Mixpraxis

Emile Haynie über seine Arbeit an High As Hope von Florence + The Machine

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»So sehr ich es auch liebe, mit echten Künstlern und richtigen Orchestern, mit Bläsersektionen und superguten Session-Musikern zu arbeiten, gibt es für mich doch nichts Schöneres, als in einem Raum voller Equipment zu sitzen, an Beats, neuen Klängen und Akkord-Arrangements zu arbeiten, ein neues Keyboard, eine Drummachine oder neue Plug-ins auszuprobieren.«

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So sagt es via Skype aus New York Emile Haynie, der über die letzten zwei Jahrzehnte einen bemerkenswerten Weg vom Bedroom-Bastler zu einem der gefragtesten Producer der Welt zurückgelegt hat. Als Teenager geriet er häufiger mal mit den Behörden in Konflikt und musste viel Zeit mit Hausarrest in seinem Zimmer verbringen. Wenn es aber stimmt, dass in allem Schlechten auch eine Hoffnung verborgen ist, lag diese in Haynies Fall darin, nichts zu tun zu haben, außer in seinem Schlafzimmer Beats zu bauen − mit jedem Equipment, das er irgendwie in die Finger bekommen konnte. Falls die Rede von »Blei zu Gold machen« jemals überhaupt zutraf, dann wohl darauf, wie die Skills, die Haynie sich teils unter Hausarrest angeeignet hat, den Grundstein seiner Karriere legten, die bislang zu zwei Grammy-Awards und fünf Grammy-Nominierungen geführt hat sowie zu einer Credit-Liste vollgepackt mit großen Namen wie Eminem, Kid Cudi, Kanye West, Lana Del Rey, Bruno Mars, Rolling Stones, Ed Sheeran oder Lady Gaga. Obwohl er normalerweise hinter den Kulissen arbeitet, ist Haynie im vergangenen Sommer in den Medien aufgetaucht − als hauptsächlicher Co-Producer des vierten Albums von Florence + The Machine, High As Hope.

123 Studios live room
Die Aufnahmen fanden zu einem guten Teil auch in den 123 Studios in London statt − hier der Live-Room.

Der Grundstein

Bevor Haynie von der Produktion von High As Hope berichtete, erzählte er, wie ein problembelasteter Teenager aus Buffalo seinen Weg nach ganz oben geschafft hat. »Ich habe Hip-Hop für mich entdeckt, als ich ungefähr 10 Jahre alt war, und mit 12 war ich besessen davon«, erinnert er sich. »Ich habe jedes Mixtape abgegriffen, das ich in die Finger bekam, um all die verschiedenen Sounds und Songs zu horten. Als Nächstes habe ich auf ein Doppel-Tapedeck gespart und angefangen, mit der Plattensammlung meines Vaters eigene Mixtapes zu machen. Darin bin ich immer kreativer geworden, und irgendwann habe ich die Mixtapes in der Schule verkauft. Ungefähr in dieser Zeit, 1992, habe ich den Film Juice gesehen und darin zum ersten Mal die Kunst des DJings so richtig mitbekommen: Scratching und Mixing. Davon war ich ab diesem Punkt komplett besessen.

Als ich dann 14 oder 15 war, wollte ich unbedingt wissen, wie Beats eigentlich gemacht werden, hatte aber keine Ahnung von Produktion, bis ich einen Typen aus der Nachbarschaft namens Jeremy Cochise Ball traf, dessen Rap-Gruppe einen Vertrag mit Payday Records hatte. Er hatte ein kleines Studio mit einem Alesis ADAT, einem Ensoniq EPS-Sampler und ein paar Lautsprechern, und als ich ihn bei der Arbeit daran beobachtete, war es um mich geschehen.

Ich verbrachte weiterhin viel Zeit im Zimmer mit dem Equipment, das ich eben hatte, und wurde ziemlich gut im Scratching und Mixing an den Turntables. Als ich 15 war, lieh Jeremy mir seine EPS, eine Art DAW − das war alles, was ich brauchte.

Ein Jahr später bekam ich eine Art Vierspurgerät; ich weiß nicht mehr, welches es war, und irgendwann endlich den Ensoniq ASR-10, einen klassischen Hip-Hop-Sampler, den ich heute noch benutze.«

Einige Klassiker in Haynies Studio in LA: u. a. ein Prophet-5, ein Memorymoog, eine Emu SP-1200 und ein Roland VP-330 Vocoder (Bild: Nina Simone Jordan)

Detroit-Connection

EPS und ASR-10 waren zu ihrer Zeit bahnbrechend, auch wenn das angesichts ihrer technischen Daten heute nur noch schwer vorstellbar ist: Die EPS hatte eine Auflösung von 13 Bit und nur 500 kB internen Speicher, während der ARS-10 16 Bit hatte, mit 2 MB internen Speicher, erweiterbar auf 16 MB. Beide arbeiteten mit Floppy Disks. Um 1999 zog Haynie nach Queens, New York, und baute immer noch eifrig Beats mit dem ASR-10-Sampler, außerdem einer Emu SP-12-Drummachine und später mit ihrem Nachfolger SP1200. Beide Emu-Geräte hatten eine Auflösung von 12 Bit mit einer Abtastrate von 26 kHz, und Samples konnten in der SP-1200 bis zu 2,5 Sekunden lang sein. Für mehr Samplelänge haben Beatmacher oft Platten, die auf 33 1/3 rpm gepresst waren, auf 45 rpm abgesampelt und das Sample anschließend wieder verlangsamt abgespielt, wodurch der Klang deutlich knarziger wurde.

»Manchmal habe ich eine Platte sogar superschnell mit der Hand gedreht, um mehr Samplelänge zu bekommen!«, erinnert sich Haynie. »Ich hatte auch einen CD-Brenner, was damals noch eine große Sache war. Ich bin in Plattenläden, auf Plattenbörsen und zu Underground-Hip-Hop-Konzerten gegangen und habe bekannten Hip-Hop-Produzenten CDs mit meinen Beats darauf in die Hand gedrückt. Ich habe nie eine Rückmeldung bekommen, bis ich eines Tages Proof traf und ihm meine CD gab. Proof war in Eminems Band D12. Am nächsten Tag rief er mich an und fragte, ob ich sofort nach Detroit kommen könnte. Als ich ankam, brachte er mich mit Obie Trice zusammen, um an dem Abend an einem Song zu arbeiten, während Eminem ab und zu reinkam und auch mit uns daran arbeitete. Das alles passierte innerhalb eines Tages! Ich war ein großer Eminem-Fan, und er war wohl gerade auf seinem Karrierehoch − für mich eine komplett surreale Situation. Damit war ich von 0 auf 100 in dieser Welt angekommen.«

Die Connection mit Trice, Eminem und Proof führte dazu, dass Haynie Autoren- und Producer-Credits zu zwei Stücken auf Trices 2003er-Album Cheers bekam, wo sein Name dann mit keinen geringeren Namen als Eminem, Dr. Dre, Luis Resto, Timbaland und Mike Elizondo in einer Reihe stand. Haynie setzte die Kooperation fort mit Beiträgen zu Proofs Searching for Jerry Garcia (2005) und Eminems Recovery (2010) sowie seiner Marshall Mathers LP2 (2013).

Recording

»Um mich herum haben die Leute so um 1999 angefangen, Pro Tools zu benutzen, und als später eine günstige Version für weniger als 1.000 Dollar herauskam, habe ich es mir auch zugelegt. Das hat alles verändert. Jetzt konnte man die Musik, die man machte, vor sich sehen, die Struktur eines Tracks analysieren und einteilen, nach Herzenslust cutten und pasten und Sachen durch die Gegend schieben. Sofort habe ich Pro Tools mehr als Produktions-Tool als nur als Aufnahmegerät benutzt. Mehr als jeder Synth oder jedes Outboard-Gerät hatte Pro Tools meinen Ansatz, Musik zu machen, verändert.

Für lange Zeit wollte ich nur Hip-Hop machen, wobei ich schon versucht habe, mehr Musikalität einzubauen, und angefangen hatte, selbst Keyboard usw. zu spielen. Aber ich stand immer noch sehr auf Sampling. Aus heiterem Himmel bekam ich einen Anruf aus London von Ian Brown [dem früheren Sänger der Brit-Indie-Band Stone Roses]. Ich war so auf Hip-Hop fixiert, dass ich kaum etwas über die Stone Roses wusste! Ich habe mich auf den Weg nach London gemacht, um bei der Produktion seines Soloalbums zu helfen, und habe so zum ersten Mal mit jemandem gearbeitet, der kein MC und stattdessen vorwiegend auf Melodien ausgerichtet war.

Als wir im Studio waren, sagte er Dinge wie ›Lass uns im Refrain die Tonart ändern‹, und ich hatte keine Ahnung, wie ich das tun sollte, denn bis dahin hatten meine Tracks komplett aus Samples bestanden. Ian wollte auch Bridges gestalten und brachte Live-Musiker ins Spiel. Wir hatten ein 24-köpfiges Orchester im Studio, das hat mich umgehauen!

Es ist ein unvergleichliches Gefühl, in einen Raum zu kommen, in dem ein Orchester Melodien und andere Sachen spielt, die ich entwickelt habe. Das war absolut atemberaubend. Ich habe die Sache zu Ende gebracht, aber dabei auch gemerkt, dass ich mehr über diese Dinge lernen musste. Es war ein Schlüsselmoment, und mein zentraler Gedanke war: ›Das ist jetzt, wie man wirklich Platten macht, und das will ich weiter machen − sowohl mit Rappern als auch mit Sängern.‹ Es war außerdem mein erster Besuch in England, das seitdem meine zweite Heimat geworden ist, da ich seitdem mit sehr vielen weiteren britischen Künstlern Kontakt aufgenommen und ein Gefühl für den Sound britischer Musik bekommen habe.«

Haynie weitet seine ohnehin breitgefächerten musikalischen Aktivitäten im Laufe der Zeit noch aus: Die ganze Bandbreite seiner Skills war gefragt bei der Produktion von Lana Del Reys Debütalbum Born To Die (2010), das eines der meistverkauften Alben der Dekade wurde, mit mehr als 10 Millionen verkauften Exemplaren und mehr als 300 Wochen in den Billboard Top 200. Haynie arbeitete auch mit der Band Fun und an Bruno Mars’ Unorthodox Jukebox (2012), inklusive Megahit Locked Out Of Heaven. Ebenfalls 2012 co-produzierte er zwei Rolling-Stones-Stücke, darunter Doom and Gloom, bislang die letzte neue Eigenkomposition, die die Stones veröffentlicht haben.

2015 veröffentlichte Haynie sein erstes Soloalbum We Fall, mit Gastauftritten von Brian Wilson, Lana Del Rey, Randy Newman und vielen anderen. Auf dem Weg nahm er noch eine weitere Grammy-Nominierung mit für Funs fun’s Some Nights (2012), bevor er sich 2016 für die Arbeit an Adeles 25 über seine zwei ersten gewonnenen Grammys freuen konnte. 2017 arbeitete er mit zwei weiteren britischen Top-Artists, Dua Lipa and Sam Smith.

Florence

Also weiter im Text mit 2018 und dem Album von Florence + The Machine, das sowohl für Haynie, als auch − wie in einem Interview mit Florence Welch deutlich wurde − für sie selbst einen Kulminationspunkt darstellt von allem, was sie zuvor jeweils gemacht haben. Haynie zufolge begann ihre Kollaboration 2013, als Florence + The Machine einen Song für Regisseur Baz Luhrmans Film The Great Gatsby schrieb und aufnahm. Haynie: »Baz fragte mich für die Mitarbeit an dem Film an, und ich half beim Soundtrack und bei der Produktion einiger Songs. Einer der besten Beiträge zu diesem Projekt war ein Song von Florence, nur sie und ein Piano, und es sollte produziert werden. Da ich sie nicht kannte, musste ich dafür meinem Bauchgefühl folgen.

Ich traf Florence ein paar Wochen später, sie gab mir eine dicke Umarmung und sagte, wie sehr sie die Produktion mochte. Seitdem haben wir an der einen oder anderen Sache zusammengearbeitet − darunter der Song Wish That You Were Here für einen Tim-Burton-Film und drei Stücke für das japanische Videospiel Final Fantasy XV: Too Much Is Never Enough, I Will Be und ein Cover von Ben E. Kings Stand By me.«

Auf Haynies Mellotron M400D stehen einige der Effektpedale, mit denen er nahezu all seine Keyboard-Sounds tweakt. Darüber eine Sammlung von Roland-Boutique-Geräten sowie ein Novation Peak (Bild: Nina Simone Jordan)

Florence Welch war so inspiriert von ihrer Zusammenarbeit mit Haynie, dass sie ihn auch einlud, als hauptsächlicher Co-Producer für den Nachfolger von Florence + The Machines 2015er-Album How Big, How Blue, How Beautiful zu fungieren, das größtenteils von Markus Dravs (Arcade Fire, Coldplay, Brian Eno) produziert wurde. High as Hope ist nennenswert weiterentwickelt im Vergleich zu früheren Alben von Florence + The Machine, es setzt Welch deutlicher in die Bühnenmitte als je zuvor − sie singt, spielt Piano, Drums und Synthesizer. Der vorherrschende Sound von High As Hope ist der von Welch mit ihrem Piano, wie eine Naturgewalt klingend, und manchmal komplett unbegleitet, meistens aber verstärkt durch stampfende Drums und tonnenweise Streicher und verziert durch Farbtupfer von anderen Instrumenten.

»Florences Vision war der treibende Motor hinter diesem Album«, sagt Haynie. »Meine Aufgabe war nur, diese einzufangen, sie nicht zu verändern und nicht übertrieben aufzupolieren. Das war mir wichtiger als irgendwelche Keyboards oder Drums, die ich dazugeben könnte. Auch wichtiger als der Streicherkram, der zwar herrlich fett ist, aber die eigentliche Magie der Platte liegt in Florence selbst − reduziert auf das, was sie tut: konstant durch die Gegend springen und schweben und tanzen und singen und auf Sachen trommeln. Wir haben unterstützt, was sie tat, aber mir war wichtig, dass nichts von ihrer Essenz ablenkt. Ich habe Florence auf der Bühne beobachtet, und sie ist eine so tolle Performerin und so unerwartet wild und energisch, dass die Herausforderung für mich als Producer war: ›Wie soll man das für eine Platte einfangen?‹ «

Die Antwort auf diese Frage war im Wesentlichen, Welch aufzunehmen, ohne sie in irgendeinem Sinne einzuschränken, und die Nachbearbeitung dessen, was von ihr kam, minimal zu halten. Der erste Schritt in der Produktion des Albums bestand darin, dass Welch sechs Monate lang regelmäßig zu den Südlondoner 123 Studios radelte, um mit dem dortigen Resident-Engineer, -Mixer und -Producer Brett Shaw (Clean Bandit, Lady Gaga, Rufus Wainwright) zu arbeiten. Andernorts, wo Welch und Shaw über die Arbeit in den 123 Studios berichten, erwähnt die Sängerin, dass Shaw die Aufnahmen mit dem »Versuch, einen Blitz in eine Flasche zu bekommen«, vergleicht.

Über dem Roland Juno-60 steht ein Farfisa Synthorchestra, auf dem ein Roland Boutique-Vocoder neben einem Stryman Big-Sky-Reverb. Auf dem Boden ein »Maestro Rhythm & Sound for Guitar«-Effekt (Bild: Nina Simone Jordan)

Haynie beschreibt Welch mit ähnlichen Worten als einen »wilden Energieball« und ergänzte die Story durch seine Perspektive: »Florence fing an mit Gedichten und Texten und Ideen, sie hat tonnenweise Bücher mit Lyrics. Dann ging sie in Bretts [123] Studio, um aufs Piano zu hauen, bis sie hören würde, was sie hören will, und anschließend aufs Schlagzeug. Also bestanden die Demos, die Brett und sie aufgenommen haben, aus superrohen, unpolierten und unstrukturierten Songs mit Florence an Piano und Drums, aber eben mit derselben Energie, die sie auf der Bühne hat. Die Musik war großartig und wild und unvorhersehbar − und ich wollte so viel wie möglich vom Spirit dieser Demos erhalten.

Viele der Drumparts bestanden daraus, dass sie ein Floor Tom schlägt oder auf den Boden stampft oder in die Hände klatscht, und wenn wir dort noch schicke Drums ein gebaut haben, gespielt von superguten Profis, sind die immer eher Florences Groove gefolgt, als dass wir Florence auf ein Raster hätten festlegen wollen. Wir hatten auch Streichergruppen und supergute Gitarristen und Bassisten im Studio, und ich habe viele Keyboards gespielt, aber wir haben uns alle an Florences Zwei-Finger-Piano-Demos orientiert. Es gab also ein Nebeneinander dieser einfachen Akkordfolgen und Rhythmen, die Florence vorgegeben hatte, mit den fantastischen Profimusikern, die gezwungen waren, innerhalb dieser Einschränkungen zu arbeiten.

Weite Teile der Demos haben es auf das fertige Album geschafft. Wir haben zwar Dinge weggenommen oder ersetzt, aber tonnenweise Vocals beibehalten, die sie mit Brett aufgenommen hatte, und ebenfalls tonnenweise Drums und andere Instrumente. Wenn sie aufnimmt, hört man ihre Armreifen und ihren Schmuck und dieses ganze Zeug die ganze Zeit klirren und klappern, und das liebe ich. Diese seltsamen Klänge durchziehen das ganze Album.«

Hinter DSI Pro2, Ensoniq ASR-10 und Nord Electro 5 steht ein Klavier, das stets abgemiked ist, damit Haynie bei Bedarf sofort mit dem Recorden loslegen kann. (Bild: Nina Simone Jordan)

Die Grundlagen von sechs der zehn Stücke auf High On Hope sind das, was Florence Welch und Brett Shaw ohne weiteres Personal in den 123 Studios aufgenommen haben − es handelt sich um die Stücke mit dem zusätzlichen Produktions-Credit für Shaw. Der Rest der Stücke begann mit Haynie und anderen Songwritern/Musikern im Raum, wie Thomas »Doveman« Bartlett, Andrew Wyatt (Leadsänger der Band Miike Snow) und Tobias Jesso Jr. Haynie zufolge hat sich dadurch der Modus Operandi aber nicht signifikant geändert:

»Wir haben das ziemlich gut ausbalanciert, dass sie für zwei oder drei Wochen nach Los Angeles kam, um in meinem Studio zu arbeiten, und ich danach wieder für zwei oder drei Wochen nach London kam, wo wir in Bretts Studio arbeiteten. Alle ursprünglichen Aufnahmen haben also an diesen beiden Orten stattgefunden, und erst für die Arbeit mit Gitarren und Streichern und Schlagzeugern haben wir in andere Studios gewechselt, wie Vox und Sunset Sound in Hollywood oder RAK und Air Lyndhurst in London, wo wir die Streicher aufgenommen haben − es hat einen wunderschönen Raumklang.

Bei den Songs, die durch die Musiker im Raum angestoßen worden sind, lief es so, dass beispielsweise Tobias [Jesso Jr.] mit ein paar Akkorden am Piano begann und Florence Lyrics und eine Gesangsmelodie dazu ausprobierte. Aber alles in allem entstanden die Songs immer noch aus ihren Ideen und ihrer Energie.«

Equipment

Während Brett Shaws 123 Studio eher wie eine Studie in Minimalismus anmutet, sowohl ästhetisch als auch auf das vorhandene Equipment bezogen, ist Haynies Studio in Los Angeles ein funky Ort voller Keyboards und Drumcomputer, mit einer extravagant aussehenden Röhrenkonsole und ein paar Outboard-Racks. Haynie zog vor drei Jahren nach Los Angeles; zu dieser Zeit nahm er sein Soloalbum auf und richtete sein Studio ein, das für ihn seitdem ein wichtiger Ort für Songwriting und Produktion geworden ist − auch für High as Hope.

»Das Mischpult ist ein Tree Audio The Roots 16«, erklärt Haynie. »Es wird von zwei Typen aus L.A. gebaut, die Vintage-Konsolen am Leben gehalten haben. Irgendwann haben sie einen Channelstrip kreiert, der ein großer Hit wurde, dann eine achtkanalige Version, und meine Konsole ist eine Spezialanfertigung, designed − auch ästhetisch − von ihnen und mir zusammen. Sie hat einen wunderschönen warmen Klang und ist essenziell einfach; jeder Kanal hat nur Gain, zwei Shelving-EQs − hoch und tief −, einen Ein-Knopf-Kompressor und Panning. Ich liebe Einfachheit! Ich benutze das Pult nur zum Tracking, zum Mixen bin ich dann in-the-box. Alle meine Keyboards und Drummaschinen gehen durch die Konsole, manchmal durch einen separaten Mixer.

Ich habe mein Studio so eingerichtet, dass alles jederzeit sofort bereit ist, schon mit vernünftigem Level und vernünftigen Einstellungen. Sobald also die Magie passiert, kann ich alles im Handumdrehen in Pro Tools aufnehmen.

Wenn ich in ein anderes Studio gehe, greife ich tendenziell auf einen Engineer zurück, aber in meinem eigenen Studio übernehme ich diese Aufgaben gern selbst, sichere Ideen schnell im Computer, um sie erst später, nach dem Tracking, in Pro Tools zu zerschneiden und zu arrangieren und Plug-ins daraufzulegen und mal was zum Tape zu schicken und Tonnen von Outboard zu benutzen und Sachen zu re-ampen usw. Bei meinen Abläufen geht es darum, Ideen schnell umzusetzen und festzuhalten, wenn ich im kreativen Modus bin, denn dann sind sie am stärksten, und man will ja nicht der Kreativität im Weg stehen.

Florence Welch und Emile Haynie (Bild: Tom Beard)

Vocals

So habe ich auch mit Florence gearbeitet. Ich habe ein altes Telefunken ELA M 251 [Mikrofon] ausgeliehen, um ihre Stimme aufzunehmen − das gleiche, mit dem ich sie das allererste Mal aufgenommen habe, als sie für mein Album Backing-Vocals eingesungen hat, vor Jahren in einem kleinen Hotelzimmer. Sie kann extrem laut singen, und ich hatte keine gute Signalkette, daher ist manches etwas verzerrt angekommen. Das 251 schien das Mikrofon zu sein, das mit ihrer Lautstärke umgehen kann und sie am lieblichsten klingen lässt. In meinem Studio habe ich das 251 direkt in mein Tree Audio Pult und in Pro Tools gestöpselt. Als wir bei mir Drums aufnahmen, habe ich das Sennheiser MD 421 für die Toms benutzt, ein altes AKG D12 für die Kick, ein altes Shure SM57 für die Snare und das AKG C414 in der Mitte über dem Schlagzeug − dessen Signal ich dann als hauptsächlichen Drumsound verwendet habe. Die einzelnen Drum-Mikrofone habe ich entweder stumm geschaltet oder in den Hintergrund gemischt. Ein einzelnes Mikrofon in der Mitte tut es für mich bei den Drums.«

Wieder auf Welchs Gesang zurückkommend, erinnert Haynie sich: »Florence ist eine so wundervolle Sängerin, und man bekommt nie denselben Take zweimal. Wie erwähnt, haben wir viele der Original-Vocal-Aufnahmen von den Demos benutzt, auch aus den Songwriting-Sessions, bei denen ich dabei war. In den Fällen, wo sie ihre Vocals ersetzt oder zusätzliche Vocals overdubbed hat, habe ich ihr einfach ein Mikrofon hingestellt, sie ein paarmal das Stück durchsingen lassen und tun lassen, wonach auch immer ihr ist. Das haben wir bei vielen der Stücke so gemacht. Sie hat eine der besten Stimmen, mit denen ich gearbeitet habe, und wenn ich auch ein bisschen komprimiert habe, ich bin generell kein Fan von zu viel Kompression, weil man der Performance damit etwas Gefühl wegnimmt. Ich werde immer Aufnahmeperfektion zugunsten des Gefühls opfern.

Wir haben sehr bewusst alle Atemgeräusche in Florences Vocals gelassen, denn das gehört dazu, ihre Bühnen-Performance und ihr Gefühl einzufangen. Wenn man eine Stimme zu sehr säubert, entgeht einem manches der Schönheit und Magie und Nuanciertheit. Jedes Mal, wenn Florence in die Vocal-Kabine ging, tat sie irgendwas komplett Unerwartetes, zum Beispiel auf irgendwas schlagen oder laut atmen oder irre Rückwärts-Vocals. Sie ist die einzige auf der Welt, die das so macht, und ich lasse Dinge gern so, wie sie sind. Aus dem gleichen Grund haben wir ihre Vocals nicht gestimmt − das war das Letzte, was ich hätte tun wollen. Ihre Stimme steigt natürlicherweise auf und ab, und das macht ihre Schönheit aus.«

Sein »Tree Audio The Roots 16«-Pult, eine Sonderanfertigung, benutzt Haynie nur zum Aufnehmen. Es ist entsprechend spartanisch ausgestattet: Pro Kanal gibt es nur Gain, zwei Shelving-EQs, einen einfachen Kompressor und Pan.

Die letzte Hand an Welchs Vocals anzulegen, war offensichtlich Teil von Haynies Vorgehen, schnell aufzunehmen und dann aber nennenswert Zeit darauf zu verwenden, das aufgenommene Material in Pro Tools zu editieren und anderweitig zu bearbeiten. Letzteres bedeutet zu einem großen Teil, Rough-Mixe zu erstellen. »Das tue ich ständig«, gesteht Haynie. »Ich liebe es, zu mixen, zu equalizen, Level anzupassen, Effekte dazuzugeben usw. Ich verbringe Stunde um Stunde so, ganz allein, wenn die Session vorbei ist, mit dem Versuch, die Session so klingen zu lassen, dass ich finde, sie könnte veröffentlicht werden. Oder zumindest versuche ich, mich zu überzeugen, dass meine Rough-Mixes toll sind, denn in der Sekunde, in der jemand wie Tom Elmhirst sie in die Hände bekommt, stelle ich fest: ›Okay, meine waren ganz gut, aber seine sind supergut!‹

Als Producer gebe ich dem Mixer gern ein klares Ziel mit, damit er es auf das nächste Level hieven kann. Alle großen Künstler kommen mit einer Klangvorstellung im Kopf an und versuchen, in ihren Kopf zu gelangen, mit der Vision eins zu werden und nach außen zu manifestieren, was sie schon hören. Rough-Mixing ist ein Schritt in diesem Prozess, und ich gebe alles an Plug-ins und Signalketten und Automation und was auch immer an Irrsinn ich noch zu vergeben habe. Ich mache das meistens allein, und normalerweise habe ich auch die letzte Hand an einer Session, bevor sie zum Mixer geht. Ich habe viel automatisierten Hall auf Florence gelegt, mit einem Trick, den ich liebe: einen SoundToys Decapitator auf einen DVerb legen und den Send automatisieren.

Das Avid DVerb war immer mein favorisiertes Reverb. Ich liebe auch das UAD AKG BX20 Reverb, aber das DVerb ist mein Vertrauensgerät für alle Fälle. Es ist angenehm einfach, und ich weiß, dass viele Mixer es benutzen. Die SoundToys Plug-ins sind meine anderen Standard-Tools. Ich bin ein großer Fan des Decapitator, weil er so musikalisch ist, und wenn wir [Songs] schreiben, kann ich es mir schnappen, schnell zwei Knöpfe anfassen, und es wird super klingen. Es ist eigentlich für harmonische Distortion, aber ich benutze es oft auch zum EQen. Von SoundToys benutze ich auch oft den Little AlterBoy, wenn ich mit dem Pitch experimentiere, und den EchoBoy für Delays.«

Ganz am Ende des Prozesses gingen Haynie und Welch nach New York, wo der britische Star-Mixer und 15-fache Grammy-Gewinner Tom Elmhirst die Stücke in seinem Raum in den Electric Ladyland Studios mixte. »Tom ist einfach ein Meister. Seine Spezialität ist es, die Lead-Vocals perfekt klingen zu lassen. Das ist das Schwierigste bei einem Mix und das, was mich am meisten um den Schlaf bringt: Ist die Stimme zu laut, nicht laut genug, ist sie so energisch, wie sie sein muss, ist sie überkomprimiert? Mit Tom hat man eine Garantie, dass es großartig sein wird und ich nicht wütend auf mich selbst werde, wenn ich den Song Monate später höre. Da ich jederzeit akustische Perfektion für eine tolle Performace opfere, habe ich ihm schon ziemlich verzerrten Scheiß gegeben oder Spuren, die mit offenem Fenster aufgenommen worden waren, auf denen man Sirenen heulen oder Leute reden hört. Aber er lässt es immer nach 1 Million Dollar klingen. Also habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, Florences Vocals makellos zu bekommen. Auf der fertigen Platte sollte es die gleiche Energie haben, wie wenn man mit ihr im Raum ist, wo sie es rausschmettert und tanzt wie eine Ballerina. Das werden die Leute spüren, weil es so menschlich klingt.«

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