Kolumne von Peter Walsh

Der Königliche Klicke-Track

Anzeige
(Bild: Dirk Heilmann)

Manchmal denke ich, ich bin ein bisschen ein Nerd. Während der größte Teil Englands in dem etwas disney’esken Spektakel der Krönung von König Charles III und Königin Camilla schwelgte, hat mich die Tatsache am meisten beeindruckt, dass während der Prozession, bei der nicht weniger als acht Militärkapellen aktiv waren, diese zu einem über Funk übertragenen Click-Track spielten. Das sind etwa 1.000 Musiker, die während der ca. 2,3 km langen Parade von Westminster Abbey zum Buckingham Palace alle das gleiche Musikstück zum exakt gleichen Zeitpunkt spielten. Es ist das erste Mal, dass bei einer so großen Veranstaltung ein Click-Track eingesetzt wurde; zuvor marschierten die Musikkapellen zu verschiedenen Musikstücken, zu unterschiedlichen Zeiten.

Ich habe im Laufe der Jahre viel Erfahrung mit Click-Tracks gesammelt und weiß, dass man damit sehr vorsichtig sein muss. Sie können jeder Performance das Leben rauben. Und genau das könnte an Charles und Camillas besonderem Tag passiert sein. Sicher, ein Click hält alles im Takt und sorgt dafür, dass alles – oberflächlich betrachtet – sauber und ordentlich klingt, aber dabei kann natürlichen auch der Schwung und die Emotionen flöten gehen. Ich habe einen Kommentar eines Zuschauers gelesen, der sagte, dass die Prozession trotz des ganzen Prunks nicht wirklich aufregend war und keinen wirklichen Nervenkitzel hatte – es war eine Art Anti-Klimax. Könnte es der Fluch des gefürchteten Click-Tracks gewesen sein? Vielleicht war das Tempo einfach zu langsam. Mit 108 BPM – damit die 4 Tonnen schwere goldene Kutsche mit dem frisch gesalbten Königspaar mithalten konnte! – lag es 8 BPM unter dem, was als normales Tempo für eine solche Prozession gilt.

Anzeige

Die Sound&Recording 3/2023 kannst du dir hier versandkostenfrei bestellen oder als PDF kostengünstig herunterladen. 

Es könnte aber noch einen anderen Grund geben, der, wie ich vermute, viel mehr mit der gedämpften Stimmung des Tags zu tun hatte. Und damit meine ich nicht den Regen.

Man muss schon ein sehr erfahrener Studiomusiker sein, um gut mit einem Click zu spielen. In etwa, als würde man eine Rede halten, ohne vom Skript abzulesen. Es fühlt sich einfach besser an. Um ein guter Session-Drummer zu sein, muss man den Click beherrschen und nicht andersherum. Manu Katché zum Beispiel ist brillant darin, sich aus und wieder in den Click zu bewegen. Genau das ist der Grund, warum sich seine Drum-Tracks immer so fantastisch anfühlen. Die meisten klassischen Musiker kommen mit Klicks nicht so gut zurecht, und das könnte auch das Problem der Musiker an diesem Tag gewesen sein, die sich so sehr darauf konzentrierten, im Takt des Clicks zu bleiben, wodurch die Energie der Musik verloren ging.

In meiner Welt ist es das Größte zu hören, wie eine Band zum Refrain das Tempo anzieht und zur Strophe wieder zurückfällt. Stellt euch Klassiker wie die Beatles, Bowie oder die Rolling Stones mit einem konstanten Tempo vor – unmöglich! Spätestens da merkt man, was Beat Detective anrichten kann. Er kann das Leben und die Seele einer jeden Party rauben.

Wie dem auch sei, zurück zur Krönung. Hat jemand das Königskonzert am nächsten Tag gesehen? Ein weiteres Beispiel für steifer als steif. Die Show war derart durchchoreographiert, dass es nichts gab, was sie aus der Bahn werfen konnte. Alles lief synchron: Musik, Lichter, ganz zu schweigen von den 1.000 Drohnen, die über Windsor Castle schwirrten. Alles beeindruckend, aber wo war die Seele? Wo ist das Gefühl geblieben?

Die Performance von Simple Minds’ Don’t You Forget About Me von Alexis Ffrench und Zak Abel war sehr ergreifend, aber einer der beliebtesten Momente der Show war, als Miss Piggy und Kermit auftauchten. Nicht ein Click in Sicht. Oh ja, und nicht zu vergessen, die (Click-freie) Aufführung einer Szene aus Romeo und Julia, die gemeinsam von der Royal Opera, dem Royal Ballet, der Royal Shakespeare Company, dem Royal College of Music und dem Royal College of Art aufgeführt wurde. Dafür gab es wirklich den königlichen Daumen hoch.

Ich bin immer noch neugierig und würde gerne mehr über die technischen Details des Krönungs-Click-Tracks erfahren. Schade nur, dass ich von all den Menschen, die ich angeschrieben habe, keinerlei Rückmeldung bekommen haben. Scheint so, als seien die militärischen Kapellen nicht so offen mit detaillierten Infos wie der Rest der Musikindustrie.

Während das ganze Land diesen historischen Tag mit Hunderten von Straßenfesten, Pub-Lunches und sogar einem neuen Nationalgericht (!) feierte, kann ich mir nicht weiterhelfen und denke: Die Krönungs-Quiche is here to stay, aber wird der Königliche Click-Track zum nationalen Standard?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.