Von Micro zu Macro

Interview mit dem Musiker und Produzenten Stefan Goldmann

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(Bild: Martin Mercer)

Labelbetreiber, Musiker, DJ , Autor, Festival-Kurator — Stefan Goldmann hat dieser Tage alle Hände voll zu tun. Ende April fand in Berlin das f(t)- Festival statt, für das Goldmann als künstlerischer Leiter das Thema der »alternativen Zeitgestaltung in der Musik« umgesetzt hat. Zwei Tage Programm voller Techno, irregulärer Takte, Künstler und Bands, die er in den 15 Jahren seiner Karriere als Produzent und DJ kennengelernt hat, stellte der Berliner Künstler auf die Beine.

Ich treffe Stefan Goldmann in seinem Berliner Studio, um über Micro-House, Presets und sein Label Macro zu sprechen.

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Wie ist dein Background als Musiker und als Wissenschaftler?

Früher habe ich Bass gespielt, und zu Schulzeiten habe ich angefangen aufzulegen. Während meines Zivildienstes habe ich mir Geräte gekauft mit der Idee, meine Instrumente zu verfremden, um Drum’n’Bass und Techno live zu spielen. Das hat zwar nicht so gut funktioniert, allerdings hatte ich dadurch plötzlich Equipment − ein kleines Mischpult und einige Effektgeräte. Ich habe mir daraufhin noch einen Sampler gekauft. Damals wollte ich eigentlich Drum’n’Bass machen, habe parallel dazu aber fast zum Spaß einige House-Tracks gemacht.

An Techno habe ich mich nicht sofort getraut − da hing mir die Messlatte noch zu hoch. Ich besaß auch noch keinen Synthesizer. Einige der ersten Versuche sind dann auch bald auf einem Label in England namens »Classic« erschienen. Parallel dazu habe ich hier in Berlin an der TU »Audio Kommunikation« studiert, wie der Studiengang heute heißt. Leute wie Robert Henke und Gerhard Behles von Ableton, und ich glaube auch Stephan Schmitt, der Gründer von Native Instruments, haben das ebenfalls studiert − alles Menschen, die in der Audio-Software-Branche für ganz schönen Wirbel gesorgt haben.

Das Studium habe ich irgendwann abgeschlossen. Parallel dazu habe ich weiter produziert und ab 2005 dann auf Labels wie dem Micro-House-Label Perlon und Innervisions Platten veröffentlicht. Vor diesen Releases war ich nur irgendwer, der anderswo Platten veröffentlicht. Ab dann kannte man mich auch in Berlin!

(Bild: Martin Mercer)

Dein eigenes Label Macro hast du dann kurze Zeit später gestartet. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe zwar auf tollen Labels veröffentlicht, aber oft gab es ewige Wartezeiten, bis eine Platte erschien oder Reibereien, welche Tracks veröffentlicht werden sollen und welche nicht. Die Lösung ist natürlich, das einfach selbst in die Hand zu nehmen. 2007 hatte ich genug Erfahrung gesammelt, um das machen zu können.

Zu der Zeit habe ich Finn Johannsen kennengelernt, der damals als Musikjournalist für die De:Bug tätig war. Wir haben dann gemeinsam das Label Macro gegründet. Die ersten beiden Releases waren meine eigenen Platten, die dritte habe ich produziert, und so ist das langsam in Gang gekommen. Wir haben dann auch einige Bands entdeckt, die das machten, womit ich damals selbst gescheitert bin, nämlich live elektronische Musik mit Instrumenten zu spielen. So haben wir zum Beispiel ein Demo von der Band Elektro Guzzi erhalten und konnten nicht glauben, dass das, was wir da gehört haben, wirklich in Echtzeit gespielt wurde. Sie mussten uns sogar Videos schicken, weil wir ihnen die Entstehung einfach nicht geglaubt haben. Dann hatten wir den Videobeweis. Die haben sich anscheinend fünf Jahre in den Keller eingeschlossen und so lange geübt, bis es tight war.

Mittlerweile haben wir auf dem Label noch eine zweite Band namens KUF, die auch mit herkömmlichen Instrumenten spielen und Gesangsaufnahmen als Samples verarbeiten, die live gespielt statt gesungen werden.

Mit welchen »Ohren« hörst du dir solche Projekte bzw. Demos an? Hörst du als DJ, im Hinblick auf den Club, oder geht es dir um etwas anderes? Wonach suchst du?

Ich habe eher weit aufgestellte musikalische Interessen und suche definitiv keinen Funktions-Sound. Mich hat es als DJ und auch als Produzent niemals interessiert, irgendeinen vordefinierten Markt zu bedienen. Ich brauche Musik, die in sich Sinn ergibt, und das Beste ist eigentlich, wenn es dafür noch gar keinen Kontext gibt, wenn der Kontext also überhaupt erst entstehen muss. Ich glaube, viele haben das Problem, dass sie etwas bedienen wollen, was es schon gibt − nur um später zu merken, dass es schon 5.000 andere Produzenten und DJs gibt, die dasselbe machen, und man also überhaupt nicht gebraucht wird. Etwas überzogen formuliert: Wir fragen uns immer, ob wir so etwas schon mal gehört haben. Falls ja, brauchen wir uns nicht weiter damit zu befassen. Labelarbeit ist aufwendig und heutzutage auch nicht immer ertragreich.

Persönlich mache ich mittlerweile Musik, die teilweise auch sehr weit weg ist von dem, was man sich unter Techno vorstellt. Es macht mir jedoch nach wie vor großen Spaß, Techno in Clubs aufzulegen. Ich reise gern, und Techno ist ziemlich gut, um an fast jedem Ort der Welt mit Leuten zusammenzukommen.

(Bild: Martin Mercer)

Kommen wir zum Thema Musikproduktion. Wie ist dein aktuelles Studio- bzw. Synthie-Setup?

Hardware macht mir Spaß, deshalb hat sich hier ein wenig angesammelt. Andererseits gibt es eine Art Kern-Setup, das fast seit 1999 oder 2000 besteht. Dazu zählen die Microwave-Synthesizer von Waldorf und ein Akai-S5000-Sampler.

Auch sehr wichtig ist das TC Electronic Fireworx, ein modular aufgebauter digitaler Effektprozessor, bei dem sich die internen Algorithmen nach Belieben verschachteln lassen. Damit lassen sich Effektketten oder parallele Ebenen bilden. Das Besondere daran ist die interne Modulations-Matrix, die es ermöglicht, z. B. verschiedene LFOs und Hüllkurven auf so ziemlich jeden Parameter zu mappen. Dadurch kann jeder Parameter mit irgendwas moduliert werden. Sensationell ist der Envelope-Follower, mit dem sich der Effektcharakter an die Dynamik des Signals anpassen lässt. Das Fireworx ist wahnsinnig flexibel. Kaum einer nutzt es, und für mich ist es ein zentrales Gerät − und auch ein absoluter Budget-Tipp, denn mittlerweile kosten die Geräte nicht mehr besonders viel auf eBay.

Ich hatte lange Jahre ein kleines Mackie-Pult, einen 14-Kanal-Mischer, den ich dann durch ein T-Series-Pult von Oram ersetzt habe − das ist ein obskurer Hersteller aus England. Ich habe generell eine Vorliebe für Dinge, die möglichst niemand anderes nutzt. Ich glaube, die Aufgabe von Künstlern ist die Differenzierung vom Vorhandenen − warum sollte einem sonst jemand zuhören −, und das geht nicht, wenn man das macht, was alle anderen schon machen.

Der Lexikon – 300 – Hall ist auch recht früh dazu gekommen, das erste Mal war er auf meiner Blood-EP für Perlon zu hören. Ein guter Hall war mir fast das Wichtigste nach den Eigenschaften der einzelnen Elemente im Mix. Hallgeräte sind dadurch ein bisschen zu meinem Steckenpferd geworden. Es ist möglich, fast jedem Element in einem Mix eine eigene Räumlichkeit zu geben.

Über eine Patchbay kann jede Klangquelle zu jedem Gerät geroutet werden – manchmal steckt noch etwas von einer vorausgegangenen Produktion, und plötzlich landet eine Hi-Hat im Vocoder, und das macht dann überraschender Weise vollkommen Sinn. Das ist ein Vorteil von Hardware. Womit ich mich gerade sehr beschäftige, ist M/S-Bearbeitung, also Mitten – und Seitensignal getrennt zu bearbeiten, etwa mit unterschiedlichen Kompressoren und EQs.

Industry (Macro M40) LP/CD/Floppy

Wo wir gerade beim Thema M/S sind, stellt sich für mich die Frage, wie es denn im puncto Stereofeld in der Techno/Club-Musik aussieht? Braucht Techno ein breites Stereofeld? Alles Wichtige (Kick) passiert doch in der Mitte? Wie ist dien Ansatz dazu?

Ich wüsste nicht, warum Produktionen nicht die Möglichkeiten nutzen sollten, die tatsächlich zur Verfügung stehen. Die Anlagen werden tendenziell auch besser – nicht zuletzt, weil Produktionen Dinge enthalten, die es sich lohnt, im Club abzubilden.

Ich selbst versuche, meine Musik immer so zu produzieren, dass die Tracks auf Fullrange-Monitoren gut klingen und die zur Verfügung stehende Dynamik und das Stereo-Panorama auch wirklich genutzt werden. Allerdings interessieren mich audiophile Positionen nicht, bei denen Produktionen entstehen, die nur noch auf einer überragenden Anlage Sinn machen. Das Wesentliche meiner Musik soll notfalls auch auf einem quäkeligen Deckenlautsprecher im Supermarkt oder auf Laptopboxen kommuniziert werden können.

Das erreicht man zum Beispiel dadurch, dass man sehr tiefe Frequenzen in den Mittenbereich spiegeln kann. Man kennt das von der Telefonie, wo die Grundfrequenz der Stimme gar nicht mehr im Signal enthalten ist, wir sie aber dank ihrer Spektraltöne trotzdem hören. Aus der Struktur der Harmonischen Obertöne eines Signals kann auf die Grundfrequenz geschlossen werden. Man kann das auf alles Mögliche anwenden und z. B. sehr tiefe Signale über Verzerrung gewissermaßen als Kontur in den Mittenbereich projizieren.

Ich rede hier nicht über Death Metal, sondern über subtile Eingriffe, die dem nicht verzerrten Signal parallel beigemischt werden. Manchmal mit weniger als 5% Wet-Anteil. Das funktioniert allerdings auch sehr gut in den Höhen. Die Energie einer Hi-Hat, die sehr spitz wirkt, kann man mit einem Verzerrer auffächern. Dadurch ist nicht mehr viel Energie in einem schmalen Frequenzband konzentriert, sondern sie ist auf einen viel breiteren Bereich verteilt, was auch angenehmer klingt.

Ich finde solche Aspekte sehr wichtig, denn wenn man etwa einen Bass hat, der nur unter 80 Hz stattfindet, gibt es sehr viele Wiedergabesituationen, in denen du den Bass dann einfach nicht mehr hören wirst. Wenn aber der Bass über die Obertöne in den Mittenbereich gespiegelt wird, kann ihm trotzdem gefolgt werden, und es klingt auch noch spannender.

Eine interessante Erfahrung ist auch, dass sich viele Signale nicht gegenseitig beißen, ob – wohl sie grob gesehen im gleichen Frequenzband positioniert sind. Verschiedene Signale sortieren sich oft fast von selbst, weil unser Gehör in dem Bereich von 300 Hz bis 2 kHz einerseits sehr gut auflöst, andererseits Klanggestalten besser kognitiv trennen kann, wenn es mehrere »Marker« im Signal gibt, die ein Element definieren. Spätestens unter 100 Hz hingegen ist die Auflösung nicht mehr so präzise, sowohl die spektrale als auch die räumliche, und sehr viele Wiedergabesituationen versagen darunter.

Mit Verzerrung lässt sich hier also sehr gut arbeiten. Damit können Dinge von oben und unten dorthin transponiert werden, wo sie für das Gehör am besten ausgelesen werden und in den meisten Wiedergabesituationen noch bestehen können. Tieffrequente Elemente, die räumlich eigentlich nicht mehr geortet werden können, sind plötzlich präzise positioniert, indem entsprechende Obertöne erzeugt und im Mix entsprechend verortet werden.

Ich gebe manchmal Workshops, in denen ich auch demonstriere, was man mit Verzerrung alles machen kann. Es gibt in Ableton zum Beispiel den Amp-Simulator, und mit dem Blues-Amp-Modell lassen sich Signale sehr gut durch dessen Verzerrungen herausarbeiten. Viele denken ja, dass alle Signale möglichst separiert sein müssen, und der Denkfehler ist dann, die Elemente in möglichst enge Bereiche zu zwängen. Solche Mixe klingen eigentlich immer schrecklich.

Presets — Digital Shortcuts To Sound (Bookworm),
London, UK − 217 Seiten

Setzt du dich denn viel mit Tontechnik auseinander, um auf dem neusten Stand zu bleiben, und schaust dir Sachen wie z. B. Pensado’s Place an?

Ich finde, dass man vieles einfach auch für sich selbst herausfinden muss, weil das die beste Möglichkeit ist, um einerseits wirklich etwas zu begreifen und andererseits eigene Ansätze zu entwickeln. Oftmals geht es eher schief, wenn man versucht, strikt nach Handbuch einen Kompressor einzustellen oder einen Hall zu programmieren. Vieles von dem, was typische Pop-Mixing-Gurus auf YouTube sagen, gilt einfach nicht in elektronischer Musik. Ein Synthesizer und eine Drummachine sind nun einmal keine Band. Ein einfaches Beispiel: Ein akustisches Schlagzeug erzeugt in einer Mikrofonierung mit Overheads usw. riesige Pegelsprünge, die unter anderem durch extreme Kompression in eine brauchbare Form gebracht werden müssen.

Die typische Techno-Bassdrum ist aber im Gegensatz dazu in ihrer Dynamik immer exakt die gleiche: Bei jedem Trigger wird das gleiche Signal produziert. Das Gleiche gilt für die Hi-Hat, die Snare usw. − eine Kompression wie für ein akustisches Drumset kann hier einfach nicht das Gleiche bewirken. Statt Varianz zu reduzieren, ist die Frage, wie man Varianz erzeugt. Für elektronische Musik braucht man also eine völlig andere Herangehensweise.

Ich glaube, viele denken, dass sie Kompressoren nutzen müssen, weil es sie gibt oder sie sie schon haben. Dabei ist es fast so, dass historisch betrachtet die besten elektronischen Produktionen zumindest zwischen 1988 und 2000 eher gar keinen Kompressor auf den Drums genutzt haben. Wenn etwas die Beats zusammenstaucht, dann ist es meist eher Verzerrung − typischerweise ein bis zum Anschlag aufgedrehter Gain-Regler am Eingangskanal eines Mischpults mit wenig Headroom und die dadurch erhöhte Summierschienen-Kompression. Ich kann mich an ein Interview mit Optical Ende der 1990er erinnern, der sagte, er brauche gar keine Kompressoren, denn er habe ein Mackie.

Kompressoren sind eine tolle Sache, aber weil für Elektronik manchmal das Gegenteil von dem gilt, was bei einer akustischen Aufnahme gilt, kommt man mit Buchwissen aus dem einen Bereich meist nicht besonders weit im anderen. Entscheidend ist: Wenn man sich wirklich Zeit für ein Gerät nimmt, findet man dessen spezielle Eigenheiten am ehesten. Und da ist jedes Gerät anders, hat also auch Potenzial, Ästhetik zu definieren.

Das ist irgendwie Fluch und Segen meiner Generation. Die, die früher angefangen haben, konnten sich pro Kategorie nur ein Gerät leisten, was man dann notgedrungen ein paar Jahre lang auswendig gelernt hat, weil man eben auch nichts anderes tun konnte.

Irgendwann beginnt man dann, Dinge am Gerät zu begreifen und zu entwickeln, auf die man nie gekommen wäre, als wenn von Anfang an 10.000 Möglichkeiten bestanden hätten. Wahrscheinlich hat sich auch dadurch der allgemeine Standard von Musikproduktionen so sehr verschoben, weil man heute nicht Zugriff auf ein, sondern auf alle Tools hat und sich dadurch nur noch durch tausende Presets klickt, bis etwas gut klingt.

Erscheint im Mai 2018: An Ardent Heart
(Macro M56) Mini-LP und CD

Eigentlich ein legitimer Ansatz, die passenden Presets zu suchen, um von dort den Klang weiterzuentwickeln …

Ich schätze zwar wirklich Geräte, mit denen ich selbst herumspielen und etwas entdecken kann, ich hänge aber überhaupt nicht der umgekehrten Ideologie an, bei der man immer von Null anfangen soll und am besten mit dem Lötkolben beginnt. Es gibt Leute, die Künstler als »schlechter« bewerten, weil sie merken, dass sie dieses oder jenes Preset genutzt haben. Aber was besagt das eigentlich?

War Jimmy Page damals bei Led Zeppelin ein schlechter Gitarrist, weil er seine Gitarre im Laden gekauft hat statt sie selbst zu leimen? Wie hilft das der Musik, wenn jemand sein eigenes Modularsystem zusammenlötet?

Ich finde es vollkommen legitim, auch zu 100% mit Presets zu arbeiten. Die einzig relevante Frage müsste eigentlich sein, ob die Musik spannend ist oder nicht.

Dem Thema Presets hast du ja ein eigenes Buch und ein Album gewidmet. Erzähl doch mal: Was hat dich dazu bewegt, das Buch zu schreiben, und wie ist deine persönliche Haltung zu Presets?

Ich habe mich gefragt, ob es möglich ist, ausschließlich mit komplett vorgefertigten Elementen noch interessante Musik zu schaffen. Letztlich bewegen wir uns alle in einem Ideenraum, der gründlich vermessen und dicht besiedelt ist. Ab und zu gibt es dann Technik, die uns dort heraus zwingt.

Wenn ich mir mit 19 Jahren nur das eine Effektgerät leisten kann, komme ich durch das Spiel mit der Technik auf Sachen, auf die ich sonst nie gekommen wäre. Wer mit einer Software-Lösung anfängt, die sofort alles in unbegrenzter Kombinierbarkeit bietet, hat ein echtes Problem. Wer nur Presets benutzt, hat fast keine Möglichkeit, auf neue Dinge zu kommen, einfach weil tausend andere an genau dem gleichen Punkt stehen und sich auch die kleinen Variationen mit Ausgangspunkt Preset A noch zu sehr ähneln.

Um dort auszubrechen, muss schon Strukturarbeit geleistet werden. Die Preset-Klänge dürfen einfach nicht in dieselben Raster gerückt werden, wie sie alle andern schon verwenden. Man könnte im 7/8-Takt arbeiten oder in einem Pelog-Stimmsystem oder, oder, oder. Wir tun viel zu oft so, als wäre Sounddesign der einzige Parameter, der zur Verfügung steht.

Ist die Struktur interessant, kann man natürlich auch mit billigen Synthesizer-Presets arbeiten: Nimm eine Workstation aus den 90ern, mache nichts am Sounddesign, ändere nur das Stimmsystem, und plötzlich klingt alles anders. Wir sind kulturell eben doch sehr voreingenommen, und es ist eine gewisse Schieflage, dass wir immer direkt über Sounddesign und weniger über Strukturen nachdenken. Alle sind im gleichen 4/4- Takt, in der gleichen Tempozone und nutzen die gleiche chromatische Stimmung, aber alle stehen merkwürdiger Weise unter enormem Druck, einen eigenen Sound entwickeln zu müssen. Das Buch behandelt unter anderem diese merkwürdige Schieflage zwischen Sounddesign und Struktur.

Zu dem Buch gehört auch eine Platte, bei der ich ausschließlich Sound- und Effekt-Presets verwendet habe. Die Lautstärken habe ich selber im Mischpult eingestellt, weil es damals noch nichts gab, was automatisch für mich mischen würde. Mix-Genius ist, glaube ich, immer noch in der Beta-Phase … Insofern war dieses Album einigermaßen radikal.

Es gibt allerdings auch ganz andere Aspekte zum Thema Presets, die nicht unbedingt mit kreativen Entscheidungen zu tun haben. In manchen Ländern werden für die lokale traditionelle Musik Instrumente nachprogrammiert, weil sich keiner Aufnahmen in Studios mit Ensembles leisten will oder kann. Wer in Mazedonien traditionelle Musik macht und aufnehmen will, kann natürlich ein Ensemble zusammenstellen, ein Studio mieten und ein paar tausend Euro ausgeben − oder aber jemanden bezahlen, der das alles für 300 Euro programmiert, und dann wird nur noch darüber gesungen. Solche ökonomischen und kulturellen Phänomene haben mich sehr interessiert.

Vielen Dank für das Interview!

 

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