Die Abenteuer des Huck Finn

Orchester Recording von Filmmusik

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Orchesteraufnahmen zur Filmmusik von »Die Abenteuer des Huck Finn«

Orchestersounds, die einem unter die Haut gehen − für die meisten Musiker und DIY-Produzenten ist das ein scheinbar unerreichbarer Traum. In unserem Special zeigen wir allerdings, dass es doch Möglichkeiten gibt, wie man Orchesteraufnahmen in seine eigene Produktion bekommen kann, ohne dafür Sample-Librarys einzusetzen. Die Emotionalität dieses Sounds ist nach wie vor die Spezialität eines echten Orchesters. Schauen wir uns also zunächst an, wie die Top-Profis arbeiten. Bei Orchesteraufnahmen für die Musik zum aktuellen »Huckleberry Finn«-Kinofilm durften wir dem Baseler Tonmeister Daniel Dettwiler über die Schulter schauen und konnten einiges über die Aufnahme von Orchestern und die Entstehung von Filmscores erfahren.

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(Bild: STEFAN DÖRING, NIKOLAI KAESSMANN)

Auch wenn bei so einer Aufnahmesession alles reichlich high-endig vonstatten geht, kann man als DIY (Do it yourself)-Musiker doch einiges von der Arbeitsweise ableiten, um es für eigene Projekte − im selbstverständlich kleineren Rahmen − anzuwenden. Und tatsächlich entdeckt man einige Kniffe, die wir beim DIY-Orchesterprojekt von Amé Toki wiederfinden: Die Kölner Band erfüllte sich den Traum vom echten Streichorchester-Sound und ging die Aufnahmen in eigener Initiative an. Während es hier lediglich darum ging, bei leistbarem Aufwand einzelne Parts von einem Streichorchester in eine Pop-Produktion zu integrieren, steht bei der Filmmusik zu »Huck Finn« natürlich der Score im Vordergrund.

Der Tonmeister Daniel Dettwiler des Idee und Klang Studio, Basel hat sich auf akustische Musik und insbesondere die Aufnahmen von Orchester spezialisiert und setzt auf die Flexibilität eines mobilen Recording-Setups. Dennoch sollte man da keine falschen Vorstellungen bekommen − Daniel Dettwiler macht keine Kompromisse in Sachen Aufnahme-Equipment und Sound-Qualität! Hier kommt nur erlesenes Equipment vom Allerfeinsten zum Einsatz. Daniel Dettwiler geht es dabei nicht einfach um technische Perfektion, sondern vor allem um das Wie, um beim Aufnehmen von Musik deren Emotionalität und Seele zu erfassen.

Als erfahrender Recording-Engineer überlässt er wirklich nichts dem Zufall. Alles ist perfekt durchgeplant für einen reibungslosen Ablauf der Sessions, für die nur drei Tage zur Verfügung stehen. Als wir ihn und sein Team im Kölner Aufnahmesaal in der Stolbergstraße treffen, laufen gerade die letzten Aufnahmen, weitere Einzelspuren und der 5.1-Mix sollten in Daniels Studio in Basel in den nächsten Wochen geschehen, wo wir ebenfalls ein wenig zuschauen durften. »Niki Reiser (der Komponist der Filmmusik; Anm. d. Red.) schreibt glücklicherweise sehr sequenziell«, erzählt uns Daniel, »sodass wir uns hier erstmal um die optimalen Streicheraufnahmen kümmern. Gleich das komplette Orchester aufzunehmen mit Bläsern und allem würde nicht zu Nikis Arbeitsweise passen, denn wir möchten die verschiedenen Elemente später ganz gezielt zusammen – mischen können.«


Klanggestaltung mit Mikrofonen. Filmmusik wird viel detaillierter aufgenommen als Klassik, klärt uns Daniel Dettwiler auf − das braucht sehr, sehr viele Mikrofone. Der Aufnahmeraum ist durchzogen von einem Wust aus Kabeln und feinster Recording-Technik. Die Hauptmikros sind historische Mikros − alle in perfektem Zustand, darunter fünf Neumann U47, von denen Tonmeister Daniel Dettwiler zwei gematchte besitzt, des weiteren M49, M50 sowie KM53.


Technik 

Während das Orchester Pause hat, führt uns Daniel durch die Recording-Technik im Aufnahmesaal, der eine tolle Akustik hat − auch wenn man das bei dem sichtlich in die Jahre gekommenen Gebäude nicht gleich vermuten würde. Der Orchesterbereich ist durchzogen von Kabeln und Aufnahmetechnik und steht voller Mikrofonstative unterschiedlichster Größe − man braucht eine Weile, um zu erfassen, was hier an feinster Mikrofontechnik innerhalb und über dem Orchester platziert ist. Der Bereich hinter dem Dirigentenpult ist voller Recording-Equipment. »Es ist schon relativ viel Technik«, gibt Daniel zu, »ich könnte natürlich mit nur einer MADI-Stagebox arbeiten, aber mein Setup sieht aus verschiedenen Gründen anders aus. Es braucht ca. acht Stunden, bis wir damit aufnahme – bereit sind. Das muss man einplanen, denn sobald das Orchester da ist, geht’s los. Zeit für einen Soundcheck gibt es normalerweise nicht. Ich mache in der ersten Pause meistens noch ein paar Anpassungen, aber der Sound steht dann schon zu 99 Prozent. Routing, Gain-Einstellungen und all das müssen sitzen ohne Anspielen. Das funktioniert auch in der Regel, denn ein gut spielendes Orchester in einem guten Raum aufzunehmen, ist eigentlich nichts Schwieriges. Die Positionierung der Mikrofone muss man natürlich drauf haben, aber mit dem Dirigenten Rainer Bartesch, den ich sehr gut kenne, kann ich meistens fünf Minuten Soundcheck aushandeln. So habe ich den Decca-Tree noch einen Tick höher eingestellt. Manchmal machen ein paar Zentimeter wirklich ganz viel aus.«

Während Daniel erzählt, verharrt mein Blick auf ein paar grauen Metallkästen aus alten Rundfunkbeständen … »Das sind die Lorenz-Preamps«, fährt Daniel fort, »historische Röhrenpreamps aus der DDR − sie sind für mich einfach das Beste für die Hauptmikrofone. Die Raummikrofone gehen über die GML-Preamps. Der Rest geht über das Merging Horus-System, das ich erst kürzlich in mein System übernommen habe. Es ist unglaublich flexibel! Auf 2 HE habe ich bis zu 48 hochwertige Preamps auf MADI.«


Aufnahmetechnik. Daniel Dettwiler kombiniert historische Aufnahmetechnik konsequent mit hochwertigen Digitalwandlern, wobei es ihm nicht nur um perfekte Aufnahmequalität geht, sondern vor allem auch darum, die Emotionalität der Musik einzufangen.


In der Regie

Die Session zeichnet Daniel mit Pro Tools auf, wobei er in ständiger Kommunikation ist mit dem Dirigenten Rainer Bartesch und dem Komponisten Niki Reiser, der neben ihm sitzt. Daniel und Niki arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen. Sie manövrieren den ganzen Betrieb mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit durch die Aufnahmen der Cues. Jedes Stück wird als separate Session geladen und aufgenommen. Während Dirigent und Orchester sich auf den nächsten Take vorbereiten und die nächste Pro-Tools-Session geöffnet wird, hat Daniels Assistentin Teresa Kunz im Nebenraum der Regie schon die letzte Session via Netzwerk geöffnet, um die Takes zu schneiden.

Die Prozedur wiederholt sich Cue für Cue und läuft in einem irren Tempo ab. Bewundernswert aber, wie bei aller Routine und Technik immer die Musik im Fokus bleibt.

Sound durch Mikrofonierung

Für den Recording-Engineer sind sie wie Musikinstrumente: Mikrofone! Daniel outet sich sogleich als Kenner und Liebhaber von Vintage-Mikros, die für ihn ein ganz wichtiger Bestandteil für sein angestrebtes Ideal von Filmmusiksound sind. Seine Mikros sind aber nicht im Sinne einer verklärten Vintage- Romantik mit ordentlich Patina und Staub belegt, sondern »mint condition«. »Es ist ja ein völliger Irrglaube«, stellt Daniel gleich klar, »dass die alten Mikrofone so toll klingen, weil sie über die Jahre etwa abgenutzt wären und an Klangqualität verloren hätten. Im Gegenteil, die Mikrofone müssen gewartet und in absolut gepflegtem Zustand sein.«

Mikros sind praktisch überall im Raum platziert − der Gesamtsound entsteht aus der Summe vieler Einzelsignale. Für Daniel ist es aber nicht allein die Erfahrung eines Tonmeisters, denn er lässt sich bei der Positionierung vor allem auch durch seine Intuition leiten. »Nur die Erfahrung allein nützt einem leider auch nichts. Sicher kann ich bei der Begehung des Aufnahmeraumes schon in etwa sagen, dass der Decca-Tree ein wenig höher oder tiefer aufgestellt werden muss − das ist dann die Erfahrung. Hier aber siehst du z. B., dass ich hinter dem Decca-Tree zwei U47 als Groß-AB aufgestellt habe − das ist weder eine Regel, noch ist es irgendwie logisch; auch keine Erfahrung. Es ergibt zusammen mit den drei KM53 am Tree eine interessante Färbung. Das nächste Mal mache ich das vielleicht wieder ganz anders.«

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Ich überlege mir schon vor der Aufnahme, wie ich das Orchester aufstellen möchte. Ich schaue mir die Partitur an und höre mir die Musik vorab an. So entsteht im Kopf schon mal ein Klangkonzept, das zum Bild und zum Thema des Films passt, denn das muss ich einfangen mit der Aufnahme. Man entscheidet dann meistens gemeinsam mit dem Komponisten und Dirigenten, aber im Prinzip ist es bei einer Filmmusik meine Verantwortung, ob ich die Celli ganz rechts oder mehr in der Mitte haben möchte usw.«

Auf diese Weise gestaltet Daniel einen Orchesterklang, der weit mehr Aspekte besitzt, als dass man ihn so mit nur einem Stereomikro einfangen könnte. »Generell muss man für Filmmusik alles viel detaillierter aufgenommen haben als für Klassik. Und das braucht viele, viele Mikrofone. Es ist generell eine Illusion, zu glauben, man könne mit der perfekten Position mit einem Stereomikrofon die perfekte Aufnahme machen. Es gibt schon gelungene One-Point-Aufnahmen, aber die Emotion kommt dabei dann nicht mehr so rüber.

Unser Gehör kann ja viel mehr und hört selektiv. Ich kann an eine Flöte ranzoomen oder ich kann mich von der gleichen Position aus ins Klangbad des ganzen Raumes begeben. Mikrofone hören aber ganz anders, und deshalb muss man, wenn man ein Orchester gut aufnehmen will, möglichst all seine Attribute berücksichtigen. Das sind Größe, Weite, die Ambience und der Schmelz − und für diese Paramater braucht’s schon mal fünf Positionen von Hauptmikros. Hat man z. B. beim Dirigentenplatz ein Hauptmikro − sei es AB oder der Decca, dann hat man den Körper, aber es fehlt einem die Breite. Also kommen Outtrigger Mics (außen links und rechts vom Decca) zum Einsatz. Nun fehlt evtl. noch die Größe, dafür war hier jetzt das U47-AB-Paar. Meistens habe ich noch mal weitere Hauptmikrofone schwebend über den Streichern, etwas unterhalb des Decca-Tree. Das ergibt eine gewisse Kernigkeit im Klang. Für den Raum braucht es jetzt noch mindestens vier Ambi-Mikrofone, und für Intimität und Wärme zudem mehr Stützmikrofone als es bei klassischen Aufnahmen der Fall wäre. Bei den Celli, wo ein Großteil der Wärme herkommt, verwende ich z. B. ein Topmikrofon wie das M49 und 2-4 untere Stützen, wobei diese auch wirklich gut sein müssen. Da nehme ich meistens U47, denn das ergibt für mich einfach den besten Cello-Klang fürs Kino.«


Idee und Klang Studio. Zurück in Basel ging’s in Daniels Studio mit zusätzlichen Overdubs weiter. Auch der 5.1-Mix der Filmmusik wurde hier gemacht, wobei pro Stück zum Teil bis zu 180 Spuren zusammenkamen.


Klangideal Hollywood 

»Ich habe mir früh schon überlegt wie Filmmusik eigentlich klingen muss. Über Hollywood-Filme kann ja jeder denken was er will, aber die Tonspur, die Musik, die Mischung − das ist einfach immer erste Sahne. Bei vielen deutschen und auch Schweizer Filmen habe ich immer den Eindruck gehabt, dass es klein klingt − es sind keine schönen Farben, die ich da höre. Aber ich habe irgendwann festgestellt, dass ein Orchester, das − egal ob in der Klassik oder in der Filmmusik − mit den alten Mikros aufgenommen wurde, durchaus schöner klingen kann. Das bedeutete für mich dann: Ich musste eine Sammlung an historischen Mikrofonen aufbauen. Wenn ich alte Mikrofone am Decca-Tree habe, z. B. die legendären Neumann M50 oder M49 oder auch ein KM53 − dann kriege ich einen gewissen Sound hin. Darüber hinaus habe ich dann die Erfahrung gemacht, dass der Sound mir auch weniger gefällt, wenn ich diese Mikros direkt an ein SSL oder Neve anschließe. Also habe ich mich auf die Suche nach den passenden Vorverstärkern gemacht. Fündig wurde ich wiederum bei der Röhrentechnik, und zwar bei den Lorenz-Vorverstärkern aus der DDR! Sie waren damals ein Konkurrenzprodukt zum V76 von Siemens, welche ich auch verwende. Durch die Lorenz-Preamps entsteht eine wunderschöne Wärme. Aber sie klingen auch sehr präzise, was sehr wichtig ist, denn es geht hier nicht einfach um einen Röhrensound − ein Orchester braucht eine gewisse Größe und Räumlichkeit, und das geht mit den Lorenz-Vorverstärkern sehr gut. Mit das Wichtigste ist dann aber noch die digitale Wandlung.

Wenn ich − ich sag’s mal ein bisschen hart − mit mittelmäßigen A/D-Wandlern arbeite, werde ich überhaupt nicht glücklich. So gesehen sind die heutigen Wandler sicher gut, und es fehlt ja auch nichts an einer solchen Aufnahme. Aber ich habe mich beim Durchhören der aufgenommenen Musik oft gefragt, warum ich trotz des insgesamt doch guten Klangs nicht von der Musik berührt bin. Und ein tolles Orchester, das mit diesen tollen Mikrofonen und Vorverstärkern aufgenommen wird, müsste einen doch viel mehr berühren! Diesen Moment habe ich erst gefunden mit A/D-Wandlern der Spitzenklasse. Da verwende ich jetzt die Wandler von EMM Labs. Ich habe die in mehreren Doppelblindtests geprüft und kann sagen, dass sie mit Abstand die musikalischsten Wandler sind.«

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