Gesang aufnehmen

Gibt es etwas Persönlicheres als die menschliche Stimme? Nö! Und deshalb sollte man sich beim Gesang aufnehmen auch besonders viel Mühe geben!

Vielleicht hast du selber mal deine Stimme aufgenommen und warst hinterher entsetzt, wie seltsam und fremd deine Stimme klang. Meist wird das damit erklärt, dass die Schädelknochen die Stimme auf direktem Weg zum Ohr übertragen, weshalb du deine eigene Stimme anders hörst als deine Mitmenschen. Das ist zwar richtig, eine Sache, die aber immer unterschlagen wird, ist die bescheidene Klangqualität. Glaubt mir, die eigene Stimme hört sich längst nicht mehr sooo fremd an, wenn man sie mit anständiger Technik einfängt. Aber wie nimmt man denn nun Rap oder Gesang richtig auf?

Gesang aufnehmen: Dicke Hose

In richtigen Studios wird für Stimmen meist ein sogenanntes Großmembran-Kondensatormikrofon benutzt. Das sind diese dicken Mikros, die du bestimmt schon in vielen Musikvideos gesehen hast. Anders als Bühnenmikros werden diese dicken Kondensatormikros üblicherweise stehend oder hängend montiert und von der Seite besungen. Kondensatormikros sind relativ kompliziert aufgebaut, und bis vor etwa zehn Jahren waren sie für Taschengeldempfänger vollkommen unbezahlbar – die richtig, richtig guten kosten immer noch ordentlich Kohle. Das billigste Modell vom Marktführer, der Berliner Firma Neumann, kostet knapp 1.000 Tacken. Aufgrund des harten Konkurrenzkampfs gibt es inzwischen aber eine stattliche Anzahl von deutlich bezahlbareren Modellen. Empfehlenswerte Einsteigermodelle sind z.B. das NT-1A der australischen Firma Røde oder das AT-2035 der japanischen Firma Audio-Technica für unter 200 Euro. Die klingen schon richtig professionell.

Es muss übrigens nicht zwingend ein Großmembran-Kondensatormikro sein. Kleinmembran-Kondensatormikros – das sind diese zigarrenförmigen Mikros – werden zwar vorwiegend für Instrumentalaufnahmen benutzt, entgegen anders lautender Gerüchte kann man sie aber auch für Stimmen verwenden. Manche klingen sogar erstaunlich gut. Technisch gesehen unterscheiden sich Klein- und Großmembran-Kondensatormikrofone kaum voneinander, außer eben in der Größe der Mikrofonkapsel – und die spielt kaum eine Rolle. Großmembranmikrofone sind aber vom Hersteller gezielt auf Gesangsaufnahmen optimiert und sehen auch einfach geiler aus. Sagt jetzt nicht, das ist egal!

Kondensatormikros benötigen eine Spannungsversorgung, in der Regel über die sogenannte Phantomspeisung. Das ist eine ziemlich clevere Speisung über das ganz normale Mikrofonkabel. Die Spannung wird vom Mischpult bzw. Mikrofonvorverstärker bereitgestellt. Inzwischen ist Phantomspeisung an fast jedem Mischpult und auch an vielen Audiointerfaces verfügbar. Aber eben nicht an allen – schaut also vorher besser mal nach. Der zugehörige Knopf ist meistens mit „+48V“ bezeichnet. Die Versorgungsspannung beträgt nämlich 48 Volt, aber keine Panik, da fließen keine lebensbedrohlichen Ströme!

Ganz ohne Versorgungsspannung kommen beim Gesang aufnehmen dynamische Mikrofone aus, wie z.B. das bekannte Shure SM58, das Bühnengesangsmikro schlechthin. Solche Bühnenmikros klingen nicht ganz so transparent und voll wie Kondensatormikros, aber gerade Sänger und Rapper mit Bühnenerfahrung kommen mit diesen Mikros oft besser klar als mit dem fetten Studiomikro. Auch weil man diese Bühnenmikros einfach in die Hand nehmen und sich zur Musik bewegen kann. Ein dickes Kondensatormikro muss man dagegen auf einem Stativ aufbauen, und man darf auf keinen Fall dran rumlutschen.

Gesang aufnehmen: Action!

Tja, wie geht man denn nun mit so einem Studiomikro um? Na, respektvoll! Kondensatormikros werden meistens mit einer Box oder einer Tasche geliefert, in die man das Mikro wieder zurücklegen sollte, wenn die Aufnahmen vorüber sind. Der Grund: Man sollte es nicht unnötig Staub und Feuchtigkeit aussetzen.

Der erste Schritt zum satten Sound ist, festzustellen, wo die Vorderseite des Mikros ist. Nur weil man die von der Seite bespricht oder besingt, heißt das noch nicht, dass beide Seiten gleich wären! Die meisten Großmembran-Kondensatormikros haben eine nierenförmige Richtcharakteristik, d.h. sie nehmen den Schall nur von vorn auf, während Schall von hinten unterdrückt wird. Vorne ist üblicherweise dort, wo das Herstellerlogo oder manchmal auch nur eine Punktmarkierung zu sehen ist. Im Zweifelsfall kann man die Vorderseite durch Ausprobieren ausfindig machen: Die Seite, die deine Stimme laut und direkt überträgt, ist die Vorderseite, die Rückseite klingt seltsam entfernt, du hörst dann nämlich nur die Reflexionen von den Wänden.

Die meisten Kondensatormikros sind ziemlich empfindlich für Popplaute – das sind diese explosionsartigen Geräusche, die bestimmte Sprachlaute wie „p“ und „b“ verursachen können, wenn nämlich ein Luftstoß vom Mund auf die empfindliche Mikrofonmembran trifft. Man benutzt deshalb in der Regel einen sogenannten Poppschirm. Das sind diese meist mit dünnem Gewebe bespannten Ringe, die du bestimmt schon in diversen Musikvideos gesehen hast. Prinzipiell kann man sich so was aus einem Drahtkleiderbügel und einem Stück Stumpfhose auch selber basteln. Sieht aber scheiße aus … 😉 Korrekte Studioware kannst du schon für ca. 20 Euro erwerben.

Der Poppschirm funktioniert auch prima als Abstandhalter. Für Großmembran-Kondensatormikros wählt man in der Regel einen Lippenabstand um die 20 cm. Experimentiert ruhig ein bisschen, denn der Abstand hat schon einigen Einfluss auf den Sound.

Ganz wichtig: Benutzt zum Gesang aufnehmen ein richtiges Mikrofonkabel mit XLR-Steckverbindern auf beiden Seiten. Das sind diese robusten dreipoligen Stecker. Kabel mit Klinkenstecker auf einer Seite sind eigentlich keine richtigen Mikrofonkabel. Ich nenne so was „Karaoke-Kabel“. Im (Heim-)Studio hat ein Karaoke-Kabel nix verloren. Mit dem Klinkenstecker landet ihr nämlich im Line-Eingang des Mixers. Dort gibt es keine Phantomspeisung für Kondensatormikros, d.h. die können so gar nicht funktionieren. Dynamische Mikros wie das Shure SM58 funktionieren zwar, rauschen aber unnötig viel. Wenn ihr Mikros anschließt, nehmt immer den XLR-Eingang.

Nehmt euch Zeit, einen guten Kopfhörersound einzustellen. Sänger und Sängerinnen treffen die Töne besser, wenn sie sich und das Playback im korrekten Verhältnis zueinander in einer angenehmen Gesamtlautstärke hören. Wenn euer Mischpult oder Mikrofonvorverstärker mit einem Phasen-Umkehrschalter ausgestattet ist (oft ist der mit Ø oder „Polarity“ beschriftet), dann betätigt den mal, und fragt den Performer vor dem Mikro, in welcher Schalterstellung er/sie sich besser hört. Den Unterschied können andere nicht hören, sondern nur die Person vor dem Mikro. Die hört sich nämlich auf elektronischem Weg über die Lautsprecher, aber gleichzeitig auch direkt über die Luft und die Schädelknochen. Der Phasenschalter bestimmt, ob sich diese beiden Signalwege auslöschen oder ergänzen.

Außerdem solltet ihr unbedingt einen geschlossenen Kopfhörer verwenden wie z.B. den Audio-Technica ATH-M40fs oder Sony MDR-7506. Halboffene Kopfhörer wie der AKG K240 sind auch okay. Nicht zu empfehlen sind offene Kopfhörer wie die meisten Hi-Fi-Modelle: Sie lassen das Playback auf das Mikro übersprechen, was zu scheppernden Nebengeräuschen in der Aufnahme führt, im schlimmsten Fall sogar zu einer grässlich pfeifenden Rückkopplung.

Gesang aufnehmen: Dann mal ran

So, genug gelabert. Jetzt seid ihr gefragt! Macht euch ein bisschen mit der Technik vertraut. Es ist ganz normal, wenn die ersten Aufnahmen noch nicht so doll klingen. Keine Panik – das bekommt ihr schon gebacken. Und vergesst nicht: Technik ist nur die Voraussetzung. Was eure Zuhörer wirklich bewegt, sind tolle Ideen und ehrliche Texte!

Autor: Dr. Andreas Hau