Klangvergleich

Neumann U67: Das Original und Reissue im direkten Vergleich

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(Bild: Dr. Andreas Hau)

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Ohne Vorankündigung präsentierte die Georg Neumann GmbH zur Winter-NAMM eine Neuauflage ihres legendären Röhrenmikrofons U 67. Wenige Monate später werden die ersten Exemplare nun ausgeliefert. Wir konnten eines ergattern und mit einem alten U 67 aus den 1960ern vergleichen.

Es geschieht eher selten, dass ich ein Produkt rezensieren darf, das lange vor meiner Geburt entwickelt wurde. Noch dazu ein so geschichtsträchtiges, denn das U 67 war das Studiomikrofon der 1960er. Es hat sozusagen den Geburtswehen der modernen Popmusik gelauscht, die in jenen Tagen eine rasante Entwicklung vom unschuldigen Liedchen zu verstörenden Psychedelic-Experimenten und ohrenbetäubendem Proto-Heavy-Metal nahm.

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Auf der Studioszene wird sich Dr. Andreas Hau im Talk mit Udo Wagner (Microtech Gefell), Martin Schneider (Georg Neumann GmbH), Christian Bethin-Kittel (Audio-Technica) und Walter Rührig (Austrian Audio) zum Thema Vintage Mikros & Reissues auseinandersetzen. Mehr Infos hier. 


Viele der heutigen kulturellen und gesellschaftlichen Errungenschaften nahmen ihren Anfang in den 60ern. Aber auch viele technische Neuerungen, wie das Neumann U 67 belegt, das bereits all die Funktionen in sich vereinte, die bis heute ein universelles Studiomikrofon ausmachen: drei umschaltbare Richtcharakteristiken sowie Pad- und Low-Cut-Schalter. Revolutionär war auch das formschöne Design mit einem abgeschrägten Mikrofonkorb und einem konischen Gehäuserohr: Zeitlose Eleganz! Kurzum, das U 67 war seiner Zeit so weit voraus, dass es, technisch unverändert, über 50 Jahre später erneut zum Verkaufsschlager avanciert.

Ein Koffer aus Berlin

Die U-67-Reissue wird in einem hochwertigen Koffer in grauer Tweed-Optik geliefert. Auf dem Deckel ist die Neumann-Raute eingestickt, vorn glänzt eine Chromplakette mit dem Herstellerlogo und der magischen Zeichenfolge »U 67«. Das Case wird übrigens wie das gesamte Mikrofon in Deutschland gefertigt. Auch das Innere des Koffers ist liebevoll gearbeitet: Beim Öffnen prangt in der Mitte das U-67-Mikrofon. Links davon befindet sich die Spinne − die alte Z-48-Halterung wurde eigens für das Reissue neu aufgelegt. Rechts befindet sich das Netzteil, das die Heiz- und Anodenspannungen für die Röhre bereitstellt. Das zugehörige zehn Meter lange, ungewöhnlich biegeweiche Multipin-Kabel ist in einem Fach unter dem Mikrofon untergebracht. Die Neuauflage verwendet übrigens die gleichen siebenpoligen Steckverbinder wie die alten U-67-Mikrofone, zwar in Schwarz statt Nickel, aber vollkompatibel mit den alten Steckern und mit der korrekten Pin-Orientierung. An solchen Details erkennt man bereits, dass es dem Hersteller offenbar nicht darum ging, ein ähnliches Produkt zu bauen, sondern ein weitestgehend identisches.

Die Neuauflage des U 67 schaut auf den ersten Blick aus wie ein U 87 Ai – bis auf die schwarze Farbe des Neumann-Emblems, die für Röhrentechnik steht. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Um das zu verifizieren, hat uns Carsten Lohmann vom Berliner Equipmentverleih Echoschall freundlicherweise ein altes U 67 zur Verfügung gestellt. Das Echoschall-Exemplar wurde im März 1969 ausgeliefert und stammt aus den Europa Studios, wo es vorwiegend für Hörspielproduktionen verwendet wurde. Entsprechend gut ist der Erhaltungszustand.

Ein altes U 67 vom Berliner Equipmentverleih Echoschall: äußerlich mit Vintage-Patina, technisch aber top in Schuss. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Eine kurze Geschichte der Vorzeit

Eingeführt wurde das U 67 im Jahr 1960 als Nachfolger des äußerst beliebten U 47, welches damals schon eine Legende war. Ein so populäres Mikrofon abzulösen, war keine leichte Aufgabe; aber ein paar Jahre zuvor hatte Telefunken die Produktion der VF14-Röhre eingestellt, und es schien sinnvoll, diese Zäsur zu nutzen, um einen neuen Studiostandard zu schaffen, der nicht nur eine leichter erhältliche Röhre verwendet, sondern auch modernen »amerikanischen« Aufnahmetechniken Rechnung trägt. In jener Zeit wurden nämlich Close-Miking und Multimikrofonierung populär, um einen direkteren, druckvolleren Klang zu erzeugen. Der Trend hält bekanntlich bis heute an.

Das 1969er U 67 von Echoschall wurde noch unter dem Telefunken-Label vertrieben; auf der Banderole ist die deutsche Teilung dokumentiert: „Made in Western Germany“. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Das U 67 erhielt deshalb eine schaltbare Vordämpfung, damit es auch hohe Schallpegel verzerrungsfrei verarbeiten konnte, sowie eine schaltbare Tiefenabsenkung, um den Nahbesprechungseffekt zu kompensieren. Zusätzlich wurde eine interne (abschaltbare) Tiefensperre gegen Poplaute und Trittschall eingebaut, die Frequenzen unter 40 Hz bereits vor dem Röhreneingang absenkt. Außerdem erhielt das U 67 drei umschaltbare Richtcharakteristiken (Kugel, Niere, Acht) statt nur Kugel und Niere beim U 47.

Weitere Neuerungen verstecken sich unter der Haube: Für das U 67 wurde ein neuer Schallwandler entwickelt, die K-67-Doppelmembrankapsel mit separaten Gegenelektroden pro Kapselhälfte. Bei der alten K 47 mit einer gemeinsamen Gegenelektrode war es nämlich schwierig, Kapseln zu fertigen, deren Vorderseite und Rückseite identisch klangen. Mit der K 67 wurde dies einfacher. Chefentwickler Dr. Gerhart Boré hatte sich außerdem etwas einfallen lassen, um das Röhrenrauschen zu reduzieren bzw. weniger hörbar zu machen. Ähnlich dem Präemphase/Deemphase-Prinzip aus der Magnetbandaufzeichnung erhielt die K 67 eine kräftige Höhenanhebung, die anschließend von der Mikrofonelektronik wieder begradigt wurde. Erreicht wurde dies über frequenzselektive Gegenkopplung, die das gesamte Mikrofon mit einbezog. Dazu erhielt der Ausgangsübertrager zusätzliche Hilfswindungen, deren Signalanteil über die Kapsel gegenphasig eingekoppelt wurde. Das Resultat ist ein Studiomikrofon auf dem Höhepunkt der Röhrentechnik: bemerkenswert linear und allen Aufgaben im modernen Studio gewachsen.

Der höhere Heizstrom neuerer Röhren sowie die verschärften Sicherheitsvorschriften haben ein neues Netzteil erforderlich gemacht.
Das neue Netzteil kommt in Vintage-Optik und stellt sich automatisch auf die jeweilige Netzspannung ein.

Dennoch wurde es recht bald schon wieder abgelöst: 1967 erschien der transistorisierte Nachfolger U 87, der nach denselben Prinzipien arbeitet − und das schon seit 50 Jahren! Das röhrenbetriebene U 67 wurde noch bis 1971 produziert. 1992 gab es eine erste Neuauflage, die jedoch auf wenige Hundert Mikrofone begrenzt war, da man z. T. Altbestände an Komponenten aufbrauchte. Das aktuelle Reissue ist nicht limitiert; die benötigten Komponenten werden nachproduziert, sodass das U 67 angeboten werden kann, solange Nachfrage besteht. Die ist, wie mir versichert wurde, erfreulich hoch.

Kein Wunder, denn dieses Mikrofon hat Recording-Geschichte geschrieben. Was dem Beatles-Fan das U 47, ist dem Stones-Fan das U 67; Mick Jagger sah man in den 60ern und frühen 70ern selten mit einem anderen Mikrofon. In Reinkultur zu hören sind die Qualitäten des U 67 auf Live from New York City, 1967 von Simon & Garfunkel, das mit dreien dieser Mikrofone mitgeschnitten wurde. Nur zwei U 67 waren für eines der bis heute meistverkauften Jazz-Alben nötig: Keith Jarrets Köln Concert (1975). Das U 67 war auch das Mikrofon, mit dem der legendäre Engineer Glyn Johns (Stones, Beatles, Who, Eagles u.v.m.) die nach ihm benannte Schlagzeug-Abnahmetechnik entwickelte, wie man in seiner (sehr lesenswerten) Autobiografie Sound Man (2014) nachlesen kann.

März 2018

Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, ein frisch gefertigtes Vintage-Mikrofon in Händen zu halten. Der Verstand sagt »Legende«, das Auge sagt »brandneu«. Die nickel-matte Oberfläche ist absolut makellos verarbeitet. Optisch ist das U 67 kaum von seinem transistorisierten Nachfolger U 87 Ai zu unterscheiden, bis auf das Neumann-Emblem, das bei Röhrenmikrofonen schwarz ist und bei FET-Mikrofonen mit Übertrager lila. Außerdem benötigt das U 67 einen siebenpoligen Anschlussstecker, der aufgrund seines größeren Durchmessers verhindert, dass es auf die fürs U 87 Ai entwickelte EA-87-Aufhängung montiert werden kann. Daher die Rückkehr zur Z-48-Spinne. Gegenüber dem alten U 67 von Echoschall wurde bei der Neuauflage die Banderolenbeschriftung geändert. Beim U 67 von 1969 seht noch »Made in Western Germany« zu lesen − bis zum Mauerfall sollten ja noch 20 Jahre vergehen. Bei der Reissue steht in etwas kleineren Lettern »Made in Germany« und »Supply: NU 67 V«.

Letzteres ist wichtig, denn die in der Neuauflage verwendete EF86-Röhre aus aktueller Fertigung zieht einen etwas höheren Heizstrom, den ein älteres U-67-Netzgerät nicht zuverlässig liefern kann. Als Folge könnte erhöhtes Rauschen auftreten. Umgekehrt kann das Netzteil der Reissue aber problemlos für ältere U-67-Mikrofone verwendet werden. Da heute viel strengere Sicherheitsvorschriften gelten als in den 60ern, musste das Netzgerät ohnehin neu designt werden. Bei der Gelegenheit hat man eine Automatik eingebaut, durch die sich das NU 67V selbsttätig auf die jeweilige Netzspannung einstellt. Erlaubt sind 100−120 und 220−240 Volt bei 50−60 Hz; das dürfte alle halbwegs zivilisierten Orte dieser Erde abdecken. Es handelt sich jedoch nicht um ein »neumodisches« Schaltnetzteil. Da das Netzteil eines Röhrenmikrofons durchaus einen gewissen Einfluss auf den Klang haben kann, entschied man sich, bei einem linearen Netzteil zu bleiben. Im Gegensatz zu den alten Netzteilen arbeitet das neue mit einem streuarmen Ringkerntrafo.

(Bild: Dr. Andreas Hau)

Innenansicht

Schauen wir mal ins Innere. Das U-67-Reissue entspricht im Platinenlayout und in der Bauteilanordnung exakt dem alten U 67 von Echoschall. Geändert wurde lediglich das Platinenmaterial. In den 1960ern kam Hartpapier zum Einsatz, das durch Feuchtigkeit Kriechströme entwickeln kann. Für die Neuauflage werden widerstandsfähigere Epoxy-Platinen verwendet. Probleme bereiten kann bei den alten U 67 auch das Acrylglasmaterial, das für den Boden des abnehmbaren Kapselkopfs und das Gegenstück der Mikrofonelektronik verwendet wurde. Acrylglas neigt dazu, mit den Jahren brüchig zu werden (insbesondere, wenn man versucht, es mit Alkohol zu reinigen). Bei der Neuauflage bestehen diese Teile aus einem anderen Kunststoff, der sich seit vielen Jahren beim Nachfolger U 87 Ai bewährt hat.

Für die Bauteilbestückung der Reissue wurde auf aktuelle Komponenten zurückgegriffen, die zwar weniger kultig aussehen als die Bauteile der 60er, aber zuverlässiger sind. Bei der Kondensatorbestückung fällt auf, dass durchweg die gleichen Qualitäten verwendet werden. Soll heißen, Polyester-Kondensatoren alter Bauart wurden durch Polyester-Kondensatoren neuerer Bauart ersetzt, und auch der für die Höhen-Gegenkopplung verantwortliche Kondensator (C17) wurde nicht etwa durch einen Polypropylen-Typen ersetzt, sondern ist weiterhin ein (heute ungebräuchlicher) Styroflex-Kondensator.

Von zentraler Bedeutung ist auch der BV12-Ausgangsübertrager, den Neumann gemäß alten Produktionsunterlagen nachproduzieren lässt. Glücklicherweise hat Neumann über die Jahrzehnte alle wichtigen Unterlagen archiviert, sodass nicht nur die Produktionszeichnungen, sondern sogar die Entwicklungsunterlagen erhalten sind. Das zahlt sich nun aus, weil die heutigen Entwickler ihren Vorgängern quasi über die Schulter schauen und so nachvollziehen können, wie man zu welchem Ergebnis gekommen ist. Ein paar dieser Einblicke gewährt die aufwendig gestaltete Broschüre zum Launch des Reissue.

Ein weiteres zentrales Bauteil ist natürlich die Röhre. Beim U 67 entschieden sich die Entwickler seinerzeit für eine damals leicht erhältliche Pentodenröhre (die hier als Triode verschaltet ist), die EF86. Da diese Type aufgrund ihrer Klangeigenschaften auch in vielen Hi-Fi- und Studiogeräten zum Einsatz kam, sind größere Mengen an New Old Stock (NOS) heute nicht mehr aufzutreiben. Glücklicherweise haben aber die noch verbliebenen bzw. wieder neu hinzugekommenen Röhrenhersteller die Lage erkannt und produzieren wieder hochwertige EF86-Typen, inklusive der Langlebeversion EF806. Zumindest eine davon hat sich in Tests als mikrofontauglich erwiesen. Wobei Mikrofonröhren immer aufwendig »eingebrannt« und selektiert werden müssen; das war schon in den 60ern nicht anders.

Daher wurde eigens für die Neuauflage des U 67 eine neue Test- und Messstation eingerichtet, die gewährleistet, dass alle Röhrenparameter (inklusive Rauschen) eingehalten werden und jedes ausgelieferte Mikrofon den U-67-Originalspezifikationen entspricht. Ersatzröhren sollte man daher über Neumann beziehen. Da die neuen EF86-Röhren aber einen erhöhten Heizstrom von bis zu 270 mA ziehen, können diese Röhren jedoch nicht mit älteren Netzteilen betrieben werden. Umgekehrt kann man aber alte EF86-Röhren problemlos im neuen U 67 verwenden, sofern man eine mikrofontauglich selektierte findet.

Erfreulich einfach ist die Situation beim kritischsten Element überhaupt, dem Schallwandler, da Neumann die K67-Kapsel nach wie vor in hervorragender Qualität fertigt. Schließlich verwendet das U 87 Ai die gleiche Kapsel in (nahezu) dem gleichen Kapselkopf, den Neumann somit für die U 67 Reissue nutzen konnte. Unterschiede zum alten U 67 Kapselkopf gibt es lediglich im Aufbau unter der Kapsel: Bei U-67-Mikrofonen bis 1969 sitzt die Kapsel auf einem gewölbten Dom aus Acrylglas. So auch beim Exemplar von Echoschall. Bei späteren U 67 und beim U 87 ist die Kapsel auf einer flachen Ebene montiert. Anfangs wurde hier noch ein Schaumstoffring eingefügt, der Reflexionen minimieren sollte. Da der Schaumstoff aber nach einigen Jahren bröselte und die Membran kontaminierte, wurde später darauf verzichtet. Akustisch bemerkbar macht sich der geänderte Kapsel-Unterbau lediglich in der Kugelcharakteristik in Form einer kleinen Senke bei 4,5 kHz (s. Messungen).


Die Messungen …

… zeigen, dass die Neuauflage sich genau wie ein altes U 67 verhält. Leichte Unterschiede gibt es lediglich im eher selten verwendeten Kugelmodus.

Im Nierenmodus sind die Kurven der Reissue und des alten U 67 von 1969 nahezu deckungsgleich. Obwohl fast 50 Jahre zwischen den beiden liegen, könnte man sie bedenkenlos als Stereopaar verwenden.
Im Kugelmodus zeigen sich leichte Unterschiede: Die Neuauflage hat eine kleine Senke bei 4,5 kHz, ansonsten ist ihr Frequenzgang aber etwas linearer als beim Exemplar von Echoschall. Grund für die Abweichungen ist der geänderte Kapsel-Unterbau, der beim U 67 bis 1969 gewölbt war.
Im Achtermodus sind die Frequenzgänge beider U 67 weitgehend kongruent, lediglich unterhalb 150 Hz ist das alte U 67 von Echoschall ein wenig bassstärker. Die Welligkeit in den untern Frequenzen ist dem Messaufbau geschuldet.

Praxis

Bleibt die spannende Frage: Klingt das Reissue wie ein altes U 67 aus den 1960ern? Ja, die Neu auflage ist ohne Abstriche ein echtes U 67! Im Hörtest liegen die Klangunterschiede zwischen der Reissue und dem 1969er U 67 von Echoschall im Bereich leichter Exemplarstreuungen. Es ist kaum zu glauben, dass die beiden fast 50 Jahre trennt. Die Messungen bestätigen das: Im Nierenmodus sind die Kurven praktisch kongruent. Man könnte die bei den bedenkenlos als Stereopaar einsetzen. Lediglich in den Bässen unterhalb 100 Hz ist das alte U 67 um ca. 1 dB stärker − und das ist schon der größte Unterschied! Die Höhen sind bei beiden U 67 gleichermaßen mild abgestimmt, der gesamte Mittenbereich ist weitgehend linear.

Gleichzeitig wird diese lineare Frequenzdarstellung durch eine charakterstarke Klangtextur angereichert. Wobei sich aber die Röhrenelektronik weniger durch vordergründige Zerr-Artefakte hervortut − entwickelt wurde das U 67 ja nicht zuletzt für Rundfunkanwendungen −, vielmehr ist es das komplexe Zusammenspiel von Kapsel, Röhrenelektronik und Ausgangsübertrager, das dem U 67 eine ganz eigene Signatur verleiht. Diese äußert sich in einer besonderen Festigkeit in den unteren Frequenzen, einer fast dreidimensionalen Qualität in den Mitten und sehr feinen, fast lieblichen Höhen. Besonders erstaunlich ist die ungemein natürliche Darstellung von Zischlauten und anderen Sprachkonsonanten, die einen De-Esser arbeitslos macht. Kein Wunder, dass das U 67 über all die Jahre ein höchst beliebtes Gesangsmikrofon geblieben ist.

Das alte und neue U 67 im Vergleich: Die Bauteilanordnung ist identisch; in der Neuauflage werden weitestgehend identische Komponenten aus aktueller Fertigung verwendet. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Auch in komplexeren Aufnahmeszenarien macht das U 67 eine ausgezeichnete Figur. Wer einen singenden Gitarristen ganz oldschool mit nur einem Mikrofon aufnehmen möchte, findet im U 67 einen kongenialen Partner. Einfach auf Mundhöhe in ca. 60 cm Entfernung aufstellen, fertig ist der authentische 1960s-Singer/Songwriter Sound. Das U 67 hat genügend »Reach«, damit die Stimme auch aus dieser Entfernung direkt klingt, und dank des guten Off-Axis-Verhaltens wird auch die Gitarre ausreichend brillant abgebildet.

Ansonsten ist das U 67 ein echtes Workhorse, mit dem man so ziemlich alles aufnehmen kann. Obwohl der Grenzschalldruckpegel von 124 dB SPL mit aktiviertem Pad für heutige Verhältnisse recht niedrig erscheint, wird das U 67 seit jeher gerne auch für laute Quellen wie Bläser, Gitarren-Amps und Drums (Overheads) eingesetzt. Denn die Röhrenelektronik des U 67 geht viel sanfter in die Sättigung als moderne Halbleiterschaltungen, die abrupt von gut auf böse umkippen. Außerdem ist der Grenzschalldruckpegel ja für einen recht niedrigen Klirrgrad von nur 0,5% spezifiziert; die erreicht eine Röhrenelektronik aufgrund der Dominanz wohlklingender K2-Anteile, lange bevor Verzerrungen sich unangenehm bemerkbar machen. Insofern existiert noch eine weite Grauzone oberhalb des offiziellen Grenzschalldruckpegels, die sich für laute Instrumente bestens nutzen lässt. Gerade wegen des erhöhten Rock’n’Roll-Faktors.

Auch auf der Rückseite keine wesentlichen Unterschiede. Der Haltebügel für die Röhre fehlt bei der Neuauflage, weil man festgestellt hat, dass er keinerlei Funktion hat: Die Röhre sitzt ohnehin fest in ihrem Sockel. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Überhaupt scheint mir, dass man mit einem einzigen U 67 oft weiterkommt als mit einem ganzen Arsenal an günstigeren Mikrofonen. Das U 67 klingt eigentlich nie falsch, weil es eine wunderbare Natürlichkeit besitzt, die aber nie langweilig wirkt. Und obwohl es im Gegensatz zu den allermeisten anderen Großmembranmikros praktisch keine Höhenanhebung besitzt, klingt es nie dumpf oder muffig. Was man auch konstatieren muss: Es hat, zumindest im ersten Eindruck, keinen ausgemachten Wow-Faktor. Verglichen mit seinem Vorgänger, dem U 47, wirkt das U 67 nüchterner. Es überzeugt weniger durch »Feenstaub« als durch seine Beständigkeit und Vielseitigkeit. Insofern ist es eher das Traummikrofon des Toningenieurs als das des Sängers. Wobei Letztere es auf den zweiten Blick meist doch ins Herz schließen, denn das U 67 ist sehr angenehm im Handling. Der Nahbesprechungseffekt ist für den Sänger bestens kontrollierbar. Zudem legt das U 67 einer guten Performance nie Steine in den Weg: Es ist nur wenig popempfindlich, und in den S-Lauten wirkt es nie übermäßig scharf oder »zischelig«. Daran ändert sich auch nichts, wenn man später im Mix die Höhen anheben sollte; das Signal des U 67 ist problemlos formbar.

Der legendäre BV12-Ausgangsübertrager
Für die Reissue wird der BV12-Ausgangsübertrager nach alten Konstruktionsunterlagen neu gefertigt.
Die Röhre des U 67 ist eine EF86-Type aus aktueller Fertigung ohne Herstellerlabel. Sie wird von Neumann aufwendig selektiert und getestet.

Die Patterns Kugel und Acht benutzen die meisten Anwender gar nicht, dabei sind sie zumindest beim U 67 wirklich brauchbare Alternativen. Die Kugelcharakteristik, die einen etwas höhenreicheren Klang mitbringt, eignet sich sehr gut für Akustikgitarre sowie Background-Vocals mit mehreren Sängern. Die Achtercharakteristik eignet sich vor allem als Problemlöser bei komplexen Mikrofonierungen, dank ihrer extremen Unterdrückung von Seitenschall. Man kann die Achtercharakteristik auch als Klangalternative einsetzten, denn ihr On-Axis-Frequenzgang ist deutlich mittenbetonter als bei Nierencharakteristik.

Rauschen ist eigentlich kein Thema. Natürlich kann es diesbezüglich nicht mit einem topmodernen Mikrofon in Transistortechnik konkurrieren, aber wirklich hörbar wird das Rauschen so gut wie nie. Zwar liegt der Ersatzgeräuschpegel nominell bei 17 dB-A, doch die spektrale Verteilung ist günstig: In den oberen Frequenzen, wo das Ohr besonders empfindlich reagiert, werden Rauschanteile durch die Präemphase/Deemphase-Technik abgesenkt. Subjektiv wirkt das U 67 daher rauschärmer als so manches Röhrenmikrofon jüngeren Datums.

Der Boden des abnehmbaren Kapselkopfs und das Gegenstück bestehen aus Acrylglas, das mit den Jahren brüchig werden kann. Beim Exemplar von Echoschall ist es noch tadellos.
Der Kapselkopf der U-67-Reissue basiert auf dem des aktuellen U 87 Ai, dessen Materialien sich als langzeitstabil erwiesen haben.

Fazit

Die Legende ist zurück: Neumanns U-67-Reissue ist ein waschechtes U 67. Keine Limited-Edition für reiche Zahnärzte, keine Nostalgie- Replica fürs Museum, auch kein nur entfernt ähnlicher Nachbau, sondern The Real Deal. Das neue U 67 klingt genauso wie ein altes, und obwohl seit seiner Entwicklung fast 60 Jahre vergangen sind, ist das U 67 noch immer ein Mikrofon, das man ohne Abstriche im heutigen Studio verwenden kann. Eigentlich sogar besser als so manches neu entwickelte Mikrofon, denn es vereint eine subjektive Natürlichkeit mit jener subtilen Klangfärbung, die man bei anderen Mikrofonen versucht, extern herbeizuführen − etwa durch charakterstarke Preamps oder Plug-in-Emulationen klassischer Hardware. Das U 67 klingt aus dem Stand fantastisch, und zwar an praktisch jedem Preamp. Digitale Retusche braucht es nicht: anschließen, aufnehmen, Freude haben!

Der einzige Stolperstein auf dem Weg ins Glück ist der Preis: Knapp 6.000 Euro sind kein Pappenstiel. Andererseits entsprich dies recht genau dem aktuellen Gebrauchtpreis für ein altes U 67, das häufig erst noch zum Service muss. Dann doch lieber ein neues mit frischer Kapsel, unverbrauchter Röhre und einem betriebssicheren Netzteil! Viel billiger könnte es Neumann wohl auch nicht produzieren, denn es besteht durchweg aus ebenso teueren wie hochwertigen Komponenten. Zudem wird das Reissue genauso arbeitsaufwendig gefertigt wie in den 1960ern: Jedes U 67 wird komplett von Hand verdrahtet und montiert, denn es gibt schlichtweg keine Maschinen, die Platinen in dieser traditionellen Bauweise bestücken könnten. Auch wenn der Preis schmerzt, er ist gerechtfertigt. Wer es sich leisten kann, wird mit einem Mikrofon belohnt, das über viele Jahre Freude spendet und sich als wertstabiler erweisen könnte als Bundesanleihen.

Der Direktvergleich zeigt: Die Reissue ist ein echtes U 67. Klanglich ist es vom 1969er-Exemplar von Echoschall kaum zu unterscheiden. (Bild: Dr. Andreas Hau)

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herausragender Klang

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vielseitig einsetzbar

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mustergültige Verarbeitung

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hochwertige Ausstattung


nicht ganz billig

U 67 Hersteller/Vertrieb Georg Neumann GmbH
UvP/Straßenpreis 5.995,– Euro / ca. 5.995,– Euro

www.neumann.com

Kommentare zu diesem Artikel

  1. “nicht ganz billig” – DER war gut:-)))) Wäre echt nett gewesen dazu zuschreiben WAS man sich so unter “billig” in dieser Qualitätsklasse vorstellen darf 😉 Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir ein solches Mikro, das bei knapp über 10 kHz absackt, zu so einen stolzen Preis kaufen will. Ich weiß, es geht um den unteren f-Bereich und dort hat das Teil gewiss seine unbestreitbaren Klangqualitäten. Dennoch empfinde ich es subjektiv irgendwie unausgewogen in Bezug zum Preis. Aber das darf ja jeder selber entscheiden. Auf jeden Fall, danke für diesen Test !

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    1. Hallo Robert
      Ich musste auch schmunzeln, als ich es gelesen habe. Definitiv ist das neue U67 (ähnlich wie das alte) etwas für die ganz speziellen und betuchten Anwender.

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  2. Habe ein altes Neumann U67 Studiomikrofon zum Verkaufen

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    1. In welchem Zustand ist denn und was möchtest du dafür haben?

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  3. @Robert: Das Zauberwort heißt: Logarithmische Darstellung. Das Mikrofon sackt nicht knapp über 10 KHz ab, sondern hat dort eine Anhebung, die bei etwa 13 kHz wieder auf der Nullinie ankommt. Danach beginnt die Abstieg, der die -15 dB bei 20 kHz erreicht.
    Ob man den Klang eines Mikrofons mag hängt aber auch nicht in erster Linie von der Linearität eines Frequenzganges ab, sonst würde man ja alles mit Meßmikrofonen aufzeichnen.

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