Frauenpower am Fader

Grammy-Preisträgerin Cynthia Daniels über ihre Arbeit in der Männerdomäne Audio

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(Bild: Cheryl Fleming)

Obwohl sich die Welt − und damit auch unsere Branche − öffnet, ist die Musikproduktion auch im Jahr 2019 noch eine Männerdomäne. Angeblich besetzen Frauen nur 5% der Stellen im professionellen Audiobereich (Quelle: Soundgirls.org).

In den letzten Jahren wächst die Aufmerksamkeit für diese Situation, und Frauen an den Mischpulten rücken verstärkt ins Rampenlicht. Man sollte aber denken, Frauen auf dieser Seite der Aufnahmescheibe wären eine gänzlich neue Erscheinung: Sylvia Massy ist seit den 80ern aktiv, Leslie Ann Jones ist seit über vier Jahrzehnten im Geschäft, und Cynthia Daniels gibt seit den 70ern erfolgreich den Ton an.

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Wir treffen Cynthia Daniels in ihren MonkMusic Recording Studios im US-Bundesstaat New York. Die zweifache Grammy-Gewinnerin hat sich hier in den berühmten Hamptons ein Haus mit Studio gegönnt, das für sie Zuflucht und Arbeitsstätte zugleich ist. Wir sprechen mit Cynthia über ihren Weg als Frau in einer männlich dominierten Branche, ihren Studiobau und ihr Lieblings-Equipment.

Wie kommt man als junger Mensch in den Siebzigern darauf, Tontechniker zu werden?

Ich wusste schon mit 16 Jahren, dass ich ein Recording-Engineer werden wollte. Allerdings konnte ich kein College finden, an dem ich das studieren konnte, daher wählte ich stattdessen ein Filmstudium in Boston.

Du hast dich dem Thema also theoretisch genähert?

Nicht nur. In Boston bin ich in den angesagtesten Jazz-Club gelaufen und bekam die Chance, mich zu beweisen. Paul’s Mall Jazz Workshop war das, und mein erster Gig waren die Meters mit den Neville-Brüdern. Im nächsten Club habe ich Pat Metheny mit einem neunkanaligen Shure-Monoboard gemischt − das war damals der Stand der Technik für PA-Systeme. Ich habe also meinen Abschluss gemacht und nebenher Bands gemischt.

(Bild: Cheryl Fleming)

Wie bist du dann zur Studioarbeit gekommen?

Ich habe angefangen, die Proben von Bands mit einer Teac 33 mitzuschneiden, einer Vierspur-Bandmaschine. Das war Top-Technik damals! Irgendwann traf ich dann ein paar Leute, die eine kleine Firma hatten, der ich mich anschloss. Wir luden unser Equipment in den Transporter und fuhren zu Shows, nahmen Konzerte auf und verkauften die Aufnahmen. So habe ich mir meine Sporen verdient. Ich habe ungeheuer viel gelernt dabei. Schließlich ging ich nach Manhattan und bekam einen Job bei A&R Recording.

Als Recording-Engineer?

Nein, absolut nicht. Ich fing ganz unten an, im Archiv. Dabei dachte ich, ich wäre ein Engineer. Aber so läuft das eben: Du fängst im Keller an, und wenn du immer schön die Stifte aufräumst und die Tapes einsortierst, dann kannst du dich vielleicht hocharbeiten. Man kann gut und gerne zwei Jahre so verbringen.

An was für Produktionen warst du da beteiligt?

Die ersten Sessions waren für das Album Gaucho von Steely Dan. Und wir machten den Film Dressed To Kill − überhaupt machten wir viele große Filmproduktionen. Wir hatten dieses riesige Studio A1. Ich traf Walter Becker, Ralph MacDonald und die Band von Billy Joel … Patti Austin … Dave Sanborn. Es war eine großartige Zeit damals.

Aber warst du nicht die einzige Frau in der Schule?

In der Filmschule gab es jede Menge Frauen. In der Recording-Schule war ich die einzige Frau. Ist das Glück wirklich so ein wichtiger Faktor? Natürlich muss man Talent haben. Aber man braucht also mehr als nur Talent − viel Ausdauer. Und man muss eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

Als Frau in der Männerdomäne, wurdest du jemals belästigt?

Bin ich angebaggert worden? Ja, klar. Aber habe ich das als sexuelle Belästigung empfunden? Es gab in Boston mal den Fall, dass ein Kerl meinte, er würde mich weiter lehren und mich den Sound in seinem Club machen lassen, wenn ich mit ihm zusammen wäre. Das war ziemlich unverhohlen. Und später bei A&R gab es auch eindeutig Rassismus und Sexismus. Ich wurde auch belästigt. Ich war 22 und wohl irgendwie ganz süß, und es waren die 80er. Es gab jede Menge Sex, Drugs und Rock’n’Roll damals.

Konnten das andere Frauen auch so gut wegstecken?

Damals gab es dort noch zwei andere Frauen, die später in die Werbung wechselten und sehr viel mehr Geld verdienten. Werbung war damals das große Ding. Ich weiß nicht, ob Sexismus eine Rolle bei dem Jobwechsel gespielt hat − immerhin veränderte sich ihr Gehalt von den lächerlichen 3,38 Dollar pro Stunde, die wir im Archiv verdienten, zu irgendwas im Bereich um die 60.000 pro Jahr. Aber auf jeden Fall brannten sie offenbar nicht so für die Technik wie ich.

(Bild: Cheryl Fleming)

Bildest du selbst Engineers aus?

Ja, das tue ich. Früher haben die Studios Lehrlinge ausgebildet. Aber die großen Studios in Manhattan sind alle verschwunden, und damit auch die Lehrstellen. In Europa gibt es die Ausbildungsplätze noch, aber hier nicht mehr. Hier kauft sich jeder einfach Pro Tools, überschwemmt den Markt mit eigenen Jingles und drängt die großen Studios aus dem Markt. Das ist schon seit einigen Jahren so.

Deine eigene Ausbildung hast du also bei A&R gemacht?

Dort habe ich angefangen. Aber ich habe A&R verlassen, als sie mir sagten, dass sie keine Frauen mehr ausbilden würden, weil alle Frauen immer gehen, um Produzentinnen zu werden. Ich hätte also in diesem Job im Archiv festgesteckt. Ich habe dann in einem ganz kleinen Studio als Assistentin angefangen. In so einem Studio lernt man sehr schnell, und nach einem Jahr als Assistentin war ich plötzlich Engineer und Produzentin.

Was für Jobs hast du in diesem kleinen Studio gemacht?

Alles Mögliche, von Bigband-Aufnahmen über Werbung bis hin zu Filmton. Viel Fernsehmusik, damit konnte man Geld verdienen. Als ich meine ersten Erfolge verzeichnen konnte, war ich erst 26 oder 27, und ich ging in die größeren Studios wie Clinton oder A&R.

Kannst du dich an deinen ersten großen Recording-Job erinnern?

Das war eine seltsame Situation. Es stand eine Session um Mitternacht an, und einer der Chefs meinte, er wollte diese Session nicht machen. Ich sagte ihm, dass ich das gerne übernehmen würde, und so nahm ich ein Demo mit Phoebe Snow auf, das war wirklich cool. Kurz darauf gab es einen Job am Wochenende, den wieder niemand machen wollte, und so arbeitete ich mit Dr. John. Ich machte plötzlich große Jazz-Produktionen. Ich nahm oft direkt auf Zweispur-Tape auf, wie bei Miles Davis. Dann kam Disco dazu, weil ich mit dem Mann zusammenarbeitete, der den Disco-Sound maßgeblich prägte: Boris Midney. Er wurde mit Evelyn »Champagne« King und ihrem Song Shame berühmt. Er kam von Philadelphia nach New York, bildete mich aus und brachte mich mit Leuten von der Texas State University zusammen. Das ist eine wirklich große Jazz- und Musikschule.

Wann hast du erstmals darüber nachgedacht, ein eigenes Studio zu bauen?

Betrieben habe ich ein Studio erstmals in den frühen 80ern. Der Besitzer und die anderen Engineers waren weg. Ich war gerade Ende 20 und führte ein Studio, das ich aber nicht gebaut habe. Ich war eine Zeit lang Chef-Engineer in einem Studio in Manhattan, und dann war ich einfach als Freiberufler unterwegs. Zu der Zeit kam die Computer-gestützte Musikproduktion ins Rollen, Sequencing und so weiter, das musste ich mir draufschaffen. Ich kaufte mir einen PC und Pro Tools und fing an, Editing-Jobs von zu Hause aus zu machen. Ich bot Kunden an, dass ich das Editing bei mir machen könnte, das wäre billiger als im Studio. Manchmal kamen die Kunden zu mir, und wir mischten teilweise sogar bei mir.

Deine Wohnung wurde zum Studio?

Genau. Die Küche war die Gesangskabine, dafür ließ ich extra Wände einziehen. Ich hatte also mein Studio, und ich arbeitete immer noch in den großen Studios. Ende der 90er wollte ich dann ein Haus, ganz klassisch mit Einfahrt und Briefkasten. Ich wollte ein normales Leben. So kam ich zu meinem ersten, sehr kleinen Haus in den Hamptons. Und natürlich fing ich sofort an, es wieder mit Equipment zu füllen. Aber es war eben kein Studio. Ein Kunde sagte mal zu mir, ich mache erstklassige Arbeit in einer drittklassigen Umgebung. Leute wie Richard Gere und Alec Baldwin und Julie Andrews kamen zu mir und saßen in dieser winzig kleinen Kabine, die ich gebaut hatte.

Du hast aber trotzdem noch weiter in den großen Studios gearbeitet?

Es gab eine Zeit, da bin ich gependelt. An manchen Tagen war ich um 9 Uhr morgens hier für Dialogaufnahmen und um 6 Uhr abends in Manhattan für andere Recordings. Das hat mich nicht gekümmert, meine Einstellung zur Arbeit war damals so und ist es heute noch. Jedenfalls wurde irgendwann klar, dass ich mehr Platz brauche. Also rief ich John Storyk an, der hier draußen ein Haus hatte und eine Schwäche für East Hampton. Er hat mir ein gutes Angebot gemacht und war selbst total aufgeregt, hier in East Hampton ein richtiges Studio zu bauen.

John Storyk ist im Studiobau ja durchaus ein bekannter Name …

Absolut. Er hat zum Beispiel die Ross School gebaut, eines der schönsten Gebäude überhaupt.

Du bist also für ein paar Monate ausgezogen, während hier gebaut wurde?

Elf Monate. Das war entsetzlich, ich musste ja trotzdem noch arbeiten. Aber schließlich war es so weit, es war August, und ich nahm hier die erste Band auf, eine vielköpfige Rockband. Ich machte ihnen ein gutes Angebot, dafür testeten wir das gesamte Studio auf Herz und Nieren − jeden Eingang, alles. Es funktionierte alles einwandfrei.

(Bild: Cheryl Fleming)

Als du mit John Storyk das Studio geplant hast, hattest du da schon genaue Vorstellungen?

Glastüren. Ich muss die Band sehen. Ich habe Bildschirme vor mir, also ist es nicht klug, dort auch die Band hinzupacken. Wir bestimmten die Beleuchtung und Belüftung, und John kümmerte sich um die Bauarbeiten. Die Schallisolierung ist hervorragend. Es kommt wirklich nur sehr wenig Schall aus dem Haus ins Studio durch. Um das noch zu reduzieren, hätten es wirklich zwei vollständig getrennte Gebäude sein müssen. Das ist hier immer noch ein Wohngebiet.

Hast du für das neue Studio dann noch neues Equipment gekauft?

Das Mischpult. Ich hatte vorher kein Digitalmischpult, ich arbeitete komplett im Rechner. Ich habe aber nie gerne mit der Maus gemischt. Für ein großes Pult habe ich aber keinen Platz, daher ist es diese Avid C|24 geworden, und sie ist fantastisch. Die Mikrofoneingänge habe ich nie verwendet, ich habe genug Preamps. Über die Jahre habe ich viel gekauft und verkauft, aber die meiste Ausstattung hatte ich damals schon. Ein neues Pro-Tools-System habe ich gekauft, und die Lautsprecher sind auch erst danach gekommen.

Du hast dir ein Surround-Setup eingerichtet.

Genau. Mit einem großen Subwoofer und viel Feintuning. John Storyk und die Leute von Genelec haben das System richtig eingemessen. Ich hatte das Glück, über die Jahre im Business viele Leute kennenzulernen, darunter auch Mike Chafee. Der kam hierher und hat den Raum mit mir zusammen eingestellt.

Der perfekte Raum?

Er ist hervorragend. Aber es gibt immer Probleme. Das Mischpult zum Beispiel. Ich habe immer zwei Stücke Absorber auf der Konsole, weil es sonst eine Störfrequenz bei 80 Hz gibt, die ich nicht wegbekomme, ohne etwas absorptives Material direkt auf die Mischpultoberfläche zu tun. Die Leute unterschätzen oft, wie stark die Reflexionen von der Mischpultoberfläche den Mix beeinflussen.

Gibt es bestimmtes Studio-Equipment, das dir besonders am Herzen liegt?

Diesen Millennia habe ich seit 25 oder 30 Jahren. Die Origin-Serie war immer ungeheuer mächtig mit der Möglichkeit, zwischen Transistor oder Röhre zu wählen. Für Live-Aufnahmen habe ich mir immer 24 Stück davon gemietet. Das Gerät hat einen schönen EQ, einen schönen Kompressor, einfach alles, was man braucht − ganz ohne Patchen.

Wie sieht deine Vocal-Kette aus?

Eine gute Kette für Vocals beginnt für mich mit dem Pacifica, der auf der berühmten Quad-8-Konsole beruht. Der ist supersauber und fett wie ein Haus. Dann weiter in den Neve 33609, von dem ich verschiedene Typen getestet habe und schließlich beim N gelandet bin. Meiner ist tatsächlich ein japanisches Modell. Der klang einfach besser. Jedes Exemplar klingt ja etwas anders. Aber das ist meine Kette, auch für Gitarren, akustische Sachen, Violinen, alles.

Mit was für Mikrofonen gehst du in diese Kette?

Ich habe ein wunderschönes Neumann U47 von 1953 mit der originalen Röhre. Außerdem habe ich diese traumhaften Mikrofone von Oliver Archut, die handgebauten TAB Funkenwerk UM25 und UM17. Ein Telefunken AK47 ist auch dabei. Und ein absolutes Go-to-89, mit dem habe ich ganze Alben aufgenommen. Ich mag das U89 lieber als das U87, weil der Nahbesprechungseffekt großartig ist, aber nicht aufgeblasen wirkt.

Nutzt du auch Plug-ins?

Natürlich, vor allem Universal Audio und Soundtoys. Ich habe eine UAD Octo für alle meine vielen Plug-ins. Ich liebe zum Beispiel den Distressor. Er ist wirklich gut, recht hell. Damals bei A&R bin ich mit EMT-140-Hallplatten aufgewachsen − die EMT der UAD klingt anders, rauscht weniger, aber klingt klasse. Mein meistgenutzter Reverb ist aber der H-Verb, weil er die Ducking-Funktion bereits eingebaut hat.

Wenn im Studio etwas nicht funktioniert, ist es jetzt dein Problem, oder?

Genau. Ich habe gestern Abend zum Beispiel die Röhren an meinem Verstärker gereinigt. Ich muss mich um die Instandhaltung kümmern. Aber das ist es wert, weil ich hier sein darf. Ich komme um halb 6 oder 6 Uhr morgens hier rein, spiele Gitarre oder fange an zu mischen. Wann immer ich möchte.

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