Tiefer − breiter − lauter− weiter

Effektgeräte im Sound der 80er-Jahre

Anzeige
(Bild: Matthias Fuchs)

Die 80er … rabenschwarz und neongrell inszeniert sich die Welt als Popper, Punker oder New Romantic. Erdiger Sound? Authentische Performance? Altmodisch — Style zählt! Musik wird im Studio konstruiert, und dafür gibt es Drumcomputer, Sampler und nicht zuletzt Effektgeräte! Und davon reichlich. Wir besteigen den silbernen DeLorean und katapultieren uns dreieinhalb Jahrzehnte zurück zwischen bunt blinkenden Digitalhall, Harmonizer, Exciter und Co.

Living in the Plastic Age − klanglich und konzeptionell steht das Buggles-Album von 1980 für vieles, was den Sound des nachfolgenden Jahrzehnts ausmachen sollte: Hier war keine Band im klassischen Sinne am Werk, sondern ein Projekt aus Keyboarder (Geoff Downes) und Produzent (Trevor Horn). Virtuosität zeigte das Duo vor allem im kreativen Umgang mit der Studiotechnik. Die Musik wurde buchstäblich konstruiert, neue klangliche Möglichkeiten auf die Spitze getrieben. »Wir haben versucht, Musiker wie Maschinen und Maschinen wie Musiker klingen zu lassen«, ließ sich Trevor Horn zu seinem Soundkonzept vernehmen.

Anzeige

Hohen Anteil an der Klangästhetik dieser Zeit hat der plakative Einsatz zahlloser und zum Teil neu entwickelter Effekte. Plötzlich konnte man Sounds mit einer Reglerdrehung pitchen, stauchen, strecken, verdrehen, völlig zerstückeln oder sie in physikalisch vollkommen unmögliche Räume stecken − vorausgesetzt, man besaß die dazu notwendigen Wundermaschinen.

Dabei ließen sich nicht nur nerdige Keyboarder und Studiotüftler wie Geoffrey Downes und Trevor Horn auf das Spiel mit dem »Plastiksound« ein, auch gestandene Rocker, selbst Jazzer jedweder Couleur- und Instrumentenzunft, wandelten ihren Sound mithilfe turmhoher Effekt-Racks in bisher Ungehörtes. Mit welchen Tricks, Kniffen und Geräten wurde seinerzeit besonders gerne gearbeitet? Wir durchforsten die Plattensammlung auf der Suche nach effektgeladenem 80er-Sound …

Drums

Mit der Geburtsstunde von Linn- und Simmons- Drums wurde »natürlich« klingendes Schlagzeug über Nacht zu Schnee von gestern. Selbst akustische Drums spielte man nun gerne zum Clicktrack ein, doppelte sie mit Samples oder raubte ihnen mittels unzähliger Mikros und Noise-Gates jedes Übersprechen und nebenbei auch ihren natürlichen Raumeindruck. Den ersetzte man gerne äußerst großzügig mit dem neuesten High-Tech-Spielzeug der frühen 80er: dem Digitalhall. Riesige Hallfahnen, mit Vorliebe auf den Toms, wurden zum Muss − Anspieltipps: Kate Bushs Runnig Up That Hill und U2s The Unforgettable Fire.

Das legendäre Gate-Reverb setzte noch einen drauf: Phil Collins’ Schlagzeugspiel, zufällig im Talkback-Weg einer SSL 4000-Konsole gelandet und dort massiv komprimiert und gegatet, wurde wenig später zum Standard-Feature. Der Effekt fand sich bald auf zahllosen Produktionen und zierte auch die Drumcomputer-Sounds vieler früher Hip-Hop-Tracks − klang das phatt! Noch heute bietet ihn fast jedes Reverb-Plug-in. Direkter Verwandter ist der Endloshall, gerne zum ätherischen Flächen-Sound zweckentfremdet. Anspieltipp: abermals Running Up That Hill (Intro).

Als witzigen Effekt und technisches Abfallprodukt entdeckte man bald den Rückwärts- Hall. Er wurde erstmals von Prince sehr prominent eingestzt (z. B. auf Kiss) und sorgt dort für eine interessante, schleppende Rhythmik. Wichtig war und ist das korrekte Timing der Hall-Länge.

Klanglich weniger plakativ, aber absoluttypisch für den »künstlichen« Sound der 80er war das Doppeln oder Ersetzen von Klängen durch getriggerte Samples. Martin Hannatts Arbeit mit Joy Devision gilt hier als wegweisend. Der roughe Sound seiner AMS 15-80 Sample-Delays gilt als wesentliche Zutat von Joy-Divisions berühmt-berüchtigt »kaltem« Düster-Sound, der wiederum zahllose Wave-, Goth- und Industrial-Bands beeinflusste. O-Ton Peter Hook: »It changed the way drums sound forever.« (Anspieltipp: Unknown Pleasures).

Gitarren

In den 80ern triefte wild wirbelnder Flanger- und Chorus-Sound aus zahllosen Gitarrenaufnahmen. Wunderschöne Beispiele finden sich etwa im OEuvre von The Cure − Depri-Regler hoch auf 10! Dabei erstreckte sich die Vorliebe für Chorus und Flanger über nahezu alle Genres: Für die funkig-cleane Rhythmusgitarre à la INXS (Need You Tonight) war sie ebenso essenziell wie für Andy Summers eher zurückhaltend, aber äußerst geschmackvoll gewürzte Police-Gitarre − Stichwort: Roland Dimension D.

Ohne Delay-Effekt keine Rock-Gitarre. Um 1980 ersetzen fast alle Gitarreros ihre leiernden Tape-Delays durch digitale Pendants. Neben den frühen MXR-Geräten standen bald Lexicon-Modelle (Prime Time, PCM 42) und später das TC 2290 hoch im Kurs. The Edge von U2 türmte wie kein Zweiter relativ simple, aber eingängig groovende Delay-Patterns aufeinander (z. B. Pride); er gilt als Fan des AMS 15-80-Delays.

Der Pitch-Shifter, im Vokabular seines Erfinders Eventide auch »Harmonizer« genannt, gilt als weiteres großes Geschenk der frühen Digitaltechnik. Die Trademark-Sounds von Gitarrenhelden wie Brian May, Eddie Van Halen oder Steve Stevens wäre ohne Harmonizer kaum vorstellbar. Subtiles Doubling (mit Tonhöhenverschiebungen um wenige Cent) war ebenso populär wie plakative Quinten- oder -Oktavabstände, Haarspray und überdimensionale Vokuhilas − je künstlicher das Ergebnis, desto schöner … Die Soli der oben genannten Künstler und Style-Experten enthalten zahllose Anspieltipps.

Aber nicht nur Gitarren lassen sich »harmonizen«: Nichts klingt künstlicher als mittels Harmonizer bearbeitete Drums, zu finden u. a. auf Toni Viscontis Produktionen für David Bowie.

Bassisten ließen sich beim Material- und Effektspektakel ebenfalls nicht lumpen: Für melodiös/depressiv gespielte Bässe von The Cure oder New Order war der Chorus Pflicht. Funkig-fröhliche Kollegen wie etwa Mark King standen dagegen mehr auf Envelope-Filter und Flanger.

Keyboards

Was für die Gitarre galt, zählte auch für das (E-)Piano der 80er-Jahre. Vor allem das seinerzeit überaus beliebte Yamaha CP-70/80 wäre ohne Überdosen von Chorus, Flanger und reichlich (digitalem) Hall kaum vorstellbar − man denke an Peter Gabriel (Red Rain) oder U2 (New Years Day). Ein mittels Eventide Instant-Flanger herrlich verbogenes Akustikpiano hört man im Intro von David Bowies 1980er-Hit Ashes To Ashes. Als Könige des überdrehten Chorus/Flanger-Sounds dürften Ultravox gelten: Egal ob Midge Ures Gitarre, Billy Curries Violine oder Chis Cross’ Oscar-Leadsynth − die Mix- und Feedback-Regler ihrer Yamaha- und Boss-Chorus/Flanger mussten auf Vollgas gedreht sein. Wundervoll: die Soli von Vienna und Hymn.

Selbstverständlich wurden auch Synthesizer und Sampler auf alle nur denkbaren Weisen mit Hall, Pitch-Shift und Delay veredelt. Unvergesslich hier die denkwürdige Symbiose aus Yamaha CS-80-»Hörnern« und Lexicon 224-Hall im Blade-Runner-Soundtrack (1982).

Gebläse

Das in den 80ern so beliebte Blechgebläse durfte selbstverständlich ebenfalls nicht trocken ins Mischpult gehen. Möglicherweise eher dem Traditionalismus verhaftet als seine Kollegen beschränkte sich die Sound-Veredelung hier meist auf Chorus und reichlich Reverb. Die äußerst beliebte Hallplatte wurde dabei zunehmend von digitalen Emulationen ersetzt − kein Hallgerät der 80er kam ohne »Plate-Reverb« daher. Ein wundervolles Saxofon mit XXL-Hall findet sich im Tears-For-Fears-Song The Working Hour. Was ist eigentlich aus all den Saxofonisten geworden …?

Vocals

Zwischen Vocoder-Sound der 70er und Autotune der 90er sind Vocals in den effektverwöhnten 80ern tatsächlich vergleichsweise dezent behandelt worden. Vocoder (Phil Collins: In The Air Tonight) und Pitch-Shifter wurden hier erstaunlich subtil verwendet. Doubling stand höher im Kurs. Großer Vocal-Hall war natürlich auch in den 80ern eine beliebte Klangzutat. Besonders schmachtige Balladen aus der Abteilung Chicago/Peter Cetera erhielten die sprichwörtliche Überdosis AMS- oder Lexicon-Hall verpasst. Vor allem letzterer konnte durch seinen warmen und leicht Chorus-ähnlichen Charakter bei Vokalisten punkten und ist von Gesangsaufnahmen dieser Zeit nicht wegzudenken. Anspieltipp: Alphavilles Forever Young (Lexicon 224).

In the Mix 

Zahlreiche Produktionen der 80er-Jahre werden heute gerne als »Style over Substance« geschmäht. Überproduziert oder nicht – viele liefern atemberaubende Klangerlebnisse und sind kreative Zeugnisse einer Ära, in der produktionstechnisch fast alles möglich schien. Legendäre Effekte wie etwa das Gate-Reverb entstanden zufällig oder durch die unkonventionelle Kombination verschiedener Geräte und Klangbearbeitungsmethoden. So komprimierte, pitchte und verdoppelte man Hallfahnen, schaltete Effekte in Feedback-Wege − je verrückter die Kombinationen und übertriebener die Parametereinstellungen, desto besser.

Ein interessantes Beispiel ist der sogenannte Shimmer-Reverb, eine »Erfindung« von Brian Eno und Daniel Lanois: Man sende sein Signal in den linken Eingang eines kurz eingestellten Delays mit viel Feedback, schalte einen Pitch-Shifter mit Tonhöhenverschiebung von +1 Oktave dahinter, verhalle dieses Signal kräftig und sende es via Mischpult zurück in den rechten Kanal des Delays − fertig. Als Ergebnis erhält man dichte, flächige Klangschlieren, wie sie etwa auf U2s 4th of July zu hören sind.

und Heute 

Fast alle typischen Effekt-Sounds der 80er-Jahre lassen sich heute recht einfach in der DAW nachbauen. UAD-Card-Besitzern stehen die wichtigsten Effektgeräte dieser Zeit als gelungene Software-Emulationen zur Verfügung. Wer heute in die Fußstapfen von Daniel Lanois, Martin Hannett oder Trevor Horn treten möchte, wird zudem bei Anbietern wie Sound Toys (Nomen est Omen) und Valhalla-DSP fündig. Auch NI Guitar Rig gilt noch immer als ergiebige Spielzeugkiste. Darüber hinausfinden sich zahllose Freeware-Effekte, die bei entsprechender Kombination eine Menge Sound-Spaß liefern können.

So sollte man sich nicht zu schade sein, auch einmal zwei identische Effekte mit minimal unterschiedlichen Einstellungen seriell oder parallel zu schalten. Oder auf ein Gate-Reverb noch einen Ambience-Effekt zu legen − und das Ganze mit einem Hauch Chorus zu würzen usw.

Um den typischen Effektgeräte-Sound der frühen 80er nachzubilden, sollte man die Höhen der Effektsignale ab 12 kHz kräftig beschneiden. Egal ob mit Eimerketten oder digitaler Technik ausgestattet − alte Effektgeräte kamen nur selten höher. Um sich dem roughen Round der zumeist recht niedrig auflösenden Wandler anzunähern, kann man moderne Pitch-Shifter-und Delay-Plug-ins mit einen Hauch Bit-Chrusher verschönern.

Fazit: Alles geht, nichts ist zu schräg. Hoch mit dem Wet/Dry-Regler, und her mit dem Haarspray!

Effektgeladene 80er-Hörerlebnisse

Effektvolle Werbung aus den 80ern: Flyer von Roland, Lexicon und Electrospace

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.