Visionen aufgreifen

Studioszene: Milkshop Mastering in Wien

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(Bild: Milkshop-Mastering)

Abseits der Mastering-»Extreme« — lediglich analytisches »Reparieren« von Mischungen oder deutlicher ästhetischer »Fingerabdruck« − setzt Vlado Dzihan, Betreiber von Milkshop Mastering in Wien, auf Kommunikation: Selbst Produzent und Musiker will er ergründen, wo der Künstler beim Mix hinwollte — und wo er vielleicht Unterstützung braucht.

Wien sei die »Versuchsstation für den Weltuntergang«, wenn man der − ebenso bösartigen wie dystopischen − Einschätzung des österreichischen Satirikers Karl Kraus folgen will. Sein Landsmann, der Autor Georg Stefan Troller, hat die Stadt später nur wenig schmeichelhafter als »fideles Grab an der Donau« bezeichnet. Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ließ in ihrem Roman »Yseut« kürzlich die These verlauten, Wien sei nur in der Nacht schön. Ein Besuch vermag jene Betrachtungen umgehend zu zerstreuen, die lebendige Stimmung vermittelt einen ungleich positiveren Eindruck.

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Eine Versuchsstation positiver Art bietet das »Milkshop Mastering«-Studio, mit dem Ansatz, »musikalisches« Mastering aus der Sicht eines Musikers und Produzenten zu vermitteln, das die jeweilige Vorstellung des Künstlers vervollständigen will. Vlado Dzihan war als Musiker und Produzent laut seiner Webseite an 60 Alben beteiligt, dazu Musik für Werbespots, Fernsehserien (u. a. Sex & The City, Six Feet Under) oder Soundtracks (Banksy − Exit Through The Gift Shop).

Stephanie Zamagna hat den organisatorischen Bereich des Studios übernommen. Der Name − die Verbindung von Molkerei und Mastering − ist indes philosophischer Natur, wie sie erläutert: »Als Produktionsstätte für das Wichtigste zum Start ins Leben: Für den Menschen ist das die Milch, für die Musikproduktion das Mastering.« Dzihan ergänzt, man habe keinen üblichen »Audio«- Namen wählen wollen. Milkshop passe von der Substanz, bleibe hängen, werfe Fragen auf. Es eigne sich auch, »… weil wir einen anderen Zugang haben als das ›klassische‹ Mastering-Studio.« Weniger technisch, mehr von der künstlerischen bzw. Produktionsseite, meint Dzihan. »Ich bin hauptberuflich Produzent und Musiker und habe früher alles selbst gemischt. Schon Anfang der 2000er-Jahre hatte ich mit meinen damaligen Label-Partnern Lust, ein Mastering-Studio zu gründen. Damals hatten andere Aufgaben Priorität, letztes Jahr haben wir beide uns dazu entschlossen.«

Sie habe in Wien noch kein entsprechendes, international wettbewerbsfähiges Studio entdeckt, erzählt Stephanie Zamagna, so habe sich die Idee verfestigt. Dahinter stecke die eigene Erfahrung, nicht zuletzt 15 Jahre mit dem eigenen »herkömmlichen« Studio. Dzihan: »Ich habe als Künstler überall gemastert, war meist vor Ort. Jedes Mastering-Studio brachte eine eigene Ästhetik mit, hauptsächlich im Bezug auf technische Aspekte, zum Beispiel Lautstärke.« Ihn begeisterte letztlich der ästhetische Eingriff, den Mix zu »vervollständigen«: »Bei einer Produktion hatte ich geschwitzt, weil ich die Energie nicht herausstellen konnte«, erinnert er sich. »Der Mix war zwar gut, aber noch nicht an dem Punkt, wo er hätte sein können.« Von einem Mastering-Studio bekam er ein gutes Ergebnis, testete noch ein weiteres in England. Deren Master vermittelte die gewünschte Energie. »Das war für mich ein Aha-Erlebnis. Mastering kann viel mehr leisten als nur technische Optimierung. Das Feedback des Künstlers ist natürlich immer ausschlaggebend, um zu wissen, wo die Problematik liegt.« Es gehe darum, zu erkennen, wo die hinwollten und wo sie steckengeblieben sind. »Künstler in der Oberliga arbeiten oft mit Top-Leuten − da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Vision im Mix bereits ausformuliert ist. Aber viele Indie-Künstler haben kein Budget für Top-Produzenten und -Mischer. Denen möchten wir passendes Feedback geben.«

Milkshop-Mastering-Team: Vlado Dzihan, Stephanie Zamagna (Bild: Milkshop-Mastering)

Bislang existieren vor allem zwei »Lager« im Bereich Mastering: Analytisches »Reparieren« von Mischungen oder ein deutlicher ästhetischer »Fingerabdruck«. Den technischen Aspekt decken sie auch ab, »deswegen heißen wir Mastering-Studio, aber grundsätzlich geht es um das künstlerische, weniger unsere eigene Idee vom Ergebnis, sondern um Kommunikation und Feedback. Ein kleiner Hinweis von außen kann dich viel weiterbringen. Das Tolle beim Input: Wenn er deinen Zweifel, deine unausgesprochenen Gedanken trifft, kannst du damit etwas anfangen und weißt, das war wirklich ein Problem.«

Der Gesang muss lauter 

Beispiele für Unsicherheiten? »Oft steht die Frage im Raum, wie laut die Stimme sein soll − gerade bei Leuten, die sich selbst produzieren oder auf einem Label veröffentlichen, wo kein A&R Feedback gibt, inwieweit ein Produkt ›in your Face‹ wirkt. Meistens machen die Leute den Gesang zu leise, selten zu laut.« Ob das daran liege, sich selbst nicht in den Vordergrund stellen zu wollen? »Einerseits, und der andere Aspekt: Wenn du drei Monate an einem Song arbeitest, gehst du immer tiefer ins Detail, verlierst aber den Blick aufs Gesamtbild. Du gewöhnst dich daran, dass die Stimme für dich auch leise funktioniert. Das merke ich in meiner Producer-Tätigkeit: Da darf man die Stimme nicht verstecken. Die A&Rs brauchen die Stimme, sozusagen den ›Emotionsträger‹, ohne den Song mehrmals hören zu müssen.«

Als gelungenes Gegenbeispiel erwähnt er die frühen Michael-Jackson-Platten, etwa »Thriller«: »Die Stimme war immer im Playback platziert. Du hattest nie das Gefühl, dass sie laut ist, aber sie war trotzdem immer klar wahrnehmbar. Rundherum war Disneyland!«, lacht er. »Die Vision musst du auch haben: Die Stimme so zu ›verpacken‹, dass sie im Mix hundertprozentig sitzt. Das gilt auch für Prince oder Muse und fängt beim Arrangement an: Wenn das sitzt, ist das Ergebnis schon halb gemischt.«

Die Musik auf den Punkt zu bringen 

Bei Bands, die sich selbst produzieren, fallen ihm oft Arrangement-Fehler auf, weshalb der Mix nicht aufgehe, erzählt er: »Manche Fehler würden den Leuten eigentlich beim ersten Hören auffallen, aber da fehlt schlicht die Distanz.« Das sei auch die Aufgabe eines Produzenten, der jene Distanz vermittelt, eine Spiegelung, die aber oftmals eingespart werde. »Ich glaube, dass junge Künstler oft nicht wissen, wofür ein Produzent gut ist, im ursprünglichen Wortsinn. Als ›Producer‹ gilt im HipHop derjenige, der das Equipment hat und die Beats macht. Die Rolle des klassischen Produzenten besteht darin, den Überblick zu behalten und den Kern des Künstlers und der Musik für den Hörer auf den Punkt zu bringen. Bei vielen Musikern fehlt die Bereitschaft, jemandem künstlerisch zu vertrauen. Als Künstler finde ich das großartig! Du bist sowieso du selbst, wirst also nicht etwas komplett anderes machen. Es geht darum, das Vertrauen aufzubauen, dass der Produzent die beste Vision für dich hat und die umsetzen kann.«

Ob der Verzicht nicht auch ein Budget-Problem sei, der Mehrwert eines − teuren − Produzenten in Zeiten günstiger Audio-Interfaces und Großmembranmikrofone unter 100 Euro schlicht nicht wertgeschätzt wird? »Budgets gibt’s sowieso keine mehr! Man muss einfach nur schauen, dass man emotional auf den Punkt kommt, auch bei der technischen Umsetzung. Wenn du ein Mikro hast, das nur zischt, hat der Hörer nach zwei Minuten keine Lust mehr. Gute Mikrofone ermöglichen dir durch die Rückmeldung auch bessere Performance und Pitch-Kontrolle − ganz anders als solche, bei denen du vor deiner eigenen Stimme am liebsten weglaufen willst.« Er erinnert sich an ein Erlebnis mit einem Keyboard: »Wenn ich ein Instrument zum ersten Mal spiele, muss es mich inspirieren. Wenn dich ein Instrument sozusagen ›trägt‹, du kreativ wirst, dann gibt es nichts Besseres!«, strahlt er.«

So sei es auch bei seinen Mastering-Geräten: »Das Werkzeug muss mir etwas geben.« Zu seinem Setup gehören etwa ein Knif Soma-Equalizer, der laut Dzihan klanglich etwa an den Sontec 432 erinnert, dazu ein Chandler Curve Bender, Manley Massive Passive und ein Hendy Amps Michelangelo-Röhren-Equalizer. Zur Kompression verwendet er einen Millennia Twincom und einen Dangerous Compressor. Den Raum hat er vom Münchner Akustiker Jochen Veith planen lassen, ist mit dem Ergebnis sehr glücklich, wie er sagt. Als Abhöre dienen PMC MB2S-XBD-Monitore. »In Kombination mit meinen Bryston Amps fand ich früher die Midrange etwas fordernd. Inzwischen habe ich auf Hypex-Endstufen gewechselt und bin super glücklich!« Damit gefällt ihm die Impulswiedergabe besser. Das wichtigste Werkzeug? »Die beiden externen VU-Meter«, lacht er halbironisch.

Seine Vorstellung individuell passender Klanggestaltung? »Es gibt Produktionen, die dunkel klingen und genau so richtig sind. Die muss ich nicht heller oder laut machen, nur damit sie im Radio vorne sind. Es gibt Produktionen, die so richtig klingen. Vintage-Feeling von früher, Patina, aber trotzdem modern. Das hat immer mit dem Content zu tun. Was ist das ›Produkt‹? Ein Jazz-Album, das viel von dem alten Flair mit sich bringt, muss nicht hell und laut sein, sondern kann in dem ›gedimmten Licht‹ bleiben, um emotional zu berühren.« In jedem Fall gelte: »Der Künstler ist im Recht mit seiner Vision, er muss ja auch damit leben.«

Eigene Referenzen? Er hat gerade das Album To Love von Thomas David gemastert, einem jungen österreichischen Singer/Songwriter, wie auch das kommende Album von Cristobal And The Sea, einer jungen Folk-Rock-Band aus London. »Der Produzent hat uns gebrieft, dass es nicht laut sein muss, sondern die Dynamik erhalten bleiben soll. Der ist erst 24 Jahre alt − das war toll, dass es auch unter jungen Leuten ein Verständnis für Dynamik gibt!« Stephanie Zamagna erinnert sich: »Und alle waren happy, auch das Label!« Dzihan: »Das gesamte Album ist gapless, daher war es etwas aufwendiger. Die wollten unbedingt ein separates Vinyl-Master, dazu haben wir uns den Bassbereich »verengt« und die Höhen unter die Lupe genommen.«

Künstlicher Zwang 

Sein Fazit für gelungene Produktionen: »Es ist immer die Frage, wie künstlerisch zwingend eine Produktion wirkt. In dem Sinne, dass du sie mögen kannst oder nicht, dich ihr aber nicht entziehen kannst.« Er nennt Peter Foxx’ Album Stadtaffe als Beispiel. »Das kommt auf den Punkt und ist inhaltlich dicht.« Die Eigenschaften überzeugend in einem Produkt zu vereinen, das sofort bewegt, sei seine treibende Kraft. »Wenn’s nur ›nice‹ ist, braucht es keiner. Es gibt viele Produktionen, die an sich toll sind, aber das Schlagzeug aus Kostengründen programmiert wurde. Die Alben könnten manchmal viel lebendiger klingen! Aber es ist immer die eigene Entscheidung, wo man mit sich selbst Kompromisse schließt. Jemand hat mal gesagt: ›Records are forever.‹ Unter dem Aspekt versuche ich, Platten zu sehen − dass man nicht in zehn Jahren denkt: ›Warum habe ich hier gespart?‹ «

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