„Ich habe das Studio schon immer als Instrument gesehen“

Filmkomponist Paul Haslinger im Interview

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Musik für mehr als 30 Filme, Grammy-Nominierungen, mehr als eine Million verkaufter Alben: Die Erfolge Paul Haslingers kommen nicht von ungefähr. Der gebürtige Österreicher begann seine musikalische Ausbildung schon als Kind in seiner Heimatstadt Linz und studierte später Klassische Musik an den Akademien in Salzburg und Wien.

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Als Tangerine Dream (Edgar Froese, Christopher Franke) 1985 Musiker zur Live-Unterstützung suchten, spielte Haslinger vor und bekam den Job. Die Zusammenarbeit während der 86er-Tour lief so gut, dass Paul gleich darauf festes Mitglied der Band wurde. In den folgenden Jahren veröffentlichten sie gemeinsam diverse Alben und Soundtracks.

Nachdem Haslinger Tangerine Dream 1990 verlassen hatte, ging er nach L.A., um dort als Filmkomponist Fuß zu fassen. Um seine Fertigkeiten zu perfektionieren, setzte er seine bereits zuvor begonnene Mitarbeit für Graeme Revell fort, etwa für „Pitch Black”, „Red Planet” und „Lara Croft: Tomb Raider”.

2000 produzierte er seine erste Filmmusik im Alleingang: „Cheaters” (Die Mogler), Regie John Stockwell. Seitdem komponierte er regelmäßig für Stockwell-Filme, etwa „Blue Crush” und „Into The Blue”. 2003 landete er mit der Filmmusik zu Len Wisemans „Underworld” seinen bislang größten Erfolg als Filmkomponist, was ihm u. a. den Auftrag für den Score zum Computerspiel „Far Cry Instincts” einbrachte. Gerade hat Haslinger seine Arbeiten an „Sleeper Cell” (2005) abgeschlossen, einer von der Kritik bejubelten TV-Serie, die bereits für den Golden Globe nominiert wurde. Sein nächstes großes Projekt ist die Filmmusik für John Stockwells neuen Film „Turistas”, der voraussichtlich noch in diesem Jahr in die Kinos kommen wird.

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Tangerine Dream

Wie fing deine Ausbildung an: wie üblich mit Klavierunterricht als Kind?

Ja, aber ich habe Musik dann doch erst mit 13 oder 14 wirklich ernst genommen. Dann habe ich auch angefangen, andere Instrumente zu lernen.

Und wann hat sich dein Interesse an Komposition und Studioarbeit entwickelt?

Gleichzeitig. So lange ich mich erinnern kann, hat mich immer die Konzeption von Musik interessiert und wie man im Studio arbeitet. Ich habe das Studio schon immer als Instrument gesehen. In den 70ern und 80ern erschlossen sich die Möglichkeiten, Klang zu formen und über die traditionellen Möglichkeiten hinaus zu gehen, aber hauptsächlich über Synthesizer.

Bei Tangerine Dream habt ihr ja schon sehr viel Filmmusik gemacht. Habt ihr dabei immer im Kollektiv gearbeitet?

Es war schon ein Kollektiv, aber mit gewissen Rollenverteilungen. Das funktionierte gut, weil wir uns auf kreativer Ebene sehr gut verstanden und ergänzt haben.

Ihr habt aber nur Soundtracks gemacht, die sehr eng an den typischen Tangerine-Dream-Sound gebunden waren?

Ja. Einerseits haben wir damals schon eine Norm gesetzt für Elektronik-Soundtracks. Andererseits ist es darin stecken geblieben, weil die Leute immer den gleichen Stil von uns erwartet haben.

Das kann dann auch zur Falle werden …

Ja, aber das habe ich erst im Nachhinein gesehen, als ich in L.A. einen ganz neuen musikalischen Horizont entdeckt hatte. Da wurde mir klar, wie eng die musikalische Perspektive von Tangerine Dream eigentlich war, was Filmmusik betrifft.

Was war für dich der Anstoß, Tangerine Dream 1990 zu verlassen?

Wir haben von 1985 bis 1990 sehr viel gemacht und erreicht: Tourneen, Alben, Filmmusik. Ich habe mich dann gefragt: „Kann ich den nächsten Schritt mit der Band machen, oder ist es besser, wenn ich ihn alleine gehe?” Ich wollte auch aus Europa raus und mein Leben grundsätzlich verändern. Heute weiß ich, dass es der richtige Schritt war. Ich hätte mich mit Tangerine Dream nie so stark verändert, wie ich es alleine getan habe – persönlich und musikalisch.

Lehrjahre in L.A.

Wie kam es dann 1990 dazu, dass du nach L.A. gegangen bist?

Wir sind mit Tangerine Dream oft in L.A. gewesen, und ich hatte dort schon Kontakte. Es war ein leichter Einstieg. Ich hatte einen Plattenvertrag mit Private Music und bin dann im Laufe der 90er langsam von der Musik- zur Filmszene gewechselt.

Haben deine Auftraggeber nicht den Tangerine-Dream-Sound erwartet?

Eigentlich nicht. Ich habe auch versucht, durch meine Musik gegenzusteuern. Mein Tangerine-Dream-Background hat bei meinem Einstieg als Filmkomponist in L.A. ohnehin eine relativ geringe Rolle gespielt. Ich habe klein angefangen und erst mal für andere Leute gearbeitet.

paul-haslinger2Zum Beispiel für Graeme Revell …

Ja, ich habe vorher auch für andere Leute programmiert, aber bei Graeme Revell bin ich in die größeren orchestralen Werke eingestiegen. In diesen Jahren habe ich meinen musikalischen Horizont stark erweitert, aber auch in puncto Arrangement und Technik sehr viel gelernt. 2000 habe ich meinen ersten eigenen Film gemacht (Cheaters: Die Mogler). Damit ging es für mich erst richtig los, aber ohne die lange Vorbereitungszeit dazwischen wäre das gar nicht möglich gewesen.

Konzeption eines Scores

In welchem Stadium des Films wirst du normalerweise für die Filmmusik hinzugezogen?

Das ist sehr unterschiedlich. Traditionellerweise wird der Film erst einmal editiert, und in dieser Post-Production-Phase kommt die Musik dann als eines der letzten Elemente hinzu. Dafür hat man dann etwa sechs bis acht Wochen Zeit – von der ersten Spotting-Session bis zur Abgabe.

Das ist verdammt knapp …

Ja. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Musik gleichzeitig mit dem Film geschrieben wird. Bei Morricones „Once Upon a Time in America” etwa wurde die Musik sogar schon vor dem Film geschrieben. Der Film wurde dann quasi zur Musik gedreht. Ich glaube, dass er auch deshalb so eine starke Musik und Atmosphäre hat.

Aber das sind schon Ausnahmen?

Ja, das ist selten. Allerdings verändert sich das gerade, auch weil Musik in Filmen zunehmend an Bedeutung gewinnt. In letzter Zeit kommt es öfter vor, dass ich schon vor Produktionsbeginn hinzugezogen werde und dann mit dem Regisseur abspreche, was er musikalisch plant. Traditionellerweise ist es so, dass man komponiert, dem Regisseur die Sachen vorspielt, Orchester aufnimmt, mischt – und fertig. Wenn man schon vorher eingebunden ist, kann man auch mal zurückgehen, Sachen verändern, mehr ausprobieren.

Wie konkret sind die Vorstellungen, die der Regisseur von der Musik mitbringt?

Meist beginnt es mit dem Music-Editor. Der legt mit dem Regisseur einen so genannten Temp-Track an, mit Musik, die es schon gibt: aus anderen Soundtracks oder von Platten – teilweise auch mit früheren Sachen von mir. Das ist dann meine Richtlinie.

Ist das ein starres Korsett? Man sagt, dass sich Regisseure oft stark an die Vorgaben des Temp-Track klammern?

Auch hier tut sich etwas. Man hat nun öfter mit jungen Regisseuren zu tun, und die haben ganz andere musikalische Referenzen, die hören MTV. Für uns ist das gut, denn es bricht den Rahmen auf. In den letzten 10 bis 20 Jahren war Filmmusik ja relativ konservativ, aber nun kann man auch immer öfter andere Sachen machen.

Ist dadurch auch eher eine eigene Handschrift des Komponisten gefragt, oder soll sich Filmmusik nach wie vor nur dezent ins Unterbewusstsein schleichen?

An dem alten Satz, dass Filmmusik am besten ist, wenn man sie nicht bewusst hört, ist schon was dran. Ich empfinde es eher als Vorteil, dass man bei Filmmusik im Hintergrund steht. Wenn man sich ganz in den Dienst des Projektes stellt, ist das befreiend, weil man so sein Ego beiseite legen kann.

paul-haslinger3Orchestrales

Du als klassisch ausgebildeter Musiker liebst sicher Orchesterarbeit. Ist der Anteil echter Einspielungen rückläufig?

Da gibt es eine Wellenbewegung. Es gibt Phasen, da ist mehr Elektronik gefragt, aber dann sagt plötzlich jemand: „Die alten Scores haben doch auch gut geklungen!”, und dann gehen wieder alle zurück zum Orchester. Das kommt und geht. Ich habe das jetzt schon einige Male miterlebt.

Und Kosten spielen da gar keine Rolle?

Doch, natürlich. Ein Tag mit einem großen, 90köpfigen Orchester kostet hier 100.000 Dollar. Wenn du damit eine Woche im Studio bist, kannst du dir ausrechnen, dass so etwas wirklich nur bei wirklich großen Filmen machbar ist. Es gibt inzwischen jede Menge Ausweichmöglichkeiten. Man kann nach Prag gehen oder nach Seattle oder Vancouver und dort Scores wesentlich billiger aufnehmen, aber auch dann ist das immer noch ein großes Projekt.

Und andererseits werden die Sample-Libraries immer besser …

Ja, und seit Hans Zimmer muss auch jeder Komponist seinen Score schon mal auf Sample-Basis präsentieren können, bevor er überhaupt ein Orchester aufnehmen darf. Logisch, denn die Produzenten wollen natürlich nicht 100.000 Dollar pro Tag auf den Tisch legen, bevor sie überhaupt gehört haben, was sie bekommen.

Mit welcher Sample-Library arbeitest du?

Ich arbeite mit der Vienna Symphonic Library, bin dort Beta-Tester der ersten Stunde und kann auch Anregungen geben. Meiner Meinung nach gibt es keine andere Library, die dieser nahe kommt. Sie hat unglaublich viele Details und Nuancen und ist das beste Werkzeug, um orchestral zu arbeiten. Vielleicht liegt es daran, dass ich ebenfalls aus Österreich komme, aber ich finde sie auch musikalisch sehr inspirierend.

Aber auch die beste Kopie kommt nie ganz an das Original heran, oder?

Mit der Vienna Library kann ich wirklich schon sehr große Teile eines Orchester-Arrangements aufbauen. Aber gewisse Sachen, die ein Orchester kann, lassen sich nun mal nicht mit Samples abdecken.

Das heißt, dass Samples und echtes Orchester oft kombiniert werden?

Ja. Eine Filmmusikproduktion läuft modular ab, man kann also jederzeit eine Sampling-Spur durch echtes Orchester ersetzen. Meist weiß ich schon vorher, dass sich eine bestimmte musikalische Idee nicht mit Samples realisieren lässt, und das muss ich dem Produzenten dann vermitteln. Oft entscheidet man aber auch noch kurzfristig: „Will ich etwa nur die Solostimme ersetzen oder nur die Streicher?”

Ist das immer nur eine Budget-Frage?

Nein. Es macht auch oft unter künstlerischen Aspekten Sinn, nur Teilbereiche eines Orchesters aufzunehmen. Orchester-Perkussion ist zum Beispiel sehr limitiert. Wenn man mehr Druck will, muss man die unabhängig vom Orchester produzieren.

Sound

Wie gehst du generell an das Soundbild heran?  Bei Filmmusik kannst du ja eher als sonst davon ausgehen, dass sie auf adäquaten Anlagen abgespielt wird …

Dazu gehört viel Erfahrung, das ist ein wichtiger Teil des Handwerks. Ich mache ja auch normale Alben, Computerspielmusik und Musik für Fernsehen, und jedes dieser Formate hat ganz andere Anforderungen. Sicher, generell hast du bei Filmen, die im Kino gespielt werden, die besten Voraussetzungen. Mittlerweile sind aber schon die Hälfte der Verkäufe DVDs …

Dort gibt es auch mehr Probleme mit Surround, weil die Abhören fürs Wohnzimmer sehr unterschiedlich sind …

Ja, ganz extrem. Die Anlagen, über die man zu Hause Surround hört, klingen nicht nur sehr unterschiedlich, sondern sind meist auch noch falsch eingestellt: Der Subwoofer ist zu laut, der Center-Speaker zu leise. Es ist extrem schwierig, dafür eine Mischung abzuliefern, die bei den Leuten ähnlich ausgewogen klingt wie im Studio.

Und wie löst man das Problem?

Um das Risiko zu minimieren, müsste man eigentlich alles in Stereo abmischen. Man sucht dann einen Kompromiss. Cues, bei denen es wirklich schlecht wäre, wenn sie aufgrund eines falsch eingestellten Surround-Systems falsch klingen würden, mischt man sicherheitshalber eher auf Stereo. Bei Sachen, die eher offen oder atmosphärisch sind, kann man sich das Risiko eher leisten und mischt sie mehr auf Surround. Je rhythmischer etwas ist, desto mehr habe ich persönlich die Tendenz, es auf Stereo zu mischen.paul-haslinger5

Welches Soundbild strebt man für Filmmusik generell an?

Du schreibst für Filmmusik am besten so, wie du für ein Openair-PA-System schreiben würdest. Zu viel Detail ist problematisch. Groß und einfach klingt es bei traditioneller Filmmusik immer am besten.

Spart man in Musikpassagen zu Dialogen entsprechende Frequenzen aus, um die Sprachverständlichkeit zu erhöhen, oder passt man das durch Pegelung an?

Nein, das ist definitiv ein Teil des kompositorischen Prozesses, und das war schon immer so. Wenn du dir etwa Morricone oder Bernhard Hermann anhörst, die haben schon ihre Arrangements danach ausgerichtet. Da gibt es traditionell ganz bestimmte Arten zu arrangieren, damit es gut unter Dialoge passt. Das kann man natürlich erweitern bis hin zu EQ-Eingriffen und solchen Sachen, und das machen wir auch.

Du hörst also bei der Komposition auch schon Dialoge und Effekte ab?

Ja, die entsprechenden Spuren laufen bei uns immer mit, und ich schreibe die Musik von vornherein so, dass sich da nichts in die Quere kommt. Das gilt auch für Sound-Effekte. Wenn es bei Verfolgungsjagden oder andren Action-Szenen starke Effekte gibt, muss die Musik gut damit leben können. Es ist schlecht, wenn die Musik das Gleiche versucht wie die Sound-Effekte, denn dann nehmen sich beide die Effizienz.

Hard- und Software

Mit welchem Sequenzer arbeitest du?

Ich habe schon immer mit Steinberg-Sequenzern gearbeitet. Das fing an bei Tangerine Dream mit Pro 24 auf dem Atari, später kam Cubase, und nun ist schon seit langem Nuendo mein zentrales kreatives Werkzeug. Ich finde die Software sehr musikalisch, und für meine Ohren klingt auch die Audio-Engine sehr gut.

Und Klangerzeuger? Du hast dich ja lange an analoge Synths gewöhnt?

Also, Plug-ins: jede Menge. Ich habe auch noch einige Analog-Hardware im Studio, an die ich mich halt im Laufe der Jahre gewöhnt habe. Wirklich notwendig wäre das wahrscheinlich nicht, aber es ist so, wie mit alten Freunden Musik zu machen. Und es macht auch Spaß, Knöpfe zu drehen.

Würde der Sound von Plug-ins reichen?

Sagen wir es mal so: Es gibt im Audiospektrum nicht viel, was ich mit Plug-ins nicht abdecken kann. Den alten Vorwurf, dass Plug-ins keine wirklich tiefen Bässe liefern, kann ich zum Beispiel nicht bestätigen. Ich kann damit jede Menge sehr tiefes Zeug erzeugen. Aber letztlich geht es um die Charakteristik. Vielleicht ist das auch Psychologie, aber wenn ich ein Sample durch Halion (Steinberg Sampler-Plug-in) abspiele, klingt das nun mal anders als durch einen Roland- oder Akai-Hardware-Sampler.

Anders oder schlechter?

Nein, nur anders. Für manche Klänge bevorzuge ich Sampler-Hardware, für andere Software. Es ist immer die Frage, wie tief man in der Materie steckt. Für einen Gitarristen macht es einen Riesenunterschied, ob er diese oder jene Gitarrenimmt, obwohl ich das vielleicht nicht unbedingt so höre. Für jemanden, der sich mit Studiotechnik und Synths beschäftigt, gibt es halt große Klangunterschiede zwischen bestimmter Hardware und bestimmten Plug-ins.

Und der Mixdown? Machst du den im Rechner oder mit einem Hardware-Pult?

Es kommt darauf an. Je mehr Elemente bei einer Produktion eingebunden sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich zum Schluss mit diversen Pro-Tools- und Nuendo-Systemen in ein großes Studio gehe und dort über ein Pult abmische. Es kommt aber immer öfter vor, dass ich auch komplett im Rechner abmische. Seitdem Steinberg und Yamaha diese Ehe eingegangen sind (Studio Connections: Einbindung von Yamaha-Hardware in Steinberg-Software), funktioniert das immer besser. Ich habe in meinem Studio ein DM2000 (Yamaha Digitalmischpult), das direkt in Nuendo eingebunden ist. So kann ich nicht nur in Nuendo mixen, sondern auch das DM2000 durch Nuendo mixen. Für mich ist es auf jeden Fall am angenehmsten, zentral am Bildschirm zu arbeiten und diesen Fokus nicht zu verlassen: mental, aber auch vom Klang her.

Studiokonzept

Du baust gerade ein ganz neues Studio auf. Wie wird das aussehen?

Ich werfe nicht alles über Bord, sondern behalte die traditionellen Komponenten, die sich für mich bewährt haben. So gibt es natürlich auch dort speziell designte Aufnahme-, Maschinen- und Regieräume. Es kommt aber neue Technologie hinein, zum Beispiel 15 Computer, die vernetzt sind.

Welche Aufgaben haben diese Rechner?

Ihnen werden spezielle Aufgaben zugewiesen. Auf einem Rechner läuft zum Beispiel nur der Hauptsequenzer, also Nuendo, ein anderer kontrolliert das Pro-Tools-System, ein dritter ist nur zur Hallberechnung da. Natürlich können alle miteinander Daten austauschen und auf unsere riesige Sample-Library zugreifen.

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Arbeitet ihr mit Macs oder mit PCs?

Gemischt. Die Gigastudios (Tascam Sampler-Software) laufen ja nur auf PCs, und auch Nuendo wurde zuerst auf PCs entwickelt. Ich habe es auf Mac G5 und PC verglichen, fand die Performance auf dem PC besser, und seitdem ist mein Nuendo-Rechner ein PC. Bei PCs hat man auch bessere Möglichkeiten, die Komponenten optimal an das Einsatzgebiet anzupassen. Pro Tools läuft aber bei uns natürlich auf Macs, und zwar sehr gut – übrigens auf G4s, weil das immer noch stabiler ist als auf G5s. Wir nutzen Pro Tools auch als Aufnahme/Wiedergabe-Zentrale für Video und Production-Audio (Dialoge, Effekte etc.).

Gibt es bei solch einem Netzwerk keine Probleme, etwa mit Sample-Rates?

Nein. Das DM2000 arbeitet bei uns auch als digitaler Router für das gesamte Studio. Wir haben dort eine Karte drin, die Sample-Rates in Echtzeit konvertiert. So kann das Pro-Tools-System mit den Spezifikationen laufen, die der Film bzw. das Projekt hat, und die sind immer anders als die für Musik. Bei Musik hat man normalerweise 44,1 kHz / 24 Bit. Weil die meisten Sample-Libraries dieses Format haben und immer Unmengen von Sample-Daten eingebunden sind, fahren wir Nuendo normalerweise mit 44,1 kHz. Pro Tools kann aber gleichzeitig mit der Film-Sampling-Rate laufen. Die ist anders, nämlich 48 kHz, und dort gibt es zum Beispiel auch Pull-downs, aber das funktioniert einwandfrei. So etwas war in digitalen Setups lange ein Problem, weil man immer eine Master-Clock brauchte, die alle anderen Komponenten synchronisierte.

Und was ist das für ein Hall-Rechner?

Das ist ein Mac G5 mit (Audioease) Altiverb: eine ideale Kombination.Wir lassen vier bis fünf Altiverb-Instanzen auf dem Rechner laufen, das Ganze ist digital eingebunden, und das ist unser Haupt-Reverb. Klingt unglaublich gut und schlägt jede normale Hall-Unit, weil es unglaublich flexibel ist.

Computerspielmusik

2005 hast du für Far Cry Instincts deine erste Computerspielmusik gemacht?

Ja. Jetzt kommt auch Far Cry Instincts 1.5 raus, eine Erweiterung bzw. ein Sequel. Gerade bin ich mit Ubisoft im Gespräch für ein Spiel namens Rainbow 65, das 2006 erscheinen soll.

Was bekommst du in solchen Fällen als Arbeitsmaterial: nur Standbilder?

Bei Filmen bekommt man ein Drehbuch, bei Games eine Excel-Tabelle. Darin steht, wo es Musik geben soll, welche Szene das jeweils ist und in welchem Zusammenhang sie mit dem Rest des Spiels steht.

Eine ziemlich modulare Angelegenheit?

Ja. Im Gegensatz zu Filmen sind Spiele ja nicht linear. Es gibt keinen festen Ablauf, alles ist bruchstückhaft, was aber musikalisch sehr interessant ist. Ein Teil sind Ambiences: Jemand kommt etwa an Land, und man muss dazu eine passende Stimmung schaffen. Meist geht es aber um Szenen, in denen viel passiert und die der Spieler beeinflussen kann. Dort muss man viel mit Loops abdecken, aber sehr variabel. Über die Loops müssen wieder andere Dinge hinzukommen. Die Musik muss sich entwickeln, damit es nicht zu langweilig wird.

Es gibt aber auch filmartige Sequenzen?

Ja, das sind die Cinematics. Du erreichst einen bestimmten Punkt im Spiel, und dann läuft ein Minifilm von etwa 30 bis 60 Sekunden ab. Dafür bekommt man etwa einen Quick-Time- oder Video-Clip und schreibt die Musik dazu, wie man es auch bei einem Film machen würde.

Wie sehen die Zielformate für Game-Musik aus? Ist auch Surround gefragt?

Bisher kaum. Was hier immer noch Next Generation heißt, also (Microsoft) Xbox 360 und (Sony) Playstation 3, ist auf Surround ausgelegt. Bisher war es aber immer so, dass das, was die Konsolen soundtechnisch können, größtenteils für die Sound-Effekte verwendet wird, während die Musik oft einfach nur von der CD gestreamt wird. Dadurch kann man kein Multitracking machen, weil die Konsolen halt nicht mehr als ein paar Spuren Musik streamen können. Aber die neuen Konsolen bieten bessere Möglichkeiten, Musik direkt aus dem Speicher abzuspielen, und so wird sich in puncto Qualität bis hin zu Surround viel tun.

Was reizt dich an Game-Scores?

Für mich ist das eine Inspiration und etwas, das mir großen Spaß macht. Ich bin mit Computern und Games aufgewachsen, und es ist eine andere Szene. Die Leute, die Games entwickeln, sind meist jünger als beim Film, und deshalb hat man bei Games eher die Gelegenheit, auch mal etwas ganz Neues und Unkonventionelles zu machen.

Wie bist du an Far Cry gekommen?

Die Leute von Ubisoft fanden meinen Soundtrack zu Underworld (2003) klasse und haben mich daraufhin angesprochen.

Aber Film und Game sind doch ziemlich verschiedene Welten?

Ja, aber das ändert sich. Bisher war Spielemusik im Vergleich zu Filmen meist ziemlich „billig”. Die Firmen haben aber erkannt, dass Musik wichtig ist und dass klassische Score-Elemente auch Spiele gewissermaßen aufwerten können. Mit Halo 2 gab es da im letzten Jahr schon eine deutliche Veränderung.

Weil Spiele im Zeitgeist liegen?

Ja. Früher hat jede Band versucht, ihre Musik in Filmen unterzubringen, heute wollen alle in Games. Im Schnitt gilt das Game-Publikum als aktiver, und deshalb geht man auch davon aus, dass Musik in Spielen mehr wahrgenommen wird als in Filmen.

Sind die Budgets für Game-Musik damit auch größer geworden?

Ich habe bisher nur für Ubisoft gearbeitet. Das ist eine französisch/kanadische Firma, die nehmen Musik sehr ernst und machen deshalb auch entsprechende Budgets. Aber auch bei anderen Firmen ändert sich das gerade gewaltig. Selbst bei Spielen ist es nicht mehr ungewöhnlich,Teile der Musik mit echtem Orchester zu produzieren – eine gute Tendenz, und so lange sich Spiele so gut verkaufen, wird sie auch anhalten.

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