Hinter den Kulissen der Kölner Soundschmiede

Studioszene D − Cinematique Instruments, Köln

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Dass hinter innovativen Sample-Libraries nicht immer ganze Heerscharen von Programmierern stecken müssen, zeigt eindrucksvoll ein Besuch in der Klangwerkstatt von Cinematique Instruments. Das Team, bestehend aus zwei Masterminds und einem Mitarbeiter, lässt virtuelle Instrumente entstehen, die oft durch ihren eigenen, charakterstarken Sound überzeugen. Die Reduktion auf das Wesentliche, kombiniert mit Sounds jenseits des Mainstreams, machen viele ihrer Instrumente zu einem Geheimtipp.

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Stand bei vielen Firmengründungen eine konkrete Geschäftsidee Pate, war es bei Cinematique Instruments der Eigenbedarf, der den Stein ins Rollen brachte. Die beiden Filmkomponisten Joachim (Jumpel) Dürbeck und René Dohmen lieben es nämlich, außergewöhnliche Instrumente in ihrer Musik zu verwenden. Allerdings sind diese nicht immer sofort einsatzbereit, wenn man sie gerade in einer Produktion braucht. So kamen die ersten Überlegungen zu einem virtuellen Instrument aus rein praktischen Gründen, um einige reale Instrumente ohne vorherigen Aufwand sofort spielen zu können. Die dafür nötigen Vorkenntnisse hatte sich Jumpel schon als Keyboarder der damaligen gemeinsamen Band angeeignet: „Im Laufe der Zeit, als wir immer mehr Filmmusik gemacht haben, war z. B. die Autoharp eines der Instrumente, die schwer einzusetzen waren. Erstens muss man sie immer stimmen, was mit 36 Saiten sehr aufwendig ist, und zweitens fehlt die komplette Chromatik. Dann fingen wir an, selber die Instrumente zu sampeln, damit wir sie spielen können.“

Dabei war die aufkommende Möglichkeit, virtuelle Instrumente einfach über das Internet zu vertreiben, sehr willkommen. „Da haben wir einfach mal gesagt: Stellen wir auch mal ins Netz, mal gucken, was so passiert − und von der ersten Sekunde an ging’s los.“ Dabei setzt man bei Cinematique Instruments auch heute noch auf eine absolut faire Preisgestaltung und siedelt die meisten Instrumente im unteren, zweistelligen EuroBereich an. Somit haben sich Dürbeck und Dohmen über die Jahre hinweg eine ansehnliche Sammlung virtueller Instrumente erstellt, die in ihren eigenen Produktionen mittlerweile fast alle anderen virtuellen Klangerzeuger arbeitslos gemacht haben. Das geht sogar so weit, dass mit „Kaleidoskop“ aus der Gecko-Familie kürzlich ein komplettes Kontakt-Instrument extra für ein Filmmusik-Projekt entwickelt wurde, um damit das passende Werkzeug für eine bestimmte Soundästhetik zur Hand zu haben.

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Der Cinematique Sound

Die meisten virtuellen Instrumente von Cinematique Instruments haben einen besonderen, organischen Klangcharakter, der inspiriert und fernab ausgetretener Pfade angesiedelt ist. Diese Sound-Ästhetik entwickelte sich primär aus dem persönlichen Geschmack und aus dem Anspruch heraus, die virtuellen Instrumente in den eigenen Projekten einsetzen zu wollen. Cinematique Instruments geht es bei ihren Instrumenten nämlich nicht in erster Linie um die perfekte Simulation realer Instrumente, sondern darum, dass sich die beiden Komponisten in ihren Sounds wiederfinden, um damit eine Musik produzieren zu können, die ihre subjektive Klangvorstellung widerspiegelt. „Das ist dann aus dem Verlangen heraus entstanden, einen Sound zu kreieren und nicht die Gitarre perfekt wiederzugeben, sodass es keine echte Gitarre mehr nötig hätte. Natürlich will ich immer [echte] Instrumente benutzen. Das Sample soll aber ein Add-On sein, etwas, das alles noch erweitert.“ Dieser Sound entsteht einerseits durch die Verwendung außergewöhnlicher Soundquellen, wie z. B. eher unbekannteren Instrumenten oder einer Küche (!), anderseits aber auch schon direkt beim Sampling. „Du nimmst etwas auf, spielst es und denkst:

›Es klingt tot. Es klingt langweilig, klingt tot − okay, noch mal aufnehmen. Und noch mal aufnehmen und noch mal aufnehmen.‹ Irgendwann kommt dann der Punkt, wo du sagst: ›Jetzt fängt die Tastatur an zu leben!‹ Manchmal ist es ganz einfach, und manchmal ist es wirklich sauschwer, das hinzukriegen. Dann musst du natürlich schauen, mit Kontakt diese ganzen dynamischen Prozesse zu simulieren, die im Spiel eines Instruments ablaufen. Dazu gehört es, viel mit Anschlagsdynamik zu arbeiten und diese möglichst viel in alle Prozesse einfließen zu lassen − in die Hüllkurve, vielleicht noch in ein LowpassFilter, und und und … Damit fängst du dann an, dieses Organische, dieses Lebendige, diese Vitale noch mehr rauszuholen. Aber die Basis ist, dass dir das nackte Sample an sich schon Spaß macht zu spielen. Du merkst eigentlich recht schnell, ob das funktioniert oder ob du das noch mal neu aufnehmen musst.“

Aber auch die geschickte Nutzung von Kontakts internen Klanggestaltungsmöglichkeiten haben einen erheblichen Anteil am Sound. „Wenn ein Effekt nicht funktioniert oder nicht greift, dann fliegt er entweder raus, weil er dann unnötig ist, oder er wird so lange verändert und so lange durchgegangen, bis wir sagen: ›Jetzt ist er gut.‹ Wir sind Freunde des Spruchs − das gilt auch für die Musik − ›Keep it simple‹. Die Instrumente sollen nur das haben, was sie wirklich brauchen. Ich bin kein Fan davon, einen 3-Band-EQ auf die Oberfläche zu holen, wenn ich nicht das Gefühl habe, dass du es wirklich brauchst.“ Dieses „Keep it simple“ macht den Reiz vieler virtueller Instrumente aus dem Hause Cinematique Instruments aus. Sie lassen sich einfach bedienen, und dem User werden ausgesuchte und gleichzeitig sehr effektive Möglichkeiten zur Klanggestaltung an die Hand gegeben.

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Aber auch die Soundästhetik der meisten Instrumente folgt dieser Maxime und ist eher minimalistisch als bombastisch. Hier finden sich oftmals Kleinode, die Produktionen eine besondere Färbung und Lebendigkeit einhauchen − sowohl bei Filmmusik, aber auch eindeutig weit darüber hinaus. Dass trotz oder gerade wegen dieses Konzepts der Weg vom ersten Sample bis zur fertigen Library nicht gerade einfach sein muss, leuchtet ein, wenn man die verschiedenen Stufen betrachtet, die dafür nötig sind.

Der Enstehungsprozess eines virtuellen Instruments

Dieser Prozess ist unterschiedlich komplex und hängt u. a. stark davon ab, welches Instrument aus der realen Welt gesampelt wird. Manchmal geht alles sehr schnell, wie z. B. bei der charmant-schiefen Magnus-Orgel, dann gibt es aber auch aufwendigere Projekte, die einen ganz anderen Umfang abverlangen. Ein Projekt der letzteren Kategorie war z. B. die Auftragsarbeit für die Freeware „DrumMic’a!“ von Sennheiser, worüber wir in einer der nächsten Ausgaben berichten werden. Aber auch in der eigenen Library sind einige Schwergewichte, die gut vorbereitet werden wollen. „Sowohl bei Fabrique als auch bei den Streichern (die demnächst veröffentlicht werden; Anm.d.Aut.) ist zunächst einmal ein geistiger Vorbau nötig, der ein paar Monate dauert, dass du dir Gedanken machst: Was willst du überhaupt, was hast du vor? Dann musst du die Musiker buchen, einladen und aufnehmen. Man überlegt sich: Ich habe hier ein Instrument − welches Mikrofon passt dafür? Nimmst du ein dynamisches oder Kleinmembran, Großmembran? Das sind natürlich Erfahrungsprozesse.

 

Wir haben jetzt die Zither ganz neu− da haben wir wirklich sechs Mikrofonpärchen drüber gehalten. Dann haben wir die alle gehört und uns nachher für zwei Pärchen entschieden. Das eine war ein (Neumann) U87- und das andere ein (Sennheiser) MD421- Paar − und du kannst jetzt nicht sagen, das U87- Paar für 6.000,− Euro klingt so viel besser als das MD421 für 300 Euro. Das ist einfach auch subjektiv. Dann kommt natürlich das Unangenehmste, dass du die ganzen Samples schneiden musst. Wobei es mittlerweile ganz gute Programme gibt, die dabei ein wenig helfen. Man muss das dann ein wenig auf mehrere Leute verteilen, damit man nicht verrückt wird. Dann musst du leider das Mappen auch selber machen, das geht auch noch nicht automatisch. Ich packe dabei nicht jedes Sample einzeln an, sondern immer in Grüppchen, aber mehr als vier oder sechs Grüppchen bekommst du nicht hin. Wenn ich anfange, das zu automatisieren − Kontakt hat ja seinen Auto-Import −, funktioniert das nicht so ganz, denn jeder hat ja sein individuelles Konzept. Bei dem einen Instrument sampelst du vielleicht chromatisch, bei dem anderen in Quinten, bei jenem in Terzen, wie auch immer.

Beim einen machst du dann drei VelocityStufen, beim anderen kriegst du fünf hin, beim anderen nur zwei. Deshalb ist es schwer, einen Automationsprozess hinzukriegen. Du verteilst die Samples ja nicht linear, wenn du drei Dynamikstufen hast. Es ist ja ganz klar eine exponentielle Kurve des Anschlages, d. h., die erste Hälfte der 128 Stufen, die du hast, spielst du fast nie. Also kannst du das auch nicht linear durchziehen. Wenn du das liebevoll und gut machen willst, musst du alles ein bisschen mit der Hand nachschieben, damit es nachher auch genau den Effekt hat, den du haben willst. Wenn das gemacht ist, fängst du an, das Instrument zu tweaken, dann wieder zu verwerfen, neu aufzubauen und dann wird das Konzept erst richtig klar. Denn über die Interaktion mit den Instrumenten fällt dir ja auf einmal ein: ›Wenn du das noch kombinierst oder wenn du da den Effekt noch einbaust, wie wär’s, wenn du das rückwärts machst?‹

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Dann kommt also noch die ganze Inspiration dazu. Ja, und dann kommt irgendwann das Konzept der GUI. Wie sieht die GUI aus? Je komplexer das Programm, umso schlimmer wird’s natürlich. Bei dem neuen Gecko z. B. war das eine Katastrophe! Du weißt überhaupt nicht, wo du die ganzen Dinger hinschieben willst! Du willst ja aufgeräumt sein und nicht später eine Synthesizer- oder Mischpultober – fläche haben. Dann muss man ja auch noch dran denken, dass ich dich als Kunden ansprechen möchte, d. h.: Was lasse ich mir einfallen, damit du auch Spaß hast? Wie ist der Aufforderungsfaktor, wie bekomme ich trotz alledem noch den Spirit von Cinematique Instruments rein − also die ganzen grafischen und Designgedanken, die da mit reinspielen? Und dann kommen nachher noch die ganzen klassischen Produktprozesse, z. B. Fo – tos machen, ein Video erstellen, die Website machen, das Manual schreiben, Pressetexte, usw. Da geht dann auch noch mal ein bisschen Zeit drauf.“

Jenseits des Samplings

Dass der Spagat zwischen Sampleschmiede und Filmkomponistenteam nicht immer einfach ist, kann man sich leicht vorstellen, denn beide Bereiche haben ihre eigene Dynamik. „Teilweise ist das schon so, dass ich viele Emails bekomme und dann manchmal auch zwei bis drei Stunden am Support hänge. Es ist mir aber auch total wichtig. Wenn du schon klein bist, musst du echt einen guten Support liefern. Teilweise muss ich bei einzelnen Mails einige Tage warten, bis ich antworten kann, teilweise mache ich das alles in einem Aufwasch. Viele Leute wollen eine Rechnung haben, oder sie haben einen Festplattencrash und brauchen die Links neu. So was hält natürlich tierisch auf − das ist zwar kein Support, und ich könnte ja auch sagen: ›Selber Schuld, heb dir dein Zeug gefälligst sauber auf!‹ Aber es kostet mich ja nichts, die Links noch einmal rauszuschicken − ist aber alles Zeit. Ich habe aber auch kein Problem damit, etwas abends zu Hause am Computer zu machen oder beim Fernsehen. Man ist ja eigentlich immer im Einsatz, das Gehirn rattert ja immer weiter.

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Mit Cinematique Instruments hast du eben das Glück, dass du zu Hause am Laptop arbeiten kannst. Dann schaue ich, dass ich hier im Studio wirklich mehr das mache, was die große Maschine kann, oder dass ich hier bin, wenn ich Mikrofone brauche usw. Du kannst ja ganz viel von zu Hause aus machen, wie Webprogrammierung usw.“ Bei all den technischen Aspekten vergessen Cinematique Instruments glücklicherweise nie, dass es sich bei dem fertigen Produkt immer noch um ein Instrument handelt, das später in kreativen Prozessen eingesetzt werden soll. „Das Zweite neben diesem authentischen Charakter ist natürlich, dass wir inspirierend sein wollen. Das Instrument soll dich einfach inspirieren, es soll nicht tot daliegen, sondern es soll was mit dir machen. Es soll dich bewegen, soll dich berühren, soll dich irgendwie fordern.“ Hierbei profitiert Cinematique Instruments eindeutig von den eigenen Erfahrungen, die sie als Komponistenteam gesammelt haben. „Das ist letztendlich gesehen der Vorteil, dass wir selber User sind. Wir sind halt keine Theoretiker, die da irgendwo in einem Labor sitzen und dann Sounds kreieren und sagen: ›Ah, das müsste jetzt gut sein, das mögen die, das lieben die!‹ Jedes Instrument, jeder Sound, der unsere Schreibtische verlässt, muss uns selber gefallen oder sogar ein Projekt durchlaufen haben.“

Dieser Umstand scheint nun so langsam immer stärker bei anderen Komponisten durchzusickern, und so finden sich unter den Kunden teilweise Filmmusikgrößen wie z. B. Thomas Newman, Christopher Young, Marc Isham, Cliff Martinez, aber auch andere illustre Persönlichkeiten fernab des Filmmusikgeschäfts wie Garry Barlow (Take That), Matt Johnson (The The) oder Nina Persson (Cardigans). Wir jedenfalls sind schon gespannt, welche weiteren Leckerbissen aus dem Hause Cinematique Instruments kommen werden, und bleiben dran

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