Im Studio mit Keith Richards und Dave O'Donnell

Mixpraxis – Keith Richards Crosseyed Heart

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Mix-Engineer Dave O’Donnell über die Arbeit mit dem Stones-Gitarristen

»Keith ist sehr charismatisch, und sehr smart«, weiß Dave O’Donnell zu berichten, der als Mix-Engineer das dritte Solo-Album des Stones-Gitarristen mitproduziert hat. Was ansonsten in technischer Hinsicht über die Produktion von Crosseyed Heart zu sagen ist — wir haben nachgefragt.

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Keith-Portrait

»… außerdem liest er viel und hat den Erdball schon ein paar Mal umrundet«, schwärmt O’Donnell weiter. »Er ist ein sehr intelligenter Typ und ein scharfer Beobachter. Trotzdem ist er ganz down-to-earth und bescheiden. Er markiert nicht den Superstar, sondern behandelt alle gleich. Wenn er ins Studio kommt, begrüßt er jeden, und wenn er geht, verabschiedet er sich von jedem auf die gleiche Weise. Jeder bekommt seine Wertschätzung.

Keith liebt die Studioarbeit und ein Teil davon zu sein. Er weiß jeden zu schätzen und lässt jeden seine Arbeit machen. Natürlich hat er schon eine Menge Aufnahmen gemacht und versteht den gesamten Prozess. Es macht ihm Spaß, uns arbeiten zu sehen, selbst wenn wir nur irgendein technisches Problem lösen.«

Elder Statesman of Rock 

Diese Beobachtungen von Dave O’Donnell, der Keith Richards’ drittes Soloalbum Crosseyed Heart aufgenommen und gemischt hat, bestätigen Richards gegenwärtigen Status als »Elder Statesman of Rock«. Es gab auch andere Zeiten. In den Siebzigern führte Richards die Liste jener Musiker an, denen man einen frühen Tod prophezeite, denn selbst unter Rock’n’Rollern galt sein Drogenkonsum als exzessiv. Legendär waren auch seine Konflikte mit Gesetz und Strafverfolgung. Keith Richards hatte ein dunkles, ja bedrohliches Image. Doch gelang ihm über die vielen Jahrzehnte, die seine Karriere inzwischen andauert, eine glaubhafte Transformation.

Aus der einstigen Nachtgestalt wurde eine allseits verehrte graue Eminenz des Rock’n’Roll. Allein die Tatsache, dass Richards im zarten Alter von 71 Jahren noch immer quicklebendig ist, nötigt einem Respekt ab. Zumal er mit seiner Autobiografie Life (2010) sogar die Bestsellerlisten stürmte [ein sehr gut geschriebenes Buch, auch für Nicht-Stones-Fans höchst lesenswert; Anm. d. Übers.].

Nach dieser Lebensbeichte fällt es dem Gitarristen − und vielleicht auch dem Publikumumso leichter, sich auf das zu konzentrieren, was Richards’ Leben eigentlich ausmacht: die Musik. Seine tiefe Liebe zur Musik ist auch Thema eines neuen Dokumentarfilms über ihn, Under the Influence von Morgan Neville. Der doppeldeutige Titel bezieht sich nämlich nicht auf den Einfluss von Drogen, unter dem der Stones-Gitarrist jahrelang stand, sondern auf seine musikalischen Einflüsse, die ein gut aufgelegter Keith Richards en detail aufdröselt, während er Songs seines neuen Albums darbietet.

Studio-Mischpult-Keith
“… es gibt keinen großen Geheimknopf oder den magischen Regler. Der Sound kommt wirklich aus den Händen, der Gitarre und dem Verstärker.” (Bild: KEVIN MAZUR, J. ROSE, MARK SELIGER)

Crosseyed Heart erschien ganze 23 Jahre nach Richards’ letztem Soloalbum Main Offender (1993), das wiederum fünf Jahre nach seinem Solo-Debüt Talk Is Cheap (1988) veröffentlicht wurde. Auf allen Alben vertreten ist eine Auswahl von befreundeten Musikern, die Richards unter dem Bandnamen »X-Pensive Winos« um sich schart. Während die ersten beiden Soloalben von der Kritik eher verhalten aufgenommen wurden und nur mittlere Chartpositionen erreichten, stieg Crosseyed Heart in vielen Ländern in die Top 10, u. A. in den USA, Großbritannien und Deutschland; in Österreich war es gar die Nummer 1. Die Kritiken sind größtenteils überschwänglich: »sein exzentrischstes und bislang bestes Solowerk«, »ein großartiges Album, das einem der Gründungsväter des Rock würdig ist« und »mit Abstand sein gelungenstes Album bisher«, schrieben Rezensenten. Viele Kritiker lobten auch die relaxte und spontane Atmosphäre dieser »losen Sammlung von no-nonsense Blues-Tracks«, mit ihrer »angenehm schmutzigen Klangtextur und reduzierteren Arrangements als auf einem Stones-Album.«

Offensichtlich hatte Keith Richards eine gute Zeit mit seinen Mitmusikern, darunter die X-Pensive Winos Steve Jordan als Co-Produzent, Co-Songwriter und Schlagzeuger, der Gitarrist Waddy Wachtel, der Keyboarder Ivan Neville und die Background-Sängerin Sarah Dash. Als Gäste wirkten mit: der Keyboarder Spooner Oldham, Larry Campbell an der Pedal Steel Guitar sowie Aaron Neville und Norah Jones. Die musikalische Palette reicht von Robert-Johnson-Style Acoustic Blues (das Titelstück), bis hin zu rockigen Titeln im Stil der Stones wie Trouble und Heartstopper, dazu Reggae (ein Cover von Gregory Isaacs Song Long Overdue), Folk (Ledbetters Goodnight Irene) und mehrere wunderschöne Balladen wie Robbed Blind, Suspicious und Illusion. Mit immerhin 15 Titeln und einer Spielzeit von fast einer Stunde hat das Album dennoch kaum Längen.

Die entspannte Atmosphäre des Albums verdankt sich u. a. der Art, wie Jordan und Richards das Projekt angingen. Lange Zeit machten sie sich nämlich selbst glauben, dass sie gar kein Album aufnehmen, sondern lediglich ein paar Ideen festhalten. Im Film Under the Influence erzählt Jordan, dass der erste Impuls, Richards ins Studio zu locken, von ihm ausging. Der britische Schlagzeuger hatte gehört, wie Richards in einem Interview bekundete, sich aufs Altenteil zurückziehen zu wollen. Jordan war nicht sonderlich angetan von der Idee und schlug Richards vor, gemeinsam ins Studio zu gehen. Natürlich reflektiert die relaxte Atmosphäre aber auch Richards Naturell und Temperament.

Unrühmliche Seiten, Songwriting und kluge Arrangements 

»Anfang 2011 hatten Keith und Steve eine Zeitlang im One East Recording Studio in Manhattan gearbeitet, wo die beiden zusammen improvisiert und Songs geschrieben haben«, erklärt O’Donnell. »Im März 2011 lud mich Steve, mit dem ich viel gearbeitet habe, in die Germano Studios ein, ebenfalls in Manhattan, wo schließlich der größte Teil des Albums aufgenommen wurde. Sie sagten, sie hätten nicht vor, ein Album aufzunehmen, sondern wollten nur einiges Material aufnehmen, an dem sie gearbeitet hatten. Anfangs arbeiteten wir vielleicht zwei Tage pro Woche und haben an jedem Tag einen Song aufgenommen. Es war alles sehr relaxed. Du weißt ja nie, wie Leute drauf sind, bis du mit ihnen arbeitest, und Keith hat einfach ein unglaubliches Feel. Wie er spielt, ist vollkommen natürlich. Da wirkt nichts angestrengt.«

Neben den Songs − die Texte behandeln teilweise die unrühmlicheren Seiten von Richards’ Lebensgeschichte − überzeugen auch die klugen Arrangements und die musikalischen Gäste. Und nicht zuletzt das warme, tiefe Klangbild von Crosseyed Heart, das Erinnerungen an die 70er weckt und doch zeitgemäß wirkt. Richards selbst punktet mit überraschend starken Vocals und formidablem Gitarrenspiel. Schon im vom ersten Ton an straft er all jene Lügen, die behaupteten, er sei längst nicht mehr der Gitarrist, der er einst war, und ruhe sich auf seinen Lorbeeren aus. In der Tat vermittelte manches Stones-Konzert der jüngeren Vergangenheit mitunter diesen Eindruck. Doch insbesondere auf dem Solostück, das dem Album seinen Namen gibt, zeigt Richards seine beeindruckende Fingerfertigkeit mit einem tight swingenden, akustischen Blues im Stil der 1930er.

Wir sprachen mit dem Mann, der all diese großartigen Performances festhielt und zu einem faszinierenden Hörerlebnis formte, Dave O’Donnell. »Allzu grelle Sounds habe ich nie gemocht«, beteuert der Toningenieur und Mixer. »Manche Leute halten Keith für ›unpräzise und schlampig‹, aber er ist ein unglaublicher Gitarrist! Er ist ein alter Blueser. Das Feeling kommt einfach aus ihm raus, und er war auch immer in-tune. Wenn er eine Akustikgitarre in die Hand nimmt, ist er kaum zu stoppen, er spielt das Teil rauf und runter − sehr beeindruckend! Er braucht keine Tricks und Knalleffekte; what you see is what you get! Wenn er elektrisch spielt, benutzt er nur sehr wenige Effektpedale, meist spielt er direkt in den Amp. Und so bekommst du eigentlich auch die besten Sounds: Stöpsel eine richtig gute Gitarre in einen netten Verstärker und spiel nicht zu laut! Auf diese Weise bekommst du einen viel besseren Ton. Das gilt auch für Akustikgitarren. Du hörst die Dynamik, und Keith hat das drauf. James [Taylor] genauso. Sie können sehr leise spielen, mit einem tollen Ton, und plötzlich hauen sie voll rein. So bekommst du bei vielen Instrumenten einen schönen Ton.«

Sei immer Aufnahmebereit! 

»Beim Eröffnungsstück kam er eines Tages an mit einer 1940er Martin Akustikgitarre und sagte zu Steve: ›Ich hab da was, das ich dir vorspielen will.‹ Pierre de Beauport, Keiths Gitarrentechniker, und ich wissen beide: Wenn Keith spielen will, musst du für eine Aufnahme gerüstet sein. Wenn ich oder unser Assistent Kenta Yonesaka nicht rechtzeitig da sein konnten, um die Mikrofone zu positionieren, hat Pierre es getan. Keith nahm also seine Gitarre aus dem Case, spielte und sang, und am Ende meinte er: ›Das ist alles, was ich habe.‹ Das war’s. Es war nur ein Take, und alle liebten es. Ein toller Blues, der zeigt, was für ein umwerfend guter Spieler er ist. Die Mikrofone, mit denen wir Keiths Gitarre bei diesem Stück abgenommen haben, waren ein Telefunken M260, nah positioniert, dazu ein Großmembranmikro, etwas weiter weg, vermutlich ein Neumann U47-Röhrenmikro. Keith sang in ein Shure SM7, das mit Nierencharakteristik arbeitet und daher nicht viel Gitarre mit aufgenommen hat [weitere Details siehe Kasten].

Studio-Session-Keith
„Sie haben nichts zu Reparieren versucht, und wir haben auch keine ausgefeilten Edits in Pro-Tools gemacht. Es war also alles ziemlich Live.“ (Bild: KEVIN MAZUR, J. ROSE, MARK SELIGER)

Recording des Titelsongs 

Die Aufnahme es Titelstücks war jedoch eine Ausnahme. Laut O’Donnell arbeitete Richards bei den Sessions im Germano die meiste Zeit nur mit seinem Schlagzeuger und Songwriting-Partner Steve Jordan, wobei Richards Gitarre spielte und dazu einen Guide-Vocal sang. Die Lead- und Backing-Vocals sowie die übrigen Instrumente wurden später als Overdubs aufgenommen. »Keith spielte meist E-Gitarre«, erinnert sich O’Donnell, »während Steves Schlagzeugset im der hinteren Ecke des Aufnahmeraums aufgebaut war, sodass Steve in Richtung Control-Room blickte.

Der Raum ist vielleicht 10 Meter lang. Keith hatte Blickkontakt zu Steve, stand also mit dem Rücken zum Control-Room. Die Gitarre hatte ausreichende Lautstärke, war aber nicht so laut, dass sie das Schlagzeug übertönte. Wir waren aber auch gar nicht auf maximale Trennung aus. Keith verwendete einen Kopfhörer, wenn er sich selbst singen hören wollte, und Steve hatte einen Bodenmonitor, wie man ihn auf der Bühne verwendet, damit er Keith singen bzw. die Gitarre lauter hören konnte, wenn er das wollte. Bei den Basic-Tracks zum Song Illusion hat Keith Klavier gespielt, und bei ein paar anderen wie Goodnight Irene und Robbed Blind Akustikgitarre.«

No edits necessary live-recording im Studio

»Fast alle Basic-Tracks haben Keith und Steve zusammen eingespielt, und wenn etwas nicht stimmte, haben sie’s einfach nochmal aufgenommen. Sie haben nichts zu reparieren versucht, und wir haben auch keine ausgefeilten Edits in Pro Tools gemacht. Es war also alles ziemlich live.

Die Songs entstanden auf verschiedene Weise. Einige hatte Keith schon vor den Aufnahmen geschrieben, beispielsweise Robbed Blind, andere hat er mit Steve zusammen geschrieben und improvisiert. Es wurde überhaupt viel improvisiert, und wenn sie eine Idee hatten, die sie behalten wollten, haben sie weiter daran gearbeitet. Es ging alles ziemlich flott. Sie spielten zusammen ein paar Takes ein, kamen dann in den Control-Room, um sich die Sachen anzuhören, und sind dann wieder rein, um es nochmal zu spielen, oder sie entschieden sich, die Sounds zu verändern, und haben erst dann den Song nochmal gespielt. Wenn die Aufnahmen zu einem Song länger andauerten, haben sie ihn sich an einem anderen Tag nochmal vorgeknöpft. Manche Songs haben sie länger als nötig gespielt, sodass wir entweder ein Fade-Out gemacht oder geschnitten haben. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir zwischen verschiedenen Takes hin und her geschnitten hätten.«

Auf analoges Tape 

In diesem frühen Stadium nahm O’Donnell alles auf 24-Spur-Analogband auf und als zusätzliche Sicherheitskopie in Pro Tools mit 96-kHz/24-Bit-Auflösung. Laut O’Donnell trug der Einsatz einer Bandmaschine maßgeblich zum warmen Klang des Albums bei. »Wir nahmen auf eine Studer A827 mit 15 IPS (38 cm/s) auf, weil wir den satten Bass wollten, den man damit bekommt. Ich bin ein riesiger Fan der Stones, und obwohl wir keinerlei Absicht hatten, das Album nach Stones klingen zu lassen, ist klar, dass es mit Keith Richards im Aufnahmeraum darauf hinausläuft. Obwohl ich mich mit Keith vorab kaum über seine Klangvorstellungen unterhalten habe, wusste ich, dass er auf diesen analogen Sound steht. Steve ebenfalls, weitestgehend. Außerdem hatten wir immer auch eine Stereobandmaschine für Tape-Slap [kurzes Bandecho] laufen; durchgängig, sowohl bei den Aufnahmen als auch beim Mixen.

Wann immer Keith reinkam, um sich die Sachen anzuhören, sah er zwei Bandmaschinen laufen. Das hat ihm große Freude bereitet! Tape hat definitiv einen bestimmten Charakter, und für diese Musik war er Teil des Sounds und wichtig, um den richtigen Vibe zu kreieren. Kick und Snare, manchmal auch das gesamte Kit, haben wir ziemlich ›heiß‹ aufgenommen, um etwas Bandkompression zu bekommen; aber die Gitarren haben das nicht wirklich gebraucht. Steve und Keith wären glücklich, komplett analog zu arbeiten. Ich ebenfalls, aber die Digitaltechnik bietet schon einige Vorteile, vor allem, wenn du gar keine Platte aufnehmen, sondern nur ein paar Ideen festhalten willst. Mit Tape hast du immer diese Panik: ›Oh, die spielen ein super Take, ist noch genug Band auf der Spule?‹ Und dann hoffst du fast schon, dass die Musiker aufhören oder einer einen Fehler macht! (lacht) Mit Pro Tools kannst du einfach aufnehmen, so lange du willst. Keith hat seinen Bass auf Tape overdubbt, aber danach haben wir im Allgemeinen die Sachen auf Pro Tools überspielt, um den Vorteil unbegrenzter Spuren zu haben, damit wir mehr experimentieren und weitere Overdubs einspielen konnten.«

Keith Richards bedient auf diesem Album eine beeindruckende Palette an Instrumenten selbst. Außer elektrischer und akustischer Gitarre spielte er auch Bass, Klavier, Wurlitzer, Farfisa-Orgel, elektrische Sitar sowie Tiple [ein kolumbianisches Gitarreninstrument], und natürlich sang er seine Lead- und Backing-Vocals ein. »Steve wollte so viel Keith wie möglich auf dem Album; er wusste genau, dass Keith auf einigen der großen Stones-Songs  den Bass gespielt hatte«, erzählt O’Donnell. »Auch für dieses Album entwickelte Keith viele einzigartige Bassparts, wie sie ein Bassist nicht unbedingt spielen würde. Aber Keith spielt melodisch und rhythmisch, und außerdem reagiert er auf sein eigenes Gitarrenspiel, deshalb fallen ihm originelle Sachen ein!«

Keith Richards’ Gitarrensounds 

Über Richards’ Gitarrensounds sagt O’Donnell: »Wie bei jedem Instrument liegt der Sound eigentlich in den Händen des Spielers. Wenn du Keiths Gitarre einem anderen Gitarristen geben würdest, klänge sie völlig anders. Natürlich machen die Gitarre und der Amp schon einen Unterschied, und meist reichte Pierre [de Beauport] Keith eine Gitarre. Er spielte fast alles über einen Fender Champ, auf jeden Fall alle seine Rhythmusparts.

Die Gitarre, die er für die Rhythmusparts am häufigsten verwendete, war seine berühmte ›Micawber‹ 1953er Fender Telecaster in Open-G-Tuning mit nur fünf Saiten − die tiefste Saite wurde entfernt. Das ist seine Hauptgitarre für Riffs. Die Soli und die Akustikgitarre spielte er meist in normaler Stimmung. Natürlich kannte ich die Gitarrensounds auf den Aufnahmen der Stones und auch auf denen der X-Pensive Winos, aber ich hatte keine Absicht, die nachzuahmen. Ich wollte einfach nur Keith und die anderen Musiker so gut wie möglich aufnehmen. Ich habe getan, was ich für gewöhnlich tue: Ich habe ein Shure SM57 nahe an der Box positioniert. Manchmal war es auch ein Sennheiser MD421. Weil wir nur zwei Tage pro Woche aufgenommen haben, mussten wir regelmäßig abbauen und neu aufbauen, sodass ich möglicherweise die Mikros gewechselt habe. Aber im Allgemeinen war es das 57 und oft ein 421 dazugemischt. Bei manchen Songs hatten wir ein Royer R-121 hinter der Box für zusätzlichen Bass und ein Beyer Dynamic M160 für etwas Raumklang.

Für die Positionierung laufe ich immer ein bisschen herum und lausche. Das nahe Mikrofon ist selten direkt auf die Kalotte gerichtet, sondern immer seitlich davon und leicht gewinkelt. Manchmal wechsle ich das SM57 gegen ein anderes Exemplar aus, da die alle etwas unterschiedlich klingen.

Als Mikrofonvorverstärker verwendeten wir die AMS Neve 1084 der Germano Studios. Möglicherweise haben wir bei machen Aufnahmen einen 1176 benutzt, aber wenn, dann nur minimal. Zur Sicherheit haben wir auch das DI-Signal mit dem Hintergedanken mitgeschnitten, das wir es später, falls nötig, für Re-Amping verwenden könnten. Aber dazu ist es nie gekommen. Wenn der Sound ihn zum Spielen inspiriert hat, war es offensichtlich der richtige.«


So wurde Keith Richards Akustikgitarre aufgenommen

»Die Gitarre für Crosseyed Heart haben wir mit einem neuen Telefunken M260 aufgenommen, das die Germano Studios kurz zuvor gekauft hatten. Ich bin skeptisch, was neue Mikrofone angeht, weil die alten schon so lange im Gebrauch sind und du weißt, was sie können. Aber das hier klang fantastisch. Ich habe es sofort geliebt und es später bei James [Taylor] verwendet. Das zweite Mikro, mit dem wir seine Akustikgitarre aufgenommen haben, war ein Großmembran, ein [Neumann] U47 mit Röhre oder vielleicht auch ein [Telefunken Ela] M251 (vielleicht auch das im Bild gezeigte RCA 44 Ribbon?; Anm.d.Red.). Keith sang in ein Shure SM7. Alle Mikros gingen über die AMS Neve 1084-Mikrofonvorverstärker auf die Bandmaschine. Das M260 habe ich zwischen dem Schallloch und dem Halsübergang positioniert und leicht zu ihm hin gewinkelt. Das andere Mikro war zwischen 2 und 3 Fuß [ca. 60 — 90 cm] vom Body der Gitarre entfernt.

Keith-Gitarre-Studio
(Bild: KEVIN MAZUR, J. ROSE, MARK SELIGER)

Akustikgitarren sind schwierig aufzunehmen, weil der Gitarrist sich ziemlich stark bewegen kann. Aber ich mag schon diesen Sound zwischen dem Schallloch und dem 14. Bund, denn er ist sehr definiert. Oft positioniere ich das Mikro mit nur 15 cm Abstand zur Gitarre, aber wenn der Sound zu sehr wummert, vergrößere ich den Abstand etwas. Das Mikro auf den Hals auszurichten, hat für mich nie funktioniert. Die Position des anderen Mikrofons finde ich, indem ich im Raum genau hinhöre, und auch, indem ich auf die Phase achte. Manchmal klingt es [d. h. die beiden
Mikrofone zusammen] schrecklich out-of-phase, dann verschiebst du das Mikro ein bisschen, und plötzlich hast du einen guten Sound. Je nach Raum kann das zweite Mikro kann Nieren- oder Kugelcharakteristik haben. Wenn ich einen Gitarristen aufnehme, der Fingerpicking spielt, wie in diesem Fall Keith, verwende ich bei der Aufnahme einen 1176, nur für den Fall, dass ein scharf gespielter Attack über das nahe Mikro zu sehr knallt. Die beiden Mikrofonsignale panne ich ein bisschen auseinander; später haben wir noch ein bisschen Hall drauf gegeben. Mir hat der trockene Klang gefallen, aber Keith wollte ein bisschen mehr Raum drum herum, also haben wir ein bisschen Bricasti Reverb dazu gemischt, oder vielleicht war’s auch das alte EMT 250.«


Gitarren-Overdubs

»Bei den Gitarren-Overdubs haben wir mehr Zeit darauf verwendet, verschiedene Sounds zu finden und haben deshalb manchmal die Mikros ausgetauscht. Je nachdem, welchen Sound Steve und ich wünschten, haben wir Mikros wie das SM57, MD421, U47 fet oder ein [AKG] C12 verwendet. Keith hat weiterhin fast immer über den [Fender] Champ gespielt,  gelegentlich hat er aber auch einen Watkins Amp verwendet. Pierre hat ihn mit verschiedenen Gitarren versorgt und gelegentlich ein Effektpedal vorgeschlagen, um einen bestimmten Sound zu kreieren.

Lead-Gitarre kann laut sein, um einen spezifischen Ton zu erreichen, deshalb haben wir hier mehr Ambient-Mikrofone eingesetzt, um den Sound größer und aufregender zu machen. Die Lead-Gitarre kommt und geht für gewöhnlich, daher kann sie im Track mehr Raum einnehmen.

Keith sind viele interessante Gitarrenparts eingefallen, aber auch hier waren die Overdubs sehr Feel-basiert. Er hat sich was ausgedacht, spielte ein paar Takes ein und hat danach seine Idee vielleicht weiter verfeinert und nochmal gespielt. Einige der Overdubs haben wir zusammengeschnitten, aber eher so die eine Hälfte von dem einen Take und die zweite Hälfte von einem anderen. Es ging immer darum, den Spirit einzufangen, nie um perfekte Noten.«

Drum-Recordings

»Steves Drums haben wir ebenfalls mit verschiedenen Mikros aufgenommen. Oft hat er seinen Sound für jeden Song verändert. Meist hatten wir ein MD 421 und ein [Neumann] U47 fet an der Kick, an der Snare war oben und unten ein SM57, und die Hi-Hat wurde mit einem [Neumann] KM84 oder KM184 abgenommen. Steve hatte ein zweites Kit in der anderen Ecke, das wir sogar noch spärlicher mikrofoniert hatten. Der größte Teil des Schlagzeug-Sounds kam von den Overheads; das konnten Coles [4038 Bändchen], Telefunken CineMics oder Neumann U67 [Röhrenmikrofone] sein.

Keith und Steve waren entschieden gegen eine Multi-Nahmikrofonierung fürs Schlagzeug. Die generelle Vorstellung war ein eher offener, rauer Sound für das Album. Ich würde sagen, dass wir bei diesem Album weder Lo-Fi noch Hi-Fi anstrebten, sondern so etwas wie einen Mid-Fi-Sound, eher wie der Rock ’n’ Roll der 70er.«

Bass

»Seine Bass-Overdubs hat Keith im Control Room eingespielt. Wir haben seinen Bass mit einer Avalon Tube-DI aufgenommen und gleichzeitig den Ampeg Bass-Amp des Studios abgenommen. Im Allgemeinen mag ich ein Neumann U47 fet vor der Bassbox, aber die Mikros wechselten. Wir verwendeten auch ein Electro-Voice RE20 oder ein Sennheiser MD441. Es war aber immer nur ein einziges Mikro; wir nahmen das, was uns am besten gefallen hat. Die Bass-DI und den Amp haben wir auf separaten Spuren aufgenommen, die wir später nach Gusto zusammengemischt haben.«

Gastmusiker

»Der unglaubliche Waddy Wachtel hat auf einem halben Dutzend Tracks gespielt und zwar über den Watkins Amp, den wir auf ähnliche Weise abgenommen haben, mit einem SM57 und MD421, einem Neumann U87 und einem U47 mit Röhre als Raummikro. Keith spielte das Upright-Piano des Studios, das ihm sehr gefallen hat. Wir haben den Deckel und die Front abgenommen und es mit einem Paar Neumann U87 von hinten sowie einigen AKG C414 von vorne aufgenommen. Alles, einschließlich der Drums, ging durch die AMS Neve Preamps, entweder 1084 oder 1081. Wenn die nicht verfügbar waren, haben wir den Chandler TG MK II genommen.«

Noch weitere Gastmusiker kamen vorbei, um die verschiedensten Instrumente einzuspielen, u. A. Wurlitzer-Piano, Hammond-Orgel, Blasinstrumente, Fiddle, und sogar Bratsche und Viola da Gamba − die letzteren beiden Instrumente spielte Paul Nowinski, der auch den Kontrabass auf der Ballade Robbed Blind bediente. Pino Palladino spielte elektrischen Bass auf Illusion, für den Norah Jones an den Lyrics mitarbeitete; ihre bemerkenswerten Vocals wurden mit einem Neumann U47 aufgenommen. Dasselbe Mikrofon verwendete auch Richards für seine Vocal Overdubs, »… gelegentlich kam aber auch ein RCA44 [Bändchen-Klassiker] oder ein neueres Telefunken zum Einsatz.«

Alle Overdubs wurden in den Germano Studios eingespielt, mit Ausnahme der Bläser auf Lover’s Plea und Charles Hodges’ Hammond-Orgel- und Piano-Overdubs, die in den Royal Recording Studios in Memphis, Tennessee, aufgenommen wurden.


Den Artikel gibt es in der aktuellen Sound & Recording Ausgabe:

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Sound&Recording 03/16 – DAW Controller Special 

In der Sound&Recording-Ausgabe 03/16 stehen DAW-Controller im Fokus. Wir haben Ableton Push 2, NI Maschine und Komplete Kontrol S, Bitwig Surface Pro und das iPad Pro als Controller für euch getestet. In der StudioszeneD erfahrt ihr, wie die AVID S3 das Mixing von “Astronaut” von Sido und Andreas Bourani beeinflusst hat. Außerdem durften wir einen Blick hinter die Kulissen von „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ werfen. Studio-Story: Dave O’Donnell produziert Keith Richards drittes Solo-Album Crosseyed Heart. Außerdem im Heft: Testberichte zu den UAD-2-Plug-ins Eventide H 910, AKG BX20 und Cinematique Instruments Ensemblia − Update 1.5. In De/constructed nimmt Henning Verlage The Chemical Brothers – Go auseinander.

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Mix-Sessions 

»Erst als fast alles aufgenommen war«, berichtet O’Donnell, »wandelte sich die Herangehensweise von ›Wir machen nur ein paar Aufnahmen‹ zur neuen Zielvorgabe ›Vielleicht sollten wir daraus eine Platte machen‹. Wir hatten während der Aufnahmen Rough-Mixes gemacht, ohne aber viel Zeit darauf zu verwenden. Die Stones waren auf Tour, und irgendwann wurde beschlossen, das Material als Album zu veröffentlichen. Folglich musste es fertiggestellt, d. h. anständig gemixt werden. Deshalb hatten wir auch eine richtige Mix-Phase, die sich konventioneller gestaltete, insofern wir vier oder fünf Tage pro Woche arbeiteten. Keith und Steve waren die ganze Zeit in den Mix involviert. Keith wollte dabei sein; er liebt diese Art von Teamwork. Wir haben von Pro Tools ausgehend gemixt, ursprünglich im Germano, wo wir auf dem SSL Duality-Pult gemischt haben, weil viele Rough-Mixes bereits sehr gut waren und wir sie nur fertigstellen wollten. Danach sind wir ins Brooklyn Recording gewechselt, um für einige Songs deren Neve 8068-Pult zu verwenden und weil sie dort eine unglaubliche Ausstattung an Outboard haben.

Beim Mix haben wir ausschließlich Outboard verwendet, keine Plug-ins. Es war alles altes Zeug wie LA2As, 1176er, EMT-Platten und natürlich das Slap-Echo der Bandmaschine. Wie ich die Gitarren bearbeitet habe? Ich hab einfach den Fader hochgezogen! (lacht). Aber ernsthaft, es gibt keinen großen Geheimknopf oder den magischen Regler. Der Sound kommt wirklich aus den Händen, der Gitarre und dem Verstärker. Und dann natürlich übers Mikro und den Preamp. Das Mixing bestand hauptsächlich darin, die Pegelverhältnisse und das Panning zu justieren. Und ansonsten EQ-Bearbeitung auf der Neve-Konsole, wenn wir fanden, dass etwas mehr Definition benötigte.

Es gab eine ganze Menge Gitarren-Overdubs; du kannst dir das Album anhören, nur um die Gitarrenparts herauszuhören. Steve hatte immer wieder super Ideen, aber meist hatten wir die Sounds, die wir wollten, bereits bei den Aufnahmen erzielt. Es kann sein, dass einige der als Overdubs eingespielten Gitarren etwas mehr bearbeitet wurden. Wenn wir einen komprimierten Sound wollten, haben wir einen LA2A oder einen 1176 verwendet. Oder einen Distressor, der zu den neueren Geräten gehört, die ich großartig finde.

Beim Mix haben auch viel Tape-Slap verwendet. Und auch Panning ist für mich ’ne große Sache. Für Gitarren mag ich Links-Mitte-Rechts. Das dazwischen ist eher was für räumliche Sachen. Bei vielen Songs hatten wir den Vertigo VSC-2 Quad Discrete VCA Compressor auf der Summe. Wir haben den Mix sowohl auf Halbzollband als auch in Pro Tools ausgespielt und beides zum Mastering mitgebracht. Greg Calbi hat gemastert; seine erste Frage ist immer: ›Wie laut willst du’s haben?‹ Wir sagten: ›Wir wollen, dass es musikalisch klingt‹, worauf Greg antwortete: ›Okay, gut!‹ Wir wollten, dass Keiths Album modern klingt, aber nicht übertrieben höhenlastig oder komprimiert. Alles was an Verzerrungen zu hören ist, war so beabsichtigt, als wir die Sachen aufgenommen haben! (lacht).

Für mich ging es einzig darum, den Spirit einzufangen.« Das ist O’Donnell, Jordan und Richards definitiv gelungen, wie sowohl der Klang des Albums als auch sein Erfolg beweisen. Wie schrieb doch ein Rezensent über Crosseyed Heart: »Es sollte Richards’ Fans sehr, sehr glücklich machen …«

 

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