Realist

Schoeps V4 U Studio-Gesangsmikrofon

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(Bild: DR. ANDREAS HAU, SCHOEPS)

Die Firma Schoeps aus Karlsruhe fertigt bereits seit 65 Jahren Mikrofone, und doch betritt sie mit dem V4 U Neuland. Es ist — man glaubt es kaum — Schoeps’ erstes Gesangsmikrofon

Ohne Frage, Schoeps ist ein Hersteller mit langer Tradition und einer klaren Produktphilosophie. So hatte die Karlsruher Mikrofonmanufaktur über all die Jahre noch nie ein Groß- membranmikrofon im Sortiment. Daran ändert auch das V4 U nichts, denn auch wenn das Erscheinungsbild anderes suggerieren mag, arbeitet es doch mit einer Kleinmembrankapsel. Seit jeher zeichnen sich Schoeps-Mikrofone durch besondere Linearität und Verfärbungsarmut aus, weshalb sie sich höchster Beliebtheit und Wertschätzung unter KlassikTonmeistern erfreuen. Bislang war man bei Schoeps außerdem der Auffassung, dass ein hochwertiger, möglichst neutraler Schallwandler alle Anwendungen abdeckt und es folglich keiner Mikrofone bedarf, die auf ein bestimmtes Anwendungsfeld zugeschnitten sind. Entsprechend kontrovers wurde die bloße Ankündigung eines Gesangsmikrofons gerade unter Klassik-Tonmeistern diskutiert: Will sich »ihre« Firma Schoeps etwa dem Pop-Markt öffnen?

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Optik

Ebenso kontrovers diskutiert wurde das Äußere: Der Kapselkopf in Art-Déco-Anmutung erinnert an ein uraltes SchoepsDesign, das CM 51/3 von1951, ist allerdings etwas kantiger gestaltet. Über ein Gelenk lässt sich der »Lolipop«-Kopf um 20 Grad nach vorn und hinten neigen, was gerade bei LiveAnwendungen sinnvoll sein kann, um das Mikrofon aus der Sichtachse zu bekommen. Primär ist das V4 U allerdings für Studioanwendungen entwickelt. Der zylindrische Body trägt am oberen Ende einen Ring mit dem Herstellerlogo, das die Einsprechseite markiert. Der untere Teil des Bodys ist in einem tiefen Kobaltblau abgesetzt; alternativ ist eine mattgraue Version erhältlich. Design ist natürlich immer Geschmackssache, aber auf mich wirkt das V4 U recht elegant − was für ein StudioGesangsmikrofon ja nicht ganz unwichtig ist, denn in Abwesenheit eines Publikums bildet es für den Performer einen Fixpunkt. Und das ist ja einer der Gründe − aber längst nicht der einzige −, warum für Vokalanwendungen gewöhnlich ein visuell imposantes Großmembranmikrofon zum Einsatz kommt. Optisch nicht so gelungen finde ich die elastische Halterung. Dabei handelt es sich um eine Universalspinne des britischen Zubehörspezialisten Rycote. Funktional gibt es an dieser nichts auszusetzen; die Körperschallentkopplung ist sogar ausgezeichnet, dank eines innovativen Designs aus Kunststoff, das ohne lästige Gummis auskommt. Das Erscheinungsbild der Spinnenhalterung passt aber in keiner Weise zum Design des V4 U; sie wirkt viel zu ausladend an diesem schlanken Mikrofon. Alternativ ist das V4 U auch mit einer einfachen Mikrofonklemme erhältlich.

Technik

Ungewöhnlich, selbst für Schoeps, findet sich auf der Website ein Whitepaper zur Entwicklung des V4 U. Demnach kam man zu dem Schluss, dass für Studioaufnahmen einerseits ein linearer On-Axis-Frequenzgang wünschenswert wäre, gleichzeitig der Diffusschall, d. h. die Reflexionen im Aufnahmeraum, in den oberen Frequenzen gedämpft werden sollte. Realisiert wurde diese Zielsetzung mit einer bewussten Manipulation des Richtverhaltens mittels einer Ringscheibe von 33 mm Durchmesser, die die Kleinmembrankapsel umgibt. So sollen wünschenswerte Eigenschaften von Groß- und Kleinmembrankapseln miteinander kombiniert werden. Bis etwa 6 kHz bleibt die Nierencharakteristik bemerkenswert konstant − eine Eigenschaft, die gute Kleinmembrankapseln auszeichnet, nicht zuletzt die MK4 von Schoeps. In den oberen Frequenzen wird nun die Ringscheibe aktiv und verengt das Pattern zunehmend zur Superniere − ähnlich wie es bei Großmembrankapseln aufgrund ihres Kapseldurchmessers von meist 32 − 34 mm geschieht. Eine andere wünschenswerte Eigenschaft von Großmembrankapseln bietet diese Konstruktion freilich nicht, nämlich das besonders niedrige Eigenrauschen aufgrund der größeren aktiven Membranfläche, die ja ein Mehr an Nutzsignal produziert. Mit einem Eigenrauschen von 15 dB-A liegt das Schoeps V4 U etwa 3 dB über dem des Neumann U87 A bzw. 8 dB über dem des TLM 103. In der praktischen Anwendung wird man den Unterschied allerdings nur selten bemerken, weil das Raumgeräusch das Mikrofonrauschen meist überdeckt. Auch die übrigen Kenndaten sind tadellos. Mit einer Empfindlichkeit von 16 mV/Pa benötigt das V4 U auch für leise Quellen nicht übermäßig viel Gain.

Der Grenzschalldruckpegel ist mit üppigen 144 dB SPL angegeben − lautere Schallpegel kommen selbst bei Nahmikrofonierung praktisch nicht vor. Diese hohe Pegelfestigkeit verdankt das V4 U einer neu entwickelten übertragerlosen Schaltung, für die der 35-mm-Tubus ja etwas mehr Platz bietet als der schlanke CMC6-Body. Ein interessantes Detail sollte nicht unerwähnt bleiben: Die erste Impedanzwandlerstufe sitzt unmittelbar auf der Rückseite der Kapsel in Form einiger SMD-Bauteile. Die Verbindung zwischen Kapselkopf und Mikrofonbody ist also bereits niederohmig und so – mit viel weniger störanfällig als das »nackte« Kapselsignal. Wie üblich habe ich für diesen Test eigene Messungen angestellt, und zwar in einem normalen Aufnahmeraum in 33 cm Abstand, was der üblichen Praxis bei Gesangsaufnahmen eher entspricht als die sonst üblichen Herstellermessungen im reflexionsarmen Raum bei einem Meter Abstand. Bei Betrachtung des Plots fallen gleich mehrere Dinge auf. Zum einen ist der Frequenzverkauf bemerkenswert linear − da könnte sich gar man – ches Messmikrofon eine Scheibe abschneiden! Zum andern erfasst die Schoeps-Kleinmembrankapsel höchste Frequenzen besser als übliche Großmembrankapseln, die meist oberhalb 15 kHz steil einbrechen. Gleichzeitig kommt das V4 U ohne eine klanggestalte – rische Frequenzbetonungen aus, sieht man mal von einer »homöopathischen« Höhen – anhebung um knapp 1,5 dB ab. In den unteren Frequenzen wird der Übertragungsbereich durch einen festen Hochpass bei ca. 40 Hz begrenzt, der tieffrequenten Störschall unterdrückt.

Praxis

Aus tontechnischer Sicht ist das Schoeps V4 U ein fast schon ideales Mikrofon. Die Klangabbildung wirkt äußerst natürlich und feinzeichnend. Das gilt ganz besonders für den Höhenbereich: Zischlaute sowie andere kritische Konsonanten wie P, T, K und F erfasst die Kleinmembrankapsel ohne jede Überbetonung. Die für Stimmen äußerst wichtigen Mittenfrequenzen zeigen keinerlei Verfärbungen, und der Bass wirkt wohlproportioniert. Der fixe Low-Cut bei 40 Hz liegt knapp eine Oktave unter den tiefsten Noten, die ein Bass oder Bariton zu singen vermag, beschneidet das Nutzsignal also nicht. Beim Mix fällt auf, dass das Signal des V4 U keiner Höhenanhebung bedarf, um sich durchzusetzen. Gleichwohl reagiert das Schoeps-Gesangsmikro sehr gutmütig auf EQ-Bearbeitungen − ein lineares Ausgangssignal lässt sich eben gezielter verbiegen als ein bereits verbogenes. Außerdem wirkt das Klangbild sehr trocken, was für die Nachbe – arbeitung mit künstlichem Hall meist von Vorteil ist. Positiv ist auch die hohe Reichweite: Auch bei etwas größeren Mikrofonabständen zerfällt das Klangbild nicht. Nun ist ein Studio-Gesangsmikrofon nicht nur ein tontechnisches Werkzeug, sondern auch ein Performance-Tool. Wie klingt das Mikrofon unterm Kopfhörer? Wie »fühlt« sich das Mikrofon für den Sänger an, und kann es ihn zu Höchstleistungen beflügeln? Und so lade ich ein zu einem weiteren Tanz auf dem spiegelglatten Parkett der Subjektivität!
Das V4 U hält dem Sänger gewissermaßen einen Spiegel vor. Und zwar in einen optisch korrekten, nicht einen dieser Kaufhausspiegel, die einen schlanker erscheinen lassen. Die Gutmütigkeit und Klangschmeichelei eines guten Großmembran-Kondensatormikros ist dem V4 U fremd. Das liegt nicht etwa am linearen On-Axis-Frequenzverlauf − das V4 U würde ich keineswegs als farblos, sondern als farbecht charakterisieren! Auch an Brillanz fehlt es nicht. Der etwas nüchterne Charakter rührt eher vom Richtverhalten. Typisch für Groß- membranmikrofone, insbesondere solche mit Doppelmembrankapsel, ist, dass sich die Nierencharakteristik zu den tiefen Frequenzen hin enorm weitet, fast bis zur Kugel. Dadurch reduziert sich der Nahbesprechungseffekt (der mit dem Richtverhalten zusammenhängt), und es entsteht ein recht weiter »Sweet Spot« mit einer sonoren, relativ konstanten Tiefenwiedergabe. Die nahezu konstante Nierencharakteristik des V4 U führt zu einem stärkeren Nahbesprechungseffekt mit einem enger bemessenen »Sweet Spot«; die Basswiedergabe schwankt stärker bei Kopf – bewegungen. Und wer würde einen SoulSänger bitten wollen, sich bei seiner Performance nicht zu bewegen? Insofern scheint mir das V4 U nicht ideal für (Pop-)Sänger, die mit dem Mikrofon singen, es quasi als Instrument betrachten. Ohnehin zielt das V4 U nicht auf eine Pop-Ästhetik. Es stellt Stimmen nicht »larger than life« dar und ist kein Sound-Macher. Was das V4 U jedoch besser kann als die meisten Konkurrenzprodukte, ist, Stimmen ganz unverstellt, in ihren natürlichen Proportionen und ihrer natürlichen Schönheit einzufangen. Unbedingt Empfehlenswert scheint mir das Schoeps V4 U deshalb für Sänger, die mit einer »großen« Stimme ausgestattet sind, welche 1:1 eingefangen werden soll.

Für ausgebildete Klassik-Sänger, aber auch manchen Jazz-Vokalisten wird man schwerlich ein besseres Mikro finden! Obwohl es als Studio-Gesangsmikrofon vermarktet wird, ist das V4 U keineswegs ein »One Trick Pony«. Ganz im Gegenteil, ein Schallwandler, der derart linear und transparent agiert, lässt sich selbstverständlich auch für eine Vielzahl von Instrumenten verwenden. So liefert das V4 U beispielsweise auch an der Akustikgitarre sehr hochwertige Ergebnisse. Eine weitere Anwendung, obschon vokalistisch, die der Hersteller vermutlich nicht auf dem Zettel hatte, ist Rap, gerade auch der schnelleren Sorte à la Eminem. »Mit dem Schoeps zu rappen, ist ein bisschen, wie ’ne Stradivari zum Scratchen zu benutzen«, gab ein Kollege zu bedenken. Und doch waren wir uns einig, dass die souveräne Abbildung auch schwierigster Konsonantencluster sowie die zischelfreien S-Laute das V4 U für Rap-Vocals zu einer attraktiven Alternative machen.

FAZIT

Mit dem V4 U hat die Firma Schoeps das Thema Studio-Gesangsmikrofon ganz neu aufgerollt. Herausgekommen ist ein hübsch anzuschauendes, sehr hochwertiges Kleinmembranmikrofon, das der Schoeps-Philosophie weitestgehend treu bleibt: Das V4 U überzeugt mit ausgezeichneten technischen Werten und höchster Klangtreue und taugt längst nicht nur für Vocals. Trotz seines linearen Charakters ist es kein Gesangsmikrofon für jedermann und jede Stilrichtung. Wer sich von einem Studio-Gesangsmikrofon erhofft, dass es seine Stimme vergoldet und ihn mit Klangschmeichelei zu Höchstleistungen beflügelt, wird ernüchtert sein: Das V4 U ist durch und durch Realist. Dafür ist es aber ein nahezu ideales Mikrofon für ausgebildete Sänger bzw. solche, die durch eine Laune der Natur mit entsprechendem Stimmvolumen beschenkt wurden. Denn so ist es eben mit dem Realismus: Er schmeichelt nur dem wahrhaft Schönen!


+++ hohe Klangtreue

+++ hochwertige Verarbeitung

+++ sehr gute technische Daten

++ trockenes Klangbild mit großer Reichweite

– hässliche Spinnenhalterung


 

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für diese ausführliche und informative Produktbeschreibung. Schade, dass die Messplots nicht abgebildet sind.

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