US-amerikanischer Metalcore

Produzent Matt Squire und Drummer Aaron Gillespie über die Produktion von Underøath – Erase Me

Anzeige

Als es im Frühjahr offiziell wurde, war die Überraschung groß: Underøath, eine der absoluten Speerspitzen des US-amerikanischen Metalcores, kündigten die Zusammenarbeit mit Fearless Records — und damit ein neues Album — an. Erase Me ist das sechste Studio-Album der sechsköpfigen Band aus Tampa, Florida und gleichzeitig das erste nach ihrer Auflösung im Jahr 2010. Produzent Matt Squire und Drummer/Sänger Aaron Gillespie geben Einblicke in die Entstehung der jüngsten Studio-Produktion.

Anzeige

Natürlich brodelte die Gerüchteküche schon so einige Zeit: Mit der Reunion-Tour im Jahr 2016 stand entsprechend immer auch die Frage im Raum, ob auf diese auch ein neues Album der Band folgen könnte. Tatsächlich gab es keinen fixen Plan, zunächst sollte es erstmal nur um Live-Shows bei der Wiedervereinigung gehen; man wollte sich vorsichtig herantasten, nicht überstürzen und sehen, wie sich die Dinge entwickeln würden. Die Auszeit war essentiell, um den notwendigen Abstand zu gewinnen und dann auch festzustellen, dass man das alles doch sehr vermisst hat. Die ursprüngliche Entscheidung, gemeinsam als Underøath nie mehr Konzerte zu spielen, wird infolgedessen revidiert.

Aufgrund der Tatsache, dass alles zwanglos und ohne große Anstrengung vonstatten geht, rückt im Laufe der Tour aber auch die Möglichkeit eines neuen Albums in das Bewusstsein der Band: »Zunächst ging’s einfach um den Spaß, es gab keinen Druck. Wir mussten keinen Erwartungen gerecht werden, wir konnten einfach live spielen und die Zeit mit den Leuten genießen. Das war wichtig. Wir waren einfach wieder als Band zusammen — und hätten nicht gedacht, dass es ein neues Album geben könnte«, so Drummer Aaron Gillespie, »Es war nichts, für das wir von Anfang an gekämpft haben, es war ein Prozess: Wir wollten zunächst einfach ein paar Shows spielen und dann haben wir realisiert, wie sehr wir das alles lieben. Und dass wir das am Leben halten wollten. Und schließlich haben wir uns entschieden, ein weiteres Album zu machen.«

Aaron Gillespie bei den Drum Recordings (Bild: Dan Newman)

Songwriting-Prozess

Im Frühjahr 2017 fängt die Band an neues Material zu schreiben. Es gibt keinen spezifischen Ansatz, keine Agenda, der alles folgen sollte, außer das Credo: es muss allen gefallen. Die neuen Songs sollen den vielen unterschiedlichen musikalischen Interessen der Bandakteure gerecht werden: »Was uns dieses Mal wichtig war: Wir haben versucht, Musik zu machen, die wir selber gerne hören. Natürlich gibt es implizit auch immer gewisse Einflüsse, aber dieses Mal lag der Fokus mehr darauf, wirklich etwas zu schaffen, was wir alle gerne hören wollten und uns gleichermaßen anspricht. Wir mögen alle ziemlich unterschiedliche Musik — Heavy, Prog, Country — und das wollten wir auf gewisse Art und Weise matchen. Das war die Herausforderung«, erklärt Drummer Gillespie. Dementsprechend geht es zunächst mehr um die Auswahl der richtigen Songs, das Feeling und die Emotionen, als den rein technischen Recordingprozess. Im Kontrast zur gegenwärtig oftmals künstlichen Produktionsästhetik ihres Genres wollen Underøath etwas kreieren, das echt und real klingt —  also letztlich Authentizität produzieren. Und deshalb sollte die technische Perspektive im Vorfeld keine übermäßige Rolle einnehmen, alles soll möglichst frei vonstatten gehen: »Bei Erase Me gab es keine Regeln, wir wollten sehen, was passiert und das einfangen«, so Gillespie.

Für den Songwriting-Prozess teilt sich die Band auf: Sänger Spencer Chamberlain schreibt gemeinsam mit Gillespie, während Lead-Gitarrist Timothy McTague mit Keyboarder Christopher Dudley an neuen Songs arbeitet. Dadurch schafft man Varianz und bündelt gleichzeitig die Impulse auf einen gewissen Common Ground. Dieser Prozess dauert nahezu ein gesamtes Jahr; über die ganze Zeit befinden sich die beiden Writing-Duos Chamberlain/Gillespie und McTague/Dudley in einem Austausch, bei dem kreative Impulse hin und her geschickt werden: »Das war schon ziemlich cool: Es war ein sehr kollaborativer Ansatz und gleichzeitig hatten wir zwei Teams, die sich nochmals Feedback geben konnten — und es hat super geklappt«, erzählt Gillespie. Gleichzeitig stellt er den Fokus auf die Songs heraus: »Ich glaube, bei den Aufnahmen — vielen geht’s um Gear oder Mic Proximity — sind das Wichtigste einfach die Songs. Wenn Du gute Performances und gute Songs hast, kannst Du’s eigentlich nicht vermasseln. Viele reden über Abbey Road und wie spannend irgendein Special Equipment ist, aber das ist meiner Meinung nicht, worum es geht. Deshalb haben wir in der Pre-Production einen Monat nur daran gearbeitet, die richtigen Songs in die richtige Form zu bekommen.«

Chris Dudley beim Einspielen der Keys (Bild: Dan Newman)

Produzent der Wahl: Matt Squire

Erstmals arbeitet die Band mit Produzent Matt Squire zusammen, etwas, das längst überfällig schien, wenn man dessen Credit List betrachtet. Neben vielen US-Pop-Größen hat er genre-spezifisch unter anderem bei Panic! at the Disco, Simple Plan, All Time Low, Good Charlotte, The Used oder Taking Back Sunday für den richtigen Sound gesorgt. Mit der gemeinsamen Album-Produktion schließt sich jedoch auch für Squire ein Kreis: »Ich war immer großer Fan der Band. Wir sind alle damit aufgewachsen, dieselben Hardcore-Platten zu hören und haben dementsprechend viele gemeinsame Wurzeln. Von daher war es eine große Ehre und ein Karriere-Highlight, mit ihnen nun an Erase Me zu arbeiten.«

Gillespie bezeichnet Squire als »Level-headed guy«, seine Qualität bestehe insbesondere darin, eine Band so nehmen wie sie ist und aus den unterschiedlichen Persönlichkeiten das Beste herauszuholen: »Ich glaube, eines ist bei der Zusammenarbeit mit einer Band wie Underøath sehr essentiell: Wir sind alle sehr starke Charaktere, also muss es jemand sein, der damit umgehen kann und sie in Einklang zu bringen versteht. Das ist das Allerwichtigste.« Squire versteht seine Aufgabe zudem darin, der Band dabei zu helfen, ihre Vision umzusetzen und in diesem Prozess so transparent wie möglich zu sein. »Sie wollten ihren Sound und ihr Gefühl für Dynamik erweitern. Und sie wollten mehr Elektronik- und Industrialelemente integrieren — und das haben wir getan«.

Spencer Chamberlain bei der Vorbereitung der Vocal Recordings (Bild: Dan Newman)

Vorproduktion

Nach der Writing-Phase beginnt die Band im Juli 2017 gemeinsam mit Produzent Squire, das zuvor geschriebene Material zu sichten und aus etwa 30 Songideen und Skizzen die finalen Album-Songs für die bevorstehenden Aufnahmen auszuarbeiten. In einer sehr intensiven Vorproduktionsphase werden die Grundsteine gelegt und erste Weichen gestellt. Dabei geht es vor allem um die richtige Anordnung der Parts, das Erarbeiten der Arrangements und Keys, das Herausfinden des Song-Feelings und der passenden Melodien. Diese umfassende Herangehensweise der Vorbereitung macht sich bezahlt, wie Squire herausstellt: »Wir haben uns intensiv mit der Vorproduktion beschäftigt, sodass wir beim Tracking noch tiefer gehen konnten. In beiden Phasen gab es viele spontane Momente, und ich liebe diese Momente immer besonders. Die Jungs sind super kreativ, also hatten wir immer viele Ideen zur Auswahl.«

Produktion

Als Band und Produzent das Gefühl haben, die richtigen Songs mit den passenden Arrangements zu haben, beginnen die Aufnahmen zu Erase Me in Squires Studio. Gillespie spielt dafür zunächst die Drum-Takes als Basics ein, dann geht es step-by-step mit Bass, Gitarren und Synths weiter, gefolgt von Chamberlains Gesangsblock. Im Falle einiger Songs, wo es um besondere Energie, Intensität und Dynamik geht, greifen Underøath aber auch zum Live Recording zurück, bei dem die Band gemeinsam in einem Raum einspielt.

Das Recording-Equipment von Matt Squire verbleibt dabei relativ konventionell: »Es war hauptsächlich ziemlich normal, wir haben Pro Tools und Logic für das Tracking verwendet. In puncto Amps haben wir viel mit Orange- und Marshall-Modellen gearbeitet. Der Gibson Evertune war zudem eine große Hilfe beim Stimmen — dieser erlaubte uns, wirklich kreativ zu bleiben und uns nicht im endlosen Stimmen zu verlieren. Mikrofone und Vorverstärker waren ebenfalls relativer Standard: Shure, Neumann, API, Neve. Aaron mikrofoniert die Overheads gerne im Glyn-Johns-Pattern, das für mich neu war und wirklich cool klang. Für den Gesang haben wir ein Manley Reference-Mikrofon durch einen Neve und einen Distressor verwendet. Diese Kette hat die Aggression in Spencers und Aarons Gesang wirklich zum Ausdruck gebracht.« Darüber hinaus verwendet die Band Gretsch Drums sowie Synthesizers von Absynth und Massive.

Es wird auch bei technischen Entscheidungen für den Song gedacht und was dieser benötigt — auf dieser Basis wird das Equipment umgestellt und ausprobiert, was am besten passen könnte. Letztendlich verbleiben die Veränderungen hier überschaubar, manchmal wird ein Pre-Amp gewechselt oder ein Kompressor ausgetauscht. Im Falle der Single »On My Teeth« kommt es jedoch zu einem interessanten Experiment: Hier hatte Gillespie bereits zu einem Zeitpunkt Drums eingespielt, als der Song noch gar nicht final stand. Squire nimmt dann einzelne Ausschnitte aus den Drum Parts heraus und lädt sie in ein Plug-in namens Stutter, spielt anschließend mit ein paar verrückten Sounds herum und rendert das Ganze: »Einige der Sounds klangen letztendlich gepitcht und das ist es, worauf wir die Akkordwechsel tatsächlich basierten. Die Akkorde kamen also tatsächlich vom Schlagzeug und wir entwickelten den Song von dort aus weiter. Das hat wirklich viel Spaß gemacht!“, so Squire.

Timothy McTague bei den Guitar Recordings mit Orange- und Marshall-Amps. (Bild: Dan Newman)

Ergebnis

Im Unterschied zu den vorherigen Alben war die Gewichtung zugunsten von elektronischen Parts besonders signifikant. Hier die richtige Balance zu finden, ist die Herausforderung: »Alle kleinen Produktionsentscheidungen auf dem Weg hatten Auswirkungen, aber die Elektronik könnte der größte Unterschied sein«, erzählt Squire, »Das Gleichgewicht zu finden, war ein ständiger Dialog zwischen uns allen während des gesamten Prozesses.

Der Spaß an einer Band wie Underøath besteht darin, dass sie alle das Bedürfnis nach dieser Balance spüren. Wenn also ein Song zu viel Pop ist, wird einer von ihnen darüber sprechen und einen Tweak anbieten, um einen Hardcore-Part oder ein elektronisches Element einzuführen.« Ende August 2017 ist das Tracking seitens Squires abgeschlossen und er bereitet die Dateien für den Mix von Ken Andrews vor, dessen Arbeit er sehr schätzt: »Er ist ein super intuitiver Typ und hat ein tolles Ohr, so dass er wirklich verstanden hat, was wir wollten. Ihm war bewusst, dass wir die Elektronik laut haben wollten, aber eben nicht in dem Ausmaß, dass das alles andere gefährdet.« Auf das gemeinsame Ergebnis ist man gleichermaßen stolz: »Es ist ein ehrliches und aufrichtiges Album, an dem wir sehr hart gearbeitet haben. Ich denke, man kann an der Art des Sounds und den Songs anhören, dass wie eine großartige Zeit bei den Aufnahmen hatten«, so Gillespie. Und auch Squire zeigt sich mehr als zufrieden: »Ich liebe diese Platte und bin wirklich stolz darauf. Diese Jungs machen seit langer Zeit großartige Musik und verdienen alles, was sie für ihren Erfolg brauchen. Ich habe das Gefühl, dass Erase Me ein großartiges neues Kapitel in ihrer Geschichte ist.«

http://underoath777.com
http://www.mattsquire.com

Gillespie und Chamberlain im kreativen Prozess (Bild: Dan Newman)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.