Kleiner physicalmodeling-Meister

Aodyo Anyma Phi – Desktop-Synthesizer im Test

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(Bild: PROPRIETE EXCUSIVE)

Zurzeit beherrschen Wavetable-, FM-Synthese und Reinkarnationen klassischer Synthesizer die Neuerscheinungen auf dem Hardware-Sektor. Umso erfreulicher, dass sich Aodyo mit dem Anyma Phi den verschiedensten Arten physikalischer Instrumente-Modelle widmet.

Die französische Firma Aodyo (lautmalerisch wie »Audio« ausgesprochen) bietet mit dem Anyma Phi eine ganze Fülle von physikalischen Modellen an und macht sämtliche Parameter sehr umfangreichen Modulations-Möglichkeiten zugänglich. Mit der Ende Januar erschienen Software-Version 1.0 hat das Aodyo-Team nicht nur alle Perks der Crowdfunding Community erfüllt, sondern implementierte auch noch diverse neue Features wie Sequenzer, Arpeggiator und diverse Modulatoren der exotischen Art.

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Als kompakter Mini-Desktopper ist der Anyma Phi fast genauso klein wie ein Nord Micro-Modular (die Älteren werden sich erinnern …) und hat ebenfalls ein robustes Stahlblechgewand. Auf der hellgrauen Oberfläche finden wir eine Control-Matrix mit vier Drehgebern mit Schaltfunktion. Ihnen zur Seite stehen sechs Taster, die mit Symbolen die jeweilige Funktions-Ebene andeuten. RGB-LEDs auf beiden Seiten der Matrix zeigen, in welcher Ebene die Drehgeber gerade aktiv sind. Es stehen neun Farben zur Auswahl, die z. B. eine spezielle Syntheseform andeuten oder für eigene Ordnungs-Strukturen genutzt werden können. Linker Hand gruppieren sich um ein winziges schwarzweißes OLED-Display zwei weitere Taster und ein Drehgeber, die tiefer in die Menüstruktur führen. Der Lautstärkeregler liegt oben links, flankiert von einer Power-LED.

Auf der Rückseite befinden sich sämtliche Anschlüsse: Einschalter, Stromversorgung, Mini-USB-Anschluss, USB-Host, MIDI-In/Out-DIN-Anschlüsse sowie zwei Ausgänge, Kopfhörer-Anschluss und Stereo-Eingang im 6,3-mm-Klinkenformat.

Der Signalverlauf – Effekte können im Main- oder Aux-Bus platziert werden.

Der erste Kontakt ist bereits möglich, ohne dass ein Keyboard oder ein Sequenzer angeschlossen ist. Die Entwickler haben dem Anyma Phi einen Piezo-Kontakt-Tonabnehmer spendiert, der sich unter dem blauen Aodyo Logo befindet. Wer hier streichelt, reibt oder klopft, kann die gewonnenen Signale über Main- und/oder Aux-Bus mit Effekten versehen und z. B. auch Trigger ableiten.

Das Piezo-Modul wird beim Anschluss an die Stereo-Eingangsbuchse abgeschaltet, und die dort anliegenden Signale können einzeln oder summiert dem Main- und Aux-Bus zugeregelt werden. Wird beides nicht verwendet, ist hier Weißes Rauschen verfügbar, welches, durch einen Resonator veredelt, bereits einer hart angeblasenen Flöte ähnlich klingt.

Der Anyma Phi ist zwar grundsätzlich monofon, beherrscht aber dank dreier Oszillatoren auch mehrereparafone Modi. Mikrotonalität wird ebenfalls unterstützt. Acht Slots für eigene Stimmungen können aus einem Pool von Stimmungs-Systemen wählen, die an eigene Bedürfnisse angepasst werden können.

Die Menüführung ist elegant und gut strukturiert. Dabei kann das winzige Display erstaunlich viele Informationen darstellen.

Die Anschlüsse auf der Rückseite inkl. MIDI-Host-Schnittstelle zum direkten Anschluss von Keyboard oder Controller

Die Oszillatoren

Unter der Haube finden wir eine Fülle an Oszillator-Modellen, Effekten und insbesondere Modulations-Werkzeugen. Mit 34 verschiedenen Synthese-Modellen sind nicht nur die Welten der Streich-, Blas- und Percussions-Klänge variantenreich abgedeckt. Hier sind einige Algorithmen am Werk, die von Mutable Instruments übernommen und angepasst wurden. Allein die Noise-Fraktion hat neben White Noise noch sechs andere Rausch-Algorithmen zu bieten. Die sind z. B. gefiltert, basieren auf einer digitalen Modulations-Methode, die bei Fax-Maschinen verwendet wurde, oder haben einem Granular Cloud Generator als Grundlage.

Die klassischen »analogen« Wellenformen, Sinus, Dreieck, Sägezahn und Rechteck sind ebenfalls vorhanden, was bei dem zugrundeliegenden Physical-Modeling-Konzept eine nette Beigabe ist. Neben der Funktion als unterstützendem Suboszillator ermöglicht die FX-Abteilung auch FM-Klänge dank eines FM-Operators. Auf der experimentellen Linie bewegen sich obertonreich-raue Konstrukte wie digitale Partikel-Systeme oder ein Random Sample Generator. Aber auch Klassiker wie eine Drawbar-Organ samt Rotary-Speaker Simulation in der Effekt-Abteilung ist dabei. Spezielle Exiter-Modelle, die erst im Zusammenhang mit einem Resonator aus der FX-Auswahl zum Leben erwachen, sind im Klangerzeugervorrat zu finden. Eine Sonderstellung nimmt der »Replikant« ein. Dieser kopiert den über ihm werkelnden Oszillator und lässt sich lediglich in Tonhöhe und Stimmung verändern.

Effekte

Nach der Mischung der Oszillatoren auf Main- und Aux-Bus folgen fünf Effekt-Slots. Diese lassen sich jeweils auf einem Bus routen, wobei man die Zuordnung jederzeit umschalten kann. Der Begriff »Effekt« ist hier sehr weit gespannt. Neben zu erwartenden Kandidaten wie Delays, Pitch-Shifter, Modulations-Effekte wie Chorus oder Phaser gibt es auch Dynamik-Effekte, wie Kompressor, Noisegate, Dynamik-Booster oder VCA. Auch die Filter sind hier zu finden: ein Dirty-Formant-Filter und ein Simple-EQ sowie ein 4-Pol Ladder-Filter und eine State-Variable-Emulation. Modal-String- und Snare-Resonatoren fügen den Klängen körperhafte Resonanzen bei. Für sanfte bis derbste Timbre-Eingriffe können Overdrive und Bitcrusher oder Cross- XOR- Ring- und CMP-Modulation Verwendung finden. Eine spezielle Mixer-Kategorie erlaubt den Crossfade auf den jeweils anderen Bus, um dessen Effekte zu nutzen. Bei dieser Fülle wünscht man sich gleich noch ein paar mehr FX-Slots.

Die Matrix MTX ist gleich zwei Mal vorhanden. Damit kann man zwischen zwei Parameter-Sets morphen. Mittels des Morph-Reglers (default-mäßig mit Control-A belegt) lässt sich auf die Werte der zweiten Matrix MTX alt überblenden. Das kann für feine Übergänge oder auch fundamentale Klangveränderungen genutzt werden.

Modulatoren

Um die Vielfalt an Parametern in Wallung zu bringen, steht eine ganze Phalanx von Modulatoren bereit, die über 32 Mappings in Klanggeschehen eingreifen können. Wie erwartet gibt es hier verschiedene LFOs und Hüllkurven, aber der wahre Schatz liegt in den ungewöhnlichen Möglichkeiten der hier gebotenen Module, die z. T. nicht direkt Modulations-Signale erzeugen, sondern mittels diverser Algorithmen die Kombination und Verarbeitung verschiedener Signale z. B. durch Shaping, Interpolation, oder Quantisierung ermöglichen.

Editor

Auch wenn sich der Anyma Phi dank der durchdachten Menüführung recht gut bedienen lässt, ist der für Mac, Linux und PC verfügbare Editor doch ein Segen, wenn es um tiefgreifendes Sounddesign geht. Nach dem Start erlebt man nun je nach Patch im Anyma sein buntes Wunder. Die beim Gerät noch recht praktischen LED-Farben hauen hier doch mächtig aufs Auge und haben z. T. ungünstige Kontrastverhältnisse. Zum Glück kommt man mit den Retina-schonenden Grautönen auch ohne Sonnenbrille zurecht.

Alles spielt sich in einem Fenster ab, das vertikal vergrößert werden kann. Eine horizontale Erweiterung vergrößert nicht die vier Parameter-Kolumnen, sondern zeigt lediglich mehr von den 32 Mapping-Slots. Leider lässt sich der Editor zurzeit nicht zoomen, sodass man auf heute üblichen hochauflösenden Monitoren mit Schriftgrößen so winzig wie am Geräte-Display leben muss.

Der Anyma Editor unterstützt fast überall Copy&Paste. Insgesamt ist er, bis auf die erwähnten Darstellungsschwächen, genauso solide designt wie das Gerät selbst.

Bequem und gut durchdacht. Der Editor beschleunigt die Arbeit am Klang beträchtlich und stellt alle Modulations-Vorgänge animiert dar.

Fazit

Mit seiner Fülle an Modulations-Möglichkeiten hebt sich der Anyma Phi deutlich von allen bekannten Desktop-Hardware-Konzepten ab. Auch unterschiedlichste Oszillator-Modelle und Effekte sind reichlich vorhanden, sodass dem Sound-Tüftler jede Menge Werkzeuge zur kreativen Klanggestaltung zur Verfügung stehen.

Der Editor kann zwar noch einige Verbesserungen vertragen, ist aber übersichtlich, gut strukturiert und macht die Erforschung der Möglichkeiten, auch dank der Animation aller Modulations-Vorgänge, recht komfortabel.

Man sollte schon Spaß am Entdecken und Ausprobieren haben, wenn man das Potenzial des Anyma Phi ausschöpfen möchte. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer Quelle für neues Klangmaterial belohnt, die sich so schnell nicht erschöpfen wird.

 

Hersteller/Vertrieb: Aodyo

Internet: www.aodyo.com

Straßenpreis: 499,– Euro

Unsere Meinung:
++ reiche Auswahl an Oszillator-Modellen
++ außergewöhnliches Modulationskonzept
++ gut durchdachtes Bedienkonzept
– Editor nicht größenskalierbar
– Editor-Schriften zu winzig, mit wenig Kontrast

(Bild: PROPRIETE EXCUSIVE)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Editor auch für Linux – SUPER, Merci! Sollten alle nachahmen.

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