Jazz-Recordings für Vinyl

Studio-Konzert-Recording in den Bauer-Studios

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Uminterpretierte Frank-Sinatra-Klassiker — ganz ohne Gesang, stattdessen von Helmut Eisel mit Klezmer-Klarinette gespielt, samt eines Jazz-Trios, das statt üblichem »Piano-Jazz« auf Rhodes-Klangfarben setzt. Der Rahmen: ein »Studio-Konzert« vor knapp 80 Zuschauern, über das hauseigene Neve-Pult live in Stereo auf 1/4-Zoll-Band abgemischt für eine Vinyl-Veröffentlichung.

(Bild: Nicolay Ketterer, Bauer Studios M. Ren, SST Brüggemann)

Mit dem Thema Analogtechnik und Vinyl ist sie aufgewachsen, erzählt Eva Bauer-Oppelland, die Geschäftsführerin der Bauer Studios in Ludwigsburg nahe Stuttgart: »Die Folienschneidemaschine stand bei uns in der Wohnung − wenn wir als Kinder zu sehr getobt haben, war eine Folie kaputt, und es gab Ärger. Die heutige Technikergeneration muss alles neu lernen, etwa das Einmessen einer Maschine und den Bandschnitt.« Bauer-Oppelland hat früher selbst als Tonmeisterin gearbeitet, das 1949 von ihrem Vater gegründete Studio (siehe Studioszene D, S&R Ausgabe 9.2016) hat sie mit ihrem Mann Ende der 1980er-Jahre übernommen.

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Eine Besonderheit, die 2013 eingeführt wurde: Die Bauer-Studios veranstalten »Studio-Konzerte« vor Publikum. Dabei wird eine Performance live auf 1/4-Zoll-Band abgemischt und auf Vinyl über das Bauer-eigene Jazz-Label Neuklang veröffentlicht.

Am Abend sind Helmut Eisel und das Sebastian Voltz Trio im Studio für ein Studio-Konzert zu Gast, eine Serie, die bis heute 17 LPs umfasst. Ursprünglich entstand die Idee, Konzerte begleitend bei Albumveröffentlichungen anzubieten, für die Presse. Später entschieden sie sich, die Konzerte öffentlich zu machen und mitzuschneiden, erzählt Bauer-Oppelland. Da Analogtechnik und Know-how noch vorhanden waren, beschlossen sie, die öffentlichen Konzerte wie zu Direktschnitt-Zeiten aufzunehmen. »Das war in den 1980er-Jahren in Mode. Das Signal ging damals direkt vom Mischpult auf die Schneidemaschine.«


Die Aufgaben einer Studiobetreiberin heute – Bettina Bertók – Bauer Studios

Wir sprechen mit Bettina Bertók, Geschäftsführerin der Bauer Studios in Ludwigsburg, über ihre Aufgaben als Studiobetreiberin. Sie erklärt, wie sich das Studio für die Zukunft mit Filmton, Mehrkanalmischungen, binauralen Produktionen und Live- sowie Streaming-Konzerten aufstellt, und sie redet offen und ehrlich darüber, was der Betrieb des Studios monatlich kostet. Viel Spaß beim Hören!

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Live-Abmischung

Eine eigene Schneidemaschine haben sie nicht mehr, die wurde in den 1990er-Jahren mit dem Niedergang der Schallplatte verkauft. Das Prinzip der »endgültigen Aufnahme« wollten sie beibehalten: ein analoger Konzertmitschnitt, live, in Stereo, direkt auf 1/4-Zoll- »Schnürsenkel«-Band abgemischt, ohne Overdubs oder Nachmischen. Das sei bei Musikern wie Publikum gut angekommen.

»Für uns macht es einen Unterschied, von einer Produktion alle Medien ›abzuziehen‹ − CD, Vinyl, Download, Hi-Res-Download − oder gezielt zu produzieren.« Im ersten Fall werde Material, das eigentlich für CD produziert wurde, auf verschiedene Formate übernommen. »Als ›Abfallprodukt‹ entsteht eine Schallplatte. Das Medium Vinyl, das offener klingen kann als eine CD, bediene ich damit nicht richtig. Bei der Studio-Konzert-Reihe wollen wir rein analog und nur für Vinyl arbeiten, umgekehrt produzieren wir auch keine CD als Zusatzverwertung.« Die Auflage der Schallplatten ist nummeriert und auf 1.000 Exemplare limitiert, in Einzelfällen finden Nachpressungen statt.

»Endgültige« Aufnahme: Schwierig bei Pop und Klassik, ideal bei Jazz

Es sei aufwendig gewesen, die Genehmigung für die öffentlichen Konzerte zu bekommen. Hürden? »Lärmschutz. Deswegen beginnen wir um halb 8. Falls Autofahrer laut hupend den Parkplatz verlassen oder Publikum vor der Tür ›rumpöbeln‹ würde.« So zumindest behördliche Befürchtungen. Bisher hatten sie das Format vorwiegend mit Jazz ausprobiert. Für Singer/Songwriter sei das Konzept möglicherweise auch interessant, meint Bauer-Oppelland. Mit Popmusikern könne man das kaum machen, aufgrund der Rahmenbedingungen, wo spätere Produktionsschritte eine zentrale Rolle spielen. »Bei klassischen Musikern gehört viel Mut dazu: Wenn jemand Beethoven interpretiert und sich drei Mal verspielt, würde jeder Kenner die Fehler sofort hören. Die ›Klassiker‹ haben eine andere Einstellung: Kaum ein klassischer Musiker würde das zur Veröffentlichung autorisieren wollen. Mit der Pianistin Hanna Shybayeva hatten wir allerdings kürzlich eine klassische Pianistin zu Gast, die das Wagnis eingegangen ist.«

Bei Jazz gehe es dagegen ohnehin um den »Live-Moment«. Die Echtzeit-Herausforderung besteht für die Musiker wie auch den Tonmeister. Hier sei noch das zusätzliche »Knistern« vorhanden, wie Bauer-Oppelland beschreibt.

Die Aura der Einmaligkeit ziehe das Publikum an, als Gegenentwurf zu YouTube und der permanenten Verfügbarkeit von Musik. Die Bedingung für die Konzert-Aufnahme: »Von 90 bis 100 Minuten Musik in zwei Sets müssen mindestens 50 Minuten zur Veröffentlichung autorisiert werden.«


Um den »Live-Moment« einzufangen, werden zum Teil für Jazz untypische Mikrofonierungen aufgebaut!


Beim fertigen Produkt samt aufwendig gestalteter, ausklappbarer LP-Hülle listen sie technische Details auf, etwa die Mikrofone, sogar die Einmessung des Tonbands, »um die Hi-Fi-Leute mit zu bedienen«. Auf der Rückseite ist die Aufstellung der Musiker während der Aufnahme dargestellt, die bei der Abmischung im Stereo-Panorama entsprechend berücksichtigt wird. Das Schlagzeug − in Groß- AB-Aufstellung abgenommen − werde etwas breiter gezogen, meint Bauer-Oppelland.

Als Overheads verwendet Tonmeister Philipp Heck am Set von Schlagzeuger Dirk Leibenguth zwei Neumann U67, von denen das Studio sechs Stück im Bestand hat. Ansonsten finden sich Überraschungen: Die Bassdrum nimmt Heck am Frontfell mit einem für Jazz untypischen, mit Bass- und Höhenanhebung versehenen Audix D6 und einem Neumann U47fet ab. Heck mag die Kombination. Das Rack-Tom hat er mit einem beyerdynamic M88N mikrofoniert, am Floor-Tom verwendet er ein AKG D112, eigentlich ein typisches Bassdrum-Mikrofon. Es gefällt ihm, weil es »mehr Bumms« vermittelt, wie er sagt. Das scheinbare »Pop-Aufnahme-Setup« am Schlagzeug mit ausgeprägter Close-Mikrofonierung mag Jazz-Puristen überraschen, diene allerdings nur bedingt der analogen Aufnahme, entgegnet Heck: »Wir machen parallel noch einen Pro-Tools-Mitschnitt, der in erster Linie den Musikern zum Referenzhören dient, um zu entscheiden, welches Material auf Vinyl veröffentlicht werden soll.« Die Snare ist auf der Oberseite mit einem Shure SM57 mikrofoniert, das untere Snare-Mikrofon, ein AKG C414, habe er nicht in der »Senkel-Mischung«, die mit einem C480B mikrofonierte Hi-Hat sei ebenfalls kaum zu hören. Es sei eher Routine und Gewohnheit, Schlagzeug mit acht Mikrofonen auszustatten. Das sei noch überschaubar − er erinnert sich an eine Produktion, die er mit Schlagzeuger Simon Phillips gemacht hat, für den Film »Fluch der Karibik 3«. »Da lagen 26 Mikrofone am Mischpult an«, lacht Heck.

Die Klarinette von Helmut Eisel nimmt er mit einem Neumann U89 ab. »Ich habe mit Helmut schon einige Aufnahmen gemacht, daher wussten wir, dass das Mikrofon sehr gut passt.« Zusätzlich verwendet Eisel ein eingekapseltes Mikrofon in seinen Klarinetten, ein Rumberger »K-1 Plus«-System, das er über ein Sennheiser-Sendesystem betreibt. Das Signal geht ebenfalls ans Pult, auf der Bühne speist er einen kleinen AER-Verstärker für sein eigenes Monitoring.

Das Neumann U89 fängt − trotz der Einstellung auf Nierencharakteristik − Übersprechungen der gesamten Band ein. Es wirkt daher eher wie eine räumliche Abnahme, bei der die Klarinette im Vordergrund steht. Das U89 dient der Natürlichkeit, dem akustischen Charakter des Instruments. Das Rumberger-System verwendet er zur plastischen Ortung: »Als Hörer muss ich die Klarinette in der Mischung ›finden‹. An den lauten Stellen werde ich das interne Mikrofon stärker zumischen als bei einer leisen Nummer«, meint Heck.

Eisel selbst ist vom internen Mikrofonsystem begeistert, nicht zuletzt wegen der Mobilität, die es ihm bei »normalen« Konzerten ohne zusätzliche Mikrofonabnahme ermöglicht: »Der Hersteller verwendet ein Filtersystem, das den gesamten Frequenzverlauf der Klarinette passend simuliert. Das Ergebnis klingt bereits über den kleinen Verstärker sehr gut. Das Signal, auf eine PA gelegt, macht die Klarinette unabhängig. Ich kann mit dem eingekapselten Mikrofon unmittelbar vor dem Lautsprecher herumlaufen, ohne dass Feedback entsteht.«

Rhodes: Direktabnahme mit Effekten

Den Verstärker von Bassist Mario Bartone, der einen selbstgebauten 9-Saiter-Bass spielt, mikrofoniert Heck mit einem Neumann U47fet, dazu ein DI-Signal. Das Fender Rhodes-Piano von Sebastian Voltz nimmt er direkt am Effektboard des Musikers ab, zieht lediglich leichte Tiefmittenanteile heraus. Voltz schickt sein Rhodes durch einen Reußenzehn »Suitcase Piano Preamp«, einen Booster sowie Strymon-Effektpedale für Chorus- und Hall-Effekte. Das Stereo-Signal verwendet er für das eigene Monitoring über ein mitgebrachtes Peavey-Mischpult. Gitarren-Röhrenverstärker, wie ihn andere Musiker für ihre Vintage-E-Pianos einsetzen, waren für Voltz nie interessant: »Viele verwenden einen Fender Twin Reverb für die Rhodes-Verstärkung. Ich mag lieber den linearen Rhodes-Sound statt des mittigen Klangs eines Amps.«

Voltz hat sich zwei Monitorboxen »in UFO-Form« für Stereo-Monitoring anfertigen lassen, zwei flache Halbkugeln Terra Acoustic UFO-1 von Bernhard Wasmund aus »Marios Musikladen« in Sankt Wendel im Saarland. »Die strahlen in den Raum, was Monitoring und Raumklang in einem vermittelt, ausgehend von der Idee, dass die optimale Abstrahlfläche eigentlich keine Fläche, sondern eine Halbkugel ist − wie man mir erklärt hat.« Seine persönliche Vorgabe? »Ich muss sie ohne Rückenschaden tragen können.« Er verwendet die beiden »UFOs« auch für Flügel-Monitoring. »Man könnte sie in einem kleinen Raum wie hier auch als PA nutzen, aber grundsätzlich dienen sie dem Monitoring.« Gespeist wird das System von zwei HypexElectronics-Endstufen.

Publikumsbeschallgung

Das Beschallungs-Setup für die akustische Versorgung des Studiopublikums liefert die Ludwigsburger Beschallungsfirma Lautmacher, als FoH-Pult dient ein Studio-eigenes Studer 961. »Auf der Anlage sind lediglich etwas Klarinette, Rhodes sowie minimale Anteile von Bass und Overheads«, erklärt Philipp Heck. »Ein, zwei Mal haben wir ein zusätzliches Monitor-Setup für die Musiker verwendet, aber das macht die Aufnahme komplizierter.« Der rund 180 m2 große Aufnahmeraum trage angenehm, klinge recht neutral.

Am Abend sind knapp 80 Zuschauer gekommen. Heck weist das Publikum zu Beginn des Konzerts darauf hin, die Mobiltelefone auszuschalten, um die Aufnahme nicht zu stören. Anfangs liegt noch die Nervosität der Musiker in der Luft, die die besondere Aufnahmesituation vermittelt, aber nach den ersten Stücken geht die Anspannung in gelöste Aufmerksamkeit über. Neben Klassikern wie My Way oder I’ve Got You Under My Skin bedient die Band auch unbekanntere Stücke, mit großen Dynamikbögen und stellenweise fast meditativer Atmosphäre, nicht zuletzt dank angenehm geringer, gut balancierter Lautstärke im Aufnahmeraum. Das Rhodes E-Piano vermittelt zusammen mit den gezogenen Tönen der Klarinette rauchiges »Nachtclub«-Flair mit Klezmer-Ambiente.

Im Regieraum wird über die großen Genelec 1039A-Mains durchgehört, die das Konzert als detailliertes und angenehm hörbares Klangerlebnis vermitteln. Die Bearbeitung der Kanäle? »Wenig Kompression; am meisten im Bass beim DI-Signal«, erzählt Phillip Heck. Vom Klang der AMS-Neve-Konsole ist Heck begeistert, er sei allerdings auch verwöhnt, gesteht er: »Manchmal weiß man es nicht mehr so richtig zu schätzen, weil man jeden Tag damit arbeitet.« Es sei überraschend, wie schnell damit eine Mischung steht. Der Mitschnitt findet auf einer Studer A820-Mastermaschine statt.

Zum Monitoring hat sich Sebastian Voltz von Terra Acoustic ein Stereo-Setup anfertigen lassen, »UFO-1«, hier einer der beiden »UFO-Teller«. (Bild: Nicolay Ketterer, Bauer Studios M. Ren, SST Brüggemann)

Zwischen den Songs unterhält Eisel das Publikum, erzählt Anekdoten, geschichtliche Hintergründe. Alle zwei, drei Stücke wird das Band gewechselt, das jeweils eine knappe halbe Stunde aufnehmen kann; im Regieraum achtet Heck auf großzügige »Reserven«. Der Unterschied beim Arbeiten im Hinblick auf die »endgültige« Mischung, die nicht mehr verändert werden kann? Das Hören sei anders, meint Heck: »Bei einer normalen Produktion achte ich auch auf den musikalischen Aspekt − was ist nicht zusammen, wen muss ich vielleicht nachträglich neu aufnehmen? Das brauche ich hier nicht − hier geht es nur um die Balance.«

Ein gelungener Abend, bei dem nicht die musikalisch-perfektionistische Ambition, sondern das Ergebnis im Vordergrund steht. Sechs Stücke wurden schließlich auf der Vinyl-Ausgabe veröffentlicht.

 

 

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