Eine Reise durch die Wohnwirklichkeit eines Landes
Eric Pfeil – “13 Wohnzimmer”: Live Recording mit Lorenz Naumann
von Martin Mercer,
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Der Kölner Eric Pfeil hat es geschafft, eins der skurrilsten Live Album Konzepte des bisherigen Jahres 2017 auf die Beine zu stellen. Auf seinem neuen Album “13 Wohnzimmer” (erschienen auf Trikont ) bespielt er fremde Wohnzimmer von Fans aus ganz Deutschland, die jeweiligen Spielstätten wurden u.A. via Facebook vorher ausgemacht.Ein unglaublich spannendes Projekt aus tontechnischer Sicht, da jedes Wohnzimmer seine eigenen akustischen Tücken und Besonderheiten hatte – Produzent Lorenz Naumann dazu im Interview.
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Lorenz, erklär mir das Projekt – Wessen Idee war es, 12 Konzerte auf diese Art zu veranstalten und obendrein auch noch aufzunehmen? Was war dein erster Gedanke?
Erics Idee war es, eine Platte zu machen, die direkter und mehr nach LoFi klingt als seine ersten beiden Alben. Es ging dabei nur indirekt und insofern um den Live-Aspekt, als dass dabei eine gewisse Spannung entsteht, aufgrund der unkontrollierbaren Situation. Wenn dabei auch mal eine umfallende Bierflasche, seltsam gelingende Räume oder imperfekte Momente zu hören sind, um so besser! Mir gefiel die Idee auf Anhieb. Ich toure gerne und die Vorstellung, jeden Tag in anderen akustischen Räumen aufzunehmen, fand ich ziemlich spannend. Außerdem hatte ich gerade das Album “Running On Empty” von Jackson Browne gehört, welches nicht nur live aufgenommen, sondern auch live geschrieben wurde. Sehr motivierend.
Pre-Produktion: Wie sah die Vorbereitung aus? Kanntest du die Stücke?
Ich habe die Songs für das Album bei einer Probe im Studio das erste Mal gehört. Dabei haben wir die Technik gecheckt (übrigens auch die Bildtechnik von Kameramann Alfred Jansen) und erste Entscheidungen über Instrumentierungen getroffen, z.B. welche Gitarren zu welchem Song passt. Diese Entscheidungen sind später alle wieder über den Haufen geworfen worden, als wir mit den Liedern und der Aufführung zusammengewachsen sind.
Die Erfahrungen aus den Auftritten waren sehr wertvoll und haben das weitere Vorgehen fortwährend geprägt. Im Tourbus haben wir viel darüber gesprochen, welche Interpretations-weise gut funktioniert. Welche Stücke funktionieren, welche noch nicht und weshalb? Tonarten, Lautstärke, Dynamic, Spannung, Intimität, kommt die Story rüber, etc. Ich glaube Eric hat im Verlauf der Tour viel über sich als Interpret herausgefunden. Das ist für mich als Produzent sehr schön mitzuerleben.
Wir sind verändert aus der Produktion gegangen – Irgendwo zwischen Lindau und Oberammergau hat sich bei mir die Erkenntnis gefestigt, wie sehr mich dieser Aspekt der Musikproduktion interessiert, einen Künstler in seiner Entwicklung ein Stück zu begleiten und zu unterstützen. Normalerweise bereite ich Sessions ziemlich genau vor, um mich während der Produktion nicht mit unnötigen Nebensächlichkeiten herumschlagen zu müssen. Aber in diesem Fall konnten wir uns inhaltlich kaum vorbereiten. Wir mussten uns hineinbegeben und herausfinden, was auf uns wartet.
Die Idee mit den verschiedenen Wohnzimmer, wie kam das zu Stande ?
Das lief über einen Aufruf im Rolling Stone, auf Facebook und auf den Homepages von Eric und seines Labels Trikont. Anna Nocon hat dann aus den Bewerbern die passenden ausgesucht und eine komplette Tour gebucht. Beworben hatten sich die unterschiedlichsten Menschen von der Studenten-WG über ein Geburtstags-Überraschungskonzert bis zum Haushalt, in dem 10 Konzerte pro Jahr veranstaltet werden.
Bei der Fülle an Konzerten, Aufnahmen und wechselnden Orten – wie sah dein technisches Setup aus ?
Die Grundidee des technischen Konzeptes bestand darin, den Klangcharakter der Mikrofone so unverfälscht wie möglich aufzunehmen und erst später bei der Mischung zu färben. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, aber ich arbeite sonst meistens umgekehrt, indem ich möglichst viel Färbung bei der Aufnahme ein fange. Neben den Direktsignalen war es für diese Produktion natürlich entscheidend, den Sound der Örtlichkeit einzufangen. Wenn die Platte schon “13 Wohnzimmer” heißt, will man natürlich auch Räume hören.
Eine wichtige Anforderung war es, einen Rough-Mix schon während der Show zu mischen und aufzuzeichnen, denn ca. 180 Rough-Mixe später zu erstellen, hätte zu viel Zeit gekostet. Außerdem musste ich in der Lage sein, zwei kleine Aktivlautsprecher (Genelec 1030A) zu beschicken. Einen als Monitor für Eric und einen als Stütze für das Publikum. Wir haben bewusst auf eine P.A. verzichtet, weil sie im Wohnzimmer meines Erachtens eine unerwünschte, unsichtbare Grenze zwischen Künstler und Publikum aufbaut. Der Gesang kann sich aber im Quintett mit Banjo, Violine, 2x Gitarre und Akkordeon einfach nicht mehr durchsetzen. Daher habe ich ihn punktuell leicht gestützt, nur soviel wie gerade nötig.
Herzstück des Set-Ups war der Wandler/Mic-Pre HORUS des Schweizer Herstellers Merging Technologies. Sowohl die Mic-Pres als auch die Wandler des HORUS klingen beeindruckend transparent, man hört jede Nuance der Darbietung aber auch der Mikrofontypen. Damit war er ideal geeignet für die Anforderungen. Praktischer weise läßt sich das Gerät über einen Webbrowser komplett fernsteuern, so dass er im eigenen Roadcase bei den Musikern stehen konnte. Auf der Rückseite des Cases wurden die Mikrofonkabel direkt gesteckt. Ein langes MADI, sowie ein langes CAT6 Kabel verbanden dieses Case mit dem Recorder Case.
Um Rough-Mix und Mixe für die Lautsprecher erstellen zu können, kam als Digital-Mixer das MADIface XT von RME zum Einsatz. Ich kenne und verwende die Totalmix Software schon seit vielen Jahren und kam auch live gut damit zurecht. Die Möglichkeit den Mix komplett abzuspeichern und für das nächste Konzert als Basis zu verwenden ist Gold wert. Der minimale Platzbedarf von 1/2-19″ 1HE machte das MADIface zu einem angenehmen Begleiter.
Das MADIface wurde über USB3.0 an einem MacBook Pro betrieben. Die Einzelspuren sowie der Rough-Mix wurden mit Cubase auf einer externen Thunderbolt-HD in 44kHz/24bit aufgezeichnet. Das System ist kein einziges Mal ausgefallen und doch kann man im Live-Betrieb nicht auf ein Havarie-System verzichten. Zu diesem Zweck zeichnete ein Cymatic uTrack24 Standalone HD-Recorder den MADI stream parallel auf einer zweiten Festplatte auf. Nach dem Konzert habe ich die Aufnahme immer auf die interne HD des MacBooks kopiert.
Hattest du viel Zeit um dich jeweils mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut zu machen?
Dafür war überhaupt keine Zeit! Allerdings war das Teil der Idee, das Unerwartete zuzulassen. Deshalb habe ich auch im Vorfeld keine Infos über die örtlichen Gegebenheiten eingeholt. Wenn ich Platten höre begeistert mich, neben der Musik selbst, das Unerwartete. Ein Verspieler hier, ein auffällig seltsam klingender Raum dort, ungewöhnliche Verhältnisse. Für Erics Album war es wichtiger, Ungewöhnliches einzufangen, als sich abzusichern. Ursprünglich hatte ich mal überlegt vor Ort direkt auf 2-Spur Tonband zu mischen. Dann wären auch keine nachträglichen Änderungen mehr möglich gewesen. Wäre cool gewesen, war mir dann aber doch zu heikel, weil man eben auch nicht mal eben dreizehn weitere Wohnzimmer-Konzerte organisiert, wenn einem die Aufnahmen aus den ersten Dreizehn doch nicht gefallen.
Post-Produktion – wie bist Du vorgegangen und wie hast du bei der Fülle an Live-Mitschnitten den Überblick behalten können ?
Zunächst brauchten wir natürlich Zeit für das Aussuchen des Materials. Bei ca. 180 Versionen von 20 Songs ist es wichtig den Überblick zu behalten, das kannte ich schon vom Peter Licht Live Album. Ich habe also eine Datenbank eingerichtet, in der alle Informationen zu allen Aufnahmen landeten. Neben Titel, Datum, Auftrittsort, usw. enthielt die Tabelle vor allem einen Link, der beim Anklicken den Song von einem Webserver streamte.
Außerdem konnten Eric und ich zu jedem Song Kommentare sowie eine Bewertung in Form von Punkten von 1 – 5 eintragen. Mit Hilfe der Kombination von Sortieren und Filtern der Tabelle, direktem Anhören und der Kommentar/Bewertungsfunktion konnten wir uns dann ganz auf den Inhalt konzentrieren.
Der Produktionsplan sah zu wenig Zeit für Postproduktion und Mix vor. Daher habe ich die Datenbank immer gleich nach den Shows um die neuen Rough-Mixe und Kommentare ergänzt. Nach dem letzten Konzert hatten wir also schon unsere Favoriten identifiziert. Das war in Anbetracht des knappen Zeitplans auch bitter nötig.
Vielen Dank für das Interview!
Lorenz Naumann lebt und arbeitet in Düsseldorf. In seinem Studio hedgehogRecorders sucht er als Produzent, Mixer und Engineer nach ungewöhnlichen Klangfarben – dabei entdeckt er immer wieder neue und uralte Produktionstechniken und verwendet diese bei der Arbeit mit Künstlern wie Peter Licht, Eric Pfeil, Patrick Richardt, Fog Joggers, Aberrations, Steve Savage, Chogori, Sommerplatte, u.a.