Hits am Rechner nachgebaut

De/constructed: Sam Smith (feat. Kim Petras) – Unholy

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In dieser Workshop-Reihe zeigen wir, wie und mit welchen Tools sich aktuelle Charthits und zeitlose Klassiker zu Hause in der eigenen DAW (nach-)produzieren lassen, um daraus Techniken und Ideen für eigene Produktionen zu entwickeln. In dieser Folge schauen wir uns Sam Smiths’ aktuellen Megahit Unholy an.

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Style-Analyse

Unholy ist ein Duett mit der deutschstämmigen Popsängerin Kim Petras und wurde, wie heute üblich, gleich von einer ganzen Schar Songwritern geschrieben, unter anderem den beiden Interpreten selbst. Mit gelistet ist auch der Kanadier Henry Walter, der den Titel zusammen mit den anderen Beteiligten unter seinem weitaus bekannteren Pseudonym Cirkut produziert hat, dessen Credits viele Hits der letzten Jahre umfassen. Gemixt wurde von Starmixer Serban Ghenea.

Unholy lässt sich dem Hyperpop zuordnen, einem eher unbestimmten Musikgenre, das Elemente aus elektronischer Musik, Hip-Hop und Dance vereint und auch künstlerisch avantgardistische Elemente beinhaltet, wie exzessive Effektbearbeitungen, stark prozessierte Sounds und Vocals, gepitchte Synths und metallische und melodische Percussion-Sounds, die in kurzen Songlängen vermengt und mit sehr eingängigen Hooks versehen werden. All das trifft auf den vorliegenden Song zu, zudem setzt die Musik den Songtitel perfekt und künstlerisch in Szene. Zusammen mit einem großen Chor und Streichern klingt es groovy, düster, energetisch und spannungsgeladen.

Hier findest du die De/constructed live vom 21. Februar 2023

Die Daten zu dieser Episode könnt ihr hier herunterladen:

Drums & Bass

Das zweitaktige Drum-Pattern schiebt zwar mit 131 bpm ordentlich an, ist aber in Wahrheit ein Halftime-Kopfnicker. Eine Besonderheit des Beats ist die zeitgleiche Kick und Clap auf der gefühlten »4« nach anfänglichen Doppelschlägen. Das Pattern wird maximal um weitere Doppelschläge am Ende eines Pattern-Durchgangs erweitert oder gemutet, Variationen gibt es nur durch zusätzliche Percussion und vereinzelte Hi-Hats, die aber erst im weiteren Verlauf dazukommen. Die verwendeten Samples für Kick, Claps, Snaps, Hi-Hat und Snare (für den Übergang) sind an Hip-Hop und (TR-)808-Charakteristik angelehnt, wurden als One-Shot-Samples direkt im Arrangement angelegt und teils gelayert. Hyperpoppig sind die z. T. tonal gepitchten metallischen Percussion-und Effektsounds, die über den Song verteilt platziert sind, sowie rhythmische Hintergrund-Loops, die das Pattern durchgängig atmosphärisch auffüllen.

Bass

Der Bass teilt sich in einen aus Trap bekannten 808-Subbass und einen konkreteren Synthbass auf, die immer nur die Doppelschläge der Kick betonen und zwischen den Halbtönen »Des« und »D« changieren. Die lange Release-Phase der 808 sorgt für einen fast lückenlosen Subbass im Track. Der darüber spielende Synthbass stammt aus dem Xfer Serum und ist »from scratch« entstanden. Das Preset, im Grunde eine Hüllkurven-geformte Sägezahnwelle samt Chorus-Effekt, kann im Downloadbereich heruntergeladen werden. An zwei Stellen im Track wird der Synthbass signifikant durch Effektbearbeitungen mit Bitcrusher und Flanger hervorgehoben.

Strings & Samples

Strings

Die von den Lead-Stimmen und vom Chor gesungene Main-Hook findet sich auch in einer markanten Streicherlinie wieder. Bereits durch den Halbtonwechsel im Bass mutet der Track unbestimmt mystisch und spannungsgeladen an, durch die Hook und die Streicher wird dieses Gefühl weiter gesteigert und bekommt zusätzlich einen beschwörenden, orientalischen Einschlag. Dies liegt vor allem an der Melodieführung, die in der etwas abgewandelten alten Kirchentonart Phrygisch-Dur angelegt und damit nahe verwandt ist mit der orientalischen Tonleiter, die im mittleren Osten, arabischen Ländern, Indien und Ägypten traditionell verwendet wird. Hierbei gibt es zwischen der ersten und zweiten Stufe der Tonleiter einen Halbtonschritt, gefolgt von drei Halbtonschritten zur dritten Stufe, wodurch sich sofort das entsprechende Gefühl einstellt. Soundlich wird dies unterstützt, indem die klassischen Streicher (vornehmlich Native Instruments Session Strings Pro 2 und Stradivari Violin) von den ebenfalls in der Kontakt-Library enthaltenen »Middle East Strings« gelayert werden.

01 Mit der Kick 2 von Sonic Academy lassen sich auch die typischen spielbaren 808-Trap-Bässe erzeugen.
02 Verzerrung wie vom Steinberg Quadrafuzz 2-Distortion Effekt sorgt für einen roughen, aber auch wahrnehmbareren und konkreteren 808-Bass.
03 Der Wavesfactory Trackspacer ist ein über Sidechain von der Kick angesteuerter Kompressor, der den 808-Bass immer dann kurz wegdrückt, wenn die eigentliche Kick spielt. Zu hören sind dann mehr die Sustain- und Release-Phase des Basses.
04 Der Steinberg Bitcrusher ...
05 ...und Native Instruments Flair heben den Synthbass an zwei Stellen exponiert hervor. Letzteres Plug-in sorgt in dieser Einstellung für einen markanten metallischen Effekt.
06 Die Native Instruments Kontakt Middle East Library für die Streicherlinie.
07 Der Infiltrator von Devious Machines ist ein Multieffekt, der verschiedene Loop-, Reverb-, Delay-, Filter- und Modulationseffekte unter einer Oberfläche geschickt kombiniert.
08 Und das Pendant von Steinberg: FX Modulator sorgt automatisiert auf dem Master für einen besonderen Fill.
09 Fetter Sound auf dem Master durch leichte Zerrung: UAD Thermionic Culture Vulture
10 Das Pattern in Steinberg Cubase Pro 12.

Samples

Der gesamte Track ist von Vocal-Samples und Atmos durchzogen, die die Stimmung des Tracks teils rhythmisch untermalen. Viele der Samples wurden gecuttet, teilweise gepitcht sowie mit Effekten versehen und dann manuell im Arrangement verteilt. Teilweise stammen sie auch von der Output Exhale Library für Kontakt, überwiegend aber von Splice. Im letzten Part werden sie für einen Vocal-Chop-artigen Effekt mit dem Multieffekt Infiltrator von Devious Machines bearbeitet.

Arrangement und Master

Das Arrangement ist ausgerichtet auf das zweitaktige Basispattern und sämtlicher Variationen, durch die Abwechslung erzielt wird. Durch Ausdünnen (muten) und Addieren von Spuren werden eine Spannungskurve und Verse- und Chorus-Parts erzeugt. In Cubase gibt es zum Ausprobieren verschiedener Abläufe die Arranger-Spur, mit deren Hilfe sich Parts markieren und ähnlich den Clips in Ableton Live frei kombinieren lassen. Abspielsequenzen lassen sich mit der Maus einzeichnen oder live aufnehmen. Ich habe zum Triggern der Parts in Cubase über MIDI Remote die Pads der Native Instruments Maschine verwendet, wodurch sich das Pattern haptisch live spielen lässt. Wie sich Controller auf diese Weise einbinden lassen, zeige ich in unserem Live-Video.

Master

Das Original-Master ist unheimlich laut. Um eine ähnliche Lautheit zu erzielen, clippen wir auf dem Master Bus das Signal hart mit dem SIR Audio Standard Clip (+6 dB, Mode »Hard Clip«). Oxford Inflator (Effect »68«, Curve »0«) und der UAD Thermionic Culture Vulture (Default Setting) verdichten das Material.

Der Maximizer aus Ozone 10 bildet in der »IRC 4 Modern«-Einstellung und einem Threshold bei –2.9 den Abschluss. Für einen weiteren Hyperpop-Modulationseffekt sorgt der Steinberg FX Modulator auf der gesamten Summe, der per Automation für zwei Takte aktiviert wird.


Sam Smith & Kim Petras

Für Sam Smith ist Unholy bereits die neunte Nummer-Eins-Single in seinem Heimatland Großbritanninen, wo er 1992 nahe London geboren wurde. Ab 2012 erzielte der Singer/Songwriter zusammen mit dem Elektronikduo Disclosure sowie dem DJ Naughty Boy erste große Charterfolge. Mit den Songs Lay Me Down und Stay With Me startete Sam Smith 2014 solo durch und hat sich heute als feste Größe im Musikbusiness mit zahlreichen Auszeichnungen etabliert.

Die deutsche Singer/Songwriterin Kim Petras lebt seit 2011 in Los Angeles, wo sie neben dem Schreiben für andere Artists auch kontinuierlich ihre eigene Karriere vorangetrieben hat. Nach ersten Erfolgen in 2017 mit dem Song I Don‘t Want It All erschien im letzten Jahr ihre EP Slut Pop. Das Feature auf Unholy ist Kim Petras’ internationaler Durchbruch und Nr.1-Debüt.


Das Tutorial findest du auch in der Sound&Recording-Ausgabe 1/2023. Hier versandkostenfrei bestellen oder als PDF kostengünstig herunterladen. 

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Bin sehr gespannt auf das neue de/constructed Video, nicht nur weil der Song einer meiner liebsten von Sam Smith ist.

    Kleine Anmerkung zum letzten Absatz des Artikels: Sam Smith ist nonbinär und benutzt im Englischen “they/them” als Pronomen – “er” ist hier also nicht richtig.
    Im Deutschen kann man sich entweder damit behelfen Pronomen bei nonbinären Personen zu vermeiden und stattdessen deren Namen an den entsprechenden Stellen zu verwenden, oder das ganze schlicht übernehmen: they–> dey, them–> demm, their–> deren.

    🙂

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