One-Trick-Ponyallrounder

Millennia NSEQ-HF – Equalizer im Test

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Es gibt Werkzeuge, die sind so spezialisiert, dass sich Außenstehende die Augen reiben. Der Millennia NSEQ-HF ist so eines: Es ist ein Equalizer für das Modulsystem Series 500, der ausschließlich aus einem einkanaligen Höhenband besteht.

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Zugegeben: Schräg ist das irgendwie schon. Aber verrückt? Vielleicht. Ein aus Marketinggründen erzwungenes Alleinstellungsmerkmal? Nein. Unnütz? Ganz bestimmt nicht!

Selbstredend gibt es einen Hintergrund zum Millennia NSEQ-HF. Der große schwarze Millennia NSEQ-4 ist schon lange auf dem Markt. Das ist ein 19″/2HE-Stereo-EQ in Solid-State-Technik mit vier Bändern pro Kanal. Seine große Anhängerschaft glüht häufig geradezu für den phänomenalen Klangcharakter und die Vielseitigkeit des Frequenzbearbeiters. Im Laufe der Zeit hat sich herauskristallisiert, dass sich viele Engineers in das Höhenband des EQs verliebt haben. Typische Nutzung und lange als eine Art Geheimtipp gehandelt: nah mikrofonierten und somit durch den Proximity Effect kräftig bassigen Stimmen einen deutlichen Boost in den Höhen mitgeben.

Kein anderer Equalizer bekommt das nach Manier der Millennia-Schaltung hin. Wer genau diese tontechnische Spezialität in Reinform nutzen will, benötigt also einen Millennia-EQ. Neben dem fast 6.000 Euro verschlingenden NSEQ-4 ist das sagenumwobene Höhenband auch im Channelstrip STT-1 Origin vorhanden – mit über 5.000 Euro ist dieser aber ebenfalls nicht viel günstiger. Daher ist nun also der Millennia NSEQ-HF auf den Plan getreten, für den als einziges Gerät im Portfolio des Herstellers ein gerade noch dreistelliger Preis aufgerufen wird.

Der FSA-03 ist ein von Millennia hergestellter Class-A-JFET-Amp, erkennbar als schwarzer Block. Dahinter ist als schräge Platine der DSA-01 zu erkennen. Und wo man hinsieht: hochwertige Bauteile!

Blick auf die Technik

Millennia hat die eigentliche EQ-Schaltung für den Umzug in das Kassettenformat nicht verändert. So ist auch im NSEQ-HF der in Class-A ausgeführte JFET-Verstärker namens FSA-03 zu finden, den Millennia ausschließlich aus diskreten Elementen aufbaut. Dieser Transistor ist der einzige Verstärker im Signalweg. Auch die Ein- und Ausgangsimpedanzen des kleinen Moduls sind mit 25 kOhm und 5 Ohm identisch wie beim großen Spender-EQ. Allerdings fallen die Pegel beim auf die Spannungsversorgung des Series-500-Housings angewiesenen NSEQ-HF etwas geringer aus als beim Stand-alone-EQ. Angesichts +20 dBU maximalen Eingangs- und +21 dBU Ausgangspegels gibt es daran jedoch nichts zu kritteln. Auch sekundäre Nachteile erwachsen daraus nicht: Millennia gibt beispielsweise für die Verstärkungen in den Geräten die Slew Rate an. Sie beträgt beim HF-EQ wie bei seinem großen Ahnen über 50 V/ms – ein absolut ordentlicher Wert. Maximal 210 mA nuckelt das Modul aus der Spannungsversorgung des Series-500-Housings, bringt also keine anderen Module im API-Rack in Bedrängnis. Geradezu traumhaft sind die angegebenen Werte zum Rauschen (–106 dBU), dem Klirr (maximal 0,009 % THD+N) und dem Frequenzgang, der sich von 2 Hz im Infraschallbereich bis über 300 (!) kHz in einem Toleranzschlauch von gerade einmal 3 dB bewegt. Kurz zusammengefasst: Das ist High-End!

Fixe Frequenzen von 4,8 bis 21 kHz

Selten zu sehen ist auch, dass das Gerät für den Fall unsymmetrischer Beschickung einen auf der Frontplatte schaltbaren Boost von 6 dB vorsieht. Bei entsprechend kurzen Kabelwegen und nicht zu störungsanfälliger Umgebung lassen sich also unsymmetrische Verbindungen nutzen. Der Bypass-Modus wird »hart« durchgeführt, darf also True-Wire Hard-Bypass genannt werden.

Viele Optionen bietet die Frontplatte nicht. Neben beschriebenem Bypass und der Balanced-Unbalanced-Wahl finden sich weitere zwei Schaltfunktionen und zwei Drehschalter. Einer der beiden erlaubt die Wahl von sechs Einsatzfrequenzen zwischen 4,8 und 21 kHz. Mit dem Druckschalter darunter wird bestimmt, ob es sich dabei um die Einsatzfrequenzen des mit einer Flankensteilheit von 6 dB pro Okatve behutsamen Shelving-Filters handelt oder ob es die Mittenfrequenz eines Glockenfilters ist. Im Fall der Wahl der Bell-Charakteristik beträgt der Q-Faktor 1,0. Dass das Konzept des NSEQ-HF nicht für präzise Reparaturarbeiten im Spektrum gedacht ist, sollte aber damit deutlich sein.

Allerdings kann mit starken Verstärkungen und Absenkungen vorgegangen werden. Satte 18 dB gehören definitiv zu den hohen Gain-Bereichen von EQs, viele erlauben maximal 15 dB. Die Gain-Einstellung ist nicht kontinuierlich möglich. Die Rasterung in zehn Stellungen abseits der Mittenstellung wäre natürlich für manche Aufgaben etwas zu grob. Damit auch subtilere Einstellungen präzise austariert werden können, kann der Hub per »Gain Range Low«-Schalter halbiert werden, auf dann ±9 dB.

Druckknöpfe unter anderem für Wahl der Filterart und Boost bei unsymmetrischer Beschickung

Im Betrieb

Trotz notorisch kleiner 500er-Frontplatte lässt sich der Equalizer gut bedienen. Auch rasten die Schalter satt ein, und die Kappen der Drehregler sind griffig. Installation und Betrieb funktionierte in den getesteten Housings (IGS Panzer, Fredenstein Bento 6 und Heritage OST-4) tadellos.

Ich habe mir zunächst verschiedene Vocal-Aufnahmen geschnappt, um dem NSEQ-HF die Gelegenheit zu geben, in seiner Kernkompetenz so richtig aufzutrumpfen. Anfänglich waren es ausschließlich Recordings, die mit Großmembran-Kondensatormikrofonen durchgeführt wurden: von t.bone SC1200 über Mojave MA-201FET bis Microtech Gefell UM 92.1S, Neumann U 67, AKG C414 EB und Telefunken U 47.

Besonders bei geringen Besprechungsabständen zeigt sich das Potenzial des kleinen Prozessors. Booste ich die Höhen, bekommen auch etwas mumpfige Signale eine ordentliche Portion Frische und Höhenluft. Die Höhenanhebung scheint fast wie mit einem dynamischen EQ dem Signal zu folgen, ist immer sehr konkret und detailliert, ohne eckig, ungelenk oder gar glasig, kristallin oder künstlich zu wirken. Mit einem Shelf bei 10, 8 oder gar 5,8 kHz werden die Signale durchsetzungsfähiger und drängeln sich im Mix selbstbewusst nach vorne, werden je nach Vocal-Mikrofon-Position-Konstellation bei höheren Boosts irgendwann natürlich zu bissig. Ein Shelf von 16 oder 21 kHz hingegen lässt die Stimmen freier atmen.

Das U 47 vertrug keine allzu hohen Boosts, die »reibende Komponente« im Signal wurde schnell zu stark. Das UM 92.1S ist per se schon sehr präsent und reagiert auf Boosts im mittleren einstelligen Kilohertzbereich auch mal zu harsch. Und natürlich muss das Ausgangsmaterial stimmen. Preiswertere Kondensatormikrofone klingen besonders ab dem Schärfebereich gerne einmal etwas verwaschener, auch die Resonanzen eines speziellen Gehäuses wie das des t.bone SC1200 boostet man natürlich zwangsläufig mit. Auch hier erwies sich ein Ansatz des NSEQHF auf den beiden höchsten Frequenzen als die beste Entscheidung.

Andere Mikrofontypen konnten ebenfalls profitieren, ja sogar ihren Charakter ändern. Die Broadcast- und Allrounder-Klassiker Shure SM7B und Electro-Voice RE20 spielten nach Boost der Höhen jugendlich und fast schon glitzernd auf, was vor allem beim SM7B seinem manchmal etwas gequetscht klingendem Sound entgegenwirkte. Generell etwas höhenreichere Bändchenmikrofone wie das AEA R84 profitierten deutlich, ohne ihren Charakter zu verlieren, dem runderen Melodium 42Bn lief ein Boost der Höhen etwas zu sehr gegen seinen Grundcharakter. Klanglich passender war jedoch immer der beschriebene Einsatz als Vocal-Höhen-Booster mit einem Großmembran-Kondenser.

Statt mit ±18 kann auch mit ±9 dB gearbetet werden – bei einem kleinen und gerasterten Bedienelement ein Segen.

Aber mal im Ernst: Können das nicht auch andere EQs genauso gut? Nein, zumindest nicht mit einer derartigen Grandezza. Es ist schön zu erfahren, dass sich die Tontechnikergilde hier nicht in irgendeine Legende verstrickt hat, sondern sofort klar wird: Das schafft so wohl wirklich nur ein Millennia-Höhenband. Meine Versuche mit diversen analogen Equalizern, darunter der Elysia nvelope 500 im EQ-Modus, Roger Schult W2395 und W2395c konnten diese feine Offenheit nicht in dieser Art generieren. Auch mit diversen Plug-ins war das Ergebnis immer etwas weniger passend. Nicht, dass sie »schlecht« wären oder ihre Aufgabe nicht erfüllten, aber mit dem Millennia klang es im Test immer etwas »weniger nach EQ«. Den ähnlichsten Klangeindruck machte das Höhenband des aus sechs 500er-Modulen bestehenden High-End-EQs Roger Schult W2377, wenngleich mit etwas weniger von dem »Glanz«, den man im NSEQ erkennen kann.

Nun ist nicht nur der Boost von Vocals mit dem NSEQ möglich. Auch mit negativem Gain ist die kleine Analogkassette ein Meisterstück der Natürlichkeit. Etwas zu knarzige, crispe oder scharfe Gesangsstimmen lassen sich mit der breiten Bell-Kurve sanft zurücknehmen. Dabei fällt auf, wie unbeeindruckt Nachbarfrequenzbereiche davon bleiben, die oft vorkommenden, hörbaren und »nach EQ klingenden« Phasenänderungen bleiben aus. Es gibt auch Freunde von oben eher begrenzten Vocals; ich beispielsweise nutze oft die 10 kHz Tiefpassfilterung an meinem Mischpult. Und auch mit dem Millennia gelingt Höhenrücknahme ohne Kollateralschäden im Passband, sehr natürlich und vor allem: mit sehr genauen Einstellmöglichkeiten. Oft beruhigten 10 kHz im Shelving-Betrieb und wenige dB Cut etwas zu hyperaktiv klingende Vocals.

An sehr, sehr vielen Stellen eines Recordings oder Mixdowns ist das asketische Modul genau das Gerät, das gebraucht wird. Aufgrund seiner Präzision hat man beispielsweise das Gefühl, bei einem Boost des Snare-Bottom-Mikrofons wirklich das Teppichrascheln lauter zu machen anstatt das Signal dünner werden zu lassen. Auch am Ride, besonders aber an der Akustikgitarre ist der EQ ein wirklicher Segen. Bei einer Bassdrum den Kick-Anteil mit einem Bell in einer der niedrigeren Centre-Frequenzen zu bestimmen liefert mit dem NSEQ deutlich konturiertere Ergebnisse als mit einfachen Standard-EQs.

Ich habe es genossen, etwas zu entfernt stehende Raumsignale mit freifeldentzerrten und somit an dieser Position zu höhenarmen Druckempfänger-Kugeln (Oktava/ASM MK012) wieder das nötige Leben einzuhauchen. Auch andersherum: Kugelmikrofone mit Diffusfeldentzerrung und drahtigem Grundsound (DPA 4009) konnten in Schallquellennähe so gezähmt werden, dass sie wieder ausgewogen klangen – in einer natürlichen Qualität, die mich wirklich staunen ließ.

Fazit

Hat der Millennia NSEQ-HF eine Daseinsberechtigung? Nein, mehr als nur das. Der kleine, einbandige Mono-EQ ist ein Achtel des Stereo-EQs NSEQ-4 und kostet ein Sechstel dessen (Housingkosten einmal ignoriert). Das ist absolut fair, vor allem, wenn man den Aufwand bedenkt, den Millennia nicht nur bei der Konzeption, sondern bei jeder hergestellten Unit in die Schaltungen steckt. Klanglich hält die bestückte Platine mit der aufgeräumten Frontplatte das Monopol auf einen bestimmten Vocal-Sound, den man mit anderen Geräten oder auch Gerätetypen schlichtweg nicht so toll hinbekommt. Allerdings wäre es ein Fehler, den NSEQ-HF auf diese eine Aufgabe zu reduzieren, denn die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten mit Boost oder Cut als Shelf oder Bell in dieser exorbitant hohen Qualität, unfassbaren Natürlichkeit und (ok, man geißele mich für diesen Ausdruck) Musikalität sind wirklich eine Bereicherung für ein jedes 500er-Rack.

 

Hersteller: Millennia

UvP/Straßenpreis: 978,18 Euro / ca. 899,– Euro

Internet: https://mil-media.com/-HV-35-Anniversary-Edition

Unsere Meinung:

+++ enorm hohe Klangqualität
+++ hochwertige Bauteilbestückung
+++ unnachahmlicher Höhenboost-Trick bei Vocals
++ für viele Signale gewinnbringend einsetzbar
– nicht gerade ein Schnäppchen

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