Zwei zum Preis von einem Achtel

Großmembran-Mikrofon im Test: United Studio Technologies – UT Twin87

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Die Pro-Audio-Gear-Klonindustrie schwingt sich unaufhörlich zu immer neuen Höhen auf. Ab der gefühlt hundertsten Iteration mehrere Jahrzehnte alter Schaltungsklassiker, die laut Marketing selbstverständlich zu einem Bruchteil des Preises mindestens an die historischen Originale herankommen, wird es dann für den intensiv umbuhlten Kundenkreis auch mal ein wenig unübersichtlich. Beim UT Twin87 handelt es sich um nichts weniger als die Umsetzung eines Kochrezepts für einen der weltweit begehrtesten Allround-Studio-Schallwandler aller Zeiten – und das gleich in doppelter Hinsicht.

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Bereits mit dem UT FET47 legte United Studio Technologies eine ernstzunehmende Replik eines überaus begehrten Mikrofonklassikers zu einem attraktiven Preis vor. Mit dem UT Twin87 hat sich das noch junge amerikanische Unternehmen nun einer neuen Herausforderung gestellt: Eine erschwingliche, aber klanglich überzeugende Reproduktion des U-87-Designs, welche noch dazu alle wichtigen Revisionen des Modells berücksichtigt. Mein Interesse ist geweckt!

Äpfel? Birnen? Mikrofone?

Die sich hartnäckig haltende und an der Studiokaffeemaschine heißer als die aus dieser heraustropfende Robusta-Röstung erörterte Diskussion, welche Version von Neumanns Klassiker U 87 denn jetzt die klanglich überlegenere sei, dürfte ziemlich exakt so alt sein wie Metallicas Thrash-Metal-Evergreen Master of Puppets. Doch was gibt es da eigentlich genau zu vergleichen? Wo liegen abgesehen vom abweichenden Vintage-Mojo-Score die wesentlichen Unterschiede? Spoiler Alert: Eigentlich gibt es gar nicht so viele, wie man angesichts vieler erhitzter Gemüter erwarten würde.

Beidseitiger Blick auf die Innereien aus Signalpfad und Spannungssteuerung des UT Twin87. Gut zu sehen, der gelb gekennzeichnete Ausgangstrafo als Spezialanfertigung, ...
... die DIP-Schalter für die optional aktivierbare RF-Filterung und jede Menge hochwertiger Wima-Kondensatoren sowie ein Styroflexkondensator im Heißkleber-Mantel (aua!) samt Geheim-Widerstand in kleidsamem Schwarz.

Grundsätzliche 87er-Fakten

Der bedeutendste Unterschied zwischen einem Prä-1986-U-87 und dem bis heute gefertigten Nachfolger besteht zunächst einmal in der Polarisationsspannung der verwendeten und laut Hersteller klanglich wie mechanisch identischen Kapsel. Während sich der mit einer K87 bestückten röhrenfreie U-67-Nachfolger intern noch mit den via Phantomspeisung zugeführten ±48 Volt begnügte, integrierte man bei der späteren, zur K67 (aka K870/67) zurückgekehrten Version einen zusätzlichen Spannungswandler, um die für das Kapseldesign ursprünglich vorgesehenen ±60 Volt zu erreichen. Dies resultierte nicht nur in einem um 10 dB heißeren Ausgangssignal, sondern auch in einem geringfügig (ca. 5 dB) verringerten Headroom durch eine schneller erreichte Sättigung des verwendeten Feldeffekttransistors (FET).

Das bis heute wohl am längsten produzierte Kondensatormikrofon der Audiogeschichte sollte den bisher erfüllten Erwartungen jedoch, abgesehen von seinem technischen Upgrade, weiterhin umfänglich treu bleiben. Demnach blieb bis auf eine Kapselspannungsbedingt subtile Anhebungsverschiebung von ehemals 8 kHz auf aktuell 10 kHz der Signalweg zwischen beiden Modellvarianten deckungsgleich. Eine entsprechend angepasste Preamp-Einstellung vorausgesetzt, sollte die Verwendung eines gemischten und technisch einwandfreien Doppels aus alter und neuer Variante selbst ohne EQ-Touch-up so immer noch einer kritischen Stereoabnahme-Situation gewachsen sein.

United we stand!

Wenn wir uns die Voraussetzungen im Lichte der oben genannten technischen Details noch einmal genau anschauen, erscheint eine Vereinigung beider Modelle – ungeachtet eines praktischen Mehrwerts im Studioalltag – also erst einmal gar nicht so kompliziert.

Vintage ist modern!

Die Umschaltung von Vintage auf Modern (durch den Hersteller als »direkter und heller« beworben) bringt rudimentär erst mal einen klanglich eindrucksvollen Taschenspielertrick mit sich. Zwischen den beiden Settings liegen nämlich nicht nur 10 Sekunden Umschaltzeit, sondern auch die weiter oben bereits erwähnten rund 10 dB Vorverstärkerleistung. Regelt man den heißeren Output des Modern-Mode über den Vorverstärker eines Audio-Interfaces oder Pults auf das Niveau des Vintage-Mode herunter, schmilzt ein Großteil des so eben noch begeistert gefeierten »Up-Front«-Effekts auch schon wieder dahin. Was bleibt, ist letztlich die bei den meisten Anwendungen eher subtil ins Gewicht fallende Klangmodifikation der beim späteren Modell (aufgrund der höheren Polarisationsspannung) variierten Anhebungsverschiebung von 8 kHz auf 10 kHz. Und ja, je nach abgenommener Schallquelle kann das Ergebnis im direkten Vergleich aufgrund dieser subtilen Anpassung obenherum etwas offener klingen, was im Umkehrschluss aber nicht bedeutet, dass beim älteren Design etwas klanglich Kritisches im Signalweg verloren geht.

Sonderausstattung

Wenn man die Chance wahrnimmt, einen beliebten Klassiker von Grund auf nachzubilden, sollten natürlich auch ein paar Alleinstellungsmerkmale nicht fehlen. Die umstrittene RF-Filterung der Ai-Version, die nach Rundfunkspezifikation dafür sorgen soll, die Einstreuung unerwünschter Radio- und Störsignale zu verhindern, wurde als DIP-Schalter aktivierbare Option auch in das UT Twin87 übernommen. Im Auslieferungszustand ist dieses Filter allerdings standardmäßig deaktiviert. Eine Besonderheit des UT Twin87 betrifft das Cardioid-Pattern der gewohnt dreistufig einstellbaren Richtcharakteristik. In dieser Einstellung wird nämlich die rückseitige Membran über eine Umgehung des Pattern-Schaltkreises deaktiviert und das Mikrofon in einen puristischen Niere-Modus geschaltet. Diese ebenfalls wenige Sekunden Umschaltzeit benötigende Modifikation sorgt in der Praxis für ein leicht verbessertes Eigenrauschen von etwas unter 10 dB.

Kapsel(t)raum

Bei der beim UT Twin87 verwendeten Messingkapsel handelt es sich um eine selbst entwickelte Reproduktion einer K87 durch United Studio Technologies. Hierbei wurde typgerecht auch die 40 μm starke elektrisch isolierende Kunststoffschicht zwischen den beiden Gegenelektroden (Backplates) umgesetzt, welche den klassischen Anschluss von insgesamt vier Kabeln erfordert. Bei Umschaltung in den Modern-Mode werden die Backplates entsprechend der durch einen Aluminium-Spacer (ebenfalls 40 μm) kontaktierten Gegenelektroden der K67-Kapsel zusammengeschaltet. Bespannt wurde die Kapsel beidseitig mit 24-karatigem Gold beschichteten NOS-Mylar japanischer Fertigung und einer Materialstärke von 6 μm.

Blick durch den nicht abnehmbaren Vorhang auf die mittig kontaktierte K87-Style-Kapsel des UT Twin87.

Auch wenn der Mikrofonkorb bei Anwendungen in der Regel wenig bis gar keine Beachtung erfährt (außer vielleicht durch ein ausgefallenes Design), nimmt natürlich auch dieser Einfluss auf den Klang. Das Regelwerk der Raumakustik lässt sich sozusagen überall anwenden, egal ob es sich beim betrachteten Objekt um einen ausladenden Konzertsaal oder das Innere einer Streichholzschachtel handelt. Die vom Originalhersteller geprägte und nach den Erfahrungen mit dem zylinderförmigen Design des U 47, Portfolio-weit eingeführte Keilform (Stichwort: Vermeidung stehender Wellen) des Mikrofonkorbs stand patentrechtlich selbstverständlich nicht zur Debatte. Die tonnenförmige Lösung von United Studio Technologies ist individuell und besitzt dadurch einen deutlichen Wiedererkennungswert. Ob dieser Korb, wie behauptet, den Einfluss des vernickelten Messing-Mikrofonbodys auf die Kapsel minimiert (und im Vergleich wozu), sei mal dahingestellt. Das verwendete mehrlagige Mesh-Geflecht zumindest soll exakt dem des Originals entsprechen.

Die Sache mit der Relativität

Toleranzen und daraus resultierende Varianzen sind trotz höchster Sorgfalt bei der Selektion von Bauteilen und dem Aufbau einer analogen elektronischen Schaltung schlicht und einfach unvermeidlich. Kommen dann auch noch Alterungsprozesse hinzu, können die Unterschiede zwischen zwei an sich identisch gefertigten Mikrofonen auch einmal merklich auseinanderdriften. Die Suche nach dem »perfekten« Unikat als Vorlage für eine mustergültige Replik, kann daher schnell auch mal in eine Odyssee subjektiver Vorlieben abdriften. Wie entscheidet man also, welche Kapsel(-abstimmung) und welche wie eng tolerierten Bauteile aus welchen Jahrzehnten denn jetzt zur Ausrichtung des klanglichen Kompasses die richtigen sind? Hersteller sprechen in diesem Fall gerne davon, dass man sich beim Re-Design an einer goldenen Referenz orientiere, was letztlich den Anschein vermittelt, als wäre man durch Zufall in Besitz des über alle Zweifel erhabenen Urmeters geraten. Bei Direktvergleichen zwischen einer Replik und einem (beliebigen) Original sollte demnach zumindest erwartungstechnische Vorsicht geboten sein.

–10dB-Pad- und ...
... Hochpassfilter-Schalter analog zum Modern-Vintage- und Pattern-Switch ebenfalls in robuster Metallausführung.

Sound, Vibe & Glory

Konzentrieren wir uns lieber darauf, was das UT Twin87 denn für das aufgerufene Budget leistet – und das ist tatsächlich eine ganze Menge. Abgesehen vom versprochenen und unverkennbaren 87er-Charakter ist die allgemeine Qualität, was Klang und Fertigung betrifft, wirklich außergewöhnlich gut. Dazu kommen Look & Feel eines echten Premiumprodukts, welches wenigstens jeden einzelnen gezahlten Euro wert ist. Seine vom Vorbild übernommene schnörkellose Universalität prädestiniert den Schallwandler geradezu für eine große Bandbreite an Anwendungsmöglichkeiten, angefangen bei Vocals, Sprachaufnahmen bis hin zu Gitarrenamps und akustischen Instrumenten. Es dürfte aktuell schwierig sein, im Preisbereich um 800 Euro eine qualitativ adäquate und charakterlich vergleichbare Alternative aufzutun. Persönlich hätte ich mir in Bezug auf die mitgelieferte Spinne statt einem Mikrofonetui einen kleinen Transportkoffer für unterwegs sowie die Lagerung im Studio gewünscht. So etwas gehört eigentlich bereits im Low-Budget-Bereich zum guten Ton. Aber auch ohne Koffer sollte jeder in der Lage sein, mit seinem UT Twin87 außergewöhnlich schöne Gesangs-, Sprach- oder Instrumentalaufnahmen zu machen – ganz gleich ob Vintage oder Modern. Und falls nicht: Don’t blame the mic!


Hersteller/Vertrieb: United Studio Technologies / Audiowerk

Preis: 830,– Euro

Internet: https://unitedstudiotech.com

Unsere Meinung
+ klangliche Qualität
+ wertige Fertigung
+ Preis/Leistungs-Verhältnis
+ Design und Konzept

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