Rock’n’Roll Animals

StudioszeneD – Lightning Recorders, Berlin

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Im Lightning Recorders-Studio in Berlin betreiben Axel Praefcke und Ike Stoye Rock’n’Roll-Recording »wie früher«. Im Studio zählt neben der alten Technik vor allem das gemeinsame »Live-Einspielen«, mit wenigen Mikrofonen. Tiefenstaffelung und Lautstärke werden über den Mikrofonabstand geregelt. Ein Blick auf den heilsamen Grundgedanken, dass die Performance wichtiger ist als späteres Editieren.

Ricoh Company Ltd.
Einblick in den Aufnahmeraum (Bild: Lightning Recorders)

»Wenn mein Vater über Rock’n’Roll redet, meint er eigentlich die 1960er, mit den Beatles und den Rolling Stones. Meine Interessen liegen früher, in den 1950er-Jahren.« Axel Praefcke begeistert der Ursprung des Rock’n’Roll, zu der Zeit von Bill Haley und den frühen »Rockabilly-Jahren« von Elvis, als noch Kontrabass statt E-Bass eingesetzt wurde.

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Mit seinem Kollegen Ike Stoye betreibt er seit 2003 das »Lightning Recorders«-Studio in Verbindung mit einem Independent-Label. Die beiden gebürtigen Berliner prägt die Leidenschaft zum Rock’n’Roll und der Wunsch, die Musik so authentisch wie möglich zu produzieren.

Die Anfänge? »Damals lieferten wir Tonaufnahmen für das auf 1950er-Jahre-Musik spezialisierte Label«, meint Praefcke. Die Aufnahmen fanden zunächst noch »on Location« statt, in Proberäumen, Klassenzimmern oder Kellern. Anschließend folgte »… ein Kapitel aus einem modernen Märchenbuch«, wie Praefcke erzählt: »Das Label bekam viel Resonanz wegen der Aufnahmen.« Der damalige Label-Inhaber bot Unterstützung für ein »festes« Studio an. »Ike und ich machen schon lange Musikprojekte, bei denen klanggetreue 1950er-Jahre-Musik im Vordergrund stand.« Sie begannen mit der Suche nach altem Equipment: Instrumente und auch Mikrofone und Bandmaschinen.

»Man muss sich vor Augen halten, dass Mischpulte damals nur wenige Kanäle hatten und oft keine Klangregelung. Trotzdem entstanden bereits wunderbare Aufnahmen im Bereich Pop, Klassik und Jazz.« Die Arbeitsweise? Früher sei eine Vision vom Endergebnis nötig gewesen, einfach weil nur wenig Spuren vorhanden waren. »Der Tonmeister musste ein mehrköpfiges Ensemble samt Sänger passend anordnen, um − nicht selten mit nur einem Mikrofon − das gewünschte Klangbild zu erreichen.« Die Dynamik der Aufnahme wird vorher mit den Musikern abgeklärt. »Die Musiker müssen darauf achten, sich an die besprochenen Level zu halten.«

Bei modernen Abnahmen habe etwa der Schlagzeuger weniger Einfluss auf die Spieldynamik, die entstehe am Mischpult. Bei dem minimalistischen Ansatz der 1950er müsse der Schlagzeuger die Entscheidungen selbst fällen, wie sein Schlagzeug innerhalb der Gruppe klingt − und Becken, Snare und Bassdrum im Gesamtkontext ausbalancieren. Eine »Close«-Mikrofonierung der Drums ergibt für Praefcke für die Stilrichung wenig Sinn: »Wer mit seinen zwei Ohren vor dem Schlagzeug steht, hört alles als binaurales Hörerlebnis und kann räumlich einordnen, woher die Elemente kommen, allein durch den Schalldruck. Es gibt keinen Grund, den Kopf in die Bassdrum zu stecken oder ihn unter die Snare zu legen«, erzählt er augenzwinkernd.

Projektion

Durch etwa 1,50 Meter hohe Trennwände teilen sie Räume und Nischen in dem großen Raum ab, wie früher in den großen Studios der Labels, bei Capitol oder Columbia Records, und bilden Räume im Raum. Dabei arbeiten sie auch mit Übersprechungen der Signale in mehrere Mikrofone: »Je weiter ein Mikrofon von der Schallquelle entfernt ist, desto mehr mischt sich Direktschall mit Reflexionen oder anderen Signalen. Das kann reizvoll sein: Jedes Mikrofon übersetzt aus der gleichen Schallquelle ein anderes Klangbild.« Als Beispiel nennt er Solos, bei denen das Instrument kurz in den Vordergrund gerückt wird, um sich danach wieder »einzugliedern«.

Praefcke: »Es kann vorteilhaft sein, wenn das Instrument nicht schlicht leiser wird, sondern sich wieder im Ambiente mischt, das durch Übersprechen auf andere Mikrofone entsteht.« Übersprechen sei ein gewaltiges Werkzeug, werde aber im kontrollierten Multitracking-Zeitalter gerne als »Fehler« gesehen. Der Einstellung widerspricht Praefcke: »Abbey Road wurde schließlich so gebaut, um Übersprechen sinnvoll nutzbar zu machen.« Er nennt Twist And Shout als Beispiel, die Räumlichkeit, die Laufzeitverzögerung der Becken, das sei klasse. »Wir entscheiden individuell, ob Übersprechen dem Klang hilft. Viel problematischer ist hingegen, wenn der Raum oder das Instrument selbst nicht gut klingen.« Die eigene Raumakustik haben sie optimiert, der große Aufnahmeraum klinge mit zwei Sekunden Nachhallzeit deutlich wahrnehmbar, aber gleichmäßig ab. »Das kommt auch bei der Aufnahme zur Geltung. Am Ende klingt es immer noch direkt, aber nicht tot.«

Effekt

Den Rockabilly-typischen Slapback-Effekt erzielen sie beispielsweise über die verzögernden Wiedergabeköpfe einer Bandmaschine − so, wie er seinerzeit in den Sun Studios in Memphis geprägt wurde. Weitere Effekte der Epoche? Praefcke erinnert an prägenden  Gesangshall, zum Beispiel bei Elvis’ Are You Lonesome Tonight, Sam Cookes A Change Is Gonna Come oder Roy Orbisons Only The Lonely. »Der kam entweder aus Hallkammern oder von EMT-Hallplatten, in dem Fall die EMT 140.« Den Nachfolger, die kompaktere EMT 240-»Hallfolie«, besitzen sie im Studio, verwenden aber auch tatsächliche »Hallkammer-Klänge«: »Wir spielen über einen Lautsprecher Signale im großen Aufnahmeraum aus und nehmen den Raumklang ab.« Der rund 70 Quadratmeter große Aufnahmeraum ist zudem etwa 15 Meter hoch. Er vergleicht die spitz zulaufende Decke mit einem Kirchturm. »Der Nachhall eignet sich, um Signale aus dem kleineren, ›trockenen‹ Raum mit natürlichem Hall zu versehen.«

Mikrofone

Wie sieht es mit dem Mikrofonbestand aus? »Zunächst ging es darum, überhaupt alte Mikrofone anzuschaffen, in erster Linie für unsere Live-Auftritte. Wir wollten die gleichen Mikrofone wie Elvis oder Jerry Lee Lewis − etwa das Electro-Voice 664, ein dynamisches Mikrofon mit hervorragenden Klangeigenschaften.« Bei damaligen Aufnahmesessions waren hingegen andere Mikrofone im Einsatz, »… Bändchenmikros wie das RCA 44BX, 77DX oder Western Electric 639 sowie Neumann U47- und U67-Kondensator-Röhrenmikrofone.« Durch ihren damaligen Partner konnten sie schließlich ein RCA 44BX stemmen. »Das war ein riesiger Unterschied!« Kurz darauf haben sie ein RCA 77DX aus den USA importiert. »Der Gesangsound von Elvis bei Don’t Be Cruel lag vor uns auf dem Tisch! Das 77DX hat mehr Einstellmöglichkeiten als das 44er mit fester Achter-Charakteristik.«

Weitere Schätze? »Ike kam irgendwann mit einem Western Electric 639 zur Session − seitdem ist es am Kontrabass kaum wegzudenken.«

Der Höhepunkt der Vintage-Anschaffungen? »Leichte Kreislaufprobleme bekam ich, als Ike mir die Auktion für ein Neumann U47 weiterleitete, wortlos. Ich saß da, und die Welt um mich herum blendete sich langsam aus«, erzählt Praefcke. Übrig blieb das Mikrofon, samt Preis. »Ike hatte nicht versäumt, mir als Gedankenstütze das Bild eines süffisant grinsenden Dean Martin mit Neumann U47 in den Capitol-Studios mitzuschicken.« Praefcke mobilisierte in einem Telefonmarathon seine gesamte Familie, mit Erfolg, wie er erzählt: »Wir fuhren zu einem pensionierten Tontechniker, der einige Teile seiner Sammlung veräußerte. Das Mikrofon klingt traumhaft und ist grundsätzlich sehr vielseitig einsetzbar − meiner Meinung nach auch für E-Gitarre und Schlagzeug.«

Im Regieraum steht ein Röhren-Mischpult der Firma Tigris Audio − eine Sonderanfertigung. Zur Aufnahme dienen Telefunken M5- und M10-Bandmaschinen (beide in Röhrenausführung) sowie M15A, jeweils mit 1/4-Zoll-Band bestückt. Eine weitere M15A arbeitet als Vierspur-Maschine, in 1-Zoll-Ausführung, das ermöglicht einzelne Overdubs. Die Kunden? Mittlerweile nehmen sie alle möglichen Bands auf, die eher auf Live-Einspielungen setzen. »Wir verzichten lediglich auf reines Multitracking. Uns ist wichtig, dass alle gemeinsam spielen und sofort ein Gesamtbild entsteht.« Die Arbeitsweise wirke der »Eintönigkeit« moderner Produktionen entgegen, meint Praefcke. »Viele Produktionen haben weder Rhythmus noch Dynamik. Manche Künstler sind durchaus kreativ bei Overdubbing, andere verschwenden allerdings Zeit und Geld, indem sie ihrer Musik überflüssige Spuren hinzufügen.«

 

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hallo, ich würde gerne das vorige Heft bestellen. Leider gibt es keine Möglichkeit, es nach Deutschland schicken zu lassen. Ist das so gewollt oder ein riesen Bug?

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    1. Hey Sven,

      das Heft kannst du dir in unserem Shop egal wohin bestellen:

      http://www.musik-media-shop.de/sound-recording/einzelhefte

      LG Marc

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  2. Ihr seid ja wahnsinng 👍👍
    Hut ab vor diesem Idealismus, der klaren Linie und die Liebe zu(r) (dieser) Musik !!!
    Viele musikylische Grüße aus Bayern nach Berlin 😉
    Keep goin’ your way…✨

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