Auf der dunklen Seite der Macht

Native Instruments Thrill: Cinematic Tension Instrument

Anzeige

Die meisten Orchester-Libraries arbeiten mit den eher geläufigen Artikulationen, die benötigt werden, um Linien in diversen Spielweisen überzeugend ausgestalten zu können. Aber was ist, wenn im orchestralen Kontext Flächen, Cluster oder atonale Soundwelten benötigt werden? Am besten solche, die sich im Bedarfsfall bis zur nervenzerfetzenden Spannung hochschrauben, dabei aber noch flexibel spielbar sein sollen? Bei derartigen Anforderungen geht vielen Libraries ziemlich rasch die Puste aus. Um diese Lücke zu schließen, tritt Thrill mit einer immensen Auswahl aus wohlüberlegt aufgenommenen Orchestersounds und abgefahrenem synthetischen Material an. Mithilfe des integrierten XY-Pads lassen sich Thrills Klangwelten hervorragend formen und in die Produktion integrieren, wodurch nicht nur die Welt der Filmmusik- und Games-Komponisten um herrlich düstere, spannende und größtenteils unverbrauchte Sounds bereichert wird.

Anzeige

Für diese Library zeichnen sich Galaxy-Instruments verantwortlich, die sich zusammen mit Native Instruments seit Herbst 2015 der Mammutaufgabe angenommen haben. Jene Partnerschaft trug schon in der Vergangenheit in Form diverser Veröffentlichungen Früchte, wie z. B. bei der Definitive Piano Collection, Una Corda, The Giant oder auch Rise & Hit, die in einigen der NI-Komplete-Paketen zu finden sind.

Ähnlichkeiten ließen sich vielleicht am Ehesten zu Rise & Hit (Testbericht in S&R 06.2014) herstellen, wo ebenfalls orchestrale mit synthetischen Elementen verwoben wurden, allerdings mit gänzlich anderem Konzept und eher mit Schwerpunkt auf Sounddesign.

Thrill ist mit seinen vielen außergewöhnlichen Texturen zwar durchaus sehr für Sounddesigner interessant, aber dieses Mal geht hier die Waagschale definitiv mehr in Richtung Musik – oder sagen wir zumindest musikalisches Sounddesign. Die Grenze zwischen den Genres verwischt bei dieser Library nämlich stark, was schon fast symptomatisch für das zentrale Steuerungselement Thrills steht, das sofort nach dem Starten des Kontakt-Instruments ins Auge fällt.


AKTENZEICHEN XY

Die Rede ist hier von einem ausladenden XY-Pad, das inmitten des ebenfalls nicht zu knapp bemessenen GUI thront. Hiermit wird auf der X-Achse zwischen den beiden aus jeweils zwei Klangquellen bestehenden Sounds hin und her geblendet, während die Fahrt auf der Y-Achse deren Intensität steuert. Mittels der Positionsänderung innerhalb dieser beiden Achsen lassen sich so spielend leicht äußerst abwechslungsreiche und teilweise auch drastische Modulationen von Klangfarbe und Dynamik realisieren. Das funktioniert äußerst flüssig und liefert nicht zuletzt auch deshalb oftmals beindruckende Ergebnisse, weil auf der Y-Achse nicht nur verschiedene Sample-Layer durchfahren werden, sondern oft gleichzeitig auch Effekt- und Syntheseparameter ordentlich verbogen werden, wodurch sich der Sound im Verlauf stark ändern kann. Großartig!

Das XY-Pad lässt sich per entsprechendem, externem Controller steuern, wobei für jede Achse ein eigener, frei zuweisbarer MIDI-Kanal verwendet wird. Die Verläufe des XY-Pads können als MIDI-CC- oder Hostautomationsdaten aufgezeichnet werden, liegen dann natürlich auch jeweils in den beiden getrennten Spuren von X- und Y-Achse vor. Diese zwangsläufige Trennung macht das nachträgliche Editing von Verläufen nicht unbedingt einfacher, geht aber mit ein wenig Übung recht schnell von der Hand.

TWIN PEAKS

Konzeptionell sind die Sounds von Thrill in zwei Kategorien unterteilt, nämlich in Atmospheres und Cluster. Atmospheres stehen in Thrill für Sounds, die eher geräuschhafter Natur sind und keine definierte Tonhöhe aufweisen. Diese werden dann auch ausschließlich auf einer einzigen, im Preset festgelegten Tonhöhe abgespielt, egal welche Taste auf der Klaviatur gedrückt wurde.

Cluster-Sounds zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine tonale Basis haben sowie auf der Klaviatur in verschiedenen Tonhöhen und bei Bedarf auch mehrere Cluster gleichzeitig gespielt werden können. Der Clou der Cluster ist, dass sie in ihren einzelnen Tönen konfigurierbar sind. Ein Cluster besteht ja naturgemäß aus mehreren übereinander – geschichteten, meist nahe beieinanderliegenden Tönen. Um das Cluster seiner Träume zu erstellen, gibt es in Thrill bei den entsprechenden Sounds extra einen »Cluster Designer«, mit dem Cluster aus zwei bis neun Stimmen erstellt werden können, die allerdings nicht etwa synthetisch generiert werden, sondern sich der in den Sampling-Sessions aufgenommen Sounds bedienen!

Darüber hinaus lassen sich die einzelnen Cluster-Stimmen in verschiedenen Parametern wie z. B. Tune, Panorama, Volume etc. verändern. Es gibt sogar verschiedene Modi, wie sich die Cluster verhalten, wenn die Intensität des Clusters per Y-Achse des XY-Pads nach oben geschraubt wird: Bei einem Y-Wert von 0 fangen z. B. mit der Einstellung »Glide« alle Cluster-Stimmen auf dem Grundton an und werden mit dem Ansteigen des Y-Wertes als Glissando kontinuierlich auf die im Cluster Designer gewählte Tonhöhe gepitcht. Wählt man dagegen die Einstellung »Add on«, baut Thrill die Stimmen des Clusters kontinuierlich auf, fängt also mit einer Stimme an und addiert die restlichen über den Verlauf des Y-Weges. Natürlich sind auch normale Cluster möglich, bei denen von Anfang an alle gewählten Stimmen in ihren definierten Tonhöhen hörbar sind. Hier steigert sich dann im Verlauf des Y-Weges einfach nur die Intensität.

Die Cluster klingen sehr authentisch, das Arbeiten mit ihnen ist wirklich äußerst komfortabel gelöst und stellt in diesem Bereich bezüglich der Bedienung und Funktionalität eine neue Messlatte auf. Ich kenne keine Library, in der sich so effektiv und flexibel überzeugende Cluster nach den eigenen Wünschen generieren lassen. Darüber hinaus gibt es eine ganze Menge Cluster-Presets; einfach mit dem aktuellen Sound vorhören und anwenden − fertig. Fantastisch!

GHOST RIDER

Die Sounds von Thrill machen dem Namen der Library alle Ehre. Sie klingen durch die Bank irgendwie unheimlich, mysteriös, spannend, wabern oftmals umher, modulieren gerne ohne eigenes Zutun und haben meist etwas Bedrohliches und Geisterhaftes. Die Sounds klingen durch die Bank sehr interessant, oftmals ungewöhnlich, haben eine schöne Ästhetik und fangen das düstere Genre wunderbar ein.

Thrill bietet hier eine enorme Bandbreite unterschiedlicher Sounds, die von klar erkennbarem Orchester-Instrumentarium bis hin zu digitalem Mayhem reicht. Dabei wurden die Orchesterklänge die meiste Zeit jenseits gewöhnlicher Spielweisen eingespielt, und es wurden herrlich schräge Klänge und aleatorische Patterns aufgenommen, die sich auch oftmals zusätzlich je nach Intensitätssteigerung der Y-Achse in ihrer Spielweise verändern. Hier wird also im Gegensatz zu den üblichen Velocity-Layern oftmals nicht nur lauter gespielt, sondern eben auch dichter, schneller, mit mehr Instrumenten, etc. Für eine ordentliche Steigerungs wurden sozusagen alle Register gezogen.

In Kombination mit den enormen Modulationsmöglichkeiten befördert dies Sounds – und bei schnellen Modulationen teilweise Schock-Effekte – zutage, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Und genau das ist es, wofür Thrill prädestiniert ist und wobei Thrill, die richtigen Genres vorausgesetzt, seinen Job zu 100 Prozent erfüllt.

Einen großen Anteil am Gesamtsound haben auch die Effekte, an denen in Thrill glücklicherweise nicht gespart wurde. Neben den üblichen Verdächtigen und auch abgefahreneren Modulations-Effekten sind außerdem die sehr gelungenen Impulsantworten eine echte Bereicherung, die zahlreich vorhanden sind und sogar abgefahrene Resonanz- oder Reverse-IRs enthalten.

Soundmäßig sollte man also eine lange Zeit fündig werden, ohne sich zu wiederholen, schon alleine bei 500 Presets und über 900 Soundsources, die sich dank der sinnvollen Kategorisierung im Preset-Browser sehr gut eingrenzen und auswählen lassen. Es lohnt sich aber auch, sich von der klasse umgesetzten Randomize-Funktion für die Soundfindung überraschen zu lassen.

Im praktischen Einsatz ist das XY-Pad und die damit verbundene Flexibilität bei der Klanggestaltung Gold wert, lassen sich die Sounds hiermit doch sehr intuitiv und auch effektiv an die Dramaturgie der jeweiligen Szene anpassen. Aus einem eben noch recht verhaltenen, mystischen Klangteppich werden mit einem Fingerwisch z. B. kreischende Sounds oder eben nur ein kurzes Aufblitzen, um dann direkt wieder in eine andere Textur zu zerfallen.

Nicht zuletzt deswegen macht die Arbeit mit Thrill richtig Spaß. Man merkt auch insgesamt, dass viel Wert auf guten Workflow gelegt wurde, um nicht unnötig Zeit verschwenden oder einen Klick mehr machen zu müssen. Wer möchte, kann auch in die Untiefen abtauchen und sich in etlichen Parametern verlieren, um die Sounds nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Das funktioniert glücklicherweise, ohne den Überblick zu verlieren, denn die Komplexität Thrills ist logisch im GUI strukturiert.

Einer der wenigen Kritikpunkte ist, dass die Atmospheres immer nur in der im Preset festgelegten Tonhöhe spielbar sind. Sicherlich will man mit ihnen aufgrund ihres eher atonalen Charakters keine Melodien spielen, aber gerade, wenn sie sich in bestehende Sounds der Produktion einfügen sollen, habe ich es öfter vermisst, diese nur im Untermenü per Pitch regeln zu können. Auch per Pitch-Wheel ist das nicht möglich, weil jenes genauso wie das Mod-Wheel standardmäßig leider nicht belegt ist. Ohne diese beiden Punkte wäre Thrill für mich perfekt, so bleibt ein leises Jammern … zugegebenermaßen auf hohem Niveau.

TOTAL RECALL

Lange war ich nicht mehr so beindruckt von einem Softwareinstrument, denn hier wurde auf vielen Ebenen vieles richtiggemacht. Vom Handling über die vielfältigen Modulationsmöglichkeiten bis hin zur üppigen Soundauswahl überzeugt Thrill voll und ganz.

Es macht Spaß, mit der Library zu arbeiten, und durch die zahlreichen Presets, die in vielen Bereichen zu finden sind, sowie die hervorragende Strukturierung von Thrill ist es möglich, schnell zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen, die trotzdem abwechslungsreich sind. Außerdem schließt Thrill tatsächlich eine Lücke mit nicht alltäglichen Sounds, die man gerade bei den Orchestersounds in dieser Qualität und Flexibilität entweder nur ganz aufwendig oder eben gar nicht selbst erstellen könnte.

Der Ansatz, das XY-Pad als Steuerzentrale zu featuren, ist absolut richtig, denn so lassen sich wirklich sehr schnell lebendige und außergewöhnliche Ergebnisse produzieren, die sich perfekt auf eine vorgegebene Dramaturgie anpassen lassen. Alle, die also im Bereich Musik für Film, TV, Games oder auch mit Sounddesign zu tun haben, sollten sich Thrill unbedingt anhören. Sie könnten ansonsten eine echte Bereicherung ihres akustischen Farbmalkastens verpassen.

 


Durchdachte Details und Modulationsmöglichkeiten sowie eine riesige Auswahl aus orchestralen und synthetischen Sounds, nebst zahlreichen Effekten und Presets sind dafür verantwortlich, dass Thrill unzählige Klangfarben zur Verfügung stellen kann. Mit dem omnipräsenten XY-Pad lassen sich diese intuitiv und effektiv modulieren.


+++ außergewöhnliche Sounds mit vielfältigen Modulationsmöglichkeiten

+++ Konzept, Handling und Soundvielfalt

++ Preis/Leistungs-Verhältnis

– Atmospheres nicht chromatisch spielbar

– Pitch- und Mod-Wheel nicht automatisch belegt

 

Hersteller/Vertrieb: Native Instruments

UvP 299,– Euro

www.native-instruments.com


Über den Autor

Frank Schreiber ist Filmkomponist und Sounddesigner. Seit seinem Diplom an der Ludwigsburger Filmakademie arbeitet er hauptsächlich in den Bereichen Film und Werbung. Hierfür komponiert und produziert er Musik in den unterschiedlichsten Stilen, von elektronischen Tracks bis hin zu klassischen Scores. Weiterhin hat er einen Lehrauftrag für Filmmusik am Institut für Musik der Universität Oldenburg und liebt musikalisch alles, was künstlerisch ansprechend und gut gemacht ist – außer Volksmusik …

www.frankschreiber.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.