Das gewisse »Je ne sais quoi«

Mastering Tutorial: Sättigung, Verzerrung und Färbung im Rahmen einer Stereo-Masteringsession

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Mastering

Hier geht es nicht um Verzerrung als »Overdrive«, sondern um subtilere Varianten der Anreicherung von spektralen Anteilen mit Zuhilfenahme spezialisierter Tools und Methoden beim Mastering. Es gibt gute Gründe die Summe eines Mixdown in eine milde Sättigung oder Färbung zu fahren.

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Gemeint sind im Folgenden nicht die ungewollten Verzerrungen, die man sich aufgrund mangelnder Tontechnikkenntnisse oder fehlerhaften Equipments versehentlich einhandelt, sondern jene Sättigungs- und Färbungseffekte, die man mit voller Absicht einer Tonmischung hinzufügt, damit diese subjektiv runder, dichter oder fetter wird. Die höchstmögliche sensorische Anregung der Hörneurologie eines Menschen, hinsichtlich der subjektiv empfundenen Hörqualität des Klangs einer Musikmischung, ergibt sich, wenn der komplette Frequenzgang von 20 Hz bis mindestens 15 kHz voll ausgefahren ist. Der gewiefte Mixing Engineer wird also versuchen, die spektralen Lücken im Frequenzgang eines Mixdowns nach Vorgaben der Gehörrichtigkeit zu schließen. Gerade in Zeiten erstklassiger Digitalwandler und einer überall verfügbaren DSP-Technologie, die hinsichtlich Klangtreue am Ende ihrer Entwicklung als vollendet zu betrachten ist, treten aber vermehrt Sehnsüchte nach der Fehlerhaftigkeit analoger Medien auf, die Röhren-, Magnetband- oder Vinyltechnologie nutzen. Digitaltechnik ist dagegen sauber und brutal ehrlich. Sie ist in der Lage, die Natur der Töne perfekt einzufangen und auch wiederzugeben. Im Gegensatz dazu schummelt die Analogtechnik aufgrund ihrer elektrischen und elektromagnetischen Bauteile stets auch kleine Übertragungsfehler in einen Signalweg. Manche davon werden für Menschen als angenehm wahrgenommen, andere überhöhen im Idealfall sogar die Qualität einer Aufnahme ins geradezu Übernatürliche − schnell spricht man bei einer Aufnahme von »magischen Momenten« oder »Mojo«. Das ist keine Esoterik. Bestimmte Röhren generieren z.B. zusätzliche vielfache Harmonische (k2, k3 … k9) einer Grundnote. (Das ist immer die erste Harmonische in einem Mix = k1). Die Amplituden der fortlaufend generierten Harmonischen nehmen mit zunehmender Ordnung stetig ab, somit ist k2 immer die Lauteste.

So funktioniert Stem-Mastering – Roy Recklies – Wochenrückblick #44

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Wer schon immer wissen wollte, was Klirrfaktor (englisch: Total Harmonic Distortion − THD) bedeutet: Es ist der prozentuale Anteil, den die hinzugefügten Harmonischen am Gesamtsignal betragen. Aus genau diesem Grund klingt ein hoher THD-Wert bei einem Transistorgerät nicht sehr schön, während er bei einem Röhrengerät durchaus als warm oder fett assoziiert wird, denn diese produzieren die für das menschliche Ohr als besonders angenehm wahrgenommenen »geradzahligen« Harmonischen (k2, k4, k6, k8). Ebenso interessant beim »Färben« von Audiosignalen sind Phasenmodulationen durch Bauteil-Intoleranzen oder Bandsättigungsartefakte. Im Folgenden einige meiner Lieblingstools und Methoden, um solche Anreicherungen zu erzielen. Auf Tape Sound müssen wir aufgrund der Komplexität in einer anderen Ausgabe eingehen.

ploytec-aroma-review
Neu am Markt und mit sehr audiophilen Soundmöglichkeiten ausgestattet, um Instrumente oder Busse mit Harmonischen, Nichtharmonischen oder Tapesättigung anzudicken, ist der Ploytec Aroma. Achtung: Dank seiner abstrakten, an Gewürzen orientierten, GUI-Parameter,
eignet er sich nicht für Jeden. Wir empfehlen beim Ertüfteln des Wunschsounds am Ende den Output-Level so weit heraus zu drehen, dass der durch die Sättigung entstandene Lautheitsgewinn ausgeglichen wird. Ansonsten läuft man sehr schnell in die Lautheitsfalle.

UAD Percision Maximizer

Der UAD Precision Maximizer ist keine Hardware-Emulation, vielmehr emuliert er die Verzerrungsartefakte eines idealisierten Röhrengerätes. Damit ist er eine ideale Waffe, mit der sich ein schüchterner Mix lauter, präsenter und oft auch wertiger erscheinen lässt. Verdichtung durch Obertonanreicherung ist hier die Devise. Für die Spezialisten: Der UAD Maximizer generiert bei niedrigen Verzerrungsgraden den Sound von Röhren wie Trioden (eher geradzahlig) und in härteren Gangarten von Pentoden (zunehmend ungeradzahlig).

Ich persönlich wähle ihn oft instinktiv aus, wenn mir ein Mixdown eines Künstlers im Tief- bis Hochmittenbereich zu brav, zurückhaltend oder schlicht erscheint. Wer schon mit dem Oxford Inflator gearbeitet hat, kennt das Prinzip: Der Inputlevel wird so eingestellt, dass er bei 0 dB gerade mal peakt. Die über 0 dB schießenden Peaks laufen dann in die simulierte Sättigung, die über »Shape« und »Mix« bequem angepasst werden kann. Am transparentesten und »masteringtauglichsten« klingt übrigens der 3-Band-Modus. Es empfiehlt sich außerdem dringend einen hochwertigen Mastering-Limiter direkt hinter den PMAX zu stecken und dessen Limiter lieber ausgeschaltet zu lassen. Wer den PMAX richtig einstellt, holt sogar aus stark basslastigen Mixes, die oft einfach nicht laut zu kriegen sind, mehr Lautheit und Präsenz heraus. Nicht selten vermag er einem Mix den letzten nötigen Touch an Charakter und Tiefe zu geben.

NEVE 1081

Die UAD-Emulation des legendären Neve 1081 EQ setze ich dann ein, wenn mir ein Mix schlicht zu sehr nach »In The Box« klingt und etwas »Outboard-Feel« vertragen könnte.

Ein typisch blutarm klingender Mix von noch nicht sehr erfahrenen Producern entsteht meist durch falsch gepegelte Arbeitspegel in gängigen DAWs oder durch den Einsatz von falsch oder zu stark eingestellter Kompression. Man erkennt diese Mixe schon in der Wellenform an ihrer »Wurstigkeit« und den hart abgeschnittenen Peaks, die eher Pulswellen als gesunden Sinusereignissen gleichen. Klanglich sind solche Mixe laff, mittenarm, flach und spektral unterkomplex. Hier kann ein in die Summe geworfener NEVE 1081 helfen, bei dem ich lediglich eine minimale Betonung bei 16 kHz, mit gleichzeitig subtiler Absenkung im Schärfebereich bei 7,2 kHz einstelle. Sollte der Track zusätzlich unten rum zu viel Energie besitzen, schalte ich das sehr sauber filternde Hochpassfilter des 1081s bei 26 Hz hinzu. Hören tut man die angenehme Präsenzanhebung, sowie eine leichte Vergrößerung der Tiefenstaffelung durch den 1081 oft erst, wenn man diesen wieder ausschaltet und seinen Sound vermisst. Je nachdem, ob der Effekt sehr subtil oder eher stärker sein soll, kann man den 1081 direkt vor oder nach dem Masteringkompressor routen. Es leuchtet schnell ein, dass die gewollte Outboard-Färbung nach dem verdichteten Summensignal geschaltet stärker präsent sein wird, als vorgeschaltet.

Waves Cobalt Saphire

Cobalt Saphire ist ein spannendes Tool, um nachträglich äußerst gezielt in die spektrale Balance und die Obertonstruktur eines Mixes einzugreifen. Es besitzt getrennte Sektionen für die penible Zumischung von geraden (»Edge«) und ungeraden Harmonischen (»Warmth«) und kennt dafür satte sieben verschiedene Modi, die von A bis G benannt sind. Die Modi A, B, C liefern natürlich klingende Algorithmen, D sorgt für »Punch« und E bis G decken den harten, schmutzigen Bereich ab. Für den Masteringbereich empfehle ich die Modi A, B, C. Ein im unteren Bereich eingebetteter parametrischer EQ dient wahlweise dazu, die generierten Spektralanteile noch weiter einzugrenzen oder tonal zu shapen. Auf diese Weise kann die Anreicherung aus bestimmten Frequenzanteilen herausgenommen und in anderen betont werden. Dieses Feature habe ich so noch nicht in einer einzelnen Analoghardware realisiert gesehen. Die ebenfalls an Bord befindliche rudimentär gehaltene Tape-Simulation ist als mittelmäßig einzustufen, da würde ich persönlich zu UAD-Varianten (Studer etc.) oder dem genialen U-He Satin greifen. Am wohlsten fühlt sich Saphire naturgemäß mit komplexen Signalen an, also ist es vorzugsweise auf Bussen oder der Stereosumme am lohnendsten einsetzbar. Gerade dichte, komplexe Mischungen regen Cobalt Saphire am ehesten dazu an, die gewünschte Kohärenz (»Glue«), teuren Glanz oder mehr Durchsetzungskraft zu liefern.

Brainworx Neve VX / VXS

Der letzte im Bunde ist kein Sättigungstool. Im Gegenteil, hier zerrt nämlich rein gar nichts. Es handelt sich vielmehr um eine realistische Replika der ersten 72 Kanäle der Original NEVE VXS-Konsole der Lucasfilm-Ranch, die durch Brainworx zunächst ausgemessen wurde, um sie dann in Plug-in-Form zu überführen. In diesem hochinteressanten Plug-in wurden die Bauteiltoleranzen sämtlicher Kanäle emuliert. Es handelt sich dabei meist um kleine Frequenzgang- und vor allem Phasenlaufdifferenzen, die Prinzip bedingt bis zu 20% betragen können. Phasendifferenzen erzeugen zuweilen durchaus audiophile Komplexität, vor allem wenn ein Mixdown etwas zu schüchtern oder steril geraten ist. Für den Einsatz als färbendes Tool innerhalb einer Masteringsumme macht es vor allem als letzte Instanz vor dem Limiter eine gute Figur. Dort als Insert eingesteckt, empfiehlt es sich, die 72 Stereogruppen des Plug-ins durchzuklicken und intuitiv genau hinzuhören, auf welchem Paar der Mix an Mojo oder Magie gewinnt.

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