Kolumne von Peter Walsh

Falls nötig, dann reise

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Pete_with case on the road

Es ist Anfang November, blauer Himmel, 25º Celsius, und ich sitze in einem Bus irgendwo zwischen St. Remy und Orgon in der sonnigen Provence. Nach einem sehr produktiven zweimonatigen Aufenthalt in einem der am meisten inspirierenden Orte der Welt bin ich nun auf dem Rückweg nach London.

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Ich merke, dass ich ein digitaler Audio-Nomade werde, kurz: DAN. Für diejenigen, die diesen Begriff noch nicht kennen: Ein digitaler Nomade ist jemand, der reist, während er remote arbeitet. Ich habe es um das Wörtchen »Audio« ergänzt, weil ich das die letzten 40 Jahre gemacht habe!

In diesem Jahr war ich definitiv mehr unterwegs als zu Hause. Aber ist das ein schlechter Lebensstil? Uns allen wird immer wieder gepredigt, wie wichtig es ist, dass die Work-Live-Balance stimmt. Außerdem habe ich schon immer so gelebt. Und im Musikbusiness muss man dorthin gehen, wo die Arbeit ist!

Im Laufe der Jahre hatte ich das Glück, in einigen der berühmtesten Aufnahmestudios der Welt zu arbeiten: im Compass Point auf den Bahamas, im Sonic Ranch in Texas, im Capri Digital in – man ahnt es – Capri; außerdem im PKO in Madrid, im Sunset Sound und A&M in Los Angeles und in noch vielen weiteren. Was aber hat sich geändert? Die Tage, in denen man monatelang in einem vollausgestatteten Studio arbeitete, sind vorbei. Die meisten dieser Studios existieren sogar gar nicht mehr. Ihr Unterhalt ist sehr teuer, und nicht alle Recording-Budgets interessiert die Erfahrung der Studios von einst. Heute bekommst du gerade genug Geld für eines: Die Umgebung oder das Studio, aber nur selten für beides.

Ich schaue nostalgisch auf die unzähligen Tage zurück, als ich mich an heiß gelaufenen Pulten in der Hoffnung abmühte, noch einen schönen Blick von dem Ort, an dem man war, zu erhaschen. Meistens gab es aber keine Zeit, auch nur einen Schritt vor die Tür zu machen. Es ist schwierig, zu relaxen und die exotische Umgebung zu genießen, während du genau weißt, dass es dich 2.000 Pfund und mehr pro Tag kostet. Da merkt man: »Zeit ist Geld.«

Heute ist der Druck nicht mehr so groß, das Modell hat sich geändert. Für einen Großteil des Jahres lebe ich noch immer aus dem Koffer, aber ich arbeite auch aus dem Koffer. Genau das ist das DAN-Ding. Das bedeutet, du musst flexibel sein, du musst dir Möglichkeiten erarbeiten, dass du auch an den schönen Orten dieser Welt komfortabel arbeiten kannst.

Bevor du nun Hals über Kopf aufbrichst: Hier sind ein paar praxiserprobte Kniffe, die das Leben on the road einfacher machen.

Flight-Case: Natürlich ist es essenziell, dass deine Technik vor Ort funktioniert, denn zum nächsten Musikladen könnte es eine Ewigkeit sein. Ich selbst habe mich zu den Pelican-Flight-Cases durchgerungen, und ich hätte nie gedacht, dass ich mit einem Stück Plastik so glücklich werden würde. Die kosten zwar ein halbes Vermögen, aber mit ihnen kann ich mein Equipment sicher von Ort zu Ort schleppen. Aber egal für welches Case du dich entscheidest: Stelle sicher, dass es stabil und wasserdicht ist sowie Rollen hat, denn ein volles Case kann doch recht schwer werden. Außerdem hat sich ein Schaumstoff-Inlay bewährt, das das Equipment im Case nochmal sicher schützt, auch wenn du in einem alten Citroën 2CV um die Haarnadelkurven düst.

Monitorstative: Es ist immer wichtig, dass du deine Monitore gescheit positionieren kannst. Falls du kein eigenes Stativpaar dabeihast, wirst du wahrscheinlich viel Zeit damit verschwenden, um mit allen möglichen Dingen, die dort eben rumfliegen, etwas Entsprechendes zu improvisieren. Ich habe bereits Stunden damit verbracht, Monitore passend zu positionieren: Ich habe Möbel verrückt, Nachtischschränke vom Nachbarzimmer ausgeliehen und Türme aus Büchern gebaut (die schon ohne Monitore extrem wackelig waren und bei denen es außerdem fast unmöglich ist, sie auf die gleiche Höhe zu stapeln). Not macht erfinderisch, und so hatte ich zwei Hocker verwendet, die ich in einem nahegelegenen Antiquariat gefunden hatte. Weil aber Zeit noch immer Geld ist, solltest du dir lieber vorher ein Paar gute Speaker-Stands besorgen. Für meinen nächsten Trip habe ich in zwei stabile Stative von Genelec investiert, und ich bin froh, nie wieder improvisieren zu müssen.

Pete_Provencal studio from outside

Internet und Stromversorgung: Gehe sicher, dass du eine gescheite Internetverbindung hast, und falls es Zweifel gibt, stelle sicher, dass du auch offline arbeiten kannst. Es sollte zwar offensichtlich sein, aber wenn du mitten im Wald bist, ist eine gute Verbindung keine Selbstverständlichkeit. Wenn du größere Datenmengen verschicken willst, musst du sicher sein, dass dir nicht ständig die Verbindung abbricht. In der Provence neulich hatte ich gerade einmal eine Verbindung, die so stabil und zuverlässig war wie ein britischer Premierminister. Erst als das Wifi immer wieder ausgefallen war, merkte ich, dass die meisten meiner Software-Autorisierungen Cloudbasiert waren. Autsch! Es hat etwas gedauert, bis ich alles auf meinem iLok hatte … und dann stellte sich noch heraus, dass dort alles solarbetrieben war! Eigentlich wunderbar, aber nach Sonnenuntergang war das doch ein Manko. Noch ein Grund mehr, zur Cocktail-Hour fertig zu sein.

Raumakustik: Eine letzte Sache noch: Denke daran, dass der Raum wahrscheinlich nicht fürs Mixen gebaut wurde. Vermutlich wird er zu oder zu wenig hallig sein oder einige ganz komische Resonanzen aufweisen. Flauschige Gegenstände wie Teppiche, Vorhänge, Decken etc. helfen, den Schall zu dämpfen, eventuell muss man bei der genauen Positionierung des Arbeitsplatzes nur etwas kreativ werden.

Was steht also als Nächstes an? Bei mir geht’s in ein paar Wochen nach Madrid, um bei einer Doku über den legendären spanischen Sänger, Künstler und Schauspieler Miguel Bosé mitzuarbeiten. Ich produzierte bereits 2001 das Album Sereno von Miguel und gewann damit meinen ersten Latin-Grammy. Damals haben wir das Album im Casa Miguel außerhalb Madrids aufgenommen. Ich verwandelte seinen Stall-/Garagen-Anbau in einen Control-Room, und die XLR-Kabel verlegten wir über die Wäscheleine in das Haus.

Auch dies zeigt, dass sich eine Sache nie ändert: Wir müssen uns immer anpassen.

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Toller Beitrag, der auch für DAE (Digitale Audio Einsiedler) gute Infos enthält. Über die cloudbasierten Authorisierungen bin ich auch in meinem kleinen ‘Bedroom Studio’ bereits gestolpert. Und das ist auch wenn das Einkommen nicht davon abhängt nervig.

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