Clever gemergt

Neumann MT 48 – Audio Interface im Test

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Es war eine spektakuläre Ankündigung: Neumann wird ein Audio-Interface im Portfolio haben! Wenn davon gesprochen wird, dass der »Mikrofonhersteller« Neumann durch die Übernahme von Klein & Hummel auch zum »Lautsprecherhersteller« wurde, wird schnell vergessen, dass das Unternehmen auch schon in früheren Jahren diverse Hardware angeboten hat – von Mischpulten bis hin zu heutzutage fast schon in Gold aufgewogenen Plattenschneidemaschinen.

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Die Newsmeldung vom Sommer 2022, dass Sennheiser das Unternehmen Merging Technologies übernommen habe, machte klar, dass es eine Kooperation zwischen der Sennheiser-Tochter Neumann und Merging Technologies geben wird. Deren erstes Ergebnis steht in Form des Neumann MT 48 vor mir. Es ist aktuell eines der wohl begehrtesten Testobjekte der Branche und zieht geradezu magnetisch das Interesse von Audioschaffenden auf sich.

Es wird kein Hehl daraus gemacht, dass das Neumann MT 48 eine Ableitung des kleinsten Interfaces von Merging Technologies darstellt, des Anubis. Hier muss man sich auch nicht schämen, sondern kann man sich als Unternehmen Neumann sogar explizit damit brüsten, zählen doch alle Produkte der Schweizer zum Kreis der hochwertigsten, die man für Geld kaufen kann. Auf den ersten Blick scheinen MT 48 und Anubis identisch.

Neumann MT48
Im Vergleich zum Merging Technologies Anubis ist weit mehr als »nur die Farbe und der Schriftzug anders«: Beispielsweise ist auf der Rückseite USB-C zu erkennen – und Anschlüsse für Lichtwellenleiter.

Hat man nur die Farbe der Anodisierung und die Schrift auf dem Aluminiumgehäuse verändert und die Neumann-Raute aufgeklebt? Mitnichten! Dass das MT 48 kein umgelabeltes Anubis ist, wird sehr schnell deutlich, wenn man die Ausstattungen vergleicht. Anders als Merging war Neumann darauf bedacht, es dem User nicht allzu kompliziert zu machen. Das zeigt sich etwa am USB-C-Port des MT 48, aber auch an einer einfacheren Bedienoberfläche.

Trotz seiner geringen Größe bietet das MT 48 ein ganzes Füllhorn an Anschlüssen. Neben der USB-C-Buchse zur Datenverbindung gibt es eine weitere, die ausschließlich zur Spannungsversorgung verwendet wird. Eine ursprüngliche, von Mergin ausschließlich genutzte Datenverbindung gibt es auch beim MT 48, nämlich AOIP per Ravenna-Protokoll über eine PoE-fähige RJ-45-Buchse. Das sind gute Nachrichten, denn damit ist man zur Welt der Merging-Technologies-Hardware kompatibel – und zum AES67-Standard. So können beispielsweise andere Ravenna-Interfaces oder Neumanns AOIP-fähige Speaker verbunden werden.

Vier analoge Audioausgänge und vier -Eingänge findet man am Neumann MT 48. Erstere sind in zwei Formate zu finden. Pärchen 1–2 liegt als XLR vor, 3–4 hingegen als 6,3-mm-TRS. Sie besitzen jedoch absolut identische, hervorragende Werte. Eingangsseitig sind nicht nur die Buchsen unterschiedlich: Die beiden ersten sind Combobuchse, die neben einer Klinke auch XLR aufnehmen können, um Mikrofonsignale hochzuverstärken. Mit maximal 78 dB, erreicht durch eine analoge Stufe und zwei gestackte AD-Umsetzer, liegt das Gain des MT 48 somit in einem Bereich, der ohne Kopfzerbrechen oder Zusätze auch schwache Tauchspulenmikrofone wie das Shure SM7B und passive Ribbons verstärken kann. Die vorderseitigen Klinkenbuchsen lassen sich wie zu erwarten auf Hi-Z einstellen, um Gitarren, Bässe, Rhodes und dergleichen direkt aufzunehmen. (Ein Traum wäre es gewesen, wenn das MT 48 einen oder zwei Ausgänge ebenfalls auf diese Art bereitstellen könnte. Re-Amping ohne externen Re-Amper zu betreiben oder ohne viel Aufwand ein Gitarren-Effektgerät einschleifen zu können, das wäre doch sehr praktisch!) Zu den vier analogen Ausgängen gesellen sich noch zwei Kopfhörerbuchsen, hinter denen leistungsfähige, niederohmige Amps stecken, die individuell beschickt werden können und sogar Crossfeed ermöglichen.

Auf MIDI muss niemand verzichten, denn per Adapter kann das simple, aber seit Jahrzehnten genutzte Steuerungsprotokoll über rückseitige Input- und Output-Buchsen verwendet werden. Alternativ lassen sich diese auch für GPIO nutzen, womit zum Beispiel eine Aufnahmerotlicht-Steuerung konfiguriert werden kann. AES3 ist nicht vorgesehen, aber über TOSLINK-Buchsen kann die Zahl der Kanäle und Wege dennoch erweitert werden. Die optische Schnittstelle kann entweder S/PDIF-Signale bis 96 kHz tragen oder nach ADAT-Standard arbeiten. Dann sind bis zu acht 48-kHz-Kanäle im Eingang und Ausgang zulässig, im SMUX-Betrieb werden bei halbierter oder geviertelter Kanalzahl auch doppelte oder vierfache Samplerate bei 24 Bit Quantisierung erlaubt. PCM über 192 kHz, DSD und DXD unterstützt das MT 48 nicht. Es entspricht diesbezüglich somit dem Anubis Pro, nicht dem Anubis Premium.

Neumann MT48 Close-up
Touchscreen und Soft-Buttons bilden das Bedieninterface – am Gerät: Neumanns MT 48 ist nämlich auch remote bedienbar.

Sieben beleuchtbare Soft-Buttons, ein Touch-Display und ein Rotary-Dial formen gemeinsam die Bedienelemente auf dem angeschrägten Pultgehäuse. Auf einem Tisch steht das kleine Pultgehäuse

aufgrund seines beachtlichen Gewichts sicher, einige Kabel lassen sich sogar, ohne mit der anderen Hand gegenzuhalten, stecken und ziehen. Und wer mag, packt das MT 48 dank Gewinde auf der Unterseite einfach auf ein Mikrofonstativ. An der Qualität des in Ungarn gefertigten Geräts gibt es nichts auszusetzen, beispielsweise die rückseitigen Klinkenbuchsen bewegen sich kein Stück – wichtig, um den Hebelwirkungen der meist schweren Stecker (und, wenn sie frei hängen: Kabel!) etwas entgegenzusetzen.

Die Software

… des MT 48, die auch per Web-Interface oder per Remote Control App zugänglich ist, erlaubt flexibles, aber überschaubares Routing. Gut ist auch, dass Brot-und-Butter-Effekte vorhanden sind, EQ und Kompressor, aber auch ein »Kuschelhall« zum Einsingen. Ich muss sagen: Ein De-Esser wäre sehr praktisch gewesen, besonders bei deutscher Aussprache sind S-Laute oft heftig. Mergings Anubis kann mit dem Eventide-Reverb »Black Hole« und auch der Unterstützung der Sonarworks Einmess-Software ausgestattet werden (beides aufpreispflichtig). Dem Neumann MT 48 sind zum aktuellen Zeitpunkt Software-Add-Ons anderer Hersteller verwehrt. Zumindest bezüglich Sonarworks wird wohl die Stallorder dagegensprechen, schließlich hat man im Unternehmen mit Neumann MA 1 ein eigenes System für die eigenen Lautsprecher.

Das MT 48 ist class-compliant und erscheint sofort auf dem Mac und in den dort laufenden Audioprogrammen – wer hingegen einen Anubis anschafft und zum ersten Mal Kontakt zu Ravenna bekommt, darf erst einmal »verstehen« und einrichten – meine ersten Gehversuche hatten ziemlich gedauert. Apropos Dauer: Beim Booten ist das MT 48 nicht gerade rasend schnell.

Neumann MT 48
Mit dem Neumann MT 48 kann man schnell loslegen, wie man es von anderen Audio-Interfaces auch gewohnt ist. Bei reinen Ravenna Interface wie dem Anubus oder dem HAPI (rechts im Bild) ist das etwas anders.

Die Bedienung

… des Neumann MT 48 gelingt sehr gut. Ich war schon beim Anubis skeptisch, ob die Soft Buttons nicht zu »wobbly« sind und einen ordentlichen Druckpunkt vermissen lassen, aber ich bin sofort mit ihnen klargekommen. Auch das große Rad ist für mein Gefühl optimal gängig. Als jemand, der jede dicke Bakelitkappe und jeden massigen Kippschalter einem noch so großen, scharfen und hellen Touch-Display vorzieht, muss ich auch hier gestehen: Es klappt, ich kann zuversichtlich, zielsicher, fehlerfrei und schnell bedienen. Bei manchen Navigationen im Menü wird man mit einem »Please Wait«-Screen von bis zu einer Sekunde Dauer vertröstet, was mich im Betrieb nicht sonderlich gestört hat. Mit der Menüstruktur bin ich schnell gut Freund geworden, nichts erschien mir versteckt, unlogisch oder schwer zu durchschauen. Das ist für Nicht-Power-User ein Gewinn gegenüber dem Anubis, der mit seinen unterschiedlichen »Missions« durchaus verwirren kann. Allerdings bieten ebenjene Missions für unterschiedliche Aufgabenbereiche weitere Funktionen – Neumann spricht davon, diese Missions bald ebenfalls anzubieten.

Routing-Ansicht
Das Routing ist durchdacht; schnell ist ein Monitor-Mix zusammengesteckt.

Doch auch ohne Missions freue ich mich über die Routing-Flexibilität. Direkt mit EQ und Kompressor aufzeichnen? Kein Problem! Das Talkback zum Slate-Betrieb (= Aufnehmen von Hinweisen, Kommandos, Takenummern und dergleichen) einrichten? Auch das gelingt mit wenigen Handgriffen. Referenz-Level, Dim-Stärke, maximale Kopfhörerpegel, ja sogar die Umstellung der Roll-Off-Filter im DA ist möglich, wie man es bei diversen hochwertigen DACs auch im High-End-HiFi-Bereich findet. Schnell ist ein latenzarmer Monitormix erstellt, der sich anfühlt wie mit dem Analogpult.

An vielen Stellen ist gut mitgedacht worden. Im Panning gibt es die Möglichkeit, direkt »Left«, »Right« oder »Center« zu drücken – und schon schließt sich auch das Fenster automatisch, was einen Bedienschritt überspringt. Ich weiß allerdings nicht, warum mich die Software im Gerät wie an den computergestützten Zugriffen nicht direkt in die EQ-Grafik greifen lässt, um zumindest Frequenz und Gain auszuwählen. Dass ich erst den Parameter durch Fingerzeig oder Mausklick auswählen und am MT 48 dann das Dial benutzen muss, erscheint mir unnötig kompliziert.

Was AD- und DA-Wandlung angeht

… bin ich sehr verwöhnt, wodurch es manche Wandlersysteme durchaus schwer haben können. Neben Lavrys nutze ich seit Jahren einen wirklich hervorragenden AD/DA-Wandler: den HAPI, passenderweise von Merging Technologies. Die Detailauflösung ist auch aus heutiger Sicht atemberaubend, doch haben sich Wandlerchips bei den rein technischen Daten immer weiterentwickelt, wenn auch minimal. Dass Merging Wandlerchips offensichtlich geschickt einzubinden weiß, erkennt man auch beim Neumann MT 48, bei dem ich keinen klanglichen Parameter erkennen könnte, den ich auch nur annähernd als Kompromiss bezeichnen würde. Die Auflösung ist enorm, sodass ich in Zusammenspiel mit einem Stax-Elektrostatenkopfhörer die gleichen feinsten Details erkennen kann, wie wenn mein Merging HAPI (P) die Wandlung bereitstellt. Auch auf dem umgekehrten Weg ist die Auflösung eines sehr detailliert zeichnenden Mikrofons wie eines Schoeps oder eines Sonodore herausragend gut. Bei alledem ist das MT 48 aber sowohl AD als auch DA nicht kantig oder glasig.

DYN Neumann MT48
Die Bedienung (hier ein Screenshot aus dem Browser-Interface) geht fast ohne Stirnrunzeln vonstatten.

Beeindruckend ist bei beiden Wandlungsrichtungen, wie breit, wie scharf und wie tief die Bühne bei Stereosignalen ist. Das gilt explizit auch für die Mic Preamps, die sogar die schwachen und als »zickig« geltenden Bändchen Coles 4038 im Blumlein-Aufbau mit der Qualität darstellen, die ich von den externen Preamps True Systems P-Solo Ribbon und den Vorverstärkern aus Harrisons 950er-Serie kenne. Die flotten Pegelanstiege, die das dünne Ribbon der Coles aufnimmt, werden ohne dynamische Einschränkung aufgezeichnet, allerhöchstens könnte ich in den True ein wenig mehr »Spritzigkeit« und in den Harrison mehr »Körper« entdecken. Gut: Das Tiefpassfilter besitzt mehrere wählbare Grenzfrequenzen und beeinflusst das Passband nicht negativ, auch an der Grenzfrequenz bleibt das Signal natürlich.

Die Kopfhörerverstärker mit einem schnöden »Ja, sie funktionieren« abzufertigen, täte dem kleinen Gerät Unrecht. Nicht nur, dass Crossfeed angeboten wird, sondern auch die Auflösung und Leistungsreserven, die auch höherohmigen Kopfhörern wie dem alten AKG K-240DF knackige Impulse entlocken, lassen einen hochwertigen externen HP-Amp von der Klasse der gängigen SPL oder Lake People nicht zwingend notwendig erscheinen. Klanglich mindestens auf Augenhöhe und ausstattungsseitig etwas über dem MT 48 war im Test der SPL HPm, die Leistungen des Neumann erreichte weder mein MT HAPI (mk1) noch der HP-Amp in meinem Mischpult. Richtig glänzen konnte der MT 48 mit hochwertigen Kopfhörern wie dem Focal Celestee.

Neumann MT48 in Benutzung
Neumann und Merging können die Gesetze der Physik leider auch nicht aushebeln. Das führt dazu, dass man zwischen Hitze- und Geräuschentwicklung abwägen muss.

Mich hat etwas erschrocken, wie verdammt heiß die kleine Kiste im Betrieb wird. Bei all der Technik ist das nicht verwunderlich, aber richtig wohl fühle ich mich damit nicht, auch wenn Neumann angibt, das Gehäuse fungiere als Kühlkörper. Natürlich lässt sich der Lüfter zweistufig höherstellen, doch ist man als User dem MT 48 oft recht nah, sodass man seine Wärme dann doch vielleicht als störend empfindet, schon bei einem Neugerät. Immerhin gibt es eine Funktion, die ihn herunterfährt, wenn Talkback aktiviert ist. Dass das Lüftergeräusch dadurch nicht per Körperschallübertragung seinen Weg zum MEMS-Mikro findet, ist zwar praktisch, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das nur Symptom- und keine Ursachenbehandlung ist.

Fazit

Neumann schleicht nichts ein, sondern knallt neue Produkte auch für sie gänzlich neuer Gattungen mit einer Wucht auf den Boden des Marktes, dass dieser reichlich erzittert. Mit dem MT 48 ist dem Unternehmen aus Berlin dank der geschickten Nutzung vorhandener Ressourcen eines weiteren Top-Notch-Unternehmens ein Audio-Interface gelungen, das für viele User traumhafte Möglichkeiten bietet. Besonders gut gelungen ist, aus MTs High-End-Interface Anubis eines zu machen, welches soft- wie hardwaremäßig die Belange von »normalen Profis« und sehr ambitionierten Amateuren bedient. Der Preis geht in Ordnung, die Soundqualität ist schlichtweg atemberaubend. Dass man auf DSD, DXD und allerhöchste PCM-Samplerates verzichten muss, ist absolut zu verschmerzen.

Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich bin schon gespannt, was wir noch alles erwarten dürfen. Ist Neumann auf dem Weg zum hochwertigen Komplettausstatter? Vielleicht wird das leistungsfähige Pyramix ja bald unter der Raute erscheinen, etwas abgespeckt vielleicht, aber dafür einfacher und möglicherweise sogar etwas preiswerter? n

Hersteller/Vertrieb

Georg Neumann GmbH

Internet

www.neumann.com

UvP

1.995,– Euro

Unsere Meinung

+++ sehr hochwertige Wandler und Preamps

+++ insgesamt schlüssige Bedienlogik

++ viele sinnvolle Anschlussmöglichkeiten

++ kompakt

– Gehäuse wird recht heiß (oder Lüfter ist hörbar)

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