Clouds Hill Studios, Hamburg

Interview mit Produzent Johann Scheerer

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Das wohl teuerste kommerzielle Tonstudio im Land befindet sich derzeit in Hamburg: In Zeiten des großen „Studiosterbens“ bietet Johann Scheerer ein Refugium mit Loft-Atmosphäre, das neben alten Mikrofonen, Vorverstärkern, Bandmaschinen und Hallplatten auch eine Neve- und eine API-Konsole beherbergt.

Clouds Hill Studios, Hamburg-04
(Bild: © Jeannette Corbeau)

Auf den ersten Blick wirkt Clouds Hill Recordings, auf zwei Etagen eines alten Hamburger Speicherhauses untergebracht, wie ein Gegenentwurf zur Elbphilharmonie, jenem Prestige-Projekt der Stadt, das außen zwar prunkvoll aussieht, innen allerdings durch Leerstand glänzt. Die inneren Werte des Studios, benannt nach dem Refugium von Lawrence von Arabien, zeugen vom Gegenteil, mit der „Equipment-Schlacht“ samt alten Preamps, Mikrofonen, Plates, Pultec-Equalizern, Fairchild-Kompressor und einem Neve- und API-Pult. In jeder Ecke finden sich Verstärker, Bandmaschinen, Bandechos und Instrumente − eine Vielzahl von dem, was andere Studios üblicherweise ihr Eigen nennen. Was hier an Experimentiermöglichkeiten geboten wird, das ist sozusagen Indie, nur unter Major-Bedingungen.

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Auch die Produktivität steht im Gegensatz zu dem, was man von der erwähnten Elbphilharmonie momentan erwarten darf: Pop-Tagesgeschäft findet viel statt in Clouds Hill, nicht zuletzt, weil es das einzige verbliebene große Studio in der Hansestadt ist. Lena Meyer-Landrut hat dort ihr letztes Album aufgenommen, die Sportfreunde Stiller waren da und Bella B, Tim Bendtzko oder die Guano Apes: Fremdproduktionen, für die Produzent und Besitzer Johann Scheerer sein Studio vermietet. Er selbst arbeitet viel mit Indie-Bands, aktuell etwa mit Turbostaat oder der Swamp-Rock-Punk-Band „Gallon Drunk“, ein Projekt eines ehemaligen „Nick Cave & The Bad Seeds“-Gitarristen.

Clouds Hill Studios, Hamburg-03

„Das Studio ist eigentlich auf mich zugeschnitten, auch wenn die Vermietung die Haupteinnahmequelle ist“, erzählt Scheerer. „Ich glaube, dass viele Leute zu schätzen wissen, dass das Studio seine Ecken und Kanten hat.“ Es finden vorwiegend Produktionen mit Bands statt, da passe dann auch der Workflow mit dem alten Neve 8068-Mischpult und dem Outboard-Equipment, meint er, im Gegensatz etwa zur Produktion von Werbe-Jingles. Durch seinen familiären Hintergrund können die finanziellen Gegebenheiten für Scheerer, den Sohn von Jan-Philipp Reemtsma, zweitrangig sein, er muss dadurch keine Kompromisse machen: „Das Studio läuft und trägt sich, aber ohne eine gewisse ›Gedankenlosigkeit‹ in der Anfangsphase wäre Clouds Hill nicht so ausgestattet.“ Er wollte „irgendeinen geilen Wahnsinn“ machen, von dem er fühlte, dass er gerade in der heutigen „Abwärtsbewegung“ der Tonstudiozunft nötig war und es an der Zeit war, etwas aufzuziehen, das nicht von Budgets abhängt. Es gehe auch darum, eine kulturelle Verantwortung wahrnehmen, das Studio für andere Musiker zugänglich zu machen. „Wenn man die Möglichkeit hat, Kunst zu sammeln, besteht doch der Reiz darin, das zu teilen“, vergleicht Scheerer.

Ob ihm viele Neid entgegenbringen? „Das ist sicherlich häufig so.“ Das sei ihm im Laufe der Jahre immer egaler geworden. „Ich wohne hier, habe meine Kinder um mich herum, mache Platten mit tollen Leuten und versuche, die an den Mann zu bringen.“ Und die Auswahl der Instrumente? „Im Clouds Hill Studio steht bewusst ein Bechstein-Upright-Piano vom Anfang des 20. Jahrhunderts, kein Steinway-Flügel.“ Der transportiere mehr „Leben“ als der glatte „Gala-Piano-Sound“. Er hat ein Harmonium von einem Freund bekommen. „Bei ein paar Sachen funktioniert das für eine spezielle Atmosphäre.“ Scheerer interessiert das Ausprobieren, das Finden von neuen, unverbrauchten Sounds mit dem alten Material statt bestehende Rezepte anzuwenden. „Das hat für mich nichts mit Kreativität zu tun, wenn es nur um Reproduktion bewährter Sounds geht.“ Was bei dem Blick auf die Equipment-Liste überrascht: Das Studio beherbergt keine modernen teuren „Marketing-Produkte“, sondern vor allem bewährte „Arbeitstiere“ und eine gezielte Auswahl neuer Werkzeuge „Neue Preamps haben mich nicht wirklich überzeugt.“

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Andererseits diktiert die Anwendung die Bedürfnisse: „Ich habe eine Platte produziert mit einem Sänger, der in Flüsterlautstärke gesungen hat.“ Das hat dann mit den Vintage-Signalketten zu stark gerauscht. „Dafür habe ich ein Sennheiser MK-800- Kondensatormikrofon gekauft, das für die Anwendung super funktioniert hat.“ Was ihn an neuen Geräten beeindruckt hat? „Das Bricasti M-7-Hallgerät, weil es so einen fantastisch natürlichen Hall bietet. Mit dem M-7 kann man sozusagen Quellen ›in einen Raum‹ stellen.“ Den Vertigo Quad-Kompressor findet er ebenfalls gut: „Mir gefällt die kreative Summenkomprimierung.“ Warum aber die Spezialisierung auf „alte Legenden“ wie Pultec-Equalizer oder Neumann-Klassiker bei den Mikrofonen? „Das hat nichts mit der Suche nach einem bestimmten Vintage-Charakter zu tun, den ich erzeugen will, sondern es geht um die Klangqualität an sich, die bestimmtes Equipment liefert.“ Er hat ein Rack mit vielen Bandechos im Studio stehen, weiß die Nuancen der verschiedenen Geräte zu schätzen, bevorzugt das Original statt einer digitalen Emulation. „Es gibt tolle digitale Echos, die digitale Möglichkeiten anders nutzen anstatt nur analoges zu kopieren. ›Fast genauso gut‹ als Ergebnis ist irrelevant und langweilig.“

Ein anderer Trugschluss sei, dass viel auch viel helfe, meint er. „Es gibt Leute, die das Studio mieten, weil die Neve-Konsole hier steht. Wenn Aufnahmen gut gemacht sind, dann kommt vielleicht etwas Spezielles hinzu, wenn man das Material auf dem Pult mischt. Aber die Musik, das Arrangement und die künstlerische Darbietung werden dadurch nicht besser, genauso wenig wie der Tontechniker.“ Es sind viele Schritte, die vorher stattfinden müssen, um die Stärken des Pults auch sinnvoll einsetzen zu können, und wenn man dann die richtigen Werkzeuge habe, sei das natürlich toll. „Mit den ganzen Geräten hängt man die Messlatte auch hoch: Wenn ich hier Platten herausgebe, die nicht gut klingen, dann ist klar, dass es an mir liegt.“ Gleichzeitig sei es eine große Herausforderung, in einem Studio zu arbeiten, in dem viel möglich ist. „Man muss aufhören, wenn es gut ist.“ Und die Geschichte, dass er − abgesehen von der Möglichkeit, auf den Rechner aufzunehmen − fast nur auf alte, bewährte Technik, kaum neue Geräte setzt? Da fällt ihm augenzwinkernd ein Zitat ein, von dem Fotografen und Sammler Franz Christian Grundlach. „Eine Sammlung braucht ein System. Sonst ist es eine Ansammlung“.

Hier geht’s zur Website von Clouds Hill Recording.

 

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