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90 Jahre Neumann − Eine Erfolgsgeschichte

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Neumann Mikrofon(Bild: Dr. Andreas Hau)

Um kaum einen Audio-Hersteller ranken sich so viele Mythen wie um die Georg Neumann GmbH, die im Laufe ihrer langen Historie zahlreiche Meilensteine geschaffen hat. Darunter so legendäre Röhrenmikrofone wie das U 47, das M 49 und das U 67 sowie dessen transistorisierter Nachfolger, das U 87, das seit über 50 Jahren ein absoluter Studiostandard ist. Bei aller Tradition ist der Blick bei Neumann selbst eher in die Zukunft gerichtet, wie wir beim Besuch in der neuen Firmenzentrale feststellen konnten.

Wer als Tourist in Berlin unterwegs ist, läuft womöglich, ohne es zu merken, an der Neumann-Firmenzentrale vorbei. Sie befindet sich nämlich etwa auf halbem Weg zwischen Checkpoint Charlie und Potsdamer Platz, unweit des Bundesrats in der Leipziger Straße. Nach langjährigem Exil in einem Außenbezirk ist Neumann somit wieder dort, wo ein Unternehmen von Weltruf hingehört: im Herzen Berlins − und ganz in der Nähe des alten Firmensitzes in der Charlottenstraße, wo das Unternehmen seine wohl besten, aber auch seine schwersten Zeiten erlebte.

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Meilensteine

Gegründet wurde das Unternehmen von Georg Neumann und Erich Rickmann im Jahr 1928. Das erste Produkt, das CMV 3, sollte sogleich Maßstäbe setzen, denn es war das erste industriell gefertigte Kondensatormikrofon. Wenige Jahre zuvor hatte Georg Neumann für die Firma Reisz ein Kohlemikrofon entwickelt, das zwar besser klang als die bis dahin erhältlichen Modelle, doch ihm war klar, dass die Schallwandlung mittels Kohlepulver − im Prinzip ein kontrollierter Kurzschluss − klanglich wie technisch unbefriedigend war. Das CMV 3 war ein gewaltiger Entwicklungssprung und allen bis dahin erhältlichen Mikrofonen haushoch überlegen.

Um den Anwendungsbereich zu erweitern, wurden bald Austauschkapseln für das CMV 3 entwickelt. Ursprünglich war es mit einer Druckempfängerkapsel mit Kugelcharakteristik ausgestattet. 1932 stellte Neumann einen Schallwandler mit nierenförmiger Richtcharakteristik vor, die M7-Kapsel. Sie gilt zu Recht als Meilenstein der Mikrofonentwicklung, gleichzeitig begründet sie das, was man den Neumann-Sound nennt.

Links das von Georg Neumann für die Firma Reisz entwickelte Kohlemikrofon, daneben das CMV 3, das erste industriell gefertigte Kondensatormikrofon
Die sagenumwobene M7-Kapsel: 1932 vorgestellt und noch immer aktuell. Ihr akustisches Design wurde später in der K 47-Kapsel übernommen.
Zwei Neumann-Legenden: Das U 47 und das M 49 (rechts) wurden auf unzähligen Aufnahmen eingesetzt und gehören heute zu den begehrtesten Vintage-Mikrofonen.

Etwa zur gleichen Zeit zog Neumann in größere Räumlichkeiten in der Michaelkirch-Straße. Als diese im zweiten Weltkrieg von Bomben getroffen wurden, beschloss Georg Neumann, den Firmensitz in ein möglichst ruhiges Gebiet abseits der Großstädte zu verlagern. 1943 zieht die Firma mitsamt einem Großteil der Beschäftigten in das kleine Städtchen Gefell im Vogtland.

Als Gefell nach dem Krieg in den russischen Sektor fällt, muss Georg Neumann geahnt haben, dass er seine Firma wohl nie zurückerhalten würde. 1947 gründet er in Berlin die Georg Neumann GmbH und beginnt mit der Entwicklung neuer Studiomikrofone. Denn die Audiotechnik hatte dank verbesserter Röhren und Übertrager inzwischen große Fortschritte gemacht, und die neu entstehenden Funkhäuser der Bundesrepublik würden schon bald neue Mikrofone benötigen. 1949 erscheint das U 47, das erste moderne Studiomikrofon mit umschaltbaren Richtcharakteristiken (Kugel, Niere). Sein voller, brillanter Klang und seine Rauscharmut sind revolutionär. 1951 folgt das zusammen mit dem NWDR entwickelte M 49 mit stufenlos veränderbaren Richtcharakteristiken. Als Schallwandler nutzen beide die M7-Kapsel.

Zeitgleich arbeitet Georg Neumann an einer bahnbrechenden Entwicklung auf ganz anderem Gebiet: In jenen Jahren widmet er sich der Konstruktion einer gasdichten Nickel-Cadmium-Akkuzelle. Das Patent verkauft er an die Firma Varta.

Die 50er und 60er sind eine extrem produktive Periode der Neumannschen Entwicklungsabteilung. Neue, besonders rauscharme Miniaturröhren ermöglichen die Konstruktion von Kleinmembranmikrofonen, die höhere Linearität versprechen als Großmembranmikrofone. Bereits 1951 entsteht das M 50, das das gleiche Gehäuse wie das M 49 verwendet, denn die Kondensatorkapsel ist in eine Schallbeugungskugel eingelassen, die dem Mikrofon zunehmende Richtwirkung in den oberen Frequenzen verleiht. Das erweist sich als ideal für Orchesteraufnahmen: Die Firma Decca entwickelt mit dem M 50 ein bis heute höchst beliebtes Stereo-Aufnahmeverfahren, den Decca-Tree.

Das SM 2 (1957) ist ein Stereomikrofon mit zwei umschaltbaren Kleinmembransystemen; die Nickelmembranen sind nur 0,6 μm dünn!
Ein Prototyp des U 67, noch mit der ursprünglich vorgesehenen Modellbezeichnung U 60
Der KU 80 (Spitzname: »Fritz«) ist 1973 Neumanns erstes KunstkopfMikrofon für binaurale Stereo - aufnahmen.
Im unteren Stockwerk befindet sich die Prototypenfertigung. Das Gehäuse dieses TLM 107 wurde aus dem Messingblock gefräst, der darunter zu sehen ist.

Der Rundfunk wünscht sich aber Kleinmembranmikrofone, die auch physisch klein sind, sodass sie bei TV-Übertragungen weitgehend unsichtbar bleiben. 1953 erscheint das KM 53, ein Kleinmembranmikrofon im Stäbchenformat mit Kugelcharakteristik, dem bald das KM 54 mit Nierencharakteristik folgt. Die Membran dieser Mikrofone ist eine weniger als 1 μm dünne Nickelfolie, die in einem galvanischen Verfahren gewonnen wird, denn so dünn kann man Metall nicht walzen. 1955 erscheint mit dem KM 56 sogar ein Kleinmembranmikrofon mit umschaltbaren Richtcharakteristiken (Kugel, Niere, Acht). 1957 folgt das Stereomikrofon SM 2, quasi ein doppeltes KM 56 mit zwei über – einander angeordneten, umschaltbaren Kleinmembrankapseln. Damit markiert es den State of the Art der 1950er.

In den 1960ern werden die schwierig herzustellenden, mechanisch anfälligen Nickelmembrankapseln durch neue Kapseln mit Polyestermembran ersetzt, die gleichzeitig auch einen lineareren Frequenzgang aufweisen. Die ab 1964 gefertigten Modelle KM 63 (Kugel), KM 64 (Niere) und KM 66 (umschaltbar) sind jedoch nur wenige Jahre aktuell, denn das Ende der Röhrenära naht.

Das Transistorzeitalter

Bereits 1965 erscheint mit dem KTM Neumanns erstes Transistormikrofon, das kurz darauf durch das nahezu identische KM 74 ersetzt wird. Die Mikrofone der Serie KM 70 arbeiten noch mit Tonaderspeisung.

Ebenfalls 1966 erscheint aber auch die Serie KM 80, die mit der heute üblichen 48-Volt-Phantomspeisung arbeitet − eine Neumann-Entwicklung, die sich in den folgenden Jahren als Standard etabliert. Denn anders als Tonaderspeisung stellt sie keine Gefahr für dynamische Mikrofone dar; somit sind zwei Ziele erreicht: Kondensatormikrofone können mit normalen dreiadrigen Mikrofonkabeln betrieben werden, und sie benötigen keine klobigen Netzteile mehr, sondern können vom Pult aus gespeist werden. Für die damaligen Toningenieure eine enorme Arbeitserleichterung, die man bei aller Nostalgie für Röhrenmikrofone nicht vergessen sollte.

Natürlich entwickelt Neumann auch weiterhin Großmembranmikrofone. 1960 erscheint als Nachfolger des damals schon legendären U 47 das U 67, das sich sogleich als neuer Studiostandard durchsetzt. Mit seiner aufwendigen, übersteuerungsfesten und rauscharmen Schaltung markiert es den Höhepunkt der Röhrenära. Die sich aber alsbald ihrem Ende zuneigt: Bereits sieben Jahre später erscheint der transistorisierte Nachfolger U 87, der − abgesehen von einer Überarbeitung im Jahr 1986 − bis heute nahezu unverändert gefertigt wird. Es ist das wohl meistverwendete Studiomikrofon überhaupt.

Über die 70er und 80er bleibt das Mikrofon-Portfolio weitgehend stabil und wird nach und nach durch neue Mikrofontypen erweitert. 1973 erscheint der erste Neumann-Kunstkopf KU 80; Mitte der 70er wird sogar ein Quadrofonie-Mikrofon entwickelt, das QM 69, das sich jedoch − wie Quadrofonie überhaupt − nicht am Markt durchsetzen kann. Erfolgreicher sind die Richtrohrmikrofone KMR 81 und KMR 82, die bis heute gebaut werden.

Eine komplette Neuentwicklung auf dem Gebiet der Großmembranmikrofone erscheint erst wieder 1980 mit dem U 89. Es schaut aus wie ein verkleinertes U 87 und ist diesem in nahezu jeder Hinsicht überlegen − jedenfalls auf technischer Ebene. Dennoch bleiben die Anwender dem U 87 treu, denn sein charakteristischer Sound hat sich inzwischen im kollektiven Bewusstsein eingeprägt: So muss ein Großmembranmikrofon klingen! Im Schatten des über großen Vorgängers kann sich das U 89 jedoch als eigenständiges Modell behaupten. Drei Jahre später erscheint das TLM 170, quasi eine übertragerlose Version des U 89, die noch etwas transparenter klingt. Die frühen 80er sind der Beginn der CD-Revolution, und man ist allgemein bestrebt, klangfärbende Elemente − wie eben Übertrager − zu beseitigen, um endlich den wahren, unverfälschten Klang freizulegen.

Abseits von Mikrofonen

Neben Mikrofonen hat Neumann auch andere Audiotechnik entwickelt und gefertigt. Bereits 1929 erschien die AM 29, eine Aufnahmemaschine, die auf Wachsscheiben aufzeichnete. 1930 folgte mit der AM 31 eine stark verbesserte Plattenschneidemaschine, die in großen Stückzahlen von Rundfunkhäusern geordert wurde, denn bis in die 1940er war die Magnetbandaufzeichnung klanglich unterlegen. Neumann fertigte daher sogar eine portable Schneidemaschine, die auf Gelatineplatten aufzeichnete.

Mit der Verlagerung nach Gefell muss die Produktion von Schneidemaschinen zeitweilig aufgegeben werden, doch ab Mitte der 1950er werden in Berlin neue Modelle entwickelt. 1966 erscheint die »Vorschub-Maschine Stereo« VMS 66, die bereits transistorisiert arbeitet − Neumann ist inzwischen Weltmarktführer für komplette Überspielanlagen.

Neumann Mikrofon
Mit Direct Metal Mastering (DMM) revolutionierte Neumann Anfang der 80er den
Vinylschnitt. Leider sollte bald darauf die CD die Schallplatte verdrängen.
(Bild: Dr. Andreas Hau)

1981 wartet Neumann mit einem revolutionären Entwicklungsschritt auf: Direct Metal Mastering (DMM). Die Anlage VMS 82 schneidet nicht mehr in Nitrozelluloselack, sondern in Kupferfolien. Pressmatritzen können nun direkt vom Kupfermaster gewonnen werden. Durch den Wegfall zweier galvanischer Prozesse bei der Vervielfältigung können Knacken und Knistern um ca. 10 dB gesenkt werden. Neumann ist nun unangefochtener Technologieführer auf dem Gebiet der Schneidemaschinen. Dummerweise erscheint wenig später die von Sony und Philips entwickelte CD, die Vinyl-Schallplatten rasch verdrängt.

Ähnlich verläuft es bei den Tonregieanlagen. Ein erstes Mischpult präsentiert Neumann 1963. Das AK3 arbeitet bereits mit Transistortechnik und ist für die damalige Zeit vergleichsweise kompakt. Ab Mitte der 1960er beginnt man mit der Entwicklung von Mischpulten in Kassettentechnik, sodass für jeden Kunden eine Custom-Lösung konfiguriert werden kann. Einige dieser Module sind bis heute legendär, etwa der Kompressor/Limiter U 473a und der Mikrofonvorverstärker V 476b.

Ende der 70er beginnt man mit der Entwicklung sehr ambitionierter Analogpulte mit digitaler Steuerung, ebenfalls in Modultechnik. Mitte der 80er wird die Serie N 5000 vorgestellt, die alle Funktionen speicherbar macht, sogar dynamisch, um Regelvorgänge abzurufen. Ende der 1980er wird sie von der Serie N 7000 abgelöst, die in vielen Details nochmals verbessert wurde. Nur günstiger werden die Pulte nicht. Gekauft werden Neumann-Pulte fast ausschließlich von Rundfunkanstalten und anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen; Musikstudios und Privatanwendern sind sie zu teuer.

Die letzte Entwicklung ist das Strategy 2002, das 1991 vorgestellt und ob seiner Innovation allseits bejubelt wird. Nur finden sich keine Käufer. Preisgünstige Kompaktpulte lassen die hochentwickelten Neumann-Konsolen sehr teuer erscheinen, gleichzeitig stellen zahlungskräftige Kunden Investitionen zurück, um bei Verfügbarkeit auf volldigitale Technik umsteigen zu können, von der man sich einen noch größeren Entwicklungsschub verspricht.

Kriese und Neustart

Es sind nicht zuletzt das Wegbrechen der Geschäftsfelder Mischpulttechnik und Vinylschnitt, die Neumann finanziell in Schieflage bringen. 1991 wird die Georg Neumann GmbH von Sennheiser aufgekauft, und nach gründlicher Analyse der Situation beschließt man, sich von defizitären Unternehmensteilen zu trennen. Die Entwicklung und Fertigung von Schneideanlagen wird eingestellt, die Mischpultsparte verkauft. Die Mikrofonfertigung wird nach Wennebostel ins Sennheiser-Werk verlagert, während Entwicklung und Vertrieb in Berlin verbleiben. Das große Firmengebäude in der Charlottenstraße muss jedoch aufgegeben werden. Man zieht in kleinere Räumlichkeiten in der Ollenhauer Straße in der Nähe des Flughafens Tegel.

Es sind schmerzhafte Einschnitte, aber die Konzentration aufs Kerngeschäft bringt Neumann zurück in die Erfolgsspur. Ab Mitte der 1990er erscheint eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Mikrofone. Nach langer Abstinenz entwickelt Neumann endlich wieder ein Röhrenmikrofon, das M 149, das mit seiner Kombination aus klassischer Kapseltechnik und einer sehr rauscharmen Röhrenelektronik mit moderner, trafoloser Ausgangsstufe prompt einen TEC Award gewinnt. Mit ähnlicher Technik folgen das preisgünstigere M 147 mit fester Nierencharakteristik sowie das M 150 als moderner Nachfolger des M 50 mit einer speziell entwickelten Titan-Kapsel. Wieder hagelt es Preise.

Überhaupt, die Zeiten haben sich gewandelt − dieses Mal zum Vorteil von Neumann. Denn die Digitalisierung der Musikproduktion rückt das Mikrofon als letztes analoges Glied in den Fokus. Gleichzeitig entstehen immer mehr kleine Projekt- und Homestudios − die DAW-Revolution macht teure Bandmaschinen und Pulte zunehmend überflüssig. Für diesen neuen Kundenkreis bringt Neumann 1997 eines seiner erfolgreichsten Produkte überhaupt auf den Markt, das TLM 103. Es ist nicht nur das bislang preisgünstigste Neumann-Großmembranmikrofon, sondern auch das rauschärmste. Mit einem Ersatzgeräuschpegel von nur 7 dB-A stellt es einen neuen Weltrekord auf.

Der Trophäenschrank ist prall gefüllt; rechts im Bild auch drei mipa-Awards des Musik-Media-Verlags.
Der Vorführraum der Neumann-Zentrale. Seit 2010 gehören auch Studiomonitore zum Portfolio.

Nicht ganz so erfolgreich ist Neumanns Engagement im Bereich Digitalmikrofone. Als erstes Modell der Solution-D-Serie erscheint 2003 das D-01 Großmembranmikrofon. Die Technik ist revolutionär, denn das Signal wird unmittelbar hinter der Kapsel digital gewandelt. Dazu kommt ein speziell entwickelter AD-Wandler zum Einsatz, der mit einem Dynamikumfang von 130 dB selbst Mastering-Wandler der Spitzenklasse übertrifft. Zusätzlich ist digitales Signal Processing gleich mit an Bord. Obwohl das D-01 fraglos höchst innovativ ist und auch ausgezeichnet klingt, kann es sich am Markt nicht behaupten.

Erfolgreicher sind Neumanns Retro-Mikrofone TLM 49 und TLM 67, die den Klangcharakter ihrer Röhren-Vorbilder M 49 und U 67 emulieren, unter der Haube aber mit moderner, wartungsarmer Transistortechnik arbeiten. Die besser betuchten Vintage-Fans wünschen sich indes die echten Klassiker zurück, und Neumann erhört ihr Flehen: 2014 erscheint eine Neuauflage des 70er-Jahre-Klassikers U 47 fet. Noch größer ist die Resonanz, als Neumann Anfang 2018 eine Neuauflage des U 67 präsentiert. Es gehen so viele Bestellungen ein, dass Neumann kaum mit der Produktion nachkommt.

Zur erfreulichen Unternehmensentwicklung trägt zudem ein neues Standbein bei: Neumann Monitor Systems. 2005 hatte Sennheiser die finanziell angeschlagene Traditionsfirma Klein + Hummel aufgekauft, und 2010 wurde beschlossen, die hochentwickelten, aber nicht sehr umsatzstarken Studiolautsprecher bei Neumann einzugliedern. Das Konzept sollte aufgehen: Innerhalb weniger Jahre konnte sich Neumann auch im Bereich Studiomonitore als einer der Marktführer etablieren.

Mit diesen Erfolgen im Rücken war die Zeit für einen erneuten Umzug gekommen: raus aus der Randlage, zurück ins Herz von Berlin. In der Leipziger Straße hat Neumann 2015 neue Räumlichkeiten bezogen, die für unsere Branche wahrlich imposant wirken. Vom Konferenzraum unter einer Glaskuppel blickt man auf das Museum der Kommunikation − wo natürlich auch ein Neumann-Mikrofon ausgestellt ist. Hier treffe ich Wolfgang Fraissinet, der seit dem Jahr 2000 die Geschicke der Firma lenkt, um über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Neumann zu reden.

Neumann Mikrofon
Netzteile für alte Röhrenmikrofone. Neumanns Service kümmert sich weiterhin um
alle Mikrofone, die nach Ende des 2. Weltkriegs gefertigt wurden.
(Bild: Dr. Andreas Hau)

Stimmt es, dass Sie den neuen Firmensitz persönlich ausgesucht haben?

Ja, der Auswahlprozess war unter den aktuellen Immobilienverhältnissen in Berlin gar nicht so leicht. Ich habe mir rund 25 Objekte angesehen, aber bei den meisten gab es irgendwelche Dinge, die sie für uns als Hersteller und Entwickler von Mikrofonen und Audiosystemen ungeeignet erscheinen ließen. Natürlich muss es auch bezahlbar sein, was angesichts der aktuellen Preisentwicklung hier in Berlin schwierig zu beantworten ist. Letzten Endes bin ich hier reingekommen − es war die 25. Immobilie − und habe gleich gesagt: Das ist es! Wobei es zum damaligen Zeitpunkt noch einiger Fantasie bedurfte. Es war ein zweistöckiges Dachgeschoss ohne jede Isolierung; auf dem Betonboden lag Taubendreck. Aber das war die Chance für uns, alles neu aufzubauen und es in das zu verwandeln, was wir uns vorstellen. Wir haben alles fotografiert, wie wir es vorgefunden haben, und dann am Bildschirm mit unseren eigenen Designern die Räume so entworfen, wie wir sie uns vorstellen. Damit sind wir dann zum Architekten und haben gefragt, kannst du uns das bauen, und was kostet es? Und das hier ist, was davon übrig blieb.

Wenn man nicht weiß, dass gespart wurde, käme man nie auf die Idee.

Danke! Es ist eben nicht so ganz einfach, wenn man, so wie wir, inzwischen 90 Jahre am Markt ist und viele Dinge sich einschleifen, zur geliebten, aber auch ungeliebten Gewohnheit werden. Deshalb wollten wir uns im Rahmen der neuen Immobile neu erfinden, die ja die Arbeitswelt der einzelnen Mitarbeiter einschließt. Wie wollen wir zukünftig zusammenarbeiten? Welche Bereiche sollen mit welchen anderen besser durchmischt werden, um das Gebären neuer Ideen dadurch zu fördern, dass mehr Gespräch und Austausch zustande kommt? Es war also nicht bloß das Versetzen von Abteilungen in ein neues Gebäude, sondern es ging um die Neustrukturierung des Unternehmens nach modernen Gesichtspunkten und auf Basis meiner Vision, wo wir mit Neumann hinwollen.

Wir sind jetzt im vierten Jahr in diesem Gebäude, und nun merken auch die Mitarbeiter, wie diese Idee von Kommunikation, Durchmischung und Kreativität langsam Raum greift. Die Dinge laufen nun etwas anders, es entsteht eine Aufbruchstimmung.

Neumann Mikrofon
Geschäftsführer Wolfgang Fraissinet ist bereits seit 1990 bei Neumann beschäftigt.
Seit dem Jahr 2000 leitet er das Unternehmen.
(Bild: Dr. Andreas Hau)

Sie sind bereits seit 1990 bei Neumann. Was sind ihre prägenden Erinnerungen?

Ich erinnere mich ziemlich präzise an mein erstes Jahr bei Neumann, das sehr durchwachsen war. Ich hatte zum 1. April angefangen und erfuhr zur Tonmeistertagung im November, dass Neumann an Sennheiser verkauft wurde. Im Gegensatz zu älteren Mitarbeitern, die vielleicht schon 30 Jahre im Unternehmen gearbeitet hatten, hat mich diese Information nicht verletzt. Sie hat mich eher neugierig gemacht, denn ich kam aus einem großen Unternehmen; ich war zuvor sieben Jahre in der Zeiss-Gruppe tätig.

Ich wusste nicht, was auf uns zu kommt, und habe manches als traurige Wahrheit erlebt, etwa, dass Personal reduziert werden musste, oder dass wir das Mischpultgeschäft eingestellt haben, weil es defizitär war. Aber es gab auch viel Gutes bei Neumann, etwa den Pioniergeist und die vielen Patente, die angemeldet worden waren. Es galt, die Kreativität, die im Unternehmen steckt, zu nehmen, und Synergien mit Sennheiser zu bilden, um Neumann zu einem zukunftsfähigen Unternehmen zu entwickeln. Das hat mir von Anfang an Spaß gemacht.

Wie sind Sie in Ihren vielen Jahren bei Neumann dem technischen Wandel begegnet?

Die großen Erfindungen sind gemacht, wir werden in den nächsten zwei, drei Generationen nicht erleben, dass das Mikrofon auf eine komplett neue technische Ebene gestellt wird. Was sich tatsächlich gewandelt hat, ist, dass das emotionale Empfinden von Künstlern bezüglich dessen, was ein Mikrofon leisten muss, mehr dem Charakter eines Instrumentes entspricht. Der Sänger benutzt das Mikrofon als sein Tool für diesen ersten Teil der Signalkette, und hier kann gute oder schlechte Qualität entstehen. Wir können es zwar hinterher digitalisieren und verschlimmbessern, aber was vorne nicht gut gewandelt wurde, kann hinten nicht in ein gutes Klangergebnis verbogen werden.

Wo Schall in ein elektrisches Signal gewandelt wird, ist analoge Technik immer noch das, was mehrheitlich eingesetzt wird. Auch wenn viele darüber nachdenken, wie diese letzte analoge Bastion in die digitale Welt überführt werden kann. Neumann hat das vor vielen Jahren mit der Solution-D-Serie bereits geleistet. Hier wurde der AD-Wandler direkt hinter die Kapsel gesetzt. Das hat sich jedoch in der Form am Markt nicht durchgesetzt. Es gibt aber Kunden wie die Philharmonie in Paris, die mit diesen Mikrofonen hervorragend arbeiten.

Heute haben wir einen anderen Blick dafür, was die Musikindustrie ausmacht. Heute gibt es Homestudios, professionelle Studios und YouTube-Studios, mit jeweils ganz unterschiedlichen Ansprüchen, denn Musik wird heute auf vielen Wegen vertrieben und konsumiert, etwa per Streaming-Diensten. Für uns ist die reine Mikrofonwelt nicht mehr das alleinige Maß der Dinge, wenn wir darüber nachdenken, womit sich Neumann heute und in Zukunft beschäftigen wird. Der Reiz für uns als Hersteller und technologischer Pionier liegt nicht nur darin, das Mikrofon neu zu definieren, sondern die gesamte Signalkette zu überdenken, von der ersten Schallwandlung bis zum fertigen Produkt, egal wie es den Konsumenten erreicht.

Die komplette Signalkette zu überdenken, ist nicht neu für Neumann. Wir haben das früher getan im Rahmen der Schallplattenschneidetechnik, wir haben es danach getan im Rahmen unserer Tonregieanlagentechnik, sowohl im analogen als auch im digitalen Bereich. Und dieses Wissen ist zu großen Teilen immer noch im Hause vorhanden, und das nutzen wir jetzt.

Sie sprachen es bereits an: Digitale Mikrofone konnten sich am Markt nicht so recht durchsetzen. War Neumann der Entwicklung zu weit voraus, oder hat man den Markt falsch eingeschätzt?

Es war ein bisschen von beidem. Es wäre vermessen zu sagen, wir haben alles richtig gemacht und die anderen sind schuld. Neumann hat auf den AES42-Standard gesetzt, den wir ja selbst mit entwickelt haben. Dass sich dieser Standard nicht durchgesetzt hat, liegt an vielen Faktoren und vielen Mitspielern, etwa den Herstellern von Mischpulten. Ohne Pulte mit entsprechenden AES42-Eingängen war der Betrieb unserer Solution-D-Mikrofone, die ja auf diesem Standard aufsetzen, immer mit Zusatzgeräten und Sonderlösungen verbunden.

Digitale Mikrofone an sich, als Idee, als Notwendigkeit in der Industrie stellen wir nicht infrage. Es wird irgendwann digitale Mikrofone geben, und wahrscheinlich ist das, was als Lösung herauskommt, gar nicht so weit entfernt von dem, was wir als Solution-D schon einmal vorgestellt haben. Aber es wird nicht auf diesem Standard basieren. Die Wandlertechnik unserer Mikrofone ist jedoch ausgesprochen hochwertig und entspricht auch heutigen Qualitätsanforderungen.

Das heißt, sie könnten sich vorstellen, dass heute populäre Protokolle wie Dante eine Rolle spielen könnten?

(schmunzelt) Das könnte ich mir nicht nur vorstellen, das stelle ich mir vor!

Zum 80-jährigen Bestehen des Unternehmens erschien mit dem TLM 67 ein Retro-Mikrofon, das dem U 67 klanglich nachempfunden ist, aber mit aktueller Technik arbeitet. Anfang 2018 wurde, passend zum 90. Bestehen, das originale U 67 neu aufgelegt. Zufall oder wegweisend für die Ausrichtung Neumanns?

Es ist nicht wegweisend für die Ausrichtung Neumanns. Wir haben zwar Teile des U 67 im TLM 67 verbaut, aber wir haben ja nicht versucht, ein altes Mikrofon wiederaufleben zu lassen. Wir haben ganz bewusst gesagt: Wir schaffen eine trafolose Variante, die eine gelernte Form bedient, aber wir sagen natürlich auch, es ist ein TLM 67, kein U 67. Was man ja auch am Preis sieht.

Wir behalten uns vor, Mikrofone, die in der Historie Neumanns eine große Rolle gespielt haben, neu aufzulegen, so wie wir es jetzt mit dem U 67 machen. Es gab ja auch schon eine Neuauflage des U 47 fet, und es wird weitere geben. Aber wir überlegen uns so etwas sehr genau, denn wir werden nicht sagen, dass die Neuauflage dem Original entspricht, wenn das nicht der Fall ist. Entweder wir können es, dann bauen wir es − das ist beim U 67 der Fall −, oder wir können es nicht, dann tun wir es nicht.

Wir versuchen, innerhalb dieser 90-jährigen Geschichte, Traditionen sowie Verlässlichkeit für Langzeitkunden zu erhalten. Gleichzeitig möchten wir uns neuen Zielgruppen öffnen, und da reden wir nicht nur von Vintage, sondern auch von digitalen Technologien und neuen Audiolösungen. Ich glaube, in unserer aktuellen Roadmap für die nächsten Jahre haben wir eine gesunde Mischung aus all diesen Facetten. Wenn diese Neuheiten im Rahmen der großen Messen präsentiert werden, wird man es verstehen, denn es sind logische und konsequente Schritte. Wir bleiben unserem Markenkern treu, aber in einer erweiterten Form.

Wir sind gespannt, vielen Dank für das Gespräch!

www.neumann.com

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