Mixpraxis

Ian Kirkpatrick produziert Don’t Start Now von Dua Lipa

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»Nicht wenige Leute glauben tatsächlich, Pop wäre minderwertige Musik. Ich dagegen bin der Ansicht, dass es sich dabei um die interessanteste und auch geheimnisvollste Musik überhaupt handelt«, sagt Ian Kirkpatrick, einer der aktuell angesagtesten Popmusik-Komponisten und Produzenten weltweit. »Warum? Weil du damit unvergleichlich viele Menschen glücklich machen kannst!«

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»Und der Schlüssel dazu ist und bleibt ein Rätsel« führt er weiter aus. »Klar gibt es Leute wie Max Martin, die dir Kochrezepte für Hits anbieten und damit sicher nicht ganz falsch liegen. Dennoch stolpert man immer wieder über Dinge, die einen Hit ausmachen, die aber nach Rezept nie hätten funktionieren dürfen. Ein Pophit bleibt nach wie vor ein ungelöstes Rätsel – eine total verrückte und faszinierende Sache …«

Tatsächlich hat Ian erst vor Kurzem eine Menge Leute glücklich gemacht – nämlich als der Mann hinter Dua Lipas Megahit Don’t Start Now, Nummer 1 in nahezu einem Dutzend Ländern und vertreten in den Top-Ten von mehreren Dutzend Ländern. Auch für den Erfolg von Dua Lipas 2017er MeeToo-Hymne New Rules zeichnet sich Ian verantwortlich. Darüber hinaus finden sich in seinem Portfolio Credits für Songwriting und Produktion mit Künstlern wie Selena Gomez, Jason Derulo, Justin Bieber, Nick Jonas und viele mehr.

Angesichts seiner beeindruckenden und umfangreichen Credit-Liste sollte man meinen, Ian Kirkpatrick schreibt Hits im Handumdrehen – weit gefehlt: »Ich hätte nie gedacht, was für harte Arbeit Popmusik ist. Noch zu Beginn meiner Karriere schickte mir Mike Caron von APG Music ungefähr eine Tonne A Capellas von Jason Derulo mit der Bitte, damit einen Track zu produzieren. Ganze zwei Jahre lang startete ich immer wieder neue Versuche – alle wurden abgelehnt. Aber genau deshalb habe ich mich geradezu obsessiv in die Sache hineingesteigert. Immer wieder stellte ich mir die Frage, warum mein Zeug nicht so gut klingt wie das, was man im Radio hört. Ich war sicher, dass der Grund dafür bei mir zu finden sein musste.

Immer wenn du ein neues Karriere-Level erreicht hast, denkst du, jetzt hast du es richtig drauf. In Wirklichkeit fängst du aber wieder von vorne an – umgeben von neuen Konkurrenten, die es ebenso draufhaben. Hast du endlich einen Song in den Charts, haben deine neuen Mitbewerber auch allesamt Songs in den Charts. So entwickelte ich mir einen Plan B: Um auf der sicheren Seite zu sein, verdiente ich meinen Lebensunterhalt zunächst weiter mit der Programmierung von Webseiten und der Aufnahme von lokalen Bands. Zusammen mit meinem Manager (Dan Petel von This Is Noise) suchte ich aber weiterhin vollkommen besessen nach dem Grund, warum meine Songs durchweg abgelehnt wurden. Auch nachdem ich einen Vertrag bei Warner Chappell unterschrieben hatte, änderte sich zunächst nicht wirklich viel an dieser Tatsache. Wir waren lange Zeit richtig gute Verlierer – bis der Knoten eines Tages schließlich doch noch platzte …«

Ian Kirkpatrick in seinem Bedroom-Studio in L.A.

Von Drums über Computer zu Pop-Songs. Dass Ians Wunsch, in Welt der Pop-Charts einzusteigen, geradezu obsessive Züge trug, erscheint umso seltsamer, als dass er lange Zeit selbst von Chart-Pop keine hohe Meinung hatte. Ians Welt drehte sich erklärtermaßen um Elektronik-Avantgarde von Künstlern wie etwa Aphex Twin, Autechre oder Squarepusher. Offenbar gab es jedoch hinsichtlich der Wahrnehmung von Popmusik einige Momente der Erleuchtung. Einer davon soll sich laut Ian im Alter von 15 Jahren zugetragen haben – genau zehn Jahre, nachdem er seine ersten musikalischen Gehversuche als Drummer unternommen hatte:

»Ein Freund spielte mir eines Tages eine CD von Aphex Twin vor, und ich war vollkommen weggeblasen! Ich hatte damals keine Ahnung, was für Sounds man mit Computern machen konnte. Ich spielte in schlechten, unbekannten Bands und hatte als Drummer keinerlei Einfluss auf die Musik. War die Musik scheiße, dann blieb sie scheiße. Allerdings war ich schon damals ein bisschen Computer-Nerd – ohne Geld, aber immerhin mit Ambitionen und PC ausgestattet. Ich besorgte mir ein Paket Musik-Software, ausnahmslos gecrackt, und genoss das neue Gefühl, nun uneingeschränkte Kontrolle über meinen musikalischen Output zu haben. Ich arbeitete mich schnell in die Dinge ein und begann, Beats zu produzieren. Zusammen mit meinem heutigen Manager Dan richtete ich mir bald ein kleines Studio ein.

Trotz meiner Affinität zu Beats und Computern sah ich mich jedoch noch ganz und gar als traditionellen Produzenten in traditionellen Studio-Sessions. So arbeitete ich in meinen frühen Zwanzigern mit zahlreichen Alternative-Rockbands, machte Pre-Productions usw. 2010 hatte ich sogar einen Hit mit einer Band namens Plain White T’s (Rhythm of Love) und im Jahr darauf einen weiteren mit Breathe Carolina (Blackout), worauf Mark Wilson (A&R-Director Pop/Rock bei Warner Chappell; Anm.d.Red.) mich bei Warner Chappell unterschreiben ließ.

In diesem Moment tat sich für mich die Welt eines bezahlten Pop-Songwriters auf. Mark steckte mich in Sessions mit unzähligen Songwritern. Es dauerte noch ein paar Jahre, genauer gesagt bis 2015, bis ich schließlich mit Jason Derulos Want To Want Me erstmalig ins Schwarze traf. Danach stand das Telefon nicht mehr still …

Was mich nun antreibt, ist die Vorstellung, dass ein Song wirklich jedem Menschen gefallen kann. Ich glaube, dass ich Songs schreiben kann, an denen jeder Spaß hat. Ich bekam auch Angebote, um als Künstler/Produzent Songs unter meinem Namen zu produzieren – also etwa ›Ian Kirkpatrick featuring Dua oder Selena‹. Dazu hätte ich mich jedoch langfristig auf einen ganz eigenen Sound und ein passendes Image festlegen müssen. Und ich hatte keine Idee, wie das hätte aussehen können. Disco oder vielleicht mehr elektronisch wie etwa Daft Punk? Keine Ahnung. Mich fasziniert allein die Idee, dass zahllose Menschen meine Songs wirklich mögen. Das ist vollkommen neu für mich und eine überaus reizvolle und befriedigende Sache!«

Vor allem Cubase

Ian Kirkpatrick lebt und arbeitet in Tarzana, Los Angeles. Sein Studio befindet sich in einem umgebauten Schlafzimmer seines vor zwei Jahren erworbenen Wohnhauses. »Ursprünglich wollte ich die Garage zum Studio ausbauen. Aber offenbar habe ich mich im Schlafzimmer heimischer gefühlt. Die Affinität zu Bedroom-Studios hängt mir wohl immer noch nach …

Ich arbeite mit Mac, Cubase und einem Apollo 16 Audio-Interface sowie Barefoot Sound MM27-Monitoren. Mein Outboard-Rack ist zwar nicht immer in Gebrauch, aber doch recht gut ausgestattet. Da finden sich ein Shadow Hills The Equinox für Summierung und Monitoring, zwei BAE 1084 Mic-Pres, ein Empirical Labs Distressor, ein Thermionic Culture Vulture sowie ein GML 9500 Mastering-EQ und der Shadow Hills Mastering-Compressor. Für Gitarren nutze ich zudem einen Kemper Profiler Modelling-Amp. Manchmal dämpfe ich übrigens unbenutzte Gitarrensaiten mit leicht eingeschnittenen Ohrstöpseln – so kann ich mich ganz auf die zwei bespielten Saiten konzentrieren.

Meistens arbeite ich im Rechner und halte dabei die Dinge möglichst einfach. Weniger ist mehr. Ich stehe total auf Cubase und arbeite damit seit Version SX3. Zu den Zeiten der gecrackten Software versuchte ich es zunächst mit Acid, dann mit Reason – was ich, ebenso wie Ableton Live, immer noch benutze. Schon damals habe ich mich auch mit Cubase angefreundet. Heute ist es meine bevorzugte DAW. Cubase ist sozusagen zu einem weiteren Körperteil geworden. Es bietet Features, die ich so noch in keiner anderen DAW gefunden habe. Dazu zählt etwa die Slide-Funktion – echt schwierig zu beschreiben, aber total nützlich! Editieren geht wunderbar schnell von der Hand. Das ist wie fliegen. Auch die Media Bay zur Sample-Verwaltung ist großartig. Obwohl meine Sample-Library mittlerweile 400 GB umfasst, finde ich mit der Media Bay sehr schnell meine gewünschten Samples. Ich kenne keine DAW, die Ähnliches bieten kann.

Ich hatte eine Gelegenheit, die Entwickler von Cubase kennenzulernen. Beeindruckt hat mich deren Anspruch, sich ständig neue und verrückte Features auszudenken. Natürlich geht das nicht immer ganz ohne Bugs. Dennoch ist mir ein Hersteller, der sein Produkt immer wieder neu erfindet, wesentlich lieber als einer, der ausschließlich auf Stabilität setzt. Mit Cubase lässt sich sehr zuverlässig arbeiten, und ich liebe seine neuen Funktionen. Wenn du dich gut eingearbeitet hast, stößt du kaum auf Limitierungen. Ich kann meine Ideen sofort umsetzen. Schwierig war es nur, als Cubase noch keine Playlists, hier Track-Lists genannt, besaß. Nachdem schließlich Ableton dieses Feature eingeführt hatte, zogen die anderen Hersteller nach – zum Glück, denn ohne Playlists könnte ich nicht mehr klarkommen.

Reason gehört zu den Software-Produkten, die ich ebenfalls nutze. Sein Synth hat noch immer einen einzigartigen Sound. Zudem mag ich die Effekte. Ich verwende Reason als Plug-in mit Cubase und Ableton Live. Live tickt immer ein bisschen anders als Cubase. So bietet etwa der Sampler ein paar wirklich verrückte Funktionen für Cut-Ups und zum Auffinden von Transienten. Manchmal starte ich Songs mit einer bestimmten Soundvorstellung zunächst in Ableton, aber letztlich wird alles mit Cubase fertiggestellt – bis hin zu den Stems für den Mix-Engineer.

Ich verwende außerdem Native Instruments Reaktor. Kontakt ist ebenfalls ein toller Sampler mit einer Menge Optionen zur Sample-Bearbeitung. Razor ist mein Lieblings-Synth für Bässe. Auch die Arturia-Synths sowie Rolands Cloud Juno und Jupiter 8 mag ich sehr. Ich habe massenweise Software-Instrumente, darunter Massive, Addictive Drums, Addictive-Keys, Omnisphere, GForce M-Tron, Reason und Battery, Letzteres vor allem für das Drum-Programming ohne Timeline.«

Abb. 01: Den Löwenanteil des extrem groovenden Bass-Sounds, der zusammen mit den Drums nahezu alleine die Strophen trägt, bestreitet der Scarbee MM-Bass aus NI Kontakt.
Abb. 02: Der Gesang wird dreimal unterschiedlich komprimiert und schnipselweise nach Bedarf wieder zusammengesetzt.
Abb. 03: Mit dem Xfer LFO Tool werden Lead-Vocal und Hall moduliert. Die Modulationsstärke ist in die Automationsspuren (oben) eingezeichnet.

Co-Writing

Ian arbeitet in seinem Studio entweder allein oder mit ausgewählten Co-Writern: »Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, mit wem die Zusammenarbeit am besten funktioniert. Deshalb arbeite ich meist mit denselben Leuten. Dazu zählen Caroline Furoyen und Emily Schwartz. Sie bilden ein gutes Team. Mit ihnen ist auch Don’t Start Now entstanden. Emily war auch an New Rules beteiligt. Selena Gomez’ Look At Her Now und Bad Liar sind mit Julia Michaels und Justin Trenter entstanden – diese beiden sind ebenfalls ein tolles Team. Mit der Zeit findet man heraus, wer für welche Songs am ehesten in Frage kommt.

Manchmal veranstalte ich Writing-Camps. So kann ich in kurzer Zeit zahlreiche neue Autoren kennenlernen und feststellen, mit wem ich auch zukünftig zusammenarbeiten möchte. Writing-Camps sind ein bisschen wie Speed-Dating. Du befindest dich in einem Raum mit Leuten, die du gerade erst kennengelernt hast. Höchstens zehn Minuten später spricht man über seine einschneidensten Erlebnisse und versucht, darüber einen Song zu schreiben. Das kann schnell sehr intensiv werden – einer der Gründe, weshalb ich versuche, möglichst oft mit denselben Leuten zusammenzuarbeiten.

Auch New Rules entstand in solch einem Writing-Camp. Allerdings mochten ihn die A&R’s nicht, und so fiel er durch. Schließlich schickte mein Manager eine Mail an Dua’s A&R und fragte: ›Was hältst du davon?‹ Dua kam später vorbei und änderte ein paar Dinge am Song. Man schreibt ja gelegentlich Songs ins Blaue hinein – manches passt und manches eher nicht. Dann muss man nacharbeiten. Aber üblicherweise hat man beim Songwriting einen bestimmten Künstler im Fokus. So war es auch bei Dua und ihrem Don’t Start Now.

Meist schreiben wir die Songs in Abwesenheit der Künstler. Es ist einfacher für uns, wenn wir eine Variante vollständig fertigstellen und dann erst die nächste ausprobieren usw. Natürlich gibt es Ausnahmen. So war Selena Gomez bei allen Songs, die ich mit ihr geschrieben habe, anwesend. Künstler wie Selena und Dua haben eine starke Persönlichkeit – ohne Dua’s Stimme und ihre Anwesenheit hätte Don’t Start Now nicht das werden können, was es geworden ist.«

Basics zu Don’t Start Now

»Ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Studioarbeit besteht darin, Künstlern Track-Vorschläge vorzuspielen. Nicht alle Künstler mögen das – einige fühlen sich schnell blockiert, wenn ihnen die Tracks nicht gefallen. Man muss da etwas vorsichtig sein. Auch Selena Gomez’ Look At Her Now hat nicht auf Anhieb funktioniert, denn sie wollte gerne etwas mit mehr Tempo. Ich zog also einen Beat mit einem Vocal-Schnipsel aus der Schublade. Den hatte ich schon anderen Künstlern angeboten, allerdings ohne Erfolg. Ich war also echt gespannt. Und siehe da – sowohl Selena als auch Julia mochten ihn. Gott sei Dank…!

Don’t Start Now nahm seinen Anfang in Emily Warrens Haus in Wyoming. Zunächst haben wir nichts Brauchbares zustande bekommen. Schließlich war wohl eine ziemlich verrückte Club-Nacht ausschlaggebend. Ein paar Piano-Akkorde – da ich ein ziemlich schlechter Pianist bin, nutze ich gerne einige Hilfmittel in Plug-in-Form wie etwa Scaler oder Xfer CtHulu Chords – und schon konnten Emily und Caroline ihre Ideen einbringen. Später habe ich dann Drums und die Bassline ergänzt. Basslines sind übrigens meine Lieblingsbeschäftigung. In diesem Falle wurde es ein stilistischer Mix aus Daft Punk und alten Euro-House DJs wie etwa Alan Braxe, Fred Falke und Cassius. Somit ist der Song nicht wirklich von Disco, sondern vielmehr von diesen europäischen funky Basslines beeinflusst.«

Das YouTube-Video zu Don’t Start Now ist mit einem amüsanten Kommentar versehen. Da heißt, es die Bassline wäre das einzige im Video mit mehr Sex als Dua Lipa … Die Bassline klingt tatsächlich sehr sexy und erweckt den Anschein, sie wäre von einem echten Bassisten eingespielt worden. Darauf angesprochen, lacht Ian und erklärt: »Der Haupt-Bass-Sound ist mit dem Scarbee MM-Bass Plug-in entstanden (siehe Abb. 01). Ich habe den Part auf dem Keyboard eingespielt und editiert. Darunter befindet sich ein Subbass, der im Drop mit einem Slapbass überblendet wird. Letzterer ist ein Trilian-Patch und ein Thumb-Bass.

Gegen Ende des Songs hört man Streicher. Sie sind eine Mischung aus Kontakt Session Strings und einem schrägen Nexus 1970er String-Patch – alles zusammengemixt und mit Live-Streichern ergänzt.«

Komplettpaket

Viele Songwriter und Produzenten geben ihre Arbeit an einer bestimmten Stelle an den Künstler oder an zusätzliche Produzenten weiter. Andere, darunter auch Ian Kirkpatrick, bleiben lieber über den gesamten Produktionsprozess am Ball. »Vielleicht liegt es daran, dass ich eine andere DAW als die meisten Produzenten in L.A. verwende, vielleicht bin ich auch nur ein Kontroll-Freak – sicher ist, dass ich gerne in alle Phasen der Produktion eingebunden bin, zumindest bevor der Song an den Mix-Engineer weitergegeben wird. Ich mag die Timing- und Tuning-bezogene Feinarbeit in Cubase, und ich mag es, Dinge zu Ende zu bringen. Es macht mich glücklich, meine erfolgreichen Songs allesamt im Alleingang fertiggestellt zu haben.

Üblicherweise recorde und produziere ich auch die Vocals. Dua nimmt gerne bei mir auf und verwendet mein Telefunken 251 oder gelegentlich mein Shure SM7. Die aktuellen Vocals hat sie zumeist mit dem SM7 eingesungen – in der Hand gehalten. Natürlich bekomme ich auch Aufnahmen von anderen Künstlern geliefert. Ich frage dann grundsätzlich nach allen Takes, denn egal wie gut der zuerst gelieferte auch sein mag, habe ich gerne mehrere Auswahlmöglichkeiten.

Bei meinen Vokalaufnahmen rate ich den Sängern gerne, maximale Emotion zu geben und nicht zu sehr auf ihre Intonation zu achten. Die Intonation kann ich nachträglich optimieren, die Emotionen natürlich nicht. Die Künstler sollen ja nicht nur Texte vortragen, sondern wirklich glaubhaft eine Geschichte ’rüberbringen. Erst dann kann sich der Hörer mit dem Künstler identifizieren, und erst dann entsteht gute Popmusik. Sind die Aufnahmen fertig, komprimiere ich sie zuerst und packe dann alles in Melodyne. Ich nutze sowohl Melodyne als auch Autotune. Die Arbeit mit Melodyne ist wirklich ein bisschen wie Gott spielen – du hast so viele Einflussmöglichkeiten!«

Nach Abschluss der Gesangsaufnahmen zu Don’t Start Now hat Ian die nachfolgenden zwei Wochen mit der Fertigstellung des Songs verbracht. Das beinhaltete auch einen hochwertigen Rough-Mix. Danach wurden die Stems an Mix-Engineer Josh Gudwin geschickt. »Nachdem Dua ihre Vocals eingesungen hatte, nahm ich den Song anders wahr, und wir entschieden uns für einige Änderungen. So befand Duas A&R, Joe Kentish, die Bridge würde eher wie ein Nachsatz klingen, und er hatte recht. Ein Vocal-Schnipsel, eingefügt in die Bridge, hat da geholfen. Zudem klangen die Drums der ersten Version nicht fett genug. Ich fand, der Song würde sich dadurch zu klassisch, zu sehr nach Disco, anhören. Etwas fehlte für den perfekten Mix aus alt und neu. Ich ließ mich von den echt fetten Drums in The Weekends I Can’t Feel My Face inspirieren und packte noch ein paar weitere Drums unter meinen Track.«

Detailarbeit

Mit fast 100 Spuren ist Ian Kirkpatricks Rough-Mix von Don’t Start Now recht umfangreich geraten, zumal zahlreiche Spuren schon zuvor heruntergemischt wurden. »Für die Akkorde vor dem Drop gab es ein eigenes Projekt, denn ich konnte mich nicht für die passende Kombination aus Piano und Synths entscheiden. Für diesen Part hatte ich zunächst etwa 25 verschiedene Sounds, von denen ich vier kombinierte und schließlich wieder in das Hauptprojekt lud. Üblicherweise, aber nicht immer, printe ich MIDI-Parts für den Mix. In dieser Session ist alles gerendert, abgesehen vom Sub-Kick MIDI-Part. Dabei handelt es sich um einen Kontakt-Sound mit zusätzlichem Low-End.

Ich tendiere dazu, ewig an einem Rough-Mix herumzuschrauben und dabei Dinge auszuprobieren. Zu meinen Lieblings-Plug-ins zählen der Universal Audio LA-3A und Oeksound Soothe. Letzteres nutze ich oft zum DeEssen. Da ist es echt unglaublich gut. Zudem bin ich ein Fan des Xfer OTT Multiband-Compressors. Man kann ihn kräftig anfahren, aber auch kleine Dosierungen funktionieren sehr gut. Ich verwende ihn oft, um Sounds etwas aufzuhellen oder störende, mittige Frequenzen zu beseitigen.

Gibt es einen besseren Hall als den Valhalla Vintage Reverb? Für mich ist das der absolut beste Hall, und ich verwende ihn ständig. Sein Shimmer-Reverb ist auch großartig. Damit lassen sich verrückte Sachen anstellen – etwa rendern und dann mit Time-Correction bearbeiten. Einige von den Abbey Road Hall-Plug-ins sind auch echt toll. Und Reasons altes Reverb mag ich ebenfalls noch immer.

Ich reagiere ziemlich empfindlich, wenn Mix-Engineers nachträglich Hall dazu geben, denn ich arbeite gerne mit dem Stereofeld und möchte, dass diese Effekte erhalten bleiben. Es gibt nicht wirklich viele Parameter, mit denen du einem Song zu Dynamik verhelfen kannst. Da ist die Lautstärke, die klangliche Helligkeit, und da ist das Stereofeld. Also möchte ich manchmal, dass sich ein Chorus geradezu aufbläht. Oder ich belasse die Drums an einer bestimmten Stelle mono, um sie dann breiter werden zu lassen. Und es kann ein toller Kontrasteffekt sein, wenn du eine Hallfahne plötzlich abschneidest: Der Hörer gewöhnt sich an den Raum und plötzlich – nichts mehr! Das bedeutet sofortige Aufmerksamkeit. Ich passe genau auf, wie meine Hallfahnen platziert sind und wann meine Delays enden.

Es war einmal geplant, in unserem Studio auch final zu mixen. Das ist der wesentliche Grund, warum ich die Shadow-Hills-Teile besitze. Heute bin ich froh, dass ich diese Geräte habe und verwende den Mastering Compressor gelegentlich, um einen Mix auszupegeln. Ebenso wie den Culture Vulture schalte ich den Shadow Hills dann in einen Insert. Interessant ist auch dieser kleine Teenage Engineering OP1-Synth. Manchmal verzerre ich damit Sounds. Darüber hinaus passiert fast alles im Rechner. Ich könnte natürlich auch mit dem Culture Vulture sehr schöne Verzerrungen erzielen, aber letztlich verwende ich dann doch Plug-ins wie FabFilter Saturn oder iZotope Trash.

Bin ich mit dem Rough-Mix zufrieden, schicke ich die Stems an den Mixer. Meist erhalten die Mixer meine vollständige Arbeit, also auch die Effekte, allerdings als separate Stems. Trockene Files verschicke ich nur auf Anfrage. Die Tatsache, dass niemand außer mir mit Cubase arbeitet, hat durchaus seine guten Seiten: Auf alles, was möglicherweise verbessert werden kann, ermögliche ich den Zugriff. Dinge, auf die ich jedoch besonderen Wert lege, entziehe ich einer weiteren Bearbeitungsmöglichkeit – wie etwa die oben angesprochenen Stereoeffekte. So behalte ich ein hohes Maß an Kontrolle über meine Arbeit. Das halte ich für essenziell wichtig, denn die Grenze zwischen musikalischer Beliebigkeit und Genialität ist ein sehr schmaler Grad – und ich möchte meinen Weg über diesen Grad möglichst weit selbst bestimmen. Zudem bin ich geradezu besessen von dem Wunsch, eine Arbeit abzugeben, die sich für mich perfekt anfühlt.«

Bass

»Auf der ersten Spur liegt der Scarbee-Bass, der je nach Part mit anderen Sounds gedoppelt wird. ›bb-slap‹ stammt von einem Trillian-Patch. Bei ›bbsecondprebass‹ handelt es sich um eine Drone-Note für die Hook. Darunter befindet sich der Subbass – er ist eine Kopie des Main-Bass, allerdings um eine Oktave tiefer gestimmt. Da im Scarbee keine Subharmonischen zur Verfügung stehen, habe ich die mit NI Reaktor im Subbass hinzugefügt. Das macht den Sound etwas fetter. ›Trill‹ im Pre-Chorus ist ebenfalls ein Trillian-Sound, mit dem ich zugunsten eines 90er-Vibes etwas weg vom Disco-Ding wollte. Auf dem Bass-Bus befindet sich ein Xfer LFO Tool. Ducking wird via Kick und Sidechain erzeugt. Der FabFilter Pro-C2 liefert eine leichte Kompression.«

Vocal-Chop-Signalkette

»Der Sound Toys Little Alter Boy verschiebt die Formanten der Vocal-Samples nach unten und lässt so die Stimme voluminöser wirken. Da das ursprünglich ein Mono-Sound war, habe ich mit dem Micro Shift einen leichten Stereo-Effekt addiert. Das Waves HDelay erzeugt punktierte Achtelnoten, arbeitet aber sehr dezent, denn in der Signalkette folgt der Saturn-Kompressor. Dessen Einstellung erfolgt mit dem kleinen Dynamics-Regler neben dem Drive. Die Clean-Tape-Section raut den Sound ein wenig auf. Der Saturn ist ein unglaublich guter, fantastisch klingender Kompressor. Er erzeugt auch den Sidechain-Effekt auf dem Delay: Sobald die Vocals aussetzen, zieht der Kompressor das Delay hoch. Setzen die Vocals wieder ein, verschwindet das Delay. Der Waves C1 glättet alle Pegelspitzen und bringt das Delay noch einmal deutlich nach vorne. Er hat unglaublich schnelle Attack- und Release-Zeiten. So lassen sich Sounds zuverlässig auf einen bestimmten Pegel zusammendrücken. Der FabFilter Pro-DS macht hier dagegen eher wenig. Das Xfer LFO Tool sorgt dafür, dass die Anfänge der Vocal-Samples weniger perkussiv klingen. Es erzeugt einen ›Ohwow-Ohwow‹-Sound.«

Lead-Vocals

»Vocals komprimiere ich in drei Durchgängen. Der komplette Song wird dabei dreimal komprimiert. Diese drei Files tune und time ich, und schließlich komprimiere ich sie noch einmal. Im Screenshot (siehe Abb. 02) lässt sich die Verwendung der komprimierten Files 1C, 2C und 3C erkennen. Es kommt vor, dass ich bei stundenlangen Komprimier-Sessions den Faden verliere. So kann ich mich auch ganz am Ende noch schnell entscheiden, welche Version die beste ist und darauf zurückgreifen.

Meine Vocal-Effektkette startet mit dem bx_cleansweap V2. Er beschneidet zunächst das Low-End um 30 Hz. So sprechen nachfolgende Kompressoren besser auf die entscheidenden Frequenzen, nämlich die tiefen Mitten, an. Der Vulf Compressor ist echt toll, hier sorgt er allerdings nur für ein wenig mehr analoges Feel. Der Waves LA-3A arbeitet sehr schön weich und erhält den natürlichen Sound der Stimme. Hier komprimiert er leicht die Vocals. Da in Duas Stimme die tiefen Mitten dominieren, ist es zudem notwendig, diesen Bereich etwas wegzukomprimieren. Das erledigt der Oeksound Soothe.

Der UAD Pultec EQP-1A entfernt noch einmal etwas mehr Low-End. Zudem hebt er die Frequenzen um 12 kHz an. So klingen die Vocals luftiger. Der UAD-Pultec ist ein toller EQ. Er klingt sehr schön weich. Manchmal setze ich den geboosteten Höhen einen DeEsser entgegen – so auch hier. Nach dem Pro-DS kommt dann noch ein normaler EQ, der FabFilter Pro-Q2. Er kompensiert wiederum das, was der DeEsser möglicherweise zu viel getan hat.

Schließlich haben wir noch das Xfer LFO Tool (siehe Abb. 03). Ich steuere dessen Pegelmodulation mittels Sidechain: Kommt eine Kick, wird die Lautstärke bis auf 10 Prozent reduziert, in den Strophen dagegen auf 40 Prozent. Das sind genau die Dinge, auf die Josh Gudwin beim Mixen unbedingt aufpassen sollte. Hätte er das Stem weiter komprimiert, wäre das LFO-Ducking verloren gegangen. Der LFO-Effekt ist hier sehr wichtig, denn er sorgt dafür, dass Song und Vocals miteinander interagieren und beides aus einem Guss wirkt.

Als Vocal-Hall nutze ich den Valhalla Vintage Verb mit einem nachgeschalteten Xfer OTT Multiband-Expander/Kompressor. Der automatisierte LFO-Effekt befindet sich auch auf dem Hall – das war absolut notwendig. Schließlich wird der Vocal-Hall noch einmal mit dem UAD 1176 komprimiert.«

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