Love The Machines: Die Allmachtsmaschine

Clavia Nord Modular Virtuell-analoges Modularsystem

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

In den 90er-Jahren war der Nord Modular von Clavia ein Versprechen an alle, die sich einen Synth wünschten, der alles kann. Man munkelte, der DSP-gestützte Bolide sei in der Lage, die meisten anderen Synths, Vocoder, Drumcomputer oder sogar manches Effektgerät überflüssig zu machen. Was ist dran an der Übermaschine?

Gerade heute erleben Modularsysteme, auch ausgelöst durch die von Dieter Doepfer geschaffene Euro-Norm, eine unglaubliche Renaissance, egal ob es sich um klassische Hardware-Module oder softwarebasierte Emulationen handelt. Da rückt ein innovatives Gerät wie der Nord Modular wieder verstärkt ins Blickfeld. Die 1983 gegründete Firma Clavia, die in den 80ern durch ihre digitalen Drum-Synths (ddrum) bekannt wurde, hatte mit dem virtuell-analogen Nord Lead von 1995 einen echten Hit gelandet, der die Schweden zu weiteren innovativen Produkten motivierte. Zwei Jahre später stellte Clavia mit dem Nord Modular ein Gerät vor, das bis heute in dieser Form einzigartig ist. Zu den bekannten Usern des Nord Modular gehört der niederländische Produzent Legowelt, der gleich zwei G2 sein Eigen nennt.

Anzeige

Die erste Version des Nord Modular hat ein etwas unübersichtliches Bedienpanel. (Bild: Dieter Stork)

GS 1

Der Nord Modular (in der Synth-Gemeinde auch »G1« genannt) ist ein DSP-basierter Hardware-Synth, der ein virtuell-analoges Modularsystem emuliert; seine Sounds werden mit einem computergestützten, externen Editor erstellt, in dem man virtuelle Module verkabeln kann. Die Patches lassen sich auch ohne Computer mit dem Hardwaresynth spielen und mit Realtime-Reglern, denen man beliebig Parameter zuordnen kann, verändern. Das Konzept war zwar nicht gänzlich neu (es gab schon den Kyma oder Ansätze wie den PPG Realizer), aber ein so pfiffiges und auch für den Live-Einsatz optimiertes System, bei dem man nicht unsexy mit dem Laptop auf der Bühne stehen muss, sucht bis heute seinesgleichen.

Beim Hardware-Design haben sich die Macher von Clavia am Nordlead orientiert; der Nord Modular besitzt ein Metallgehäuse, das in einem knalligen Rot lackiert ist, aber trotzdem edel wirkt. Der ziemlich kompakt gestaltete Synth ist etwas spartanisch mit einer zweioktavigen Tastatur und einem zweizeiligen Display ausgestattet. Dafür stehen neben dem großen Encoder 18 zuweisbare Regler zur Verfügung.

G2X, die Edel-Variante des Nord Modular (Bild: Dieter Stork)

G2: Der ultimative (virtuelle) Modular-Synth

Für alle, die wirklich tief in die Welt des Nord Modular eintauchen wollen, ist aber der mit mehr DSP-Power ausgerüstete G2 die richtige Wahl. Der Nachfolger der ersten Modularversion kam 2003 (für ca. 2.000 Euro) heraus und hat eine viel bessere und übersichtlichere Bedienoberfläche mit fünf Displays; vier davon sind mit jeweils zwei zugeordneten Encodern bestückt, die mit LED-Kränzen ausgestattet sind. Das Keyboard umfasst jetzt vier Oktaven; rückseitig bietet der G2 je vier Ein- und Ausgänge, eine USB-Schnittstelle, zwei Pedal-Anschlüsse und ein MIDI-Trio. Eine Edelversion mit 61 Tasten (G2X) wurde auch angeboten; sie verfügt über eine DSP-Erweiterungskarte, die man für die Nachrüstung der Basisversion G2 optional erwerben konnte. Clavia brachte auch eine günstigere Version ohne Bedienelemente namens »Engine« auf den Markt.

Leider ist der G2 nicht aufwärtskompatibel; auf dem G1 erstellte Sounds lassen sich nicht ohne Weiteres laden; hier kommt aber die rührige Nord-Modular-User-Gemeinde zum Zug (www.electro-music.com), die einen Großteil der G1-Patches für den G2 konvertiert hat.

Die clever designte Bedienoberfläche des G2 (Bild: Dieter Stork)

Slotmachine

Der G2 arbeitet mit vier DSP-Slots, in die man jeweils ein Patch laden kann, das z. B. ein Synthesizer, ein Drumcomputer oder ein Effekt sein kann. Die Slots lassen sich über Busse verbinden, um Audiodaten zu transportieren; man kann auch virtuelle MIDI-Leitungen zwischen den Slots legen, um z. B. Parameter zu modulieren oder Sounds zu triggern usw. Externe Geräte lassen sich ebenfalls mit MIDI-Daten der Slots steuern, und auch Sys-Ex-Daten werden übertragen. Der G2 wird über USB mit dem Computer verbunden, der G1 mit konventionellen MIDI-Buchsen. Im Gegensatz zur ersten Version verfügt der G2 über mehr DSP-Power, mehr Module, eine verbesserte Effektsektion mit längerem Delay und Reverb, ein optimiertes MIDI-Controller-Handling und viele andere Features.

Clavia brachte auch eine tastaturlose Version des G1 heraus. (Bild: Dieter Stork)

Strippenzieher

Wer vorhat, alle sozialen Bindungen inkl. Lebenspartnerschaft zugunsten des Nord Modular aufzugeben, ist hier richtig: Die Nord Modular Software bietet mehr als 160 Module, die zum stundenlangen Strippenziehen einladen − die Software steht für Windows und Mac zur Verfügung. Die Einstiegshürden sind für erfahrene Synth-Freaks nicht so hoch, schon nach kurzer Zeit stöpselt man sich eigene Sounds zusammen; Anfänger sollten sich in der sehr umfangreichen Library, die auf diversen Webseiten zur Verfügung steht, anregen lassen. Hier stößt man auf unglaublich viele interessante und ungewöhnliche Sounds.

Nicht ganz vergleichbar mit der echten G2-Hardware, aber durchaus brauchbar, ist die Demo-Software. Im Grunde handelt es sich dabei um den Editor, der aber mit ein paar Einschränkungen die virtuelle Klangerzeugung des Nord Modular G2 nachbildet und das Patch ohne die G2-Hardware spielbar macht. Die Demo-Software gibt es kostenlos auf der Nord-Website, sie läuft leider auf aktuellen Mac-OS-Systemen (ab OS 10.7) nicht. Auf Windows-Rechnern läuft die Demo jedoch (noch).

Der Editor des G2 mit einem Patch von Jörg Sunderkötter, das an den ARP Odyssey angelehnt ist

Modul Galore

Unter den Oszillatoren findet man neben dem Standard- Material auch viele Spezialitäten wie den Phase Modulation Oszillator, String Oszillator, Shape Oszillator, Percussion Oszillator, Drum Synth und vieles mehr. Die Oszillatoren lassen sich mit diversen Waveshaping-Modulen (Wavewrapper, Static Shaper etc.) böse verbiegen und übersteuern.

Auch bei Filtern ist die Auswahl groß: Hier gibt es neben klassischen Typen, die man etwa vom Nord Lead her kennt, auch viele Spezialitäten wie Comp-Filter, WahWah-Filter, Voice-Filter usw.

Mit den Modulen lässt sich eine große Bandbreite von Synthese-Typen realisieren; von subtraktiver Synthese über Phase Modulation, FM, additive Synthese, Karplus-Strong-Synthese bis Granularsynthese oder Physical Modelling ist hier vieles machbar. Sehr gut gelungen sind übrigens die Vocoder-Module, mit denen man schöne Ergebnisse erzielen kann.

Gut bestückt ist auch die Sequenzer-Abteilung: Hier lassen sich vier verschiedene Sequenzer-Typen einsetzen, die alles triggern und modulieren können, was bei 3 nicht auf den Bäumen ist. Eine Spezialität des Nord Modular sind verschachtelte Sequenzerstrukturen, die als Selbstspieler immer neue Variationen ausspucken. Die Aufzählung aller Module würde den Rahmen sprengen, man findet hier wirklich sehr viel; nur ein Sample-Modul fehlt.

In der Spielhilfen-Abteilung des G2X findet man drei der Nord-typischen, grauen Modulationsräder im Stein-Design und den Pitch-Hebel aus Holz. (Bild: Dieter Stork)

Unendliche Klangwelt

Der Nord Modular besitzt einen kraftvollen, tendenziell eher warmen Basisklang (vor allem bei den virtuell-analogen Sounds − siehe Nord Lead), ohne jedoch seine digitale Herkunft verleugnen zu können. Die erste Version des Nord Modular liefert einen etwas dreckigeren Sound. Diese Unterschiede sind u. a. auch auf die unterschiedlichen Wandler (24 Bit/96 kHz vs. 18 Bit/96 kHz) zurückzuführen. Egal ob FM-Sounds, additive Synthese oder exotische Verschaltungen zum Einsatz kommen, der Synth klingt meist angenehm und ist dabei ziemlich durchsetzungsfähig. Kleinere Schwächen zeigen sich lediglich in der Effektsektion: Hier klingt das Reverb für heutige verwöhnte Ohren nur durchschnittlich, und das Delay arbeitet lediglich mit 16 Bit. Auch die Auflösung der Encoder in 128 Schritte (die bei Filterfahrten u. U. auffallen kann) wurde von manchen Usern bemängelt.

Trotzdem ist der Nord Modular noch immer ein konkurrenzloses Produkt mit großartigem Klang, das in kundigen Schrauberhänden (auch auf der Bühne) zu einer echten Geheimwaffe wird. Schade, dass Clavia bisher keinen G3 entwickelt hat … heute würde ein solcher Synth bestimmt begeistert aufgenommen werden. Damals, als der G1 und G2 herauskamen, fühlten sich viele Musiker vom Konzept schlicht überfordert, und die Verkaufserwartungen von Clavia wurden enttäuscht.

Der kompakte Micro Modular ist mit drei Echtzeitreglern, einem frei belegbaren Schalter und einem spartanischen, zweistelligen Display ausgestattet. (Bild: Dieter Stork)

Die Einstiegsdroge

Wer das Konzept interessant findet, aber die Anschaffung eines G2 (der auf dem Gebrauchtmarkt selten als Schnäppchen angeboten wird) scheut, sollte sich den kompakten Micro Modular anschauen, den man relativ günstig erwerben kann. Hier muss man aber Abstriche bei der Polyfonie machen; komplexere Patches lassen sich in der Regel nur monofon spielen.

Der Nord Modular G2 wurde uns freundlicherweise von Jörg Sunderkötter zur Verfügung gestellt.

Ein Must-Have (nicht nur) für Nord-Modular-User ist das Illustrated Compendium of Modular Synthesis von Roland Kuit. Das eBook enthält nicht nur essenzielle Tipps & Tricks, sondern auch geballtes Wissen über Synthese und Sounddesign für Elektronische Musik. Wer sich mit dem Nachbauen klassischer Synthesizer-Konzepte beschäftigt, findet in dieser Sammlung praktische Kniffe wie z. B. ganz einfache Oktavwahlschalter oder wie man einen Ringmodulator schnell mit einem XOR-Gatter patchen kann. Wer darüber hinaus kreative Anregungen für Experimentelles sucht, bekommt hier einen ganzen Schatz an Ideen geliefert. Roland Kuits eBook ist für Einsteiger und Profis jeden Cent wert.

Statement des langjährigen Keyboards- und Sound&Recording-Chefredakteurs  und Modular-Intensiv-Users Jörg Sunderkötter 

Die Entwicklung des Nord Modular G2 hab ich damals als Redakteur bei KEYBOARDS aufmerksam verfolgt. Bereits der erste Modular war für mich etwas Besonderes, aber der G2 mit seinem Bedienkonzept und der erweiterten DSP-Power − das sollte mein letzter Synthesizer sein. So dachte ich damals, und es ist natürlich nicht dabei geblieben ;). Aber den Modular G2 habe ich immer noch, und er ist in meinem Setup nach wie vor der mit Abstand wichtigste Synthesizer.

Warum ist das so?

  1. Flexibilität: Für live und Studio ist er der vielseitigste Synthesizer, den es jemals gab.
  2. Klangqualität: Auch heute noch kommt an den Modular G2 kein anderer Analog-Modeling-Synthesizer heran.
  3. Handling: Mit dem einzigartigen Parameter-Paging-System macht man aus seinen Patches spielbare Instrumente.
(Bild: Archiv)

Mit dem Modular G2 konnte ich viele Synthesizer-Strukturen nachbilden: Oberheim SEM, Korg Mono/Poly, Roland Jupiter, Yamaha CS80 — alles Synthesizer, die ich gerne natürlich in meinem Studioraum hätte, aber der ist einfach zu klein … Ich habe diese Synthesizer nicht exakt nachgebaut, aber mich von ihren Konzepten inspirieren lassen. Bei den Analog-Synth-Patches muss man ein wenig mit Random-Modulationen und Saturation-Elementen tricksen.

Dann klingt der G2 so warm und fett − selbst bei aktuellen echtanalogen Synths muss man dafür ordentlich schrauben. Dann ist der G2 für mich der perfekte Synth, um mit verschiedenen Syntheseformen zu experimentieren: Frequenzmodulation, Physical Modeling, Waveshaping, Modal Synthese, Additive Synthese. Es gibt Step-Sequenzer, Clock-Devider, Delay Shift-Register und, und, und. Man kann die unglaublichsten Klangmaschinen, Selbstspieler und Effekt-Patches bauen. Der Modular G2 hat viel mehr Möglichkeiten, als ich wahrscheinlich jemals nutzen werde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.