Mixpraxis mit Paul Tingen

Mixpraxis zum Queen-Biopic Bohemian Rhapsody

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Wenn das hier zu lesen ist, dürfte sich die Summe, die der Film Bohemian Rhapsody weltweit eingespielt hat, weiter der Milliardenmarke in US-Dollar angenähert haben (aktuell: über 870 Millionen) − was gemessen an einem ein Budget von 52 Millionen Dollar schon jetzt alle Erwartungen sprengt. Bohemian Rhapsody ist zudem das mit Abstand erfolgreichste Musiker-Biopic aller Zeiten und das erfolgreichste Filmdrama ohne Action- oder Fantasy-Szenen. Den gemischten Kritiker-Urteilen zum Trotz − nichts Ungewöhnliches in der Geschichte von Queen − ist der Film mit Award-Nominierungen überschüttet worden und hat ein paar prestigeträchtige Preise gewonnen, darunter zwei Golden Globes und zwei British Academy Awards.

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Über die glänzenden Performances der Schauspieler hinaus, die die vier Queen-Musiker darstellen, gibt es einen weiteren, bislang weniger oft erwähnten Grund für den Erfolg des Films, nämlich den fantastischen Soundtrack, dessen Musik fast komplett aus Queen-Originalaufnahmen besteht. Musik wird in der Filmwelt oft als Nebensache betrachtet, dennoch wurde der Soundtrack von Bohemian Rhapsody mit einem BAFTA Award for Best Sound ausgezeichnet, namentlich an John Casali (Production Sound Mixer), Tim Cavagin (Re-Recording-Mixer), Nina Hartstone (Supervising Dialogue Editor), Paul Massey (Re-Recording Mixer) und John Warhurst (Supervising Sound and Music Editor). Auch sie wurden für einen Oscar nominiert.

Aber neben den Genannten waren drei weitere Profis am Soundtrack beteiligt, nämlich an der Original-Musik von Queen selbst. Auf den Film bezogen die Unsung Heroes hinter den Unsung Heroes sozusagen: Queens eigenes Soundteam, bestehend aus Justin Shirley-Smith, Joshua J. Macrae und Kris Fredriksson. Deren Beteiligung am Film hängt auch damit zusammen, dass Queen selbst, deren Manager Jim Beach den Film produzierte, auf vielen Ebenen in den acht Jahren seines Entstehens ins Projekt involviert waren − selbstverständlich mit besonderem Augenmerk auf den Soundtrack. Brian May und Roger Taylor werden als Executive Music Producers gelistet, Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith als Queen Music Co-Producers.

Macrae ist der regelmäßige Engineer von Queen-Drummer Roger Taylor und managt sein The Priory Studios; Shirley-Smith und Fredriksson sind die Engineers von Queen-Gitarrist Brian May und leiten dessen privates Allerton Hill Studio. Die drei Engineers haben Credits für fast alle Aufnahmen, an denen Queen, Taylor und/oder May in den letzten Jahrzehnten beteiligt waren, so auch für 14 Stücke auf Bohemian Rhapsody: The Original Soundtrack − die restlichen acht sind Original-Albumtracks.

Per Skype aus dem Kontrollraum von The Priory sprachen Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith ausführlich über die Entstehung des Bohemian-Rhapsody-Soundtracks und beschrieben dabei einige eher ungewöhnliche Vorgänge. Lassen wir die Geschichte mit einem Besuch von Sound Supervisor John Warhurst beginnen, der damit rechnete, einen gigantischen Umweg gehen zu müssen, bis das Trio ihm eine zeit- und geldsparende Abkürzung fand, die sich zudem für die Authentizität des Films als entscheidend herausstellen würde.

Die Masterminds hinter Queens OriginalMusik zum Soundtrack (v.l.n.r.): Justin, Kris Fredriksson und Joshua J. Macrae

Macrae: »Als John zu uns kam, hatten die Filmemacher vor, alle Queen-Songs, die verwendet werden sollten, neu aufzunehmen. Ich glaube, John kannte es von vorigen Filmen ohne eine solche Beziehung zum jeweiligen Künstler so, keinen Zugriff zu Original-Mastertapes zu haben, also hatte er auch diesmal vor, jede Note und den kompletten Gesang neu aufzunehmen. Sie hatten sogar schon einen Arrangeur mit viel Verständnis von Queens Musik engagiert und diskutierten, wer die Gitarrenparts einspielen könnte etc. Als John mit dem Drehbuch reinkam und fragte ›Was habt ihr denn für uns?‹ erwartete er offensichtlich nicht viel.«

Der Grund, warum Warhurst & Co. bis dahin über etwas nachgedacht hatten, was Außenstehenden völlig verrückt erscheint, ist, dass der Re-Recording Mixer, der den finalen Mix to Picture durchführt, nicht nur eine Stereomischung braucht, sondern die einzelnen Elemente (Stems), aus denen sich ein Musikstück zusammensetzt, um sie auf den Film zuschneiden und etwa mit dessen Dialogen und Soundeffekten ausbalancieren zu können.

Shirley-Smith: »Sie wollten einerseits das, was sie ›needle-drops‹ nannten, also einfach die ursprüngliche Studioaufnahme für den Film, und andererseits Konzertaufnahmen. Zu den needle-drops fragte Johns zuerst nach den originalen Mehrspur-Masters. Wir hatten sie, und sogar noch besser, auch pre-mixed Stems von manchen, da wir die Original-Mixe in der Vergangenheit schon für andere Projekte reverse-engineered hatten. Zu seiner freudigen Überraschung konnten wir ihm außerdem die Multitracks vieler Live-Aufnahmen anbieten, die also auch nicht neu aufgenommen werden mussten. Diese Live-Aufnahmen sind von guter Qualität, was den Filmmachern sehr wichtig war. Im Gespräch erkannte John mehr und mehr, wie viel Original-Queen-Material verwendet werden kann. Als er dann fragte, ob wir Stems von Spuren machen könnten, zu denen es noch keine gab, und wir wieder bejahten, konnte er sein Glück nicht fassen.«

Ein wesentlicher Grund dafür, dass Shirley-Smith, Macrae und Fredriksson so gut vorbereitet waren, als Warhurst an ihre Tür klopfte, ist, dass die drei schon lange für Taylor und May arbeiten. »Ich arbeite seit 1987 für Roger«, erklärt Macrae. »Ich spielte bis 1991 Schlagzeug in seiner Band The Cross und begann dann, für ihn zu engineeren. Das Studio ist privat, mit gelegentlicher Nutzung durch Freunde. Im vorigen Studio hatten wir ein 56-kanaliges AMEK Mozart-Mischpult, aber inzwischen arbeiten wir komplett in-the-box.«

»Ich habe früher Schlagzeug gespielt und spielte immer noch Gitarre und ein wenig Klavier«, berichtet Fredriksson. »Ich habe Musik und Engineering studiert und arbeite seit 2001 bei Brian, nachdem ich zuvor in den Mountain Studios in Montreux war. In der Welt von Queen ist so viel los, dass es ein Vollzeitjob für uns alle drei ist!«

Shirley-Smith: »Nachdem ich mich bei einigen Londoner Aufnahmestudios beworben hatte, bekam ich 1984 im Alter von 18 Jahren einen Job in den Mountain Studios. Ich gehöre also schon lang zur Queen-Familie! Die Mountain Studios waren nicht privat, also habe ich dort auch viele andere Künstler aufgenommen. David Bowie, der in der Nähe lebte, Chris Rea, AC/DC und so weiter. Wir hatten ein winziges Pult, zwei Sony 24-Spur-Maschinen und einen massiven Billardtisch. Danach besorgte Brian ein 60-kanaliges Neve VR-Pult, das immer noch da steht.«

Dass alle drei seit vielen Jahren für Queen arbeiten, macht sie zur idealen Besetzung für die Arbeit an Queen-Aufnahmen und die Handhabung des Bandkatalogs. Und es erwies sich als besonders günstig für die Entstehung des Bohemian-Rhapsody-Soundtracks.

Ein Teil des Teams: William Miller, Tom Melling, Kris Fredriksson, Joshua Macrae,
Nina Hartstone, Paul Massey, Miranda Jones, Brian May, John Warhurst, Tim
Cavagin, Louise Burton, Alistair Hawkins und Justin Shirley-Smith

Archivpflege

Fredriksson: »Wir drei sind zusammen mit Queens Archivar Greg Brooks an den Tape-Libraries beteiligt, neben unseren Studiojobs. Manchmal machen wir Überspielungen in einem der Studios, wobei die Archive selbst auf verschiedene Orte verteilt sind, je nach Format und aus Sicherheitsgründen − wir wollen nicht das Risiko eingehen, alles zu verlieren! Das Ziel ist, jede einzelne Queen-Aufnahme zu erhalten, aber weil es so viel gibt, entscheidet sich immer projektbezogen, was wir zu einem bestimmten Zeitpunkt archivieren. Vor Jahren begannen wir mit dem wichtigen Kram, den Stereo-Viertel-Zoll-Masterbändern der Alben, und kopierten sie in andere analoge Formate. Später kopierten wir sie dann nochmal digital, und 2002, als wir 192 kHz bekamen, fingen wir auch an, die Multitrack-Masters zu kopieren.«

Shirley-Smith: »Das Lustige ist, dass die Technologien umso robuster sind, je älter sie sind. Also haben wir uns bei der Archivierung auch auf sogenannte Tilgungsprojekte konzentriert, zum Beispiel U-Matic- und DASH-Aufnahmen. Das sind die anfälligsten, und wir waren nicht sicher, wie lange wir noch Maschinen haben würden, um sie abzuspielen. Analoge Tapes, insbesondere 2-Zoll, sind die robustesten.«

Fredriksson: »Die späteren Queen-Alben wurden auf zwei Mal 24 Spuren aufgenommen, also haben wir es mit 48 Spuren Audio zu tun. Wenn man auch alle Outtake-Rollen kopiert, hat man viel Material! Im Laufe der 00er-Jahre gab es die Entscheidung, 5.1-Mixe für jeden Queen-Song zu erstellen, zu dem es ein Promo-Video gibt, und ebenso lieferten wir Queen-Songs für Filme, z. B. wurde in Blades Of Glory (2007) der Song Flash verwendet. In diesen Fällen haben wir digitale Stems der Songs erstellt, und dafür mussten wir die Mixe reverse engineeren, d. h. zurückentwickeln. Erste Voraussetzung dafür war, alles sorgfältig durchzugehen, um sicherzustellen, dass wir die richtigen Takes und Edits verwenden.«

Reverse-Engineering

Shirley-Smith: »Die Gitarre und vor allem die Vocals nehmen schonmal sechs oder sieben Spuren ein, und manchmal wurden die Comps auf dem Pult erstellt, sodass es keine einzige Spur auf dem Multitrack gab, die man etwa als Lead-Vocal-Comp hätte erkennen können. In manchen Fällen, wo es so eine Comp-Spur gab, haben wir sie auseinandergepflückt und aus früheren Tape-Generationen neu zusammengebaut, weil sie damals bei manchen Songs gezwungen waren, von einem Multitrack zum anderen zu springen. Also sind wir ein, zwei Generationen zurückgegangen und haben aus denselben Takes re-compt, oft mithilfe der CEDAR Audio Restoration.«

Um sich die ungefähren Dimensionen dieses Vorgehens vorzustellen, sollte man sich die episch angelegte Arbeitsweise des Queen-Produzenten Roy Thomas Baker vergegenwärtigen − der Song Bohemian Rhapsody etwa besteht aus 180 separaten Overdubs, und das in einer Zeit (1975), in der Bandsynchronisation noch nicht möglich war. Und das »Reverse Engineering« endet keineswegs damit, die superkomplexen Overdubbing- und Editing-Schritte von Baker und anderen Queen-Produzenten wie Reinhold Mack und David Richards nachzustellen, alles in einer aufgeräumten Pro-Tools-Session anzuordnen und bei Bedarf den Sound zu restaurieren. Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith mussten diese Sessions auch neu mischen, und zwar so, dass ihre In-the-box-Versionen genau so klingen wie die ursprünglichen analogen Mixe.

Fredriksson: »Queen haben offensichtlich viel Zeit ins Songwriting investiert und jeden Song arrangiert und einstudiert, bevor sie damit ins Studio gingen, wo sie dann mit derselben Liebe zum Detail aufnehmen und overdubben würden. Der Mix war dann nochmal eine Performance für sich! Sie waren alle bestens mit dem Mischpult vertraut und nutzten jeden erdenklichen Trick, Vari-Speeding und so weiter. Wenn man die Spuren auf dem Multitrack mit den finalen Mixen vergleicht, hört man oft einen enormen Unterschied.

Shirley-Smith: »Um ihre Mixe nachzubauen, haben wir uns zunächst angesehen, wo der Song gemischt wurde, welches Pult und welches Outboard sie verwendet hatten und so weiter. Wir hatten den Original-Stereo-Mix dann zum Direktvergleich in der Session. Es ist ein sehr mühseliger Prozess, exakt den gleichen Mix hinzubekommen und ihn dann als Stem zu printen. Zu späteren Mixen gab es Recall-Notizen, aber in den 70ern und frühen 80ern war das nicht üblich, wir fanden höchstens gelegentlich mal eine Zeichnung der EQ-Einstellungen auf der Rückseite eines Tracksheets.«

Macrae: »Willkommen in unserer Welt! (lacht) Gelegentlich fragten wir Brian oder Roger, ob sie sich an den Mix erinnerten, aber wir arbeiten schon so lang mit ihnen, dass oft jemand von uns beim Original-Mix dabei war. Zudem wissen wir inzwischen, was Roger und Brian gefällt, daher laufen wir nicht in Sackgassen. UAD-Plug-ins waren bei diesem Prozess sehr hilfreich. Sie haben großartige Kanalemulations-Plug-ins, sobald man damit die Emulationen des damals verwendeten Equipments herausgefunden hat, kann man den gesuchten Sound viel schneller nach Hause bringen als mit einem zufälligen Plug-in.«

Shirley-Smith: »Ich hasse es, Dinge zweimal machen zu müssen, also sind wir sehr systematisch vorgegangen. Wir haben jedes Tape von Anfang bis Ende in Wav übertragen, auch Leerlauf-Passagen, und unsere Wav-Sammlung so protokolliert, dass wir nie wieder auf die Original-Bänder zurückkommen mussten. Aus demselben Grund haben wir nach dem Reverse-Engineering eines Mixes Stems geprintet. Diese schon vorgemixten Stems können für jedes Filmprojekt verwendet werden, und natürlich waren die Macher von Bohemian Rhapsody sehr zufrieden damit. Auf dieser Grundlage konnte [Re-Recording Mixer] Paul Massey dann seine Magie entfalten.«

Die Arbeit am Soundtrack bestand für Shirley-Smith, Fredriksson und Macrae nicht nur aus dem Reverse-Engineering alter Studio- und Live-Aufnahmen. Hinzu kamen ein neuer Mix des Live-Aid-Auftritts von 1985 und von We Will Rock You (Movie Mix) sowie ein paar neue Aufnahmen: der Opener 20th Century Fox Fanfare plus neue Takes von Doing All Right und Don’t Stop Me Now, beide mit dem Vermerk »revisited« gekennzeichnet.

20th Century Fox Fanfare

Fredriksson: »Jeder 20th-Century-Fox-Film beginnt mit dem Fox-Theme. Brian hatte die brillante Idee, das neu einzuspielen. Es macht vom ersten Moment an klar, dass Queen selbst den Fim mitgestaltet haben. Wir hatten am Ende 66 Spuren von Brians Gitarre, dazu Rogers Percussion. Wir hatten sogar viel mehr Gitarren aufgenommen, aber nur diese 66 verwendet. Ich finde es nach all den Jahren immer noch faszinierend, Brian bei der Arbeit zuzusehen: Er hatte das gesamte Arrangement im Kopf ausgearbeitet und nie auf der Gitarre gespielt, bis er ins Studio kam! Er fragte nach der Tonart und spielte dann all diese Gitarrenparts in kurzer Zeit ein. Es strömt einfach aus ihm heraus.«

Shirley-Smith beschreibt Brian Mays Signalkette: »Seine Gitarre geht in ein Treble-Booster-Pedal und dann in einen Vox AC30-Verstärker, den wir mit einem Sennheiser 421 vor – ne und heutzutage sehr oft mit einem Shure SM57 hinten aufnehmen. Beide Mikrofone laufen durch das Neve VR-Pult und werden direkt in Pro Tools auf separate Spuren aufgenommen. Wenn man die Phase auf der 57er-Spur umkehrt und sie in die 421er-Spur fadet, gibt es viel Low-End, diese Wärme und diesen Body. So lässt sich der Sound im Mix bemerkenswert anpassen.”

Doing All Right

Mit Don’t Stop Me Now und Doing All Right verhielt es sich anders: Ersterer ist einer der Hits von Queen, während Zweiterer ursprünglich von der Vorläufer-Band Smile komponiert und eingespielt wurde, zu der neben May und Taylor der Bassist und Sänger Tim Staffell gehörte.

Fredriksson: »Es mag ein wenig in die Irre führen, dass beide Songs als ›revisited‹ gekennzeichnet sind, obwohl sie auf ganz unterschiedliche Arten verändert wurden. Doing All Right ist weitestgehend eine Neuaufnahme, bis auf eine kurze Passage in der Mitte, die von einer unveröffentlichten Smile-Aufnahme von 1969 stammt − sie hatten ja einen Plattenvertrag bei Mercury Records! Man sieht sie im Film dieses Stück spielen, und dafür wollten sie es neu aufnehmen. Also machten wir eine Session mit Tim in der Abbey Road, wo er sang und Bass spielte. Alle drei Mitglieder der Original-Band singen eine Strophe, also waren sie nach 50 Jahren wieder zusammen, was ein Rekord sein dürfte!«

Dont’t Stop Me Now

Shirley-Smith: »Als wir 2011 die Remasters machten, haben wir all diese Rough-Mixes und Outtakes ausgebuddelt und eine Rhythmusgitarre gefunden, die aus irgendeinem Grund nicht benutzt worden war. Damals haben wir einen Mix mit dieser Gitarre gemacht, und für das Soundtrack-Album hat Brian jetzt alle Gitarren komplett neu so overdubbt, wie er sie heute spielt, was dem Song einen ganz anderen Charakter gibt.«

We Will Rock You (Movie Mix)

Shirley-Smith: »Der Movie Mix von We Will Rock You ist komplett der Filmszene angepasst. Im ursprünglichen Drehbuch wird zunächst gezeigt, wie Brian der Band im Studio den Anfang des Songs beibringt, dann kommt ein Schnitt zur Live-Performance. Entsprechend haben wir den Mix gestaltet. Dann ist der Ablauf im Film geändert worden: Nach der Live-Performance geht es zurück ins Studio. Da das aber nur zum Hören [des Soundtrack-Abums] keinen Sinn ergäbe, haben Roger und Brian entschieden, die klassische Fassung auf das Soundtrack-Album zu nehmen.«

Live Aid

Kernstück, finaler Höhepunkt und emotionale Auflösung des Films ist der legendäre Queen-Auftritt beim Live-Aid-Festival. Mit vier (von insgesamt sechs gespielten) Songs bilden diese Aufnahmen zudem das wichtigste Segment des Soundtrack-Albums. Den Erwartungsdruck gegenüber Schauspielern, Filmmachern sowie Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith dürfte nicht gerade verringert haben, dass der Auftritt von 1985 als »größte Rockperformance aller Zeiten« und »20 Minuten, die die Musik für immer veränderten« eingestuft worden ist. Das ist umso bemerkenswerter, da, wie Fredriksson bemerkt, »… Queen usprünglich nicht im Line-Up waren, sondern erst gebucht wurden, als das Konzert ausverkauft war − also waren nicht einmal viele Queen-Fans im Publikum!«

Shirley-Smith: »Bob Geldof sagte damals zu Jeff Griffin, dem Konzertkoordinator von BBC Radio 1, dass er das Konzert nicht mehrspurig aufnehmen dürfe, weil einige Künstler nicht auftreten wollten, wenn sie aufgenommen würden. Aber Jeff sagte ihm: ›Tut mir leid, aber das ist so ein historisches Ereignis, das kann ich nicht sausen lassen.‹ Ohne Jeff hätten wir heute keine brauchbare Mehrspuraufnahme. Allerdings war unter diesen Umständen keine perfekte Aufnahme möglich, mit nur 24 Spuren, zudem spielten die Bands kurze Sets und hatten einen sehr schnellen Umbau. Man hatte eine kreisförmige, gedrittelte Drehbühne gebaut, sodass jeder Act in seinem Drittel aufbauen konnte und die Bühne dann einfach gedreht wurde. Es war eine irre Methode, die heute noch genutzt wird. Aber obwohl jede Band ihr eigenes Live-Setup hatte, gab es Probleme mit der technischen Qualität der Aufnahmen.

Am Ende stand aber die Entscheidung, mit diesen Live-Aufnahmen zu arbeiten und sie eben so weit wie möglich zu verbessern. Aufnahmen von einem Stimm-Double haben wir nur da verwendet, wo es keine Aufnahmen von Freddie gab, etwa als er sich selbst am Klavier Happy Birthday singt. Wir alle sind zwar sehr anspruchsvoll im Hinblick auf die technische Qualität, aber man muss sie gegen die emotionale Wirkung abwägen. Du willst die Energie der ursprünglichen Performance. Niemand wird im Kino sitzen und denken: ›Oh mein Gott, da ist ein winziges Bisschen Verzerrung auf der Stimme.‹ Zudem ist dieses Konzert so berühmt, dass man eher umgekehrt dafür gekreuzigt würde, etwas daran zu ändern.«

Neuer Mix – Nochmal!

Shirley-Smith erläutert, warum das Trio entschieden hat, für das Maximum an Wirkung und Qualität komplett neu zu mischen, obwohl sie bereits 2007 eine Fassung für eine DVD-Sonderedition erstellt hatten. »Kris [Fredriksson] und ich haben damals Stereo- und 5.1-Mixe auf dem Neve 88RPult in den Londoner Sphere Studios erstellt. Wir glauben aber, dass wir das heute besser können, da ja ständig neue Techniken entwickelt werden. Weil der 2007er-Mix auf einem Analogpult gemacht wurde, konnten wir ihn nicht wirklich als Ausgangspunkt verwenden. Da wir sowieso neu anfingen, nahmen wir das als Gelegenheit, das 24-Spur-Master im BBC-Archiv herauszusuchen. Unseren Transfer davon haben wir mit Pro Tools HD IO vorgenommen. Letztlich war der Unterschied zwischen beiden aber sehr gering.«

Macrae: »Tatsächlich haben wir den Mastertape-Transfer in die Pro Tools-Session des Live-Aid-Mixes von 2007 geladen und die Automationen ausgeschaltet, außer einigen EQs auf den Toms und Overheads, um Gitarrenfeedback wegzunehmen, einigen Fader-Fahrten auf der Toms-Gruppe und auf den Aux-Spuren der Backing-Vocals − diese Parts geben wir nur bei Bedarf rein. Das war ein für mich ungewöhnliches Vorgehen, da ich normalerweise jede Session manuell neu anlege, ohne Template. Denn selbst eine Plugin-Kette auf den Vocals braucht nur wenige Klicks. Wir hören zu und entscheiden, was die Session braucht.«

Beim Mix des Live Aid-Konzerts war dem Trio besonders wichtig, dafür nicht − wie oben erwähnt − von Publikum oder Kritik gekreuzigt zu werden. »Es ging uns darum, dass es kraftvoll klingt«, erklärt Macrae, »und darum, das Ambiente beizubehalten − eine Rockband, die in einem Stadion spielt! Die Hauptsache war, es nicht übertrieben zu polieren und nicht den eigentlichen Audioinhalt zu ändern, also gab es keine Edits, keine Korrekturen des Gespielten, kein Tuning. Nur technische Probleme wie Feedback-Quietschen haben wir nachbearbeitet. Dieser eine legendäre Moment, als Brians Gitarrenverstärker in Crazy Little Thing Called Love einen Röhrenausfall hatte. Das Pfeifen hatte keine feste Frequenz, daher war es schwer wegzuequalizen. Stattdessen haben wir Cedar Audio benutzt, um es loszuwerden. In der Sektion ›Ay-Oh‹, in der Freddie mit dem Publikum call and response singt, stimmt einer der Roadies den Bass, was auf der PA zu hören ist. Da man hier wirklich nur Freddie und die Menge hören will, haben wir unser Bestes gegeben, um diese Tuning-Geräusche weitestmöglich zu entfernen. Ansonsten konnten wir aber nicht an diesem Konzert herummachen, da es so ikonisch ist. Alle zweifelhaften Töne wurden so belassen! Es wird als beste Live-Performance aller Zeiten gehandelt, also wollten wir es nicht künstlich aufdonnern oder modernisieren. Es sollte authentisch und unverfälscht bleiben.«

Das Einzige, was man vielleicht als »Aufdonnern« einstufen könnte, ist die Betonung des Aufnahmeortes, also eines Stadions, dessen Ambiente der in Queens Musik angelegten Grandiosität in jeder Hinsicht schmeichelt. Shirley-Smith: »Paul Massey wollte mehr Stadion-Ambiente. Bei vielen Live-Aufnahmen wird ja versucht, trocken aufzunehmen und den Raum loszuwerden. Ganz im Gegensatz dazu versuchen wir immer, das Ambiente zu erhalten, weil es atmosphärisch so entscheidend ist, und ganz besonders haben wir das beim Mixen des Live-Aid-Konzerts getan. Aber Paul wollte noch mehr davon. Die Filmcrew dachte sogar darüber nach, einen Veranstaltungsort zu mieten, nur um dort eine PA einzubauen und die Musik darauf abzuspielen! Irgendwann spielten aber Queen mit Adam Lambert in der Londoner O2 Arena und wurden gefilmt, also haben wir bei der Gelegenheit dafür gesorgt, dass im großen Stil zusätzliche Raummikrofone in der Halle aufgestellt waren. Vorher hatten wir aus den Pro-Tools-Sessions neue Stems ohne unsere Reverbs und Delays geprintet, um sie durch die PA der O2 Arena zu schicken und sie als Raum aufnehmen zu können, solange kein Publikum da war.«

Live Aid: Mix-Session

Die Pro-Tools-Mix-Session für das Live-Aid-Konzert mit einem zweiminütigen Intro von Smith & Jones (damals ein bekanntes Komiker-Duo) ist bemerkenswert organisiert. Sie besteht aus insgesamt 90 Spuren, die in sechs Abschnitte unterteilt sind: Original-Multitrack-Print-Spuren, 15 Instrumentengruppen-Aux-Spuren, drei Master-Spuren, 15 Aux-Stem-Busse, 17 Stem-Print-Spuren und 12 Aux-Effekt- Spuren.

Die Multitrack-Print-Spuren wiederum bestehen aus 22 Audiospuren: zweimal Publikum, zweimal Toms und elektronische Drums, zwei Overhead-Spuren, dann Hi-Hat, Kick, Snare, Bass, zwei Synth-Spuren, Piano, Akustikgitarre, zwei E-Gitarren-Spuren, eine Spur für Mercurys Gesangsmikrofon am Klavier, eine Spur für das Mikrofon in seiner Hand, außerdem Backing-Vocal-Spuren für May, Taylor, Deacon und Spike Edney − Letzterer spielte außerdem Keyboards. Unter diesen Audiospuren befinden sich fünf Aux-Control-Spuren, von denen eine die beiden Tom-Spuren steuert, während die Aux-Control-Spuren an jeweils einer der vier Backing-Vocal-Spuren ein Überbleibsel der Session von 2007 sind. Unter diesen 27 Spuren befindet sich eine Splinge-Send-Master-Spur.

Diese Audiospuren werden an die dazugehörigen Aux-Gruppenspuren darunter gesendet: Kick, Snare, Kit, Bass, Gitarre, Akustikgitarre, Keys 1, Keys 2, Piano, vier Backing-Vocal-Gruppen, Lead-Vocals und Publikum. In einer früheren Version dieser Session wurden diese Instrumentengruppen alle auf die Submix-Aux-Spur geroutet, genannt SUB=M=, von wo aus der Stereomix auf eine Mix-Spur (in dieser Session nicht sichtbar) geprintet wurde, die wiederum zur Main-Output-Master-Spur geht.

Würde die Session nur der Audioproduktion dienen, wäre es das. Da Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith aber auch Stems für den Film erstellen mussten, haben sie die Stereo-Mix-Spur in die Playlist aufgenommen, die 15 Instrumenten-Gruppenspuren auf 15 entsprechende Stem-Bus-Spuren unterhalb der Master-Spur umgeleitet und diese auf 17 Stem-Audio-Spuren darunter geprintet. Unter diesen Audio-Print-Spuren, am Ende der Session, haben wir 12 Aux-Effekt-Spuren mit der üblichen Kollektion von Reverbs und Delays. Das ›Splinge‹ genannte wird von den Queen-Leuten besonders geschätzt.

Live Aid: Signalketten

Macrae, Fredriksson und Shirley-Smith erläutern die Signalketten, beginnend mit der Brainworx bx_console von Plugin Alliance, das auf allen Original-Audiospuren liegt, und erzählen über einige der zusätzlichen Plug-ins. »bx_console ist die Emulation eines Neve-Channelstrips«, beginnt Macrae, die wir für EQing und Kompression benutzen, wie bei einem normalen Mischpult-Kanal. Es gibt Glue auf alles. Die Kick hat auch Softube Summit Audio TLA-100A drauf, um sie tight zu bekommen und etwas anzufetten, und einen Send zur KikCho Aux-Effekt-Spur, die etwas DVerb dazu gibt, mit einem mittleren non-linearen Reverb.

Auf der Snare liegt nach dem bx_console-Plug-in der Softube Summit Audio Grand Channel, um EQ, Kompression und Sättigung draufzugeben, und ein Send an die Snare-Echo-Audio-Spur, auf der ein weiterer DVerb mit einem kleinen non-linearen Reverb liegt, und es gibt noch ein Send an eine andere Snare-Reverb-Aux-Spur mit einem Lexicon 480 drauf. Bass und Piano haben beide UAD 1176 A drauf, das Piano wird außerdem an Piano Verb geschickt, wo wiederum ein Lexicon 480 drauf liegt. Beide E-Gitarren-Spuren haben Sends an die Splinge-Aux-Spur, auf der das Waves SuperTap Delay liegt, das auf eine Art Zufallsmodus eingestellt ist, um das Gefühl zu vermitteln, dass der Sound in einem Auditorium herumschwirrt. Brian mag generell kein Reverb auf seiner Gitarre und bevorzugt Delays.

Bei den beiden Gesangsmikrofonen kommt nach dem bx_console Plug-in wieder das UAD 1176, eingestellt auf hohe Ratio, schnellstes Attack und Release, um die wirklich lauten, harten Transienten einzufangen. Als Drittes in der Kette kommt ein UAD LA2A, ein weicherer und langsamerer Kompressor, eher für allgemeinen Pegel und Sound. Dann ist da noch der UAD Neve 1081 EQ für etwas Knackigkeit, und schließlich als letztes Plug-in auf den Inserts der Tokyo Dawn Labs Nova, ein Kompressor, der gelegentlich frequenzspezifisch regelt, wenn irgendwas fies klingt. Er verhält sich hier wie ein De-Esser.

Beide Gesangsspuren haben auch Sends an die ›LV P N Hall‹-Aux-Spur, mit Lexicon LX480, auf ›Medium Hall + Stage‹ eingestellt, und an die LV TDL Aux-Spur, auf der das Waves HDelay liegt.«

Auf den Instrumenten-Gruppenspuren liegen keine Plug-ins, außer dem Softube Transient Shaper auf der Snare-Gruppe, dem Waves REQ6 auf der Guitar-Gruppe und einigen Treatments auf der Audience-Gruppe durch Avid EQ3 1 Band und TDR Nova. Wie schon erwähnt, wurden für den Stereo-Mix die Spuren der Instrumentengruppen an den Sum=M=-Aux geschickt, wo der UAD Massenburg Designworks EQ und der Impact Kompressor liegen.

»Die gesamte Lautstärke-Automatisierung für die Audiospuren geschieht auf den Instrumenten-Gruppenspuren.« Shirley-Smith präzisiert: »Nur korrigierende Lautstärkeänderungen werden auf der Audio-Spur selbst durchgeführt, z. B. um ein ›S‹ oder ein ›Popp‹ abzusenken oder zu korrigieren, wenn jemand den Mikrofonverstärker mittendrin verstellt hat. Wenn man dort nämlich mehr macht, werden diese Eingriffe die Kompressoren in die falsche Richtung treiben.« Fredriksson ergänzt: »Der Massenburg zieht noch die PAL-Frequenz von 15,625 kHz heraus, die eben zu diesem Fernsehformat gehört. Sonst hat man da dieses Bimmeln, das mich wahnsinnig macht, also haben wir es herausgeschnitten. Der Impact ist der Bus-Kompressor.«

Stems Printen

Macrae beschreibt als Nächstes, wie das Trio im Laufe der Jahre eine einzigartige und sehr effiziente Methode zur Herstellung von Stems entwickelt hat, mit der man alle Stems gleichzeitig printen kann, und nicht, wie sonst üblich, einzeln. Das Problem, das sie gelöst haben, war, die Kompression sich auf den einzelnen Stem-Spuren genauso verhalten zu lassen wie auf dem Stereo-Bus, sodass die Summe der Stems exakt so klingt wie der Stereo-Mix. Denn die Stems einfach nacheinander in den MixBus laufen zu lassen, hätte eben nicht den gewünschten Effekt.

»Wenn man einzelne Elemente des Mixes separat durch den Kompressor schickt, verhält der sich natürlich anders als wenn der gesamte Mix durchläuft. Was wir zunächst tun: die Mixprints der Stereo-Mixe mit Kompression in der Playlist ausblenden und eine neue Stereo-Mixprint-Playlist plus eine Mix-Comp-Key-Spur erstellen, wohin wir dann den Stereo-Mix printen, aber ohne den Impact Kompressor. So haben wir einen unkomprimierten Mix-Print auf der Spur. Als Nächstes kopieren wir die Plug-ins der Sub-Mix-Spur, in diesem Fall Massenburg EQ und Impact Kompressor, auf die Stem-Bus-Spuren, sodass auf jeder dieser Spuren genau der gleiche EQ und die gleiche Kompression liegt wie auf der Sub=M=-Spur und damit auf dem komprimierten Stereo-Mix.

Während des Stereomixes sind alle InstrumentenSpuren auf die Sub=M=-Spur geroutet worden, aber jetzt re-routen wir alle Instrumenten-Gruppenspuren auf die entsprechenden Stem-Bus-Spuren, womit wir die Sub=M=- Spur vollständig umgehen. Dann bauen wir ein Pre-FadeSend an einen Bus, sagen wir Bus 5, auf der Mix-Com-KeySpur, wo der unkomprimierte Mix liegt. Beachten muss man hier, dass wir Stereo an Mono senden, das Signal also heißer ausgesteuert sein wird als vorher in Stereo. Mit etwas Ausprobieren fanden wir heraus, dass wir den Send-Fader um 2,7 dB absenken müssen, damit es auf Null hinausläuft − das funktioniert mit diesem Wert aber nur ab Pro Tools v11 aufwärts, aufgrund eines Redesigns der Mix-Engine. Dann verbinden wir die Sidechain-Keys all dieser Impact-Kompressoren auf den Stem-Bussen mit demselben Bus, im Beispiel also immer noch Bus 5, sodass der Stereo-Mixprint ohne Kompression durchläuft, und alle Stem-Bus-Kompressoren machen exakt das, wie sie mit dem gesamten Stereo-Mix getan haben!

So können wir alle Stems gleichzeitig printen, mit Kompressoren, die genau das tun, was sie sollen. Wir printen dann alles auf die Stem-Print-Spuren, und wenn dort alle Regler auf Null stehen, klingt es beim Abspielen komplett identisch mit dem Original-Stereo-Mix mit Kompression.«

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