbeiten. Alle wollen ihr Ding einbauen, alle wollen unter Beweis stellen, was sie drauf haben und das nervt mich. Ian (Caple, Mixing Engineer von False Idols, Anm.d.Red.) hat seine Sache wirklich hervorragend gemacht, aber es geht tatsächlich auch ohne ihn und sein Studio.

Ist Adrian Thaws also im Alleingang in deinem Homestudio entstanden?

Ja, komplett! Adrian Thaws ist eine Laptop-Produktion. Außer einem Moog Sub Phatty – der liefert richtig geile Bässe – nutze ich Logic Pro, ein paar Plug-ins, ein billiges Einspiel-Keyboard und das war’s. Auf Technikberge habe ich keinen Bock. Aufnahmestudio sind mir zuwider – außerdem kosten sie Geld und es gibt einen Chef, der mir sagen will, wie und bis wann „man“ etwas machen „muss“… (lacht).

Keine Studios

Wie sah der Produktionsablauf aus?

Ich habe zunächst Demos erstellt. Die sind grundsätzlich sehr reduziert und beschränken sich meist auf Standard-Sounds, haben aber schon den Vibe, den das Stück transportieren soll. Ich lege Sounds und Samples auf die Tastatur und spiele mit einem oder zwei Fingern damit herum. Es ist wirklich ein Ausprobieren und Spielen im Wortsinn, ohne jeden Anspruch auf Virtuosität oder Perfektion. Die Rolle des Produzenten hat wieder Francois Kerjan übernommen – ein Freund von mir.

Also doch Produzenten-Unterstützung?

Ja, aber ganz anders als das üblicherweise passiert: Francois hat während der Produktion in meinem Londoner Haus gewohnt. Er ist morgens joggen gegangen, während ich die Demos für ihn startklar gemacht habe. Er hat dann an den Tracks gearbeitet und ich bin einkaufen gegangen und habe Essen gekocht. Freunde sind vorbei gekommen – ein total entspanntes miteinander, weit weg von jeder üblichen Arbeits- oder Studiosituation.

Welche Aufgabe hatte Francois im Besonderen?

Er hat den Demos ihren Sound und ihren Schliff gegeben. Er hat aus einer Standard-Kick eine fette, verzerrte 808-Kick gemacht, Atmosphäre geschaffen, die Vocals optimiert. Ein guter Vocal-Sound ist absolut wichtig. Darüber hinaus wollte ich die Tracks unbedingt so minimalistisch wie nur möglich anlegen und ganz dicht an den Demos dran –die Demos sollten sogar noch weiter reduziert werden! Francois hat also bisweilen vom Demo zurück zum fertigen Track gearbeitet. Das mag ich: Reduktion! Francois hat das bestens verstanden.

Adrian Thaws featured einige hoch interessante Vokalisten. Wie suchst du deine Sänger(innen) aus?

Ich habe das Glück, viele hochkarätige und interessante Künstler zu kennen und auf meinen Tourneen zu treffen. Daraus entwickeln sich oftmals Kollaborationen und nicht selten Freundschaften. Da Adrian Thaws eine große musikalische Bandbreite hat, bot es sich an, mit sehr verschiedenen Vokalisten zu arbeiten.

Nicht zuletzt Bella Gotti’s ultra-aggressiver Rap-Style ist wirklich beeindruckend.

Du solltest ihn erst einmal live erleben – Wahnsinn! Er ist schwul und tritt in Transen-Klamotten auf. Echt abgedreht. Wer aber glaubt, er sei deshalb ein Weichei, hat sich geschnitten! Der Typ ist krasser und rappt härter als jeder Hetero. Was er sagt, sollte man sich besser hinter die Ohren schreiben. Als ich ihn das erste Mal auf einer Tour traf, hatte ich fast Schiss vor ihm und seiner unglaublichen Präsenz (lacht). Aber er ist ein hoch intelligenter Typ mit einem phantastischen Urteilsvermögen und das ist wichtig. Wir werden sicher nicht die Welt und ihren abgefuckten Zustand verändern, aber wir haben zumindest eine Stimme – und die von Bella Gotti ist verdammt nachdrücklich!

Ist auch das Mastering in deinem Studio passiert?

Nein! Das war der einzige Arbeitsschritt, der extern erledigt wurde. John Davis von Metropolis hat Adrian Thawsgemastert und auch er hat einen wirklich guten Job gemacht. John hat sich nicht nur um den Sound gekümmert, er hat sich wirklich intensiv mit meiner Musik beschäftigt! Er hat lange Diskussionen über die textlichen Inhalte und deren Hintergründe angeregt und Adrian Thaws rundum verinnerlicht, bevor er sich an seine Regler gesetzt hat. So stelle ich mir ein gelungenes Mastering vor.

Wirst du das Album live vorstellen?

Ja, wir werden wieder mit Band auf Tour gehen und im September/Oktober in Europa spielen.

Adrian Thaws ist Tricky’s elftes Studioalbum. Es erschien am 04.09.2014 beim Berliner Label !K7 Records. Die stilistische Bandbreite spannt sich von Hip Hop und House bis Blues, Reggae und Rock. Dennoch sind Tricky’s Bristol-Wurzeln immer präsent. Zu den internationalen musikalischen Gästen zählen Francesca Belmonte, Nneka, Mykki Blanco, Bella Gotti, Tirzah, Blue Daisy und Oh Land.

www.trickysite.com, www.k7.com

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. …he’s a legend!!!

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