Die Macht der Klänge

Mood-Management mit Musik

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Musik, die nicht der Kunst verpflichtet ist, sondern kommerziellen Zielen und Zwecken folgt, bezeichnet man gemeinhin als »Gebrauchsmusik«. So soll uns die Hintergrundmusik im Supermarkt zum Shoppen anregen, der Klangteppich im Aufzug uns die Ängste nehmen und der Schlager während einer Kaffeefahrt die Senioren zum Schunkeln bringen. Was anspruchslos klingt, ist in der Praxis jedoch keineswegs so einfach umzusetzen. Sounddesigner in der Werbung und Komponisten fürs Kino müssen die psychologischen Wahrnehmungsmuster der Menschen sehr genau kennen und die Musik der Zielsetzung entsprechend wirksam gestalten.Gebrauchsmusik-noten-aufmacher

Verhaltensbiologisch gesehen ist Musik eine archaische, d. h. uralte Form der Kommunikation, bei der es um die Vermittlung von Gefühlserlebnissen (Freude, Trauer usw.) geht. Studien bei Naturvölkern überall auf der Welt zeigen, dass es musikalische Strukturen gibt, die universell wirken. Diese Erkenntnis ist etwa für die Werbung interessant, weil sich mithilfe klanglicher Schlüsselreize automatische Reaktionsmuster auslösen lassen.

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So bewirken prägnante und überraschende Tonfolgen (wie das Soundlogo von Intel oder der Telekom) beim Hörer zwangsläufig Hinwendungs-, sprich »Hinhör«-Reaktionen: Psychologen sprechen hier von hirnphysiologischer Aktivierung. Werbung wird dadurch stärker beachtet, und Jingles im Radio werden besser wahrgenommen. Die sogenannte Attrappenforschung lehrt dabei, dass weniger mehr ist: Stark übertriebene und/oder vereinfachte Melodiemuster (»Haribo macht Kinder froh …«) können die Wahrnehmungswirkung erheblich steigern.

Was auf den ersten Blick zwar künstlerisch schlicht (z. B. kitschig oder trivial) erscheint, erweist sich auf den zweiten Blick dafür umso verlässlicher, was die gewünschte Reaktion angeht. Etwas anders verhält es sich, wenn man mit Musik komplexere Botschaften übertragen will.

Monotone und simple Melodien können das Bezugsobjekt (z. B. ein Ladengeschäft) in ein entsprechend unattraktives Licht rücken. In einem Kaufhaus sind daher Klänge mittlerer Komplexität womöglich besser geeignet, um Vielfalt und Auswahl des Bezugsobjektes positiv zu unterstreichen.

Andere Untersuchungen zeigen, dass es vor allem der Beginn von etwas musikalisch Neuem ist, der unsere Gefühle in besonders starker Weise weckt. So ist es im Song Someone Like You die Stimme von Adele, die nach dem Klavierintro einsetzt und die uns gefühlsmäßig sofort gefangen nimmt. Bei Another Brick In The Wall von Pink Floyd ist es dagegen der Kinderchor, der für eine überraschende musikalische Veränderung sorgt. Auch der Wechsel von lauten und leisen Passagen vermag uns musikalisch zu erregen, so wie es Haydn in seiner Paukenschlag-Sinfonie (engl. »Surprise«) praktiziert hat.

Häufig reicht es schon, ein sich wiederholendes musikalisches Thema leicht zu modifizieren (etwa durch Akkordumkehrungen), um den gewünschten Neuigkeitswert zu erreichen.

Auch das Beispiel der Bitter Sweet Symphony von The Verve illustriert gut, wie sich Gänsehaut-Feeling musikalisch fabrizieren lässt: Pathetisch klingende Streicher-Ensembles lassen uns automatisch mitschwingen, wobei die Grenze zum schmalzigen Kitsch fließend ist, was der starken Gefühlswirkung jedoch nichts nimmt. Aus diesem Grund wird der Song gerne in der Werbung oder zur Untermalung von Kinofilmen eingesetzt.

I got the Power

Die psychologische Musikwirkung lässt sich anhand des Songs The Power von Snap! ebenfalls gut illustrieren. The Power wird überaus häufig in Werbeclips eingebaut und zählt zu den kommerziell meist genutzten Titeln überhaupt. Hier sind es neben dem stampfenden Rhythmus und der tiefen Tonlage vor allem auch die Lyrics, die den Erfolg ausmachen. Energie, Kraft und Ausdauer lassen sich kaum besser als durch »The Power« auf den Punkt bringen.Gebrauchsmusik-musik-hören

Kommerzielle Gebrauchsmusik muss so gesehen keineswegs originell sein, ganz im Gegenteil. Gerade der Rückgriff auf Bekanntes weckt nostalgische Retrogefühle im Gehirn (geht musiktechnisch also immer) und macht den Oldie automatisch zum Goldie.

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Die Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung von musikalischen Elementen und Gemütszuständen.

Musik wirkt über das Belohnungssystem im Gehirn wie eine Droge. Wir hören gerne, was uns Genuss verschafft. Das Lustzentrum wird entsprechend aktiviert, und so können wir von eingängigen und mitreißenden Melodien oft gar nicht genug bekommen. Innerlich verlangen wir dann nach immer weiteren Zugaben. Für Sounddesigner ist es daher durchaus lohnend zu prüfen, welche alten Rhythmen (»Gassenhauer«) sich recyceln lassen.

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Top-Ten der in der Werbung am häufigsten eingesetzten Musikstücke.

Die Macht der Melodien

Bei der Erlebnisvermittlung kann die Musik sich inhaltlich der bekannten, archetypischen Themen aus Schauspiel und Literatur bedienen. Die Gefühle des Menschen werden typischerweise durch stereotype Konstellationen wie Sieg und Niederlage, Held und Bösewicht, Jagd und Flucht, Fortgang und Wiederkehr, Liebe und Hass, Freude und Traurigkeit usw. angesprochen.

Dramatik und Spannung folgen einem klar inszenierten Aufbau. Die Musik kann diese Motive und Spannungsmuster entsprechend leicht aufgreifen. Ein harmonisches Duett in einem langsamen Tempo eignet sich etwa für Liebeslieder. Und schnelle, schräge Geigenklänge sind für Thriller vortrefflich geeignet. Übrigens beinhaltet selbst der LEGO-Movie Creator, eine einfache App für Kinder, solche vorgefertigten Musikvorlagen: Countdown, Takeoff, Showdown usw. sind typische Filmbotschaften, die sich musikalisch unterlegen lassen.

Die Macht archetypischer Melodien kann man besonders gut bei der bekannten Rocky-Filmmusik (Gonna Fly Now) beobachten. Das Lied hat den typischen Charakter einer Hymne, also einer musikalischen Lobpreisung. Als Hörer sieht man Rocky vor dem inneren Auge die Stufen des Philadelphia Museums hinauflaufen und, oben angekommen, die Fäuste in die Höhe recken. Musikalisch lassen sich solche inneren Bilder etwa durch Fanfarenklänge erzielen, aber auch durch Lautstärke und Klangsteigerungen, indem die Musik langsam anschwillt und in einem Klimax endet.

Fazit

Gebrauchsmusik soll berühren, bewegen oder auch nur beruhigen. Wer die Empfindungen von Hörern in diesem Sinne beeinflussen will (Mood-Management), dem bieten wahrnehmungspsychologische Gestaltungskriterien einen durchaus verlässlichen Orientierungsrahmen.


 

prof-dr-thomas-jendroschÜber den Autor

Dr. Thomas Jendrosch ist Professor für Wirtschafts – psychologe an der FH Westküste und beschäftigt sich mit der Wirkung von Musik und Medien auf das Konsumentenverhalten.

www.jendrosch.de

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