The VoiceFinder — Singen ist Psyche

Klanggestaltung bei Gesangsaufnahmen und die Hörgewohnheit

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(Bild: Marc Bohn)

Wenn während einer E-Gitarrenaufnahme das Instrument schief klingt, tuned man nach. Wenn sie zu leise ist, dreht man den Amp auf. Wenn der Klang dann noch nicht passt und das Ganze noch mehr Wumms und Druck braucht, arbeitet man mit dem Gain-, dem Treble- oder dem Bass-Regler. Was macht man jedoch mit einem Sänger, den man mit Kommentaren wie: »Sing mal lauter« oder »Du musst mehr pressen, damit du den Ton triffst« eher verunsichert als seine Performance verbessert? Ronny Lang ist seit 15 Jahren Gesangslehrer und arbeitet mit Sängern intensiv an der Psyche und der mentalen Fokussierung für den Moment, wenn das rote Licht angeht.

Neulich habe ich meinen Gesangslehrer Ronny Lang in seinem neuen Studio in Pluwig, in der Nähe von Trier besucht. Dort ist er vor Kurzem erst aus St. Ingbert im Saarland hingezogen, wo ich Jahre lang Unterricht bei ihm genoss. Alle zwei Wochen stand ich bei ihm im Studio, er nahm meine Songs auf und arbeitete mit mir am Arrangement, an meiner Gesangsperformance, am Ausdruck und daran, Kopf und Psyche beim Singen positiv zu beeinflussen und die Ratterkiste abzuschalten…

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Mit kleinen Tipps & Tricks half er mir, weniger nasal zu klingen, meiner Stimme Obertöne und Bässe und, wenn gewollt, einen kleinen organischen Kompressor hinzuzufügen. Aber vor allem nahm er mir die Angst davor, hohe Töne, die für mich bildlich im Kopf ganz oben und in unerreichbare Ferne lagen, nicht zu treffen. Einzig und allein durch eine Anpassung der Bilder in meinem Kopf. Zuvor stellte ich mir die hohen Töne wie bei Singstar oben vor, also über mir und unerreichbar. Jetzt habe ich das Bild um 90 Grad gedreht und die tiefen Töne liegen links, die hohen rechts auf der gleichen Ebene. Das macht wirklich sehr viel aus.

»Singen ist ein sehr komplexes Thema«, sagt Ronny. »Man singt immer, auch wenn man spricht. Ich bin mir sicher, dass es auf diesem Planeten keinen Menschen gibt, der nicht singen kann, vorausgesetzt, er hat eine Stimme. Diejenigen, die falsch singen, singen nur mit dem Maximum an Talent, was sie sich selbst zutrauen. Das bestätigen sie dann in ihrem schlechten Ton. Das ist ein sehr interessantes System. Musik ist immer noch Ausdruck und Emotionen und nicht nur gerade Töne. Auch wenn wir mittlerweile gerade Töne mit der Maus ziehen können, ist es mein Ziel, den Sänger dazu zu bringen, selbst gerade Töne zu produzieren.

Ich arbeite immer noch mit einer alten Cubase-Version. Ich habe gemerkt, dass ich, je mehr Plug-ins ich habe, umso weniger Musik mache. Letzten Endes muss eine DAW nur aufnehmen. Was andere vielleicht besser können ist Fehler verdecken. Ich versuche, schon bei der Aufnahme wenig Fehler zu machen, dann muss ich später auch weniger korrigieren. Das Korrigieren hält mich vom Musikmachen ab, und ich finde, man hört an vielen Stellen, dass Editing der Stimme Leben rausnimmt. Ich nutze die SPL Gain Station 1 als Vorstufe und habe fünf Mikrofone zur Auswahl. Wenn das Signal richtig aufgenommen ist, das passende Mikrofon gewählt wurde und man den Sänger in die Stimmung bringt, dass er mit dem Mikrofon gut umgehen kann, muss man danach keinen EQ mehr verwenden oder das Tuning anpassen. Mit dem Rumschrauben an der Technik verunsichert man oft einen Sänger auch, was dazu führt, dass er gar nicht erst an den Punkt kommt, wo er die Stimmung zulässt.«

Das Mikro als Freund des Sängers 

»Ich habe neben einem Neumann auch ein Brauner Phantom Classic, aber am häufigsten arbeite ich mit dem Mojave MA-200. Das ist für mich ein Mikro, das bei allem passt. Ich mag aber auch Röhrenmikrofone wie das Avantone CV-12, mit dem ich lange gearbeitet habe, oder das MXL-V69M. Die ganze Equipment-Diskussion wird meiner Meinung nach aber auch überbewertet. Wenn man einen guten Sänger mit dem richtigen Song hat und man ihn vor ein Mikrofon im Studio stellt, dann wird auch Musik dabei rauskommen. Wenn die ersten beiden Komponenten nicht stimmen, kann das Mikrofon noch so toll sein, man kommt zu keinem guten Ergebnis.

Durch die Technik hat sich die Musik von den Menschen, die sie hören und machen, entfernt. Heute heißt es, je mehr Technik und teures Equipment in der Signalkette steckt, umso besser klingt es am Schluss. Der Meinung bin ich einfach nicht. Deshalb habe ich auch so wenig Kram in meinem Rack. Ich fokussiere mich lieber darauf, den Sänger auf die Aufnahme vorzubereiten anstatt anschließend etwas dazwischenzusetzen, was hoffentlich gut klingt.«

Entwicklung des Hörens 

»Die Hörgewohnheiten haben sich so verändert, dass man oft im Vergleich einen natürlichen Gesang nicht mehr erträgt, weil man denkt, er sei zu schlecht. Es gibt keinen Sänger, der hundertprozentig in tune ist. Das wäre wie ein Schlagzeuger, der hundertprozentig tight ist. Diese Veränderung ist wirklich traurig und entmenschlicht die Musik. Das, was die Musik ausmacht, ist raus, weil alles perfekt sein muss. Aber was ist eigentlich Perfektion, und für wen wollen wir sie? Keiner steht mehr zu dem, was er ist, weil er glaubt, er sei nicht perfekt genug.

Außerdem wissen junge Leute ja schon nicht mehr, was eine Stereoanlage ist. Sie hören eigentlich alle MP3s über ihre In-Ear-Kopfhörer und im besten Fall noch über ihre PC- oder Laptop-Lautsprecher. Sie können heute leider kaum noch die Erfahrung machen, wie gut Musik denn überhaupt klingen kann. Wenn man davon ausgeht, dass Emotion eine Schwingung ist und ein Großteil bei einer MP3 nicht mehr existent ist, dann hört man eigentlich nur noch Krach. Ich weiß, das ist eine krasse Ansicht, allerdings muss die Schwingung bzw. die Emotion ja irgendwie an dein Ohr gelangen, und wenn diese Schwingungen nun durch die Datenreduktion entfernt bzw. verfälscht werden, kommt nichts Reines, Echtes an deinem Ohr an. Das hat eben auch etwas mit einem Gefühl zu tun.«

Tontechniker oder Vocalcoach 

Auf die Frage, wie er bei seiner Arbeit vorgeht, antwortet Ronny: »Es gibt da leider kein Patentrezept. Es hat viel mit Intuition, Erfahrung und dem richtigen Gefühl zu tun. Natürlich gibt es Tricks, aber die funktionieren nicht bei jedem und auch nicht immer zu jeder Zeit. Generell nehme ich den ersten Take immer auf. Die Sänger denken zu dem Zeitpunkt oft, dass ich nur was einstelle. Da sind zu 90% schon gute Takes dabei. Danach bespreche ich mit dem Sänger, worum es in dem Song geht, um eine Emotion herauszuarbeiten, die man als Sänger übertragen kann. Der inhaltliche Teil der Geschichte hilft lediglich, eine Emotion zu finden. Des Weiteren nutze ich sehr individuelle Bilder, die ich dem Sänger suggeriere, um ihn in eine bestimmte emotionale innergeistige Haltung zu bringen. Wichtig ist, einen Zustand zu erzielen, in dem der Sänger möglichst nicht mehr wertet, sondern macht und wenig nachdenkt!

Oft arbeite ich gleichzeitig auch als Tontechniker. Wenn allerdings noch eine dritte Person dabei ist, finde ich es wichtig, dass sich der Sänger nicht isoliert fühlt, indem man ihn ständig vom Talkback nimmt, er kommt sich dann schnell ausgeschlossen vor. Er sollte nicht das Gefühl haben, dass man ›über ihn redet‹, sondern mit ihm gemeinsam am besten Ergebnis feilt.

Ich vermeide es auch Anweisungen wie ›Entspann dich‹, ›Gib mal mehr‹, ›Das war zu hoch‹, ›Das war zu tief‹ und Ähnliches zu geben. Das sind immer wieder gern gehörte, gut gemeinte Ratschläge, die dazu führen können, dass der Sänger innerhalb kurzer Zeit komplett dichtmacht. Ich arbeite extrem psychologisch, dort liegt für mich der Schlüssel zur Seele des Sängers und nicht in einer technischen Anweisung.«

www.thevoicefinder.de/

 

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