In der neue Ausgabe:

Interview mit Yello über ihr neues Album Point

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Auch auf ihrem 14. Album Point bewegt sich das Duo Yello stilistisch unverändert stilsicher zwischen Pop, Elektronik und Soundtrack. Musikalische Kompetenz, ein kindlicher Wille zu Klangexperimenten und Exzentrik sowie tontechnische Genialität verbinden sich zu einer Melange, die seit nunmehr mehr als 40 Jahre lang einzigartig und unmittelbar wiedererkennbar ist. Dieter Meiers markante Stimme sowie die Klanggemälde und Beats von Boris Blank gibt es schlichtweg weltweit nur einmal – aus Zürich. Boris Blank nahm sich die Zeit für ein Gespräch.

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Der typische Sound von Yello ist auf Point stets unmittelbar erkennbar. Gleichwohl steht die Welt bei Blank und Meier nicht still, sondern entwickelt sich stetig weiter und wird zudem heute gänzlich anders als früher erzeugt. Geblieben sind ein ausgesuchtes Instrumentarium, markante Samples und Dieter Meiers Sprechgesang, der keinesfalls immer typischen lyrischen Konzepten folgt. Point orientiert sich stilistisch eher an den Werken der großen Yello-Erfolge als an einigen Alben der Neunziger. Die zwölf Titel bieten ausgeprägte Grooves, oft mit lateinamerikanischen Einflüssen, sowie die gewohnt großartige Mischung aus akustischen Sounds und Elektronik in famoser Klangqualität. Auch Fifi Rong ist wieder auf einem Titel zu hören. Yello mögen sich mit Point nicht neu erfinden, ruhen sich aber auch keinesfalls auf dem Status der Elektronik-Legende aus. Sie liefern genau das ab, was man an ihnen schätzt. Hier klingt nichts angestaubt, sondern auf den »Punkt«.

Point bietet an einigen Stellen Gitarren und sogar teils rockige Grooves!

Boris Blank: Natürlich, denn bei Yello geht es nun in Richtung Rock! (lacht). Ich scherze natürlich. Bei Yello gab es immer wieder Gitarrenaufnahmen zu hören, sogar bereits 1979 mit Chico Hablas. Mir gefällt einfach der Frequenzreichtum dieses Instruments, mit dem man so viele unterschiedliche Stimmungen erzeugen kann. Ich denke eigentlich, dass es auf jedem Yello-Album eine Gitarre zu hören gibt.

Zugegeben habe ich mich etwas geziert, Big Boy’s Blues auf dem Album zu bringen. Der Titel ist eher atypisch für Yello. Dieter war aber anderer Meinung, denn er birgt ja gleichzeitig klare Elemente, die man von uns kennt. Die Gitarren wurden übrigens durch unseren Live- und Studiogitarristen Jeremy Baer eingespielt. Ich habe aber seit einiger Zeit auch eine Les Paul und eine Stratocaster mit einem kleinen Yamaha-Verstärker zu Hause, um ein wenig Lärm machen zu können.

Hot Pan hat allerdings auch einen Groove, der durchaus rockig ist!

Ich hatte von Anfang an die Assoziation des Cowboy-Films. Ich habe sogar ein kleines Video gemacht, das die nahezu kitschige Landschaft des Monument-Valley zeigt, nebst Dieter in der Verkleidung aus dem Kostümverleih. Eigentlich fehlt nur die am Horizont langsam auftauchende Gruppe reitender Cherokee oder Apachen. Dazu Dieter mit dem absurden Wortspiel Hot Pan, Popcorn … Mir gefällt dieser schleppendeG roove, gleichzeitig höre ich da aber auch deutlich Yello heraus.

Zu meinen Highlights gehört auch Arthur Spark.

Da hörst du meine Stimme in verfremdeter Form. Ich habe in Abwesenheit von Dieter Guide-Tracks für mehrere Titel selbst eingesungen, so auch für Way  und Basic Avenue, um meine Ideen zu skizzieren. In allen drei Fällen gefiel Dieter das Layout so gut, dass er das beibehalten wollte.

Elektronische Klänge seit mehr als 40 Jahren (Bild: BENJAMIN STAFFE)

Typisch bei dir ist der Einsatz rhythmischer Stimmfragmente. Kommen da Samples zum Einsatz?

Klar, schon immer. Meine App Yellofier ist allgegenwärtig, selbst wenn ich im Wald spazieren gehe. Die meisten dieser phonetischen, rhythmischen Laute stammen von dieser App. Die Samples arrangiere ich dort zu einer Sequenz, die ich letztlich direkt im Arrangement von Logic Pro platziere. Es kommt aber auch vor, dass ich in Ableton Live einen Loop mit zusätzlichen Effekten und Glitches baue. Teils ist es auch nötig, die Samples zunächst in Logic Pro zu bearbeiten, etwa um Geräuschfahnen oder Hintergrundgeräusche abzutrennen. Dann wandern die sauberen Wav-Dateien wieder zurück in die App.

Der Yellofier ist für mich unverändert ein einzigartiges Werkzeug, ein Ideengeber, dessen Einsatz mir kindliche Freude bereitet. Dabei ist die Qualität durchaus ansprechend. Es gibt in nächster Zeit übrigens ein Update.

Eine kleine Anekdote: Vor einiger Zeit war ich im Nautic Museum in Lissabon. Dort steht eine riesige Kanone von Vasco Da Gama, dem berühmten Seefahrer. Ich habe kurzerhand ein paar Vokal-Samples gemacht, indem ich in das offene Kanonenrohr gesprochen habe. Vermutlich hat niemand jemals diese Idee verfolgt und daraus ein Stück Musik erstellt – einen Track mit Vasco Da Gama!

Wie ist die Zusammenarbeit mit Dieter?

Dieter ist sehr umtriebig. Er braucht ständig neue Impulse. Kaum ist er angekommen, will er wieder los. Das ist seine Welt und auch gut für uns. Ich war immer eher ortsgebunden, während Dieter als Kosmopolit im besten Sinne interkontinental unterwegs ist. Unsere Zusammenarbeit ist folglich durchaus intensiv und herausfordernd. Letztlich gilt es, seine Stimme in der zur Verfügung stehenden Zeit so einzufangen, wie es für den Song angedacht ist. Aber es lohnt sich!

Vince Clarke hat die frühen Achtziger in einem Interview als aufregendste Zeit der Musikgeschichte bezeichnet.

Die frühen Achtziger waren in der Tat eine Revolution, die man mit dem Übergang vom Blues zum Rock’n’Roll vergleichen könnte. Es entstand wirklich neue Musik, so wie es damals Led Zeppelin oder auch Jimi Hendrix getan haben. Auch für mich waren die elektronischen Klänge die Triebfeder. Ich war inspiriert durch Herbie Hancock, den Fusionwerken von Miles Davis und natürlich durch Daniel Miller mit Normal – da hast du einen ARP 2600 und Odyssey gehört. Das hat mich motiviert, mit diesen Geräten zu arbeiten. Die Punk-Bewegung hat mich musikalisch weniger fasziniert, das hatte Iggy Pop mit den Stooges schon vorweggenommen. Elektronik hingegen war neu. Man konnte die Frequenzen von Gitarren, Bässen und Schlaginstrumenten durch synthetische Klangelemente ersetzen.

Es wäre schön, wenn es heute nochmals so eine Revolution gäbe. Wirkliche Neuigkeiten und gar Sensationen sind in der Populärmusik rar geworden. Allerdings findest du im Untergrund unglaublich talentierte Musiker. Nur hört man das kaum je im Radio – das ist zu gefährlich, und man zieht überwiegend belanglose Musik offenbar leider vor.

Was inspiriert dich heute?

Ich bin fasziniert von der Bildwelt, die beim Musizieren hon immer in meinem Kopf stattgefunden hat. Nun mache ich auch Videos. In der Corona-Zeit haben mich diese Bildsequenzen beschäftigt und belebt, die vergleichbar zum Ton zustande kommen, justiert und gemischt werden können. Ich arbeite mit Final Cut. Es ist fantastisch, was man da anstellen kann. Derzeit versuche ich, wöchentlich ein neues Kurzvideo fertigzustellen, das auf Yello-Musik aufsetzt. Das kann man sich bei Instagram ansehen [www.instagram.com/yello_official]. Ich gehe dabei ganz ähnlich vor, wie ich es auch beim Musizieren tue: Überlagerungen, filtern, patchen. Der offizielle Clip zu Waba Duba stammt auch von mir. Ganz frisch ging das Video zu Siren Singing mit Fifi Rong online. Da habe ich Tücher in den Himmel geworfen und in Zeitlupe gefilmt. Der Himmel war so blau, dass ich ihn als Bluescreen nutzen konnte. Da habe ich dann monströse Häuserfluchten hineinmontiert, die ich irgendwann aus dem Auto gefilmt habe.

Point bietet viele typische »Yello-Sounds«. Greifst du regelmäßig auf dein altes Samplearchiv zurück?

Ich bin ein Jäger und Sammler und suche Sachen, die ich noch nicht habe. So wird der Yello-Sound eben auch ständig erneuert. Natürlich habe ich aber viele Libraries, selbst vom Fairlight, Kurzweil-Instrumenten oder dem E-mu E-6400/E-IV. Nutzen tue ich seit Jahren den EXS-24 in Logic Pro. Es gibt dabei Sounds, die ich über die Jahre mitgenommen habe, etwa einige Bläser. Andere Teile meines Archivs muss ich mir erst wieder vollständig zugänglich machen, was insbesondere für den Fairlight ein Problem ist. Längst ergänze ich meine Sounds aber auch mit modernen Instrumenten, etwa von Native Instruments oder Vir2, teils beigemischt, teils verfremdet.

Ich bin übrigens auch ein Eichhörnchen. Ich habe jede Menge Ordner auf dem Rechner, in denen sich Sounds verstecken und die ich dann vor ihrem »Ablaufdatum « hervorhole. Dabei kommt mir zugute, dass ich ein nahezu fotografisches Gedächtnis habe, sodass ich archivierte Sounds und Versatzstücke im richtigen Moment auch zu finden weiß und erkenne, wie ich dieses Fragment in den aktuellen Track einbauen kann. Das kann beispielsweise über Stretching oder Slices erfolgen, wie ein Patchwork. Tatsächlich habe ich nur selten ein Ziel vor Augen, weiß also nicht, wohin mich es führt. Ich beginne mit einer weißen Leinwand und experimentiere, bis eine Kontur entsteht, aus der später der Titel erwächst.

Wenn du keine Vision vom Ergebnis hast, was stellt dann erste Motivation dar?

Teils ist es ein Klang, teils ist es ein treibender Beat, der mich mitzieht. Oft komme ich aber nicht weiter mit einem Titel und lasse diese dann ruhen wie ein unfertiges Bild. Gleichzeitig gibt mir die Erfahrung der letzten 40 Jahre aber das Selbstvertrauen, genau das tun zu können. Ich muss kein Ergebnis erzwingen, das verkrampft wirkt. Aktuell lagern wieder mehr als einhundert Ideen, teils fertige oder komplette Stücke, auf meiner Festplatte. Die hole ich irgendwann wieder hervor, um weiterzuarbeiten. Auch nach zwei, drei Jahren sind die Ideen frisch genug.

Der Synthesizermarkt boomt. Nutzt du überhaupt noch reale elektronische Klangerzeuger?

In physikalischer Form tue ich das praktisch nicht mehr. Ich habe noch einen ARP Odyssey hier, zu dem ich eine gewisse emotionale Verbindung habe. Aber die Potis und Fader sind kaum mehr benutzbar. Auch einen alten Roland Vocoder besitze ich noch. Die Vocoder-Sounds auf Point stammen allerdings aus Evoc in Logic Pro. Letztlich habe ich so viele gute Instrumente im Rechner, die ich sehr schätze, etwa von U-He, Spectrasonics, Arturia, Sugar Bytes, Camel Audio und Futura Audio Workshop. Ein echter Favorit ist auch Microtonic von Sonic Charge. Auch iZotope hat lustige Produkte – die Auswahl ist also groß und gut.

Inwieweit haben diese Instrumente und Effekte Einfluss auf die aktuellen Kompositionen?

Mir haben es neue Technologien schon immer angetan. Ich liebe das Kribbeln in den Fingern, wenn du etwas Neues ausprobierst. Ich bin wenig konservativ und brauche heute weder analoge Technik noch alte Instrumente, um meine Ideen umzusetzen. Aber natürlich sind auch Hardware-Synthesizer und die modulare Eurorack-Welt toll. Das ist faszinierend und erinnert mich an einen Experten in einem Cockpit. Wahnsinn, wenn man all die Details, den Aufbau und die Ingredienzien kennt. Aber das ist nicht meine Welt beziehungsweise nur zum Teil. Auch ich habe mir mit dem EMS Synthi AKS die Nächte um die Ohren geschlagen. Bei mir war es aber mehr die spielerische Herangehensweise als das tiefe Verständnis der zugrundeliegenden Synthesefunktionen. Ich wollte immer schnell zu Resultaten gelangen. Und bis heute ist es mir egal, welche Werkzeuge ich benötige, um umzusetzen, was mir durch den Kopf geht.

Gibt es denn neben der Gitarre noch andere echte Instrumente zu hören?

Nein, auf diesem Album eher nicht, bestenfalls Versatzstück aus alten Aufnahmen. Zurück bis zu Rhythm Divine gibt es immer wieder Aufnahmen, die nicht gebraucht wurden und die ich gegebenenfalls neu aufgreife und in meine Puzzles einfüge – in Kombination mit modernen Libraries. Aufwendige Außenaufnahmen mache ich übrigens heute eher selten und nur mit dem iPhone. Ich bin als Jäger eher in den digitalen Möglichkeiten der Samplebearbeitung unterwegs.

Gehst du denn unverändert täglich »zur Arbeit«?

Normalerweise schon. Aktuell jedoch – Dieter und ich sind im Risikoalter – arbeite ich meist zu Hause. Ich habe einen neuen iMac, auf dem ich meine Videos schneide. Und ich kann meine Daten mit einem Mac-Book zwischen dem Studio und meiner Wohnung hin und her tragen. Zu Hause arbeite ich mit Nahfeldmonitoren für die Klangbeurteilung, während wir im Studio gerade von den PSI A21-M auf die PSI-Dreiwegvariante A23-M umrüsten.

Wir danken dir für das Gespräch!

Im Studio verlässt sich Boris Blank bisher vor allem auf seine PSI Audio A21-M, die demnächst auf die Dreiweg-Variante A 23-M umgerüstet wird.

 

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