Kolumne mit dem Tonbuff

Den seinen gibt’s der Herr im Schlaf

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(Bild: s Yana Heinstein, Wolfram Buff, Matthias Reinsdorf, Holger Vogt, Mark Craig)

Neulich wachte ich auf und fragte mich, was ich wohl mache, wenn ich beim Aufwachen mal nicht mehr weiß, was ich denn jetzt … mache.

Da kam mir die Idee, einen Blog über all die Orte zu verfassen, an denen ich mindestens einen Monat lang leben und arbeiten durfte, ohne dort je einen festen Wohnsitz vorweisen zu können. Ein bunter Reiseführer wäre das. Nicht nur würde sich Los Angeles neben Linsengericht tummeln, sondern es gäbe auch ganz verschiedene Grade von Vertrautheit. Manche Ecken kenne ich halt von einem Tag Besuch hier und einem Tag Besuch da, und obwohl sich das über die Zeit zu scheinbarer Regelmäßigkeit läppert, bleiben vielleicht ein paar milde Erinnerungen an irgendeine Absteige.

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Andere sind mir so vertraut, dass ich selbst nach fünf Jahren der Abwesenheit dem Studiobesitzer seine eigenen Kabel erklären kann (»Warum ist da ein Kleber dran?!« »Weil damals …«) und mich im lang verwaisten Studio-Apartment zu Hause fühle. Dort steige ich ins Bett, weiß um die Güte der Matratze und schlafe die eine Wiederholungsnacht fast so gut wie in den verflossenen Zeiten der längeren Aufenthalte.

Dass ich nur fast so gut schlafe, hat übrigens nichts mit Örtlichkeit oder Matratze zu tun, sondern ist überall der Fall. Irgendein Hirnventil ist über die Zeit ausgeleiert, das vor dem Ausleiern beim Schlafengehen schön zuverlässig dem Tag den Hahn abgedreht hatte und die Nacht Nacht sein ließ. Da war’s dann wurscht, wie oft am Tag der gleiche Song durch die Ohren gezogen war, die Nacht hatte ihren eigenen, völlig unabhängigen Soundtrack.

Nicht mehr so heute; am Tag verköstigte Musik läuft auch des Nachts in Dauerschleife und verlangt ihren Anteil am traumhaften Geschehen. Das kann schlafstörend anstrengend sein, wenn bei jedem Umdrehen immer der gleiche Übergang vom Refrain in den C-Teil läuft, aber auch richtig cool, wenn an der Stelle etwas passiert, das mir beim wachenden Hören entgangen war.

Solche geträumten Vorschläge sind großartig, leider (gefühlt) besonders dann, wenn man sie nach dem Aufwachen nur noch schemenhaft erahnt. Dies ist ein äußerst ärgerlicher Zustand, was mich in Zeiten besonderer Traumdichte Handy oder Papier neben das Bett legen lässt, damit die träumend gewonnenen Geistesblitze nicht verloren gehen.

Wer jetzt belustigt über des Buffens esoterische Hobbys schmunzelt, der nimmt seine eigenen spannenden Gedanken aus den Traumkapiteln nicht ernst genug. Ganz viel Beeindruckendes ist diversen Schaffern im Schlaf zugefallen, und man wünscht sich fast, dass man deren Träume als gelebtes Making-of mitträumen könnte − Gruseliges wie den Frankenstein aus dem Traum von Mary Shelley oder Doktor Jekyll und Herrn Hyde von Robert Louis Stevenson, schlangenhaft Chemisches wie das Benzol-Molekül, aber auch ordentlich was aus der Branche, wie zum Beispiel das von Keith Richards erträumte Riff von Satisfaction oder die Melodie von Yesterday, an die sich Paul McCartney glücklicherweise nach dem Aufwachen noch in Gänze erinnern konnte (ob danach im Hause McCartney zur Sicherheit immer ein Erinnerungshelfer neben der Schlafstätte stand, weiß ich nicht, jedenfalls stammt auch der spätere Refrain von Yellow Submarine aus dessen Schlummerschmiede).

Warum wohl ausgerechnet im Schlaf so viel Tolles vorgeschlagen wird?

Wenn man schlaue Nachdenker über das Wesen von Kreativität befragt, ist die Sache klar: Im Traum gibt es keine Kritiker, keine Umstände, nicht mal Naturgesetze. Jeder kann fliegen, eine Couch ist auch als Gefährt geeignet, und natürlich kann man im Traum fließend Koreanisch und nudeln wie Hendrix; das Hirn nimmt den Lappen und wischt Sachen aus den Ecken, aus denen sich dann irgendwas mischt und matscht, das im wachen Leben vor lauter Erfahrung und fertiger Erwartungen keine Chance hätte.

Träume sind auch prima To-Do-Listen, auf die ich gerne höre − wenn der gleiche unfertige Song aus alter Zeit jeden Monat einmal im Traumkino überarbeitet wird, wird es spätestens nach der dritten Traum-Folge Zeit, den auch mal im Wachzustand anzugehen.

Los jetzt. Wagt doch mal ein Weilchen Traum-Tagebuch: Das verschlafene Gemurmel ist zumindest amüsant und, wenn auch nicht zwingend brillant, nützlich für die Schachtel gesammelter Ideen, die euch an irgendeinem zukünftigen Ideentag irgendeine unerwartete Tür aufmacht, egal welche und aus egal welchem Grund.

Unter meiner Traumausbeute war letztens die Storyline für einen krassen Science-Fiction-Roman − vielleicht soll ich den schreiben, wenn ich eines Tages beim Aufwachen nicht mehr weiß, was ich denn jetzt machen soll. Weil der Reiseblog fertig ist. Oder weil ich nach all der Träumerei einfach nicht schlafen kann?

Ach was. Umdrehen und durch. Yesterday 2.0, here I come. Gute Nacht!

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