Nur ein Teenie-Star?

De/constructed: Billie Eilish – Hits in the Box nachgebaut

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In dieser Workshop-Reihe zeigen wir, wie und mit welchen Tools sich aktuelle Charthits und klassische Stilrichtungen zu Hause am eigenen Rechner (nach-)produzieren lassen. In dieser Folge geht es um die derzeit weltweit gehypte Durchstarterin Billie Eilish, die dieses Jahr ihr langersehntes Debütalbum When We All Fall Asleep, Where do We go? veröffentlicht hat, um das es auch in der aktuellen Mixpraxis in diesem Heft geht. Wir haben für euch die erfolgreiche Single Bad Guy analysiert. Schaut euch hierzu auch unseren Videoworkshop an!

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Style Analyse

Billie Eilish verwebt auf ihrem Album Trap. Electro und melancholisch düsteren »Gothic-Alternative-Indi-Pop« zu einer exzentrischen und faszinierenden Mischung, die trotz ihres jugendlichen Alters sehr authentisch und erwachsen wirkt. Damit bildet sie einen krassen Gegenentwurf zu klassischen Teenie-Stars, die eher durch kantenlosen Hochglanz-Pop und ebensolche Produktionen gefallen wollen. Diese Polarisierung spiegelt sich auch in der innovativen Produktion wider, die in Kooperation mit ihrem Bruder Finneas O’Connel in dessen Schlafzimmer in Los Angeles bewerkstelligt wurde. Es gibt sowohl treibende Electro-Grooves mit massiven Bässen als auch minimalistische, auf Klavier oder Gitarre reduzierte Stücke, die allesamt überaus dunkel und finster wirken. Über allem schwebt Billies Stimme, soft, unaufgeregt, mit einer fast schon monotonen Performance, die an Lana Del Rey, Lorde oder auch Florence Welch erinnert.

Für die Umsetzung unseres Beispielpatterns im Stil von Bad Guy kommen verschiedene im Arrangement verteilte Drumsamples, die Native Instruments Moog-Emulation Monark sowie der Spectrasonics Omnisphere für den markanten Lead-Sound zum Einsatz.

Drums, Bass, Lead & Trap-Part

Drums: Obwohl der Beat mit 135 bpm und Viertel-Kick Dance-typisch treibt, ergibt sich allein schon durch die Soundauswahl ein ganz eigenständiger Charakter: der Beat wirkt spezieller und »Indie-mäßiger«. Das liegt auch daran, dass Finneas und Billie viele Sounds aus Fieldrecordings selbst erstellen. In unserem Pattern besteht die Kick aus einem eher »bollerig« und nicht so knallig wirkenden, Bass-lastigen und Höhen-armen Sample aus dem Splice Medasin Mircodose Vol. 3 Sample Pack und einer Ambience-Kick mit mehr räumlicher Information. Auf den Zählzeiten »2« und »4« folgt eine Mischung aus vier verschiedenen Snaps, die durch unterschiedliche Startpunkte für einen verwascheneren Sound sorgen, sowie ein nicht näher definierter Klopfsound, wie man ihn z. B. mit dem Schlagen auf die Tischplatte oder dem Schließen einer Tür erzeugen kann. Ein Hi-Hat-ähnlicher Sound, der sich bei näherer Betrachtung als kurzer, den Höhen beraubter Shaker entpuppt, vervollständigt auf den Offbeats das Basis-Pattern. Im Chorus sorgt zusätzlich ein auf die Tonart gestimmtes Percussion-Sample in 16teln für mehr Tempo.

Bass: Neben den Drums gibt es lediglich einen Bass und einen Lead-Synth. Die Bassline ist so melodisch aufgebaut, dass sie auch als eigenständige Hook funktioniert und es neben den Drums tatsächlich nicht mehr bedarf, um das Arrangement zu füllen. Durch Transponierung des Patterns von der Tonika G-Moll auf die Subdominante C-Moll und die Dominante D-Dur wirkt die Abfolge fast bluesig. Der Sound stammt aus dem Native Instruments Moog-Clone Monark. Im Refrain wird derselbe Bass verzerrt, wodurch sich der Part auf einfache Art und Weise von der Strophe absetzt, ohne das Pattern rhythmisch oder melodisch zu ändern.

Leadsynth: Die Theremin-artige Synth-Hook hat etwas Geisterhaftes, was zum einen an der Sinus-Schwingung inklusive Portamento liegt, zum anderen an dem sehr langen Reverb, der den Sound in eine nebulöse Wolke eintaucht. Auch die sparsame Melodieführung trägt zum spooky Charme bei; sie wird zusammen mit der Bassline auf den jeweiligen Akkord transponiert.

Trap-Part: In Bad Guy gibt es einen abgesetzten HalftimeTrap-Part, den wir in unserem Pattern im Mittelteil übernommen haben. Für ein noch langsameres Feel wird außerdem das Tempo auf 120 bpm reduziert. Eigentlich besteht der Part nur aus verzerrten Drumsamples, von denen auch die tonalen Informationen kommen. Meist werden hierfür lang ausklingende 808-Kicks auf die richtige Tonhöhe gestimmt. In unserem Fall haben wir mehrere Kick-Samples für Attack, Länge und Grundton gestapelt und angezerrt. Dazu kommen heruntergepitchte Snares und Genretypische Hi-Hat-Rolls. Durch das Pitchen eines Percussion-Samples um einen Halbton direkt in der Audiodatei im Cubase- Arrangement entsteht zusätzlich eine Art Melodie.

Die Hauptkick wird um ein weiteres Sample ergänzt, das mittels ValhallaVintageVerb Ambience ergänzt.
Viele Sounds werden für das dunkle Soundbild mittels Bandmaschinen-Plug-in gefärbt oder mit einem EQ in den Höhen beschnitten.
Die 16tel-Percussion im Refrain wird mit der Freeware MAutopitch von Melda Productions auf die Tonart des Projekts gestimmt. Netter Nebeneffekt: Hieraus ergibt sich ein interessanter leichter Modulations effekt, der den Sound lebendiger klingen lässt.
Basis des Basssounds ist der Native Instruments Monark (Preset »Blown Away«).
Durch Sidechaining mit dem xfer LFO Tool wird die Bassline von der Kick getrennt.
Durch Verzerrung der Bassline hebt sich der Refrain auf einfache Art und Weise von den Strophen ab. Der Sound wurde hierfür zweimal dupliziert, einmal mit der Steinberg Distortion ...
... und einmal mit dem Guitar Rig von Native Instruments verzerrt.
Der Lead-Sound stammt aus Spectrasonics Omnisphere (»Janitorial Duties Lead") ...
... und wurde mit dem ValhallaVintageVerb stark »vernebelt«.
Die auch im Original auf dem MasterBus verwendeten Effekte UAD Ampex ATR 102 für analoge Bandsättigung ...
... und UAD Thermionic Culture Vulture mit leichter Zerre und einem Mixanteil von ca. 40%.
Das Arrangement in Cubase Pro 10

Arrangement & Master

Wie bereits oben beschrieben braucht es nicht viel, um das Arrangement von Bad Guy zu füllen. Weniger ist mehr lautet die Devise, womit sich ein Vergleich z. B. mit The White Stripes und Seven Nation Army aufdrängt. Eine einfache Bass-Hook und als Ergänzung eine Lead-Stimme, die das Thema aufgreift und erweitert, reichen hier vollkommen aus. Auch die Drums sind sehr basic und variieren nicht viel. Parts werden durch kurze Mutes voneinander getrennt. Fills und Übergänge sucht man vergebens. Nichtsdestotrotz gibt es Strophen und Refrains nach klassischer Songmanier. Einzig der Trap-Part bricht aus dem starren Konzept als willkommene und innovative Abwechslung heraus.

Der gesamte Mix wird in der Summe leicht mit einem UAD Shadow Hills Mastering Compressor komprimiert, mittels EQ in den Bässen angehoben und in den Höhen abgesenkt und anschließend mit einem Brainworx bx1 in die Breite gezogen (130%). Aus der Mixpraxis haben wir die Angaben zur UAD Ampex Bandmaschine sowie zum UAD Thermionic Culture Vulture übernommen, die beide den Mix stark durch Bandsättigung und leichte höhenraubende Zerre färben. Izotope Ozone 8 übernimmt das abschließende Finish. Viel Spaß beim Experimentieren!

Hier findest du die Dateien zum Download. 


Billie Eilish

Billie Eilish wurde 2001 als Billie Eilish Pirate Baird O’Connellin Los Angeles in einer Schauspieler- und Musikerfamilie geboren. Bereits mit 13 Jahren veröffentlichte sei mit Unterstützung ihres älteren Bruders Finneas O’Connell den von ihm geschriebenen Song Ocean Eyes auf Soundcloude, was wiederum nur ein Jahr später zu einem Plattenvertrag beim Musikgiganten Interscope Records führte. Ocean Eyes wurde daraufhin auf dem Soundtrack der Serie 13 Reasons Why regulär veröffentlicht. Nach der EP Don’t Smile 2017 und dem Duett Lovely mit Khalid im darauffolgenden Jahr wächst der internationale Hype um ihre Person rapide, so dass bereits vor Veröffentlichung ihres Debutalbums When We All Fall Asleep, Where Do We Go? Im März 2019 allein bei Apple Music über 800.000 Vorbestellungen eingingen. Zeitgleich mit dem Album erschien mit Bad Guy die bereits vierte Singleauskopplung daraus.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Gut gemacht,
    gibt es auch templates?

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. Danke.
      Mit templates meinst du die üblichen De/constructed-Files? Die findest du im Artikel.

      Auf diesen Kommentar antworten

Pingbacks

  1. Mixpraxis: Rob Kinelski mixt Billie Eilish | SOUND & RECORDING

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