Mixpraxis

Stuart White über seine Arbeit an Everything Is Love von The Carters (Beyoncé & Jay-Z)

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Stuart White Everything Is Love The Carters

Zur großen Anzahl an Trennungsalben, die die Geschichte des Rock’n’Roll durchziehen, haben Beyoncé und Jay-Z neulich die Antithese beigesteuert: das Versöhnungsalbum, und zwar das wahrscheinlich erste dieser Art, an dem beide Beteiligten zu gleichen Teilen mitgewirkt haben. Das Album trägt den wahrscheinlich passenden Titel Everything Is Love und wird unter dem Namen »The Carters« veröffentlicht, dem gemeinsamen Nachnamen des verheirateten Paars. Everything Is Love ist Nachfolger und inhaltlich logische Fortsetzung von Beyoncés und Jay-Zs jeweils letztem Soloalbum, denn Lemonade (Beyoncé, 2016) bzw. 4:44 (Jay-Z, 2017) enthielten durchaus Spuren ihrer ziemlich öffentlichen ehelichen Unstimmigkeiten.

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Natürlich ist Everything Is Love kein Rock’n’Roll-Album, sondern eher HipHop/R’n’B à la 2018 mit weitgehend programmierten Beats, in denen aber ein großes Spektrum tradierter Stile weiterlebt − Reggae, Soul, Jazz, Rock usw. Auch klanglich ist das Album also eine Fortsetzung bzw. Erweiterung der beiden Soloalben des Paares, insbesondere von Beyoncés experimentellem und vielgelobtem Lemonade. Beats zum Versöhnungsalbum haben keine Geringeren als Pharrell Williams, Cool & Dr. Dre, Boi-1da, Mike Dean, Nav, David Sitek sowie einige weniger bekannte Composer und Beatbuilder beigesteuert. Stilistisch liegt der größte Bruch mit der Vergangenheit darin, dass Beyoncé mehr rappt als singt, und das mit offensichtlich per Autotune verwurstelter Stimme à la Atlanta-Trap.

Ein Schwerpunkt auf Rap im Gegensatz zu Melodie erfordert in der Produktion der Musik einiges an Tiefe, Lebendigkeit und Vielfalt im klanglichen Spektrum − etwas, wofür naheliegenderweise die Beatbuilder zuständig sind, aber auch die Engineers und Mixer, die hinter den Kulissen an Everything Is Love mitgewirkt haben. Darunter finden sich renommierte Namen wie Tony Maserati, Leslie Brathwaite, Young Guru und Chris Godbey, aber der wesentliche unsung Hero im Studio war Beyoncés regelmäßiger Engineer und Mixer Stuart White, der große Teile des Albums aufgenommen und einen Mixing-Credit für alle Songs des Albums bis auf einen bekommen hat.

Stuart White Everything Is Love The Carters
Beyoncé und Jay-Z sind »The Carters«

Aufnehmen, mixen und produzieren

Stuart White betreute die Entstehung von Everything Is Love von der technischen Seite. Das Album wurde an vielen Orten rund um den Globus aufgenommen und gemixt, darunter der U Arena Stadium Complex und Philippe Zdars Motorbass Studio, beide in Paris, The Church und RAK in London sowie drei Studios in Los Angeles: Neben Record Plant wurde im Homestudio der Carters, Kingslanding West, gearbeitet, ebenso wie in Stuart Whites eigenen Avenue A Studios West, DTLA.

»Ich war der hauptsächliche Tracking-Engineer [= Recording-Engineer, im Gegensatz zu Mixing-Engineer]«, bestätigt White via Skype aus seinem Haus in Downtown Los Angeles. »Tony [Maserati] hat in der Church [London] gemixt, und ich habe viel Zeit bei RAK [London] verbracht, das mein Lieblingsstudio geworden ist. In Paris habe ich Chris [Godbey] als Tracking-Engineer dazugeholt, wir haben zusammen 713 gemixt und er allein Salud!. Leslie [Brathwaite] ist Pharrells regelmäßiger Mixer, und Pharrell hat Leslie gebeten, seine beiden Stücke zu mischen, aber Leslie hat sich im Fall von Apeshit geweigert, da er meinen Mix als fertig betrachtet. Also hat er Nice und Friends gemixt. Generell war der Ablauf so, dass ich die Sessions bis zu einem bestimmten Punkt bearbeitet habe und dann alle mitgeholfen haben, sie zu Ende zu bringen. Es waren keine Egos im Spiel, die Sessions sind hin und her gegeben worden, und alle wollten einfach das beste Ergebnis.«

Die »Sessions bis zu einem bestimmten Punkt bearbeiten«, bedeutete für White, zu »… mixen, während ich aufnehme. Jedes Mal. Das war immer schon mein Vorgehen und ist für mich die beste Art zu arbeiten. So haben die Leute es früher auch gemacht: Sie bekamen die richtigen Sounds direkt vor Ort, und Mixen war ein Nachgedanke. Das ist auch meine Haltung: Machen wir es direkt, so lang es noch frisch, die Begeisterung für das Stück noch spürbar ist und alle noch im Raum sind. An dem Punkt bekomme ich auch sofort Rückmeldungen, wenn ich in die Runde frage ›Wie findet ihr diesen Hall? Wie findet ihr diesen Sound für den Vocal-Take, diesen Übergang oder wie der Bass auf der Kickdrum sitzt?‹ «

Dieses Vorgehen gibt White viel Raum zu etwas, was wir als Klangmalerei bezeichnen könnten − und was ihm zusätzliche Produktions-Credits für die Stücke Apeshit und Boss eingebracht hat. »Ich nehme oft Elemente, die schon im Song sind, und manipuliere sie, um Bewegung in den Song zu bringen. Man will keinen Song mit immer denselben Übergängen hören, das wäre lahm. Die Eingriffe müssen nicht riesig sein, nur genug Unterschied erzeugen, damit die Hook bei keinem Durchgang so ganz gleich klingt. Zwar noch ähnlich genug, damit alle wissen, dass es die Hook ist, aber eben mit etwas mehr Flair, Drama und Aufregung. Viele Engineers machen das heute wieder so, z. B. Josh Gudwin bei Justin Bieber, Ann Minciele bei Alicia Keys und Chris Godbey bei Justin Timberlake. Wir geben mit ein paar Tricks unsere Würze dazu, damit die Songs sich bewegen und zusammenhalten. So war es bis in die 70er schonmal. Guck dir an, wie Geoff Emerick die Beatles als Herausforderung angenommen hat. So sehe ich mich herausgefordert von Jay und Bey. Wie Emerick damals bringe ich Eigeninitiative ein und bekomme dafür eben jeweils einen Daumen hoch oder einen Daumen runter. Solche profilierten Künstler erwarten das von einem Engineer: Verzierungen einzubauen, ist Teil des Jobs.

In diesem Genre [HipHop/R’n‹B] gibt es in den Sessions viele Loops. Wenn man aber die ganze Zeit dieselben Drums, dieselben Akkordfolgen und dieselben Instrumente hat, muss man irgendwo mal was verändern, um den Track interessanter zu gestalten. Ich suche immer nach Stellen, an denen das sinnvoll ist. Wer mich als Mixer anheuert, erwartet meistens auch, dass ich das probiere. Natürlich ist das immer eine Gratwanderung zwischen Veränderungen, die cool klingen, und solchen, die billig klingen. Ich frage mich jedes Mal, ob es cool klingt oder eben nicht.«

Karriere

Stuart White hat als Engineer und Mixer schon für Ed Sheeran, Depeche Mode, Sia, Nicki Minaj, Fun, Mary J. Blige, FKA Twigs, Alicia Keys und viele andere gearbeitet. Seit 2012 ist er schwerpunktmäßig für Beyoncé tätig. Seine Leidenschaft für Recording hat sich früh gezeigt: Schon als Teenager in North Carolina experimentierte er mit der Stereoanlage seines Vaters und bouncte Tracks zwischen einem Doppel-Tapedeck und einer Karaoke-Anlage. Nach dem unvermeidlichen Gehversuch an der Gitarre prägte das Foto eines Aufnahmestudios mit einem SSL-Mischpult auf der Rückseite einer CD von seiner Cousine Agona Hardison sein weiteres Leben.

White war sofort von Studio-Equipment besessen und kaufte sich einen Sampler und einen 8-Spur-Recorder. Dazu besorgte er sich Turntables und verbrachte einen Teil seiner Jugend mit DJing. 2001, mit 21 Jahren, ging er an die Full Sail University in Florida, die er ein Jahr später abschloss. Anschließend zog White nach New York, wo er in den Quad Studios und mit dem Top-Engineer und -Mixer Russell Elevado arbeitete, der ihm »eine neue Welt des Engineerings von der kreativen Seite eröffnete«. Bei Quad lernte White auch die Engineerin Ann Mincieli kennen, die mit Alicia Keys arbeitete. Als Letztere ihr eigenes Studio aufbaute, arbeiteten Mincieli und White dort sechs Jahre lang. »Es war eine sehr kreative Zeit, denn Ann experimentierte gerne und kaufte jede Menge Gitarrenpedale, Verstärker, irrsinnige Mikrofone und sowas.«

Ein anderer entscheidender Einfluss auf White war Alicia Keys’ Produzent Kerry »Krucial« Brothers aus Los Angeles, der Stuart White »als seinen persönlichen Engineer/ Mixer« übernahm: »Da habe ich mir wirklich meine Sporen als Mixer verdient.« Als Ann Mincieli 2010 die Jungle City Studios eröffnete, kehrte White jedoch nach New York zurück, um dort zu arbeiten. Bis die Chefin ihm 2012 mitteilte, dass Beyoncé einen Engineer suchte. Sein erstes Beyoncé-Album, an dem White im großen Stil mitwirkte, war ihr selbstbetiteltes fünftes Album aus dem Jahr 2013, für das er eine »Album Of The Year«-Grammy-Nominierung erhielt. 2012 war er schon für Funs Album Some Nights für zwei Grammys nominiert worden. Seitdem, sagt White, macht die Arbeit mit Beyoncé etwa die Hälfte seines Schaffens aus, »und viele meiner anderen aktuellen Credits stammen von Stücken, an denen sie als Gast beteiligt ist«. Die Arbeit an Beyoncés Lemonade brachte ihm 2016 dann einen Grammy in der Kategorie »Best Urban Contemporary Album« sowie zwei weitere Nominierungen ein.

Hotel-Recording

Eine weitere Rolle für Whites Arbeit an Everything Is Love spielte sein Umzug wiederum von New York nach Los Angeles im August 2016 − er hatte zu viel Zeit in Hotelzimmern verbracht; Wetter und niedrigere Mietpreise taten ein Übriges. In der Innenstadt richtete er sich ein neues Studio ein, das »größer ist, als ich es in New York hatte, und diesmal mit Tageslicht. Ich habe meine gesamte Ausrüstung aus New York hergebracht. Ich arbeite hauptsächlich in-the-box, aber schon auch hybrid, mit einem Chandler Mini-Rackmixer, den ich als Summing-Bus verwende und auf dem ich einen Manley Massive Passive EQ und einen SSL Clone Compressor laufen lasse. Meine Monitore sind ProAcs Studio 100 der ersten Generation, dazu habe ich den Bryston 4B-Verstärker, Yamaha NS10 und ATC SCM25A plus Genelec 8040. Ich habe ein Rack mit Outboard-Geräten, darunter ein Bricasti M7-Reverb, und ein weiteres Rack mit Gitarrenpedalen auf einer Patchbay.«

Eine Besonderheit in Whites Equipment-Park resultiert daraus, dass Beyoncé sehr gern reist und ebenso gern aufnimmt, wo immer sie geht und steht. Daher hat White seit Beginn seiner Arbeit mit ihr einen Raum voller Flightcases von Pelican − stets reisefertig mit allem, was er braucht, um irgendwo aufzunehmen. Im Falle von Everything Is Love nutzte er sein gesamtes Reise-Setup z. B. bei den Aufnahmen in der Pariser U Arena. Auch in Studios kommt dieses Setup zum Einsatz.

»Als Monitore hatte ich für das gesamte Projekt meine ATC SCM25A und meine Genelec 8040 dabei. Die ProAcs nehme ich nicht mit, weil sie einen großen Bryston-Verstärker benötigen, der schwer zu transportieren ist. Die ATCs sind ja schon schwer genug! Ich transportiere die Monitore in ihren Originalkartons, mit Gaffer stabilisiert. Das alles und die neun Pelican-Koffer lasse ich als Gepäck im Flugzeug mitnehmen. Ich habe jeweils einen Pelican für meinen Avalon VT-737sp, für meinen Tube Tech Cl-1B-Kompressor, für den Avid HD Omni, für Kabel, für einen kleinen Subwoofer und einen Reflection-Filter, für meinen Bricasti M7 (für guten Hall ohne Plug-in), für mein Telefunken-Mikrofon und für Lautsprecher- und Mikrofonständer. Ich fliege mit all diesen Sachen, da Beyoncé mal im Hotelzimmer aufnehmen möchte, mal in einem Haus und mal in der Konzerthalle.«

Hot Signals

Über den kreativen Prozess von Beyoncé und Jay-Z wollte White nicht berichten, da die beiden dies zum Zeitpunkt des Interviews selbst noch nicht getan hatten. Sicher sein können wir aber, dass Beatbuilder und Producer beteiligt waren, die ihre Tracks eingeschickt und in manchen Fällen auch mit Jay-Z und Beyoncé im Studio gearbeitet haben. Das Paar hat für alle Stücke Co-Produktions- und Co- Writing-Credits, zudem sind beide als Executive Producers gelistet, also ist anzunehmen, dass sie aus den in Auftrag gegebenen Beats ausgewählt und diese dann bearbeitet und overdubbed haben, mit White an den Reglern. Über seine Rolle in diesem Prozess jedenfalls gibt er gern Auskunft …

Stuart White Everything Is Love The Carters

»Ich beginne mit meinem Tracking-Template in Pro Tools. Dort hinein lade ich eine Session, wie sie vom Beatbuilder kommt. Manchmal bekommen wir zunächst eine Zweispur-MP3-Version des Tracks. Viele Engineers im R’n’B-Bereich würden dazu schon die Vocals aufnehmen, auf Beyoncés Wunsch frage ich aber immer sofort nach der kompletten Multitrack-Version. Damit lässt es sich viel leichter aufnehmen. Manche Producer geben gerne eine Zweispur-Version raus, weil sie in FL Studio arbeiten, wo man einen bestimmten Sound bekommt, wenn man die Outputs heiß anfährt. Es gibt Clipping, Verzerrung und eine bestimmte Art von Glue dazu, und es hat einen fantastischen Punch im Bassbereich, der sich in Pro Tools nur schwer herstellen lässt. Um diesen Punch zu simulieren, baue ich viel parallele Distortion ein, mit Plug-ins wie SoundToys Decapitator oder UAD Little Labs Voice Of God. Oder ich lasse den Pro-Tools-Output clippen, bounce es so und fahre den Output dann wieder runter. Ich fahre den Output deswegen wieder herunter, weil ich sehr viel Headroom brauche und die Sachen, die ich bekomme, tendenziell zu heiß gefahren sind. Das Erste, was ich tue, wenn ich einen Multitrack geladen habe, ist, bei allem so den Gain herunterzuregeln, damit ich wirklich tonnenweise Headroom habe. Ein Grund dafür ist Beyoncés unglaublicher Dynamikumfang: Sie kann von jetzt auf gleich vom Flüstern zum Röhren übergehen, und ich wäre ein schlechter Engineer, wenn ich meine Aufnahmen von ihr übersteuern würde.

Überhaupt finde ich unter den In-the-box-Mixen die mit haufenweise Headroom am besten. Klar, mit 32-bit-float hat Pro Tools jetzt mehr Headroom als je zuvor, aber ich finde immer noch, dass Plug-ins besser funktionieren, wenn man ihnen nicht so viel Level gibt. Falls ich mal etwas per EQ um 10 dB pushen möchte, weil ich gerade Dramatik will oder weil es sonst langweilig und leblos klingt, ist ein allgemein niedriges Level ein viel besserer Ausgangspunkt. Beim Tracking habe ich den Master-Fader immer weit unten. Während der Aufnahme drehe ich einfach die Lautsprecher auf, und wenn ich am Ende des Abends eine Referenz bounce, hebe ich einfach den gesamten Mix mit einem Limiter an, den ich wieder wegnehme, sobald ich gebounct habe. Dann speichere ich die Session und schließe sie.«

Setup

Zum anschließenden Vocal- Recording gibt White zu Protokoll, dass er sowohl Beyoncé als auch Jay-Z mit einem Telefunken Mikrofon, einem Avalon Mikro-Preamp und einem Tube Tech Kompressor aufgenommen hat. »Das war die Signalkette für beide für das gesamte Album. Sie wechseln sich den ganzen Tag am Mikrofon ab und klingen beide wirklich gut mit dem Telefunken, also habe ich es nicht komplizierter als nötig gemacht.

Ich versuche bei der Aufnahme immer, einen Song so bald wie möglich wie eine Platte klingen zu lassen. Wenn du den Künstler während der Arbeit begeistern kannst, wird alles besser. Wie bei einem guten Konzert: Wenn die Band das Publikum spürt, spielt sie besser, und wenn die Band besser spielt, dreht das Publikum noch mehr durch usw. Im Studio ist es genauso. Wenn etwas sofort super klingt, begeistert es wiederum den Künstler beim Komponieren oder Performen. So kommt man zu diesem Energielevel, wo Leute sich selbst übertreffen. Wenn man sich im Studio nicht richtig gut fühlt, fühlt sich das Ergebnis eben für den Zuhörer später nicht richtig gut an. Deshalb mache ich mir viel Druck, jederzeit für solche Situationen alles bereit zu haben.

Stuart White Everything Is Love The Carters

Ich mische mich nicht in Arrangements ein und versuche nicht, für sie [The Carters] zu produzieren, sondern bleibe in der Engineer-Rolle. Aber weil ich beim Mixen gern Dinge cool klingen lasse, bekomme ich manchmal zusätzliche Produktions-Credits. Zum Beispiel für Apeshit, wo ich den Bass umgeformt habe, weil er vorher nicht hart genug gewummst hat, und ein paar Übergänge mit umgedrehtem Hall und anderen Effekten gestaltet habe.«

Frequenz-Composing

Den Bass zu formen, erfordert vor allem EQ, den White beim Rough-Mix gezielt reduktiv einsetzt. »So schaffe ich Raum für alles. Wenn zwei Sounds kollidieren, stelle ich sie auf Solo und fahre mit mittlerem Q [Bandbreite] die Frequenzen entlang, um herauszufinden, wo sie kollidieren. Man weist dann dem einen der Sounds zu, bei welchen Frequenzen er dominieren soll, und zieht diese Frequenz bei dem anderen Sound herunter. Plötzlich passen die beiden Sounds zueinander wie angegossen. So mache ich es durch die Bank, denn am Ende geht alles in einen zweikanaligen Trichter.

Das gilt auch für Producer: Wenn man Sounds so zusammenfügt, dass ihre Frequenzen sich ergänzen und nicht überlappen, klingt es so viel besser. Wenn du es dann einem Mixer übergibst, wird er dich lieben, denn jetzt kann er wirklich mixen anstatt zu reparieren. jetzt kann er das Sahnehäubchen und die Kirsche obendrauf legen und muss nicht erst das Eis machen. Gute Producer arbeiten hart, um Kick und Bass-Sounds zu finden, die zueinander passen, ohne dafür endloses EQing zu benötigen. Wenn man den Tieffrequenzbereich dann so hat, wie man ihn möchte, kann man sich auf Song, Melodie und Struktur konzentrieren.«

Apeshit

Apeshit ist die Teaser-Single von Everything Is Love, komplett mit dem schon fast ikonischen Video von Beyoncé und Jay-Z im Pariser Louvre. Den Beat dafür hat Pharrell Williams gebaut und programmiert, Background-Gesang haben Quavo und Offset vom HipHop-Trio Migos aus Atlanta beigesteuert. Als Producer sind Pharrell Williams, Beyoncé und Jay-Z vermerkt, zusätzlich Stuart White. Seine letzte Mix-Session besteht aus 111 Spuren, aufgeteilt − von oben nach unten − wie folgt: 7 Master- und Subgroup-Spuren, 15 Effekt-Aux-Spuren, ein GorillaSample, 11 Drumspuren (meistens blau), 9 Synth- und Sample-Spuren (lila), 3 Spuren mit Effekt-Übergängen (blau), 8 Spuren mit Hooklines von Migos, eine VCA-Spur, 5 Jay-Z-Spuren, 15 Beyoncé-Leadvocal-Spuren (sowohl »clean« als auch »dirty«), 22 Beyoncé-Backing-Vocal-Spuren und zwei Spuren mit Whites zusätzlichen Effekten.

White beginnt oben mit den Erläuterungen und lässt die Master- und Subgroup-Spuren bis zum Schluss. Auf den ersten vier Aux-Effekt-Spuren liegen SoundToys-Effekte, nämlich Little Microshift, zwei EchoBoy Delays und ein Delay vom Little PrimalTap. Es folgen Hall-Reverb-Aux und Church-Reverb-Aux, beide vom Waves Rverb, EMT PlateAux von Altiverb, vier Aux-Spuren mit Waves H-Delay plus unterschiedliche Permutationen auch anderer Plug-ins, eine Aux-Spur mit Avid Revibe II, zwei DVerb Aux-Spuren und eine weitere RVerb-Aux-Spur. White: »Little Microshift verwende ich in fast jedem Mix. Es ist sehr gut, um den Vocals ohne Phasenverschiebungen mehr Weite zu geben.«

Drums

»Es gibt zwei Audiospuren mit einer 808 [Drummachine], die beide auf eine 808-Aux-Spur gehen. ›808 main‹ ist Pharrells 808, wo ich den Avid EQ3 hinzugefügt, bei 34 Hz verstärkt und bei 77 Hz 10 dB weggenommen habe, um Platz für die dicke Kickdrum zu schaffen; außerdem habe ich Waves RBass dazugegeben. ›808 dist harmonics‹ ist eine Kopie davon, die ich dann mit dem SoundToys Decapitator verzerrt habe: auf ›Style A‹ eingestellt, ›Punish‹ eingeschaltet, Drive auf 7 und Bass zurückgefahren, um mehr Mitten zu haben.

Die beiden Spuren habe ich dann auf einer Aux-Spur zusammengeführt, auf der der UAD Massenburg DesignWorks EQ liegt, mit einer Absenkung von 5,2 dB bei 124 Hz − um wieder Platz für die Kickdrum zu schaffen. Die beiden anderen Kickdrum-Spuren unter den 808- Spuren machen zusammen die Kickdrum fett. Auf einer dieser Spuren booste ich bei 99,8 Hz um 4,5 dB, reduziere bei 315,7 Hz und booste bei 4,42 kHz um 13 dB − alles mit dem EQ3. Beyoncé und ich sind uns in klanglichen Fragen eigentlich immer einig, und hier wollten wir diesen satten KickPunch hören. Es mag überraschen, dass ich die Kick auch bei 4,42 kHz geboostet habe, weil eine Kickdrum in den hohen Frequenzen ja nicht so viel liefert, aber es ging mir darum, den Bereich von 1 bis 3 kHz ein wenig zu beeinflussen, um den gesamten Frequenzgang ausgewogen zu bekommen.

Die anderen Drum-Spuren bestehen aus ein paar Snares, jeweils mit einem Send an die Church-Reverb-Aux-Spur, und vier Hi-Hat-Spuren. Auf einer davon liegt ein EQ3 mit Hochpass-Filter, der unterhalb von 371 Hz abschneidet, was sonst Bass und Kickdrum überschattet hätte. Dazu ein Boost bei 1,43 kHz, damit es etwas glitzert, und ein Decapitator für mehr Drive und Durchsetzungsvermögen. Für sich genommen, klingt es dünn, aber es passt gut zum Rest. Beim Mixen will man die Klänge dazu bringen, nebeneinanderzusitzen, einander die Hände zu halten und zusammenzuarbeiten.«

Instrumente

» ›Glide‹ ist ein Keyboard-Part, bei dem ich mit dem EQ3 als Hochpassfilter alles unter 63 Hz weggenommen habe. Als Übergang in der zweiten Strophe, etwa bei 3 Minuten, habe ich einen kleinen Ausschnitt dieses Parts auf zwei Spuren darunter kopiert, ›Glide 2‹ und ›Glide 2 low‹. Letztere habe ich mit Elastic Audio eine Oktave tiefer gestimmt. Das ist ein Beispiel dafür, wie man Bewegung in ein Stück bringt: Indem alles andere sich für einen Moment zurückzieht, mache ich diesen Sound für einen Moment zum Star der Show. Auf ›Glide 2‹ habe ich mit Waves SSL E-Channel und CLA-3A etwas Kompression dazugegeben, außerdem mit dem EQ3 den mittleren Bereich angehoben und alles über 2,58 kHz abgeschnitten. Dann habe ich mit dem Devil-Loc etwas Verzerrung draufgegeben. ›Glide 2 low‹ hat einen Hochpassfilter bei 325 Hz, wieder den Devil-Loc plus viel Kompression vom Waves RComp. Ich habe auch auf beide Glide-Spuren einen Send an die MicroShift-AuxSpur gelegt, um ihnen Weite zu geben. All das verändert den Klang deutlich.«

Vocals

»Die Vocal-Beiträge von Migos kamen auf sieben Audiospuren an, jeweils mit dem Avid DVerb drauf. Normalerweise würde ich keinen DVerb vor den Equalizer schalten, aber es klang toll, und es macht irgendwie ihren typischen Sound aus. Also habe ich sie ein wenig angepasst, aber weitgehend gelassen, wie sie waren.«

Jay-Zs Part besteht aus zwei Spuren, Lead und Ad-lib, mit einer zusätzlichen »Reverse«- und einer »Jay clean«-Spur. White: »Auf der Lead-Vocal-Spur liegen SSL E0-Channel, Waves C4 Multiband Kompressor, FabFilter Pro-Q2 EQ und McDSP AE400. An der Stelle, wo Jay rappt ›Tell the Grammys: fuck that 0 for 8 shit / Have you ever seen a crowd goin’ apeshit?«, kann man im Hintergrund Dinge hören − als Beispiel dafür, wie ich etwas Schwung und Atmosphäre dazugebe. Die Sounds stammen eigentlich aus der dritten Voice-Sample-Spur weiter oben in der Session, wo ein paar automatisierte Plug-ins drauf liegen − ReVibe, S1 Imager und eine Filterfahrt vom EQ3. Subtil, aber ein kleiner Ohrenschmaus, besonders auf Kopfhörern.«

Die Leadvocal-Spuren von Beyoncé bestehen aus drei Aux-Spuren sowie vier »dirty« und acht »cleanen« Audiospuren. Die Audiospuren haben den EQ3 auf den Inserts, einige davon außerdem einen Send an das Church Reverb. Whites Bearbeitung findet komplett auf den drei Aux-Spuren statt. »Alle Leadvocal-Spuren werden an ›B Aux‹ und ›B Parra Aux‹ gesendet. Auf Ersterer liegt der McDSP DS 555 De-Esser. Ich benutze zwar meistens den Waves De-Esser, aber in diesem speziellen Fall habe ich anders entschieden, weil ich Beyoncés Stimme wirklich hart komprimieren wollte. Es ist wie ein Sidechain-Filter. Der FabFilter Pro-DS macht dann noch ein sanfteres Look-Ahead-De-Essing.

Als Nächstes kommt ziemlich drastisches EQing vom EQ3, mit High-Pass bei 142 Hz, 9-dB-Cut bei 244 Hz und 2-dB-Cut bei 3 kHz. Den Cut bei 244 Hz habe ich vorgenommen, weil sie hier mit dieser heiseren Stimme singt, mit wenig Energie. Die Energie bekomme ich hier vom RComp Kompressor, und die EQs inklusive derer vom SSL E-Channel dienen dazu, ihre Stimme auf dem Track sitzen zu lassen, anstatt dass sie gefiltert klingt. Ich liebe den RComp, weil er eben nicht nach Kompression klingt. Der SSL E-Channel gibt noch etwas Kompression dazu, und die Phoenix II Tape Emulation ist richtig cool, denn obwohl sie nicht wirklich nach Tape klingt, glättet sie die Transienten eines Signals, wie analoge Geräte es tun. So kann ich einen fetteren Vocal-Sound bekommen, der die Stimme gut im Mix sitzen lässt. Der letzte EQ3 senkt bei 3,2 kHz ab, damit es nicht harsch klingt.

›B Parra Aux‹ ist eine Spur mit paralleler Kompression durch RCompressor und CLA 76, auf niedrigem Level beigemischt. Die Aux-Spuren laufen dann zum ›LD ALL Aux‹, wo ich mit dem McDSP AE400 weitere Operationen durchführe. Damit kann man einen Schwellenwert einstellen wie an einem Kompressor − wie ein Lautstärkeregler, den man bei einer Frequenz herunterregelt, sobald sie außer Kontrolle gerät. Schließlich ist da noch der Waves C4 [MultibandKompressor], um die Stimme gleichmäßig zu halten. Dieses Stück hat viel Energie, und dies ist ein Beispiel dafür, wie man Kompression für Energie, Atmosphäre und Attitüde einsetzt. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, dass die Kompression auf Beyoncés Atemgeräuschen richtig zum Beat pumpt. Ihr Atem sollte eines der perkussiven Elemente im Song sein, und dafür waren Attack und Release der Kompressoren der Schlüssel.«

Fünf der 22 Spuren mit Beyoncés Ad-lib-, Backing- und Lead-Vocals gehen ebenfalls auf die erwähnten Aux-Spuren, während die übrigen ihre eigenen Signalketten durchlaufen. Diese Audiospuren werden an verschiedene Aux-Spuren geschickt, oft mit tonnenweise Plug-ins, und alle Aux-Vocal-Spuren wiederum werden am Ende an die ›Voc All‹-Gruppen-Aux-Spur ganz oben in der Session geschickt, wo ein RCompressor mit Ratio 10 zugeschaltet ist. Dann gibt es weitere Gruppen-Aux-Spuren wie Track Aux, FX Voc Aux, FX und Music Aux, die alle an All Aux gesendet werden. Der wiederum geht an die ›No Limiter‹-Mixprint-Spur, und schließlich gibt es eine Stereo-Master-Spur.

White: »Es gibt kaum Plug-ins auf meinen Gruppen-AuxTracks. Weniger ist mehr! Was nicht kaputt ist, sollte man auch nicht reparieren! Aber diese Gruppenspuren geben mir eben gewisse Kontrollmöglichkeiten über bestimmte Gruppen, wo es nötig ist. Der RCompressor hat eine sanfte Opto-Einstellung und gibt Glue auf alle Gesangseffekte. Es ist super, wenn man laute Vocals im Mix braucht.

›All Aux‹ ist mein Masterbus, wo der UAD SSL G-Bus-Compressor drauf ist, eingestellt auf Ratio 4, Attack 10 ms, Release 1.2 und Threshold ungefähr +15. Aber die Zeiger bewegen sich bei diesem Kompressor kaum mal. UAD hat mit diesem Plug-in Großes geleistet, denn es hat einen Mix-Regler mit einem Roll-off bis 500 Hz. Für Typen wie mich, die so viel Bass in ihren Mixen haben, ist das sehr nützlich. Ich stelle das Roll-Off ziemlich hoch ein, dazu ein langsames Attack. Dann folgt noch der iZotope Ozone 7 Imager, der den hohen Frequenzen eine sehr schöne Weite verleiht.«

 

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