Die Blüte der Rhythmusmaschinen-Ära lag in der Mitte der 80er-Jahre. Beflügelt durch den Boom der digitalen Soundästhetik, versuchte jeder Hersteller den anderen mit einer Sample-gefütterten Drumbox zu übertreffen.
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Auch die eher als Synthesizer-Hersteller bekannte japanische Firma Kawai wollte da nicht zurückstellen und entwickelte eine Maschine, um die Konkurrenz von Roland und Yamaha in ihre Schranken zu weisen. Das Drumcomputer-Flaggschiff von Kawai entstand 1987 und bietet Features wie anschlagdynamische Pads, vielfältige Synchronisationsmöglichkeiten, Einzelausgänge und 24 Drum-Samples. Der Nachfolger ohne Einzelausgänge war die kleinere R-50.
Die R-100 kostete damals stolze 800 Dollar und war damit nicht für jeden erschwinglich. Beliebt war das Gerät vor allem in Industrial/EBM-Kreisen, was vor allem auf die Sounds des zweiten Drum-Sets der R-100 zurückzuführen ist. Aber auch in House- und Electronic-Zirkeln wurden die Qualitäten der Maschine goutiert. So wurde das Kawai Spitzenmodell z. B. von der amerikanischen House- und Acid-Ikone Larry Heard aka Mr. Fingers eingesetzt, der diese Musikrichtungen wesentlich mitprägte und dessen House-Anthem „Can You Feel It“ jedem geschichtsbewussten DJ ein Begriff ist.
Die Kawai-Maschine macht auch heute eine gute Figur…
…obwohl sie beachtliche 4 Kilo auf die Waage bringt. Ihr Design wirkt slick und windschnittig. Das sehr stabile und mit den Maßen 43 x 25 x 74 cm relativ große Gehäuse besteht unten aus Metall und oben aus Plastik. Die beiden Potis auf der Oberseite dienen der Regelung von Metronome- und Gesamtlautstärke. Neben dem für damalige Verhältnisse großzügigen 2×16-Zeichen-Display findet sich ein Cartridge-Schacht (für Kawai RC-16 RAM-Cartridges) zur Speicherung der Sequenzerdaten.
Sogar ein Timing-Adjust-Feature
Die acht anschlagdynamischen Pads aus Plastik sind OK, klappern aber etwas und kommen in Sachen Komfort nicht an die Gummi-Pads der Akai MPC heran. Die Bedienung der Maschine erfolgt über eine Matrix aus Funktions- und Wippschaltern, die die Bedienung der wichtigsten Parameter Level, Tune, Anschlagdynamik und Panorama wirklich sehr transparent macht. Links wählt man die Funktion aus, die mit einer LED angezeigt wird, und mit den acht Wippschaltern verändert man den Wert, der auf dem Display mit einem Balken grafisch dargestellt wird – sehr komfortabel. Auf der rechten Seite gibt es über den farblich abgesetzten Start- und Stop-Tastern ein Zahlenfeld. Auch ein Tap-Taster zur manuellen Synchronisation des Tempos ist vorhanden. Apropo Synchronisation: Hier wird mehr geboten, als man es normalerweise erwartet: Rückseitig findet sich es außer dem obligatorischen MIDI-Trio noch eine DIN-Sync-Buchse wie bei den berühmten Roland TR-Maschinen mit 24-PPQ-Sync-Signal. Außerdem gibt es noch ein Tape-Sync-Interface für die Arbeit mit einer Bandmaschine sowie Clock-Ein- und Ausgänge. Wählt man die Clock-Synchronisation, kann man die Time-Base der Clock zwischen 24, 48 und 96 PPQ umschalten. Als Bonbönchen hat die R-100 das so genannte Timing-Adjust-Feature an Bord; damit kann man das externe Sync-Signal in allen Sync-Modi, egal ob MIDI, Clock, DIN oder Tapesync, ±9 Schritte vorziehen oder verzögern, wobei ein Step einer 24stel-Note entspricht. Mit der R-100 kann man wahrscheinlich sogar seinen Toaster synchronisieren.
Und die Rückseite?
Auf der Rückseite verfügt die Maschine noch über einen Trigger-Ausgang, der jedem Instrument flexibel zugewiesen werden kann. Ausgangsseitig werden neben einem Stereopärchen acht frei zuweisbare Einzelausgänge, ein Kopfhöreranschluss und ein Metronomausgang geboten. Abgerundet wird das Ganze durch zwei Fußschalterbuchsen für die Start/Stop-Funktion und den Wechsel von der geschlossenen zur offenen Hi-Hat, was der intuitiven Programmierung (insbesondere bei Schlagzeugkundigen) entgegenkommt.
Der Speicher ist mit 3.600 Noten leider etwas knapp bemessen, weshalb man bei aufwändigerer Programmierung öfter auf externe Speichermöglichkeiten wie MIDI-SysEx-Dump und RAM-Catridge zurückgreifen wird. 100 Patterns lassen sich zu 100 Songs verknüpfen, wobei sich die Songs wiederum in 10 Chains aneinanderreihen lassen. Die Auflösung des Sequenzers, der im Echtzeit und im Step-Modus betrieben werden kann, beträgt ausreichende 1/192, Spezialitäten wie Swing-Funktion und Flam-Programmierung stehen natürlich auf der Speisekarte. Auch eine Veränderung des Tempos im Song-Verlauf kann realisiert werden. Das stärkste Feature des Sequenzers ist die Möglichkeit, die Parameter von Tune (±15 Halbtöne), Panorama und Lautstärke frei zu programmieren. Damit lassen sich auch ungewöhnlichere Grooves realisieren. So wird auch die Einschränkung, dass z. B. nur ein Conga-Sound zur Verfügung steht, relativiert, da man diese (im Step-Modus) in verschiedenen Tonhöhen programmieren kann.
Drei Samplebänke
Die 24 Drum-Samples sind in drei Bänken organisiert, die mit einem Auswahlschalter schnell auf die acht Pads gelegt werden können. Die 16-stimmige Klangerzeugung arbeitet mit einer 12Bit/32kHz-Auflösung. Die Sounds entsprechen voll der 80er-Ästhetik und sind zum Teil äußerst druckvoll und präsent. Es gibt drei Bassdrum/Snare-Paare: Nummer 1 ist eine gute Allround-Kombination, die auch bei entsprechender EQ-Behandlung im moderneren Elektronik-Kontext eine gute Figur machen kann; die zweite Variante ist der Grund für die Beliebtheit der R-100 in Industrial/EBM-Zirkeln, denn sie entspricht mit ihrem darken Gated-Reverb-Effekt dem Sound von Acts wie Ministry („Twitch“), Front 242, Pankow (Gimme More“) oder Skinny Puppy. Am schwächsten ist die etwas missglückte Natur-Sound-Imitation des dritten Pärchens. Gut einsetzen lassen sich auch Clap, Shaker und Claves.
Der begrenzte Klangvorrat kann sogar mit der Erweiterungsplatine CP-2 (u. a. mit Orchestra-Hits, Bässen etc.) und CP-3 (Jazz-Drums) aufgestockt werden, sofern man sie auftreiben kann. Eine Bedienungsanleitung findet man auf der Kawai Website (www.kawaius-tsd.com), auf der Suche nach einem Editor wird man hier fündig: http://homepage.mac.com/synth_seal/html/r100.html (Editor für Sounddiver) oder hier: http://perso.magic.fr/llebot/welcome.htm (Freeware Editor).
Unterschätzter Drumcomputer
Die R-100 war nie wirklich Kult und ist daher gelegentlich günstig zu haben. Sie gehört definitiv zu den unterschätzten Drumcomputern. Mit ihren umfangreichen Synchronisationsmöglichkeiten fügt sie sich in jede Studioumgebung gut ein und bietet dank der Einzelausgänge trotz begrenzter Sound-Editiermöglichkeiten einiges für den Hardware-Freund.