Vom Keyboarder zum Filmmusikkomponist

Filmmusik-Komponist James Newton Howard im Interview

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(Bild: Jörg Sunderkötter)

James Newton Howard gehört zu den ganz großen unter den Filmmusikkomponisten. Dabei begann seine Karriere als Live- und Studio-Keyboarder – im Alter von 24 Jahren bereits begleitete er Elton John auf seinen Tourneen und arbeitete auch bei einigen Studioalben mit. In den 80ern begann James Newton Howard als Filmmusikkomponist und ist nun seit über 30 Jahren erfolgreich im Business tätig. Er vertonte berühmte Action-Streifen wie Vertical Limit, Kevin Costners Waterworld oder z.B. Auf der Flucht, Thriller und Dramen. Während einer ersten Präsentation der VSL Silent Stage trafen wir James Newton Howard im frisch eingerichteten Regieraum zu einem Interview.

Von einem Filmmusik-Komponisten hat man gemeinhin das klassische Bild des Musikers, der auf Notenpapier seine Kompositionen und Arrangements niederschreibt. Das trifft sicher auch heute noch für viele Komponisten zu, aber die meisten arbeiten doch auf sehr moderne Weise, eben mit Sound-Libraries, DAWs etc. Sie haben diese ganze Entwicklung mitgemacht, und haben eigentlich nicht als Komponist losgelegt…

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Ich habe als professioneller Musiker angefangen, als Keyboarder um genau zu sein. Meinen ersten Synthesizer habe ich mir 1973 gekauft, einen Ionic Performer Synthesizer. Ein Analog-Synthesizer, den glaube ich nur wenige Leute kennen. Der nächste Synthesizer war dann ein Arp 2600, dann ein Minimoog, ein Prophet-5, Prophet-10 – und ich glaube ich wurde ganz gut darin, die zu programmieren. Später kamen Digitale Synthesizer hinzu wie der DX-7 – ich habe damals sogar recht eng mit Yamaha zusammengearbeitet, wobei es zu einer Demo-Show auf der NAMM-Show kam, die ich gemeinsam mit den Toto-Keyboardern David Paich und Steve Porcaro gemacht habe. Aus dem Material ist damals sogar ein gemeinsames Album entstanden. Es erschien unter meinem Namen, da die Plattenfirma von Toto es David und Steve leider nicht erlaubte, mit ihrem Namen auf einem anderen Album zu in Erscheinung zu treten. Kurz nach dieser Zeit habe ich aber auch schon meine ersten Score Tracks gemacht. Mit einer Linn Drum 9000 und einer Akai MPC 60  habe ich mich dann mehr und mehr mit dem Sequencing beschäftigt. Von da an habe ich immer weniger Synthesizer programmiert, da ich mich viel mehr mit dem Komponieren auseinandergesetzt habe. Und über die gesamte Zeit hinweg habe ich mich mehr und mehr damit angefreundet, in einer Recording-Umgebung  zu arbeiten.

Vermutlich arbeiten Sie heute in einer modernen Recording-Umgebung – mit einer DAW als zentrales Element…

Ja, ganz richtig. Ich arbeite mit Steinberg Cubase und Ableton Live, nutze aber noch immer das alte Yamaha KX88 Masterkeyboard (lacht). Da ist natürlich noch einiges mehr an Technik in meinem Studio, was mich aber nicht daran hindert, zusätzlich auch Bleistift und Notenpapier zu nutzen. Meiner Meinung nach – sei es bei der Erstellung von Demos oder generell in der modernen Filmscoring-Umgebung – ist es essentiell wichtig für einen Filmmusik-Komponist, dass er zumindest einen gewissen Grad an technischem Knowhow mitbringt. Alles Technische aber, also Dinge wie die Studio-Verkabelung, wie verschiedene Software-Programme untereinander im einzelnen vernetzt sind – dieser ganz Engineering-Part, den überlasse ich lieber anderen, die dien tieferen Einblick in die Technik haben.

Es sind ja immer wieder technische Probleme, die den kreativen Arbeitsfluss ins Stocken bringen können…

Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich jemanden für genau diese Momente habe, der dann hilft. Wenn etwas nicht läuft – Anruf genügt, und er kümmert sich drum. Mit mir ist es so: Ich habe diese ganze komplexe Technologie ständig um mich herum, aber den kompletten Durchblick habe ich nicht.

Wenn man den gesamten Prozess der Filmmusik-Produktion betrachtet – was waren für Sie die großen Game Changer bis heute?

Als erster Meilenstein fällt mir spontan Avid ein. Plötzlich waren Filmemacher in der Lage, in kürzester Zeit mit einem neuen Schnitt anzukommen, die Post-Produktion änderte sich zu dieser Zeit dramatisch. Verging bei der Filmproduktion sonst immer etwas Zeit von einer Schnittversion zur nächsten, waren die Filmemacher jetzt sehr schnell in der Lage, mit mehreren Schnittversionen einer Szene zu arbeiten. Diese Neuerung in der Post-Produktion ist sicher ein Meilenstein, wenngleich nicht notwendigerweise ein guter… (lacht).

Da man als Komponist ständig neue Versionen angeliefert bzw. Änderungswünsche bekommt…?

Richtig. Man bekommt immer wieder neue Versionen einer Szene vorgelegt und darf konsequenter Weise auch die Musik immer wieder anpassen. Ich habe mir daher angewöhnt, dem Regisseur so früh wie möglich einen Temp-Track zu geben, der auf meinen Demos basiert und nicht – wie sonst üblich – auf Musikbeispielen, die man aus anderen Filmen zusammengeschnitten hat. Ich möchte damit natürlich erreichen, dass der Filmregisseur sich an meine Musik gewöhnt, ja sogar süchtig nach der Musik wird, die ich für den Film geschrieben habe.

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Das Interview wurde geführt in der Synchron Stage Vienna. (Bild: Synchron Stage Vienna, Markus Thiel)

>> Hier geht’s zur Fotostrecke der Vienna Synchron Stage <<

Die Gefahr mit Temp-Tracks ist sicher groß, dass ein Regisseur sich dann an den Klang eines anderen Filmmusik-Komponisten gewöhnt, dem man dann als Komponist nacheifern muss…

Ich möchte es natürlich verhindern, dass auf diese Weise der Sound von jemand anders oder sogar meine Musik aus einem anderen Film zu viel vorgibt für den neuen Film. Ich möchte aber noch mal auf die Frage nach dem Meilensteinen der Filmmusik zurückkommen. Denn eigentlich fällt es mir sehr schwer, ein bestimmtes Detail oder einen einzigen Moment hervorzuheben. Mit Blick auf die immerhin schon 30 Jahre als Filmmusik-Komponist ist das große Ding dabei eigentlich vielmehr diese konstante Entwicklung, in der man gefordert ist, am Ball zu bleiben. Es kommen immer kleine Neuerungen hinzu, nicht nur Technisches, denn es sind auch die Dinge auf der menschlichen Seite sehr wichtig, man macht kleine Fehler, man verbessert sich, hat kleine oder größere Erfolge, aber auch die Niederlagen gilt es zu meistern… Es sind viele kleine Schritte, wo man einfach selber an sich arbeitet, dass man zum Beispiel denkt, „diesmal habe ich den Action-Teil ein bisschen besser hingekriegt als das letzte Mal usw.“

Mich würde interessieren, nach welchen Kriterien ein Filmmusik-Komponist urteilt. Immerhin ist ja eine Filmmusik dafür gemacht, dass sie unter Umständen gar nicht bewusst gehört, sondern sogar unterschwellig bzw. emotional wahrgenommen werden soll. So zum Beispiel bei einem Action-Part wie Sie eben erwähnt haben…

Das passiert sehr oft, gerade wenn es um Action-Musik geht. Meine Hauptkritik mir selber gegenüber ist: Ich schreibe zu viel! Zu viele Noten. Wenn jemand zu viele Noten schreibt und damit immer davon kommt, dann ist das John Williams. Er kann das machen, auf eine Art und Weise wie ich es noch nie von jemand anderem gehört habe. Wenn ich das mache, mmmh – ich habe den Fehler oft genug gemacht und bin damit immer sehr aufmerksam, um damit auf selbstbewusste Art umzugehen und nicht zu viel zu machen. Ich versuche stets, das Komponieren möglichst ökonomisch anzugehen und effizient zu schreiben. Egal um welche musikalische Idee es geht – ich versuche immer etwas so zu schreiben, dass die Musik den Film optimal unterstützt.

Es ist vermutlich nur zu leicht, dass man von der Spur abkommt…

Ja, in der Tat kann das ganz schnell passieren! Es ist sehr schwer zu vermitteln, wie genau das von statten geht. Man muss einen gewissen Instinkt dafür entwickeln. Es geht um den Ton: Was ist der Sound? Was ist die Natur dieser Musik und wie interagiert sie mit dem Film?

All die Dinge, die man nicht in den Noten lesen kann…?

Korrekt! Es geht darum, was man als Filmmusikkomponist intuitiv wahrnimmt und über die Musik vermitteln kann.

Man findet ja als Filmmusikkomponist zunächst einmal den bloßen Film, eine Story, die Bilder, eine Atmosphäre. Aber es fehlt da vielleicht noch etwas, das die Emotionalität einer Szene verstärken oder überhaupt erst entstehen lassen kann. Ich stelle mir vor, dass es eine große kompositorische Freiheit ist, gleichzeitig aber eine unendlich schwierige Aufgabe, den richtigen Ton zu treffen.

Es ist sehr schwierig – aber wenn man es schafft, dann kann es ein wirklich großer Moment sein. Und es ist wirklich großartig zu erleben, wenn Regisseure erst durch die Komponente Musik Dinge in ihrem Film erleben, von denen sie vorher vielleicht sogar nie vermutet hätten, dass sie da sind.

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(Bild: Jörg Sunderkötter)

Das kann aber sicher auch in die andere Richtung gehen?

Ja, klar. Es kann natürlich passieren, dass der Regisseur sagt, alles ganz schön was du da gemacht hast, aber was ich an dieser Stelle eigentlich im Sinn hatte, trifft es überhaupt nicht. Dann hört man zu und lässt sich zu einer anderen Musik inspirieren, die dann wunderbar zur Szene passt. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen.

Wie fühlt sich dieser Moment aber an, wenn man bereits ein großes Werk ausgearbeitet hat, legt es voller Erwartung dem Regisseur vor, und der sagt: Nein! Ich habe mir etwas ganz anders vorgestellt…

Eine sehr schmerzliche Erfahrung. Das kann einen sehr aufregen. Man muss unter Umständen alles komplett neu schreiben. Und man muss sich darüber im Klaren sein, dass man das auch will. Ich bezeichne es als Ausdauer im Kampf mit der eigenen Verletzlichkeit. Das Dilemma in dieser Situation ist, dass man sobald man sich verletzt fühlt, in eine Abwehrhaltung kommen kann, um sich selber zu schützen. In der Welt der Musikkomposition aber musst du dir deine Verletzlichkeit bewahren, denn das ist der einzige Weg, um offen für neue Ideen zu sein. Es geht darum, diese Art der Ausdauer zu wollen. Du musst den Willen haben, einer Idee unerbittlich zu folgen. Das ist keine leichte Sache und es wird auch nicht leichter. Nach 30 Jahren Filmmusik ist dieser Part für mich heute noch genauso schwierig wie ganz am Anfang. Früher bin ich manchmal ausgerastet, wenn ein Regisseur nicht zufrieden mit meiner Musik war. Heute atme ich erst einmal tief durch und denke für meinen Teil „was für eine Katastrophe!“ Aber ich brülle nicht gleich drauflos. Heute weiß ich, dieser Vorgang ist ein essentieller Part einer echten Zusammenarbeit. Das kommt vor. Aber ganz klar: Du bist entweder in der Lage, das zu handeln oder nicht der richtige für den Job.

Hier ein Demo zum Ionic Performer Synthesizer:

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