Raum-Klang

Studioszene: Noble Sound Studio, Linsengericht

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Studioszene Noble Sound Studio Tonstudio(Bild: Noble Sound Studio)

In der hessischen Gemeinde Linsengericht, rund 40 Kilometer östlich von Frankfurt, betreibt Marco Breidenbach sein »Noble Sound Studio«. Die ländliche Idylle wirkt angenehm unscheinbar … umso überraschender erscheint das Tonstudio hinter der Fassade eines großen Wohnhauses, samt Aufnahmeraum mit diffundierender Raumakustik nach dem Vorbild des Henson »Studio D« in Los Angeles, einer umfangreichen Sammlung von Mikrofonklassikern und einer Studer A80-MKII-16-Spur-Bandmaschine.

Die ländliche Idylle im historischen Zentrum von Altenhaßlau, einem Ortsteil der 10.000-Einwohner-Gemeinde Linsengericht, mit Fachwerkhäusern, roten Pflastersteinen und einem Biomarkt vermittelt Entschleunigung und Ruhe. Auch die Fassade des Noble Sound Studios lässt eher ein großes Wohnhaus vermuten als das Tonstudio, das sich dahinter mit einem großen sowie zwei kleinen Aufnahmeräumen verbirgt und das Besitzer Marco Breidenbach seit Mitte 2014 dort betreibt.

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Studio-Evolution

Breidenbach erzählt mit sympathischem, leicht hessischem Einschlag, wie er sich vom Profischlagzeuger seit den 1990er-Jahren schrittweise immer mehr in Richtung Recording orientierte.

Im Zuge der »ADAT-Revolution«, die vergleichsweise günstige Mehrspur-Aufnahmen ermöglichte, kaufte er 1992 drei ADAT-Geräte, ein Mackie 8-Bus-Pult, dazu Tannoy SRM 15-Boxen, allesamt gebraucht, und baute sein erstes »ernstzunehmendes« Studio auf, wie er sagt: »Das befand sich bei meinen Eltern im Keller, mein damaliger Proberaum, und war komplett totgedämmt, mit Schaumgummi an der Decke und an den Wänden. Dort habe ich gelernt, ein Schlagzeug zum Klingen zu bringen: Wenn der Raum grauenvoll klingt, gar nichts zurückgibt, musst du als Musiker den Sound anliefern. Das gilt eigentlich immer, aber bei einer Aufnahme umso mehr. Das Schlagzeug war ein Yamaha Recording Custom − ein klasse Set, nur das 12er-Tom war schwer in den Griff zu bekommen, mit unangenehmen Resonanzen. Im richtigen Raum klingt es klar und angenehm, aber in einem toten Raum hörst du alles scheppern.« Das Thema Drum-Tuning werde heute meist übersehen, erklärt er. »Dir wird suggeriert, mit Software alles lösen zu können. Dabei sollte man sich zuerst um die Quelle kümmern. Ein guter Musiker bringt seinen Sound bereits ›fertig‹ mit. Der merkt selbst, wie sein Ergebnis in unterschiedlichen Räumen funktioniert, und stellt sich darauf ein. Meine Aufgabe als Tontechniker besteht darin, das rüberzubringen. Das heißt, ich muss mir seinen Sound anhören und mich fragen, wie ich das seinen Vorstellungen entsprechend umsetze.«

Zu der Zeit arbeitete er als Schlagzeuger zeitweise in den USA, 1994 verbrachte er ein Jahr als Schlagzeuger in Los Angeles, »indem ich mich durch viele kleinere Gigs getrommelt habe. In den Bands spielten oft Sessionmusiker, durch die ich in die dortige Studioszene reinschnuppern konnte.« 1999 zog er mit seinem Studio in den Tresorkeller einer ehemaligen Bank. »Durch die dicken Wände kam weder Schall rein noch raus − so gesehen ideal. Der gerade mal sieben Quadratmeter große Aufnahmeraum und die kleine Regie würden zusammen allerdings in die heutige Regie passen«, meint er lachend.

Traum von Raum

Das Thema »richtige Räume« werde oft vernachlässigt. »In meinem ersten, vollgedämmten Studio hatte niemand Spaß am Musikmachen. Daraus entstand das Credo des aktuellen Studios: ›Noble Sound‹ bezieht sich nicht auf vergoldete Wasserhähne, sondern auf die Suche nach bestmöglichem Klang.« Der Bau des aktuellen Studios begann 2012. »Meine Ururgroßeltern hatten hier früher einen Bauernhof, das war der ehemalige Pferdestall.« Für die Aufnahmeräume entstand ein Anbau.

Seine akustische Vorstellung sei konkret gewesen, meint Breidenbach: »Mein klangliches Vorbild für den großen Aufnahmeraum war das Henson ›Studio D‹ in Los Angeles. Dort hatte ich mit dem Schlagzeuger Dave Weckl, einem guten Freund, aufgenommen. Die Raumakustik fanden wir klasse − ein großer Live-Raum, der auf Diffusion statt Absorption basiert.« [Dort entstanden u. a. die »Bob Clearmountain Pro Samples 1« und »Bob Clearmountain Drums 2«-Drum-Librares; Amn.d.Red.] Gut klingende Räume machten den entscheidenden Unterschied, betont er. »Die Aufnahmen, die wir nach Jahrzehnten immer noch toll finden und verehren, sind nicht in kleinen Kellerstudios entstanden.«

Beim eigenen Ergebnis spricht er von einer »Punktlandung auf den letzten Drücker«, nachdem namhafte Akustiker kein passendes Ergebnis liefern konnten. »Ich war fast so weit, es selbst probieren zu wollen, aber mir wurde klar: Das hätte bedeutet, Geld zu verbrennen. Formeln sind eine Sache, aber Materialien und Ergebnis wären trial & error geworden. In meinem Fall wäre es anmaßend gewesen.« Sein Kollege Bernhard Frantsits, der als freier Mitarbeiter die Technik betreut, ergänzt: »Nachdem professionelle Akustiker trotz ausreichendem Budget danebengelangt hatten, wäre das bei uns sicher nicht besser geworden.« Es hätte zudem schnell passieren müssen, »weil das Studio laufen und Geld verdienen muss«, so Breidenbach.

Studioszene Noble Sound Studio Tonstudio
Techniker Bernhard Frantsits (links) und Studiobesitzer Marco Breidenbach (Bild: Nicolay Ketterer)

Regieraum

Vor dem Regiefenster befindet sich ein Garten, den wollte er nicht für einen Aufnahmeraum opfern. Stattdessen hat er links angebaut, über Kameras und verglaste Türen besteht Sichtkontakt zu den Musikern. Bei Bedarf kann er über dem Mischpult − eine SSL AWS 948-Konsole − eine Leinwand herunterlassen.

Als Front-Monitore dienen Barefoot MM27, die hinteren Surround- Positionen werden durch die kleineren MM35 ergänzt. Zum Outboard-Equipment zählen etwa ein Great River MAQ2NV-Equalizer, ein Chandler TG41213- Zener-Limiter, ein AMS Neve-33369/CKompressor/Limiter und zwei Empirical Labs »Distressoren«. Vorhandene Röhrenkompressoren: vier Summit Audio TLA50, zwei Tube-Tech CL1B und ein LCA2B sowie ein Pendulum ES8- Limiter.

Stichwort »Sichtkontakt«: Die größte Session fand bisher mit der hr-Bigband statt, mit Gästen um rund 20 Personen. Der Schlagzeuger saß nebenan im kleinen Aufnahmeraum. »Im großen Raum war er auf einem großen Bildschirm zu sehen. Die hören sich ja, lesen ihre Charts, aber ab und zu willst du mal gucken, ob der andere noch lebt. (lacht) Auch bei einem Cue vom Dirigenten oder Drummer müssen die sich natürlich sehen.« Die Kameras böten zudem die Möglichkeit zur Zweitauswertung: »Jede Kamera hat einen eigenen Rekorder, du kannst dir von den Einzelsignalen nachher ein Making-Of-Video zusammenschneiden. Das wird gerne genutzt.«

Studioszene Noble Sound Studio Tonstudio
Regieraum mit SSL AWS-948-Pult und ausfahrbarer Videoleinwand als Sichtverbindung zum Aufnahmeraum, dahinter verbirgt sich der Blick auf den Garten. (Bild: Noble Sound Studio)

Analoge Einbindung

Für analoge Aufnahmen steht eine Studer A80-MKII-16- Spur-Bandmaschine zur Verfügung, mit CLASP-System für direkte Einbindung im Sequenzer. Die Sättigung der Bandmaschine gefalle ihm bei praktisch allen Instrumenten, meint Breidenbach. Seit der Pro Tools HDX-Version sei sie allerdings nicht mehr unverzichtbar. »Der Klang des Systems und auch die internen Plug-ins haben sich seit HDX deutlich verbessert. Nach Möglichkeit nehme ich auch in 192 kHz auf.«

Mikrofone

Passend zum »Raum-Anspruch« fällt auch die Mikrofonauswahl aus: Vom alten AKG C12-Röhrenmikrofon besitzt Breidenbach ein gematchtes Paar, dazu zwei Exemplare des gleichen, für Siemens gefertigten C12-Modells SM204. Zudem nutzt er ein Voxorama Typ-47-Pärchen. »Wir hatten ein altes U47 zum Vergleich gehört, und mir gefiel der etwas offenere Klang des Voxorama-Mikrofons von Andreas Grosser besser.« Die U67-Neuauflage hat er ebenfalls im Portfolio. »Ursprünglich hatte ich ein altes für einen Gesangs-Take gemietet. Als ein Recall anstand, habe ich das neue ausprobiert. Das hat mich ebenso beeindruckt.« Sonst finden sich im Bereich Neumann etwa KM56-Röhren-Kleinmembraner, zwei U47fet, zwei M149 sowie ein U87. Für färbungsfreieren Klang setzt er gerne DPA 4006-Mikrofone ein.

Breidenbach mag außerdem Bändchen-Mikrofone und besitzt eine große Auswahl: Ein Paar Royer R121, das Röhren-Stereomikrofon SF-24V, die AEA-Modelle R44C und R84 so – wie dessen Stereovariante R88 zählen zu seinen Favoriten, zwei aktive N8 nutzt er beispielsweise am Flügel, das KU4 begeistert ihn am Kontrabass. Coles 4038 nutzt er gerne als Overheads. Als Allrounder-Geheimtipp schätzt Breidenbach das Extinct Audio BM9.

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Kleinerer Aufnahmeraum mit Yamaha-Flügel. Nebenan befindet sich zusätzlich ein kompakter Raum, der für Gesang, Gitarre oder als Schlagzeug-Kabine genutzt wird. (Bild: Noble Sound Studio)

Balance

Je nach Stilrichtung mikrofoniert er minimalistisch, wenn es passt: »Ich hatte kürzlich eine Jazz-Aufnahme − dort wollen die Musiker als Stilmittel oft, dass das Schlagzeug als eine Einheit verstanden wird. Dazu habe ich ein Royer SF-24V als Stereo-Overhead verwendet und ein Bassdrum-Mikro. Das Overhead musst du ausrichten, bis die Balance passt.« Er erinnert sich an ein Schlüsselerlebnis in seiner Jugend: »Das hatte ich das erste Mal bei Clinton Recording in New York gesehen. Dave Weckl hatte mich 1989 zu einer Session mitgenommen, eine Aufnahme mit Session-Größen, direkt auf 2-Spur-Band abgemischt. Über dem Drum-Set hing lediglich ein Stereo-Mikrofon, dazu ein Mikrofon an der Bassdrum. Ich war gerade mal 18 Jahre alt, saß in der Ecke. Der Engineer wusste, dass ich Daves Gast aus Deutschland war und fragte mich, wie ich den Drum-Sound finde. Ich war der Meinung, gehört zu haben, dass das Floor-Tom noch nicht richtig kam. Das traute ich mich zu sagen. ›Interesting!‹, war seine Antwort. Er ging in den Aufnahmeraum, ließ Dave spielen und zitierte mich ans Pult. Ich dachte, jetzt bin ich fällig. Ich sollte ihm ein Zeichen geben, wenn ich die Abstimmung gut fand. Als es so weit war, kam er zurück und bedankte sich für den Tipp! Das war ein gestandener Engineer! Die offene Denkweise hat mich unglaublich beeindruckt. Manchmal überhört jeder was, deswegen war er für Feedback dankbar. Am Ende ist das Ergebnis ohnehin für alle hörbar, etwas Schlechtes kann man nicht wegdiskutieren. Der Moment war für mich prägend.«

Zur Aufhängung verwendet Breidenbach unter anderem Stative des amerikanischen Herstellers Triad Orbit, am Schlagzeug etwa ein O2X-Stativ mit vier Armen, um Hi-Hat, Rack-Tom sowie Ober- und Unterseite der Snare zu mikrofonieren. »Auf dem knappen Quadratmeter würden sonst vier Stative stehen. Das Exemplar kostet mehr, aber der Platzgewinn und die Flexibilität stellen für mich einen Mehrwert dar.« Zudem schätzt er das IO-Schnellwechselsystem der Firma, mit dem er Mikrofone auf einem Stativ über Steckverbinder für einen Vergleich schnell austauschen kann.

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Optimierte »Stativ-Logistik«: Triad Orbit O2X-Vierfach-Stativ zur kompakten Mikrofonierung von Tom, Hi-Hat sowie Snare-Top- und -Bottom (Bild: Noble Sound Studio)

Zurück zum großen Aufnahmeraum und der gewünschten Akustik: Breidenbach lud vor der Eröffnung unter anderem Dave Weckl ein, für eine Einschätzung von außen. Weckl, der das »Raum-Vorbild« aus Los Angeles kannte, war von der umgesetzten Qualität der Diffusion und dem akustischen Erleben sprachlos, so Breidenbach. »Der Henson-Raum ist größer, mit mehr Volumen und anderen Materialien, aber Klangästhetik und Idee, dass der Live-Raum weitgehend auf Diffusion statt Absorption basiert, sind ähnlich.« Den Nachhall des rund 80 Quadratmeter großen Raums mit 3,70 m Deckenhöhe beschreibt er als feinzeichnend und gleichmäßig diffus. »Bei Bedarf baue ich Dämmwände um die Instrumente auf, wenn weniger Raumanteile gewünscht sind.« Als Klangbeispiel für das Studio empfiehlt er das Album With A Little Help From My Friends des Swing-Musikers Jeremy Monteiro, mit Interpretationen von Beatles- und Lennon-Songs.

Unter den bisherigen Kunden waren auch Joss Stone, Laith Al Deen, Namika, Intersphere-Schlagzeuger Moritz Müller, der englische Session-Drummer Karl Brazil (u. a. Robbie-Williams-Band) und Bertram Engel. Die Musiker seien bislang angetan gewesen von der Akustik, meint Breidenbach. »Das war mein Ziel bei dem Bau: Als Musiker und Produzent weiß ich, wie ich am Schlagzeug klingen will, und wie sich das anfühlt, wenn es passt und geil klingt. Das letzte Quäntchen kommt dann beim Spielen von dir selbst.«

Sein eigenes Fazit? »Für mich war es das erste Mal, dass mein Drum-Kit mit der Raumantwort so klang, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Kein Plug-in der Welt hat mir das gegeben.«

http://www.noblesoundstudio.com/

 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Interessanter Aufnahmeraum – vor allem die Deckengestaltung. Dass ein Schlagzeug einen großen Raum braucht, ist irgendwie einleuchtend, weil kein Wandelement der Welt die reflektierten Wellen verzögern kann und so das Instrument immer “klein” klingen wird. Allerdings frage ich mich, wie das mit dem Flügel in den kleinen Nebenraum ist. Die brauchen doch noch mehr Volumen. Wir nehmen immer in großen Konzerthallen auf. Ich nehme an, der Flügel wird dann reingeschoben?

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