Die emotionale Wirkung

Interview mit Mastering-Engineer Greg Calbi

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Calbi vor seinem Mastering-Raum bei Sterling Sound (Bild: Sterling Sound)

In der aktuellen Sound & Recording Ausgabe 11/2016, findet ihr ein Interview mit Mastering-Engineer Greg Calbi. Hier findet ihr einige ergänzende Fragen und Antworten.

S&R: Mal unbedarft gefragt: Wer von deinen Kunden kann beim Mastering Feinheiten nach-vollziehen, wer nicht? Oder anders herum gefragt, wie wichtig ist es Deinen Kunden, dass ein Song ordentlich gemastert ist?

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Calbi: Einfach ausgedrückt: Es ist wichtig für die Leute, denen es wichtig ist. Manche hören keinen Unterschied zwischen einem gut gemastertem und einem weniger gut gemasterten Mix. Sogar einige sehr talentierten Musiker hören es nicht. Und andere wiederum, vielleicht weniger talentiert, nehmen es deutlich wahr. Ich finde es schwierig, vorauszusagen, wer für die Klangunterschiede empfänglich ist. Das Interessante am Musikgeschäft: Selbst für Musiker und Produzenten mit unterschiedlichen Fähigkeiten sind heute jeweils passende Werkzeuge verfügbar. Bei vielen Kunden weiß ich anfangs nicht, wie und wofür sie sensibilisiert sind.

„Eine Veränderung in den Höhen wirkt sich auf die Drums aus, so dass die letztlich mehr Punch bekommen können. Außerdem kann sich die  Wahrnehmung des dann betonteren Rhythmus’ verändern.“

S&R: Was die Ökonomie angeht: Die meisten Alben-Masterings finden innerhalb eines Tages statt. Würde es für das Ergebnis etwas bringen, sich beispielsweise eine Woche Zeit zu nehmen und mehr auszuprobieren?

Calbi: Nein, das wäre zu viel. Bei einem durchschnittlichen 50-Minuten-Album sind gute sechs bis sieben Stunden optimal, mit der Art von Geräten, die wir benutzen. Wenn Du länger als einen Tag brauchst, werden die Mischungen wohl nie gut klingen. Bei einem Stereo-Mix sind eine Stunde oder anderthalb ausreichend. Bei einem Album ist meist die Hälfte oder mehr vom gleichen Tontechniker gemischt. Wenn man beim Mastering einen Ansatz gefunden hat, passt der normalerweise, um Schwierigkeiten beim Monitoring zu kompensieren. Die kreative, musikalische Bearbeitung geht schnell, weil man sich mit seinem Setup im vertrauten Umfeld bewegt. Ich könnte keine Woche auf ein Album verwenden. Man würde sich nur im Kreis drehen.

„Beim Vergleichen hängt alles von der Laut-stärke ab.“

S&R: Lass uns über Deine Arbeitsweise sprechen. Beim Einsatz von Equalizern entsteht bei einer Anhebung auch eine Lautstärkeveränderung, die bei der Beurteilung der Veränderung irreführen kann. Kompensierst Du Lautstärkeunterschiede, um zu hören, ob die reine Klangveränderung eine Verbesserung bringt?

Calbi: Unbedingt. Ich spiele nicht den Song ab, verändere Equalizer-Einstellungen und schalte ständig hin und her. Dabei springt die Lautstärke. Das gilt auch für Kompressoren mit ihren unterschiedlichen Gain-Stufen – jedes Mal, wenn man einen Kompressor einschaltet und ein Element lauter klingt, hält man das Ergebnis für besser. Was ich stattdessen mache: Ich höre eine Strophe oder einen Refrain an, nehme eine EQ- oder Kompressor-Einstellung vor, die ich im Computer aufnehme. Anschließend probiere ich etwas anderes. Mit anderen Worten: Ich mache kurze Samples mit verschiedenen Settings. Danach vergleiche ich alles bei exakt gleicher Lautstärke wie die Quelle und höre mir die musikalische Veränderung an. Dadurch vermeide ich die Illusion, mich von einer scheinbaren Veränderung leiten zu lassen, weil etwas lauter, kräftiger oder präsenter erscheint. Diese Technik hilft mir zum Beispiel auch bei dem Cranesong-Plug-in „Phoenix“: Das liefert harmonische Sättigung, aber die Lautstärke wird etwas angehoben. Ich habe einen Lautstärkeregler am digitalen Ausgang meiner Konsole, mit dem ich den Mix an das bearbeitete Signal angleichen kann, um zu verstehen, was die Bearbeitung verändert im Gegensatz zu dem, was die Lautstärke mir vorgaukelt. Beim Vergleichen hängt alles von der Lautstärke ab. Die meisten Leute haben keine direkte A/B-Umschaltung. Sie hören den Mix an, stoppen kurz, spielen dann das Master ab. Wenn das nicht so laut ist wie ihr ursprünglicher Mix, würden sie nie meinen, es klänge gleich gut oder besser.


Mehr vom Interview könnt ihr in der aktuellen Sound & Recording Ausgabe 11/2016 lesen:

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S&R: Was die Effektbearbeitung angeht: Bei manchen Effektgeräten, etwa Kompressoren, fallen unerwünschte Klangveränderungen auf – zum Beispiel ein unangenehmer Peak in den Höhen, der mit der Bearbeitung einhergeht. Andere Kompressoren schmälern die Klangfülle im Bassbereich gegenüber dem unbearbeiteten Signal …

Calbi: Ich hatte Probleme mit dem Shadow Hills Mastering Compressor, den ich jahrelang be-nutzt habe. Mir schien, dass die Bassdrum durch die Röhrenschaltung Punch verliert. Mitt-lerweile benutze ich ihn nicht mehr, stattdessen verwende ich den Dangerous Music Compressor. Der bietet zwar nicht die gleiche Wärme, denn der Shadow Hills liefert tolle Wärme im Mittenbereich. Aber es hat mich frustriert, die Trennung zwischen Bass und Bassdrum zu zerstören. Diese Dynamik möchte ich nicht verändern,  ich mag nicht, wenn der Bassbereich undefiniert wird. Die Klangfarbe gefiel mir allerdings sehr.

S&R: Wo ziehst Du die Grenze zwischen der Klangästhetik, die ein Werkzeug für Dich ein-bringt, und unerwünschten Nebeneffekten?

Calbi: Was Frequenzveränderungen angeht: Das kann ich kompensieren, zum Beispiel wenn ein Kompressor wie mein Pendulum OCL-2 den Mix leicht „dunkler“ macht. Wenn ich ihn einschleife, füge ich einen Hauch bei 22 oder 19 kHz hinzu, um nichts von der Luft obenrum zu verlieren. Was ich hingegen nicht kompensieren kann: Wenn einzelne Dynamikverhältnisse im Mix komprimiert oder glattgebügelt werden, die ich brauche, damit der Mix Punch hat.

„Im Zeitalter der Musikwiedergabe am iPad oder über PC-Boxen scheinen mir Abbildung und Klangtiefe umso wichtiger.“

S&R: Digitalwandler können ebenfalls einen großen Unterschied machen. Viele argumentieren, ein Wandler müsse „neutral“ sein, wenngleich oft übersehen wird, dass selbst vermeintlich verfärbungsarme Wandler eine eigene Klangästhetik einbringen. Du siehst das Thema weniger dogmatisch …

Calbi: Ja, deshalb verwende ich zwei völlig unterschiedlich klingende Wandler: Mein Ayre [QA-9] klingt klar und hell, der Burl B2 Bomber eher schön und warm in den Mitten, mit tiefem, fulminanten Bassbereich. Mit dem Ayre habe ich das aktuelle Remastering der Beatles U.S.-Alben durchgeführt – sehr neutral, klar und offen. Ich arbeite klanglich immer mit den Attributen hell und dunkel. Ich habe auch unterschiedlich klingende Kabel, ein helleres und ein dunkleres. Jeder Teil der Signalkette verändert die Abbildung. Im Zeitalter der Musikwiedergabe am iPad oder über PC-Boxen scheinen mir Abbildung und Klangtiefe umso wichtiger. Ein Equalizer ist natürlich immer wichtig, aber alles, was ich tun kann, um Offenheit und dreidimensionale Klangqualitäten herauszubringen, hilft.

www.sterling-sound.com

 

Kommentare zu diesem Artikel

  1. …Mit dem Ayre habe ich das aktuelle Remastering der Beatles U.S.-Alben durchgeführt… Hat er das wirklich? Gerade habe ich folgende Rezension gelesen: “Erst nach dem Erwerb der Box und dem gründlichen Studium des Booklets erfährt man: “In compiling this box set, the decision was made not to remaster from the original Capitol master tapes … the masters used are, in most cases, the same as the stereo and mono remasters released in 2009 … All of the duophonic mixes have been replaced with the approved stereo mixes when available and some mono mixes in the few instances where no true stereo mix exists.” ” Es wurden die alten UK Remasterings benutzt. Was hat nun Meister Calbi tatsächlich an den Beatles Alben remastered? Nein, ich unterstelle ihm nichts unehrliches, aber es ist offensichtlich, dass hier etwas suggeriert wird, was so nicht zutrifft. Wenn er ein paar Titel neu remasterd hat ist eine Aussage, wie die im Artikel, nicht gerechtfertigt – meine ich.

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  2. Schöne Worte sind von Greg Calbi zu lesen; er sollte eigentlich ein alter Hase im Mastering sein. Aber Alter schützt vor Torheit nicht.

    Als gebildeter Musik-Laie kann ich aber nur sagen: Das, was Greg Calbi etwas mit dem Mastering von Interpol: Turn On the Bright Lights von 2002 hingelegt hat, kann man auch mit wohlwollenden Worten nur als miserabel bezeichnen. Ich habe selten ein so dumpf klingendes Rock-Album gehört (Fund einer gebrannten CD 2016 in der Givebox Leipzig-Schleußig; es liegt NICHT an einer vermeintlichen MP3-Vor- und Rückkonvertierung, das Spektrogramm laut Audacity geht noch bis 22 kHz). Ein krasses Beispiel für den Loudness War.

    Da stilistisch nicht so grundverschiedene Album: The Tragically Hip – Fully Completely von 1992 klingt um Lichtjahre besser.

    Wie das Re-Mastering ursprünglich gute Aufnahmen versauen kann, hört man z.B. auch bei Rock-Klassikern wie Nirvana: Nevermind oder Elektronik-Klassikern wie Jean Michel Jarre: Zoolook.

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