Zurück in die Zukunft mit dem Acid-Godzilla

Future Retro 777 Groove-Synthesizer

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Im Laufe der durch die Techno-Szene ausgelösten Analog-Renaissance in den 90er-Jahren gab es eine große Zahl unterschiedlichster Emulationen der Roland TB-303. Die Fähigkeiten und die Ausstattung des Future Retro 777, der 1996 auf den Markt kam, gehen aber weit über die einer simplen Acid-Maschine hinaus und machen ihn zu einem der interessantesten analogen Groove-Synths überhaupt.

Oberfläche
(Bild: DIETER STORK)

Die kleine, aber feine Hardwareschmiede Future Retro ist in Austin, Texas ansässig und wurde 1996 von Jered Flickinger gegründet. In der Schule begann er, in Industrial-Bands zu spielen, und betätigte sich als DJ, Produzent und Aktivist in der örtlichen Elektronik-Szene. Da sein Vater in den 70er- und 80erJahren eine Firma betrieb, die PAs und Gitarren designte und verkaufte, war sein Interesse an Musiktechnologie schon immer sehr groß; neben seinen anderen Aktivitäten befasste er sich auch damit, Synthesizer zu reparieren und zu modifizieren.

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Der Wunsch, selbst einen analogen Synthesizer zu entwickeln, wurde immer größer, und was lag in den Techno-euphorisierten 90er-Jahren näher, als die auf dem Gebrauchtmarkt hoffnungslos überteuerte Roland-Bassline nachzubauen, diese außerdem mit zusätzlichen Features auszustatten und damit zur Über-303 zu verbessern?

Der erste Prototyp entstand und wurde von dem befreundeten Elektronik-Act Skylab 2000 auf einem Festival erfolgreich ins Live-Set integriert. Bis zur Einstellung der Produktion fertigte die Firma ca. 678 Stück des leistungsfähigen Groove-Synths, der einen monofonen Synth mit einem Lauflicht-Sequenzer kombiniert. Der 777 war hierzulande über den Berliner Synth-Tempel Schneiders Buero (der auch jetzt noch aktuelle Future-Retro-Produkte anbietet) für 1.240,− Mark erhältlich.

USER

Bei vielen Produzenten elektronischer Musik kam der 777 sehr gut an; endlich gab es eine analoge Geheimwaffe, mit der man böse Acid-Sequenzen abfeuern und diese dank des gut bedienbaren Sequenzers in Realtime modifizieren konnte. Die Maschine wurde wegen ihres aggressiven Sounds von Industrial-Acts wie Nine Inch Nails (z. B. auf Into The Void) oder KMFDM eingesetzt. Zum Nutzerkreis gehören auch Acts wie Richie Hawtin, Brian Transeau, Chemical Brothers, Aphex Twin oder Crystal Method.

ÄUSSERES

Man sieht dem Gerät an, dass es liebevoll handgefertigt wurde. Edel wirken die Seitenteile aus Massivholz. Die 32 Regler der groß- zügig ausgestatteten Synthesizer-Sektion lassen sich angenehm cremig schrauben. Ein einfaches, vierstelliges Display gibt Auskunft über den Betriebszustand. Das Gehäuse aus stabilem Stahlblech gibt es übrigens in einigen farblichen Varianten.

KLANGERZEUGUNG

Der 777 arbeitet mit einer monofonen, analogen Klangerzeugung mit zwei spannungsgesteuerten Oszillatoren. Die Wellenform der VCOs lässt sich mit einem Poti stufenlos von Sägezahn zu Pulswelle formen. Letzteres ist besonders reizvoll im Zusammenspiel mit der leistungsfähigen Crossmodulation der Oszillatoren; durch langsames Drehen am Wellenform-Poti kann man äußerst interessante und bösartige Sounds erzeugen. Als weitere Klangquellen dienen zwei Suboszillatoren und ein Rauschgenerator, außerdem lassen sich auch externe Signale durch die Klangerzeugung schicken.

STEILE FLANKE

Das Lowpass-Filter verfügt über zwei wählbare Charakteristika: Neben dem 3-Pol-Modus, das für 303-artige Sounds geeignet ist, arbeitet das Filter auch mit einer Flankensteilheit von 42 dB pro Oktave. Diesem ungewöhnlichen 7-Pol-Filter verdankt der Synth auch seinen Namen. Die Filtereckfrequenz lässt sich mit der einfachen Decay-Hüllkurve, der Key-Follow-Funktion (die auch invertiert werden kann!) und dem zweiten VCO modulieren. Besonderen Wert hat man auch auf die Gestaltung der Resonanz-Parameter gelegt; dem Resonanz-Regler ist noch ein »Res Max«-Poti zur Seite gestellt, mit dem man die Resonanz bis zur Selbstoszillation bringen kann. Weitere Eingriffe ins Klangbild sind durch ein Hochpassfilter sowie eine (eher mittelmäßig klingende) Overdrive-Schaltung und einen Bass-Boost in der VCA-Sektion möglich.

SEQUENZER

Im Gegensatz zur Roland Bassline, die bekanntermaßen ziemlich umständlich zu programmieren ist, bietet der 777-Groove-Synth einen soliden, bedienungsfreundlichen Sequenzer mit Lauflichtprogrammierung, was auch auf der Bühne spontane Pattern-Modifikationen (inkl. Änderungen der Pattern-Länge) ermöglicht. Die Steps lassen sich um jeweils ein 16tel verlängern, und es können sowohl Slides als auch Akzente gesetzt werden, wobei sich Letztere auf die Lautstärke und Filter-Cut-off routen lassen. Die Patterns kann man zu Songs verketten. Leider bietet der Sequenzer keine Swing-Funktion, ein Manko, das beim Nachfolger, dem Revolution, korrigiert wurde.

MIDI?

Ein weiterer Nachteil ist die aus heutiger Sicht spartanische MIDI-Implementation des 777. Er bietet zwar MIDI-Sync, und die Sequenzer-Speicherplätze (16 x 16 Pattern, 16 Songs) lassen sich per MIDI-Dump extern ablegen, aber die Steuerung der Soundparameter, etwa über MIDI-Controller-Befehle, ist nicht möglich. Das ist schade, da es auch für die Sounds keine Speicherplätze gibt.

Wer aggressive, Industrial-artige Sequenzen und analoge Acid-Basslines

…mit kranken Modulationen schätzt, die über konventionelle 303-Sounds hinaus gehen, ist mit dem Future Retro oder seinem Nachfolger gut bedient; zudem ermöglicht der bedienungsfreundliche Lauflicht-Sequenzer zielgerichtetes Arbeiten. Wer den hundertprozentigen 303-Ersatz sucht, sollte lieber auf das Original oder Geräte wie die TT-303 zurückgreifen. Bei schmalem Budget kann auch auf Rolands TB-3, deren Sound-Möglichkeiten ebenfalls die des Originals übersteigen, eine interessante, aber aufgrund ihrer digitalen Engine klanglich anders gelagerte Alternative sein.

SOUND

Obwohl das Gerät auch als 303-Ersatz konzipiert ist, gibt es deutliche Klangunterschiede zwischen beiden Geräten. Der klangstarke und überzeugende 777 hat eine wesentlich größere klangliche Bandbreite als die kleine silberne Acid-Box. Die Filterresonanz des 777 zwitschert schön säurehaltig, klingt aber etwas härter als die TB-303. Insbesondere das 7-Pol-Filter greift dezidiert ins Klang – geschehen ein.

Ultrageschmeidige Acid-Lines liegen dem Future Retro-Synth weniger als aggressive Sequenzer-Patterns, die sich gut im Klangbild durchsetzen. Das Soundspektrum geht aber weit über das der TB-303 hinaus. Der Future Retro kann vor allem dank seiner Cross-Modulationsmöglichkeiten auch gemein verschwurbelte Industrial-Sounds und geräuschhafte, unharmonische Sequenzen generieren. Da er mit zwei Oszillatoren arbeitet, sind außerdem fette, schwebende Bässe oder Leads möglich.

Das Gerät wurde uns freundlicherweise von Daniel Körner zur Verfügung gestellt, der mit seinen Projekten Metamorphic Interface (www.metamorphic.de) und Monobetrieb (https://soundcloud.com/monobetrieb zusammen mit David Ramaszeder) dubbige Elektronik produziert.

DOWNLOADS

Beispielsounds des Future Retro 777 und zusätzlich einige Loops des Gerätes sowie Sounds für NI Maschine, Akai Renaissance und Arturia Spark

www.sound-and-recording.de

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