Analog is King!

Studioszene D − Tritonus Studios, Berlin

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Wir Sind Helden, Element Of Crime, Die Ärzte, Clueso, Seeed, Einstürzende Neubauten — und überhaupt: Das Tritonus-Studio in Berlin spricht eigentlich Bände. Wenn es denn spricht; eine Webseite sucht man bislang vergebens, dafür stand die eigentliche Arbeit zu sehr im Vordergrund, meint Chef Gerd Krüger. Er erzählt auch von den turbulenten Zeiten des „Studiosterbens“ Ende der 90er, wie er mit Seeed Analogtechnik wieder für sich entdeckt hat — und warum für ihn Editieren auf Tape manchmal schneller und besser funktioniert als im Rechner.

Blick über das Mischpult in den Aufnahmeraum

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Es gibt Studios, von denen hat man vorher noch nie gehört, wenn man nicht gerade zu den Profis der Szene zählt. Ihren Namen findet man jedoch in Booklets bekannter Veröffentlichungen. Und dann? Nichts. Keine Website, kein lautes Buhlen um Kunden. Solch ein Kandidat ist Tritonus, eines der wenigen namhaften Studios, die auf eine Webseite verzichten. „Ich sollte es mal angehen!“, lacht Gerd Krüger, der sowohl gelassene Routine als auch Experimentierfreudigkeit vermittelt. Er hat schon mal an einer Webseite gesessen, dann kam die eigentliche Arbeit dazwischen, erzählt er. „Eigentlich gilt: Wenn du auf den CDs stehst, ist das die beste Werbung.“

Im Studio: Eine Wand mit alten LPs

Hall of Fame

Der Name Tritonus steht auf einigen prominenten Produktionen, aktuell Stadtrandlichter von Clueso und Lieblingsfarben Und Tiere von Element Of Crime. Auch das letzte, betont analog produzierte „Wir Sind Helden“-Album Bring Mich Nach Hause von 2010 entstand hier, genau wie Die Ärzte Jazz Ist Anders. Das erste Studio entstand 1981. Krüger hat Tritonus zusammen mit zwei Mitstreitern gegründet; sie haben alle Schrauben von Hand reingedreht, Tag und Nacht, erzählt er. „Wir waren drei Akustik-Studenten, hatten kein Geld, aber den Traum.“ Sie stießen auf eine Anzeige: „Ideal sucht Proberaum“. Die Band war im Aufstieg begriffen, man teilte sich fortan eine Fabriketage. „Die Situation war pflegeleicht, weil die nur alle paar Monate geprobt haben.“ Mischpult und sonstiges Equipment fehlte zunächst wie auch das nötige Kleingeld.

„Wir haben uns hochgearbeitet von 8 auf 16 und schließlich auf 24 Spuren. In der neuen Fabriketage haben wir Krach − Industrial − aufgenommen, zum Beispiel die Einstürzenden Neubauten.“ Deren Album Halber Mensch von 1984 entstand dort, danach haben sie das erste Live-Album von Ton, Steine, Scherben gemischt, In Berlin. „Da hatte ich das Glück, Rio Reiser noch kennenzulernen.“ Schließlich entstand zu viel Lärm zum Arbeiten, wegen einer benachbarten Metal-Band, kurze Zeit später folgte der Umzug in die aktuelle Location. „Gareth Jones, der die er ten Depeche-Mode-Alben aufgenommen und gemischt hat, kam über Ideal und war Dauerkunde, wenn er nicht gerade im Hansa Studio aufnahm.“

Gegen den digitalen Sturm

1999 hat Krüger das Studio alleine übernommen. „Die ›Titanic‹ „, lacht er, „als andere zum Aufnehmen nach Hause gingen. Es gibt nur wenige Studios, die diesen digitalen Sturm überlebt haben!“ Der Tontechniker hatte sich bereits den „Homestudio“-Bedürfnissen angepasst: „Der Markt bröckelte, ich bin teilweise zu den Produzenten ins Wohnzimmerstudio gekommen, damit die Kosten sparen und sich mehr Zeit für eine Produktion nehmen konnten.“ Wie er das Geschäft rückblickend betrachtet? „Vor 20 Jahren war die Hochphase.“ Vom großen Studiosterben war er nicht betroffen, weil die Größe immer noch übersichtlich sei im Vergleich zu einem riesigen Komplex. Der gefühlte Neuanfang? Peter Foxx und Seeed kamen, wollten ein Album aufnehmen, hatten etwas Geld für Demos. „Wir haben alle alten Bandmaschinen rausgeholt, und ich habe mich daran erfreut, was man mit den richtigen Musikern damit machen kann.“

Sein Blick auf alte Studiotechnik und den nagenden Zahn der digitalen Zeit? „Die Hardware-Sampler waren schnell verjährt. Das wurde mir bewusst, als als ich meinen akustischen Flügel, einen Blüthner, gekauft habe. „Ein Schiff. Davor stand ich am Sampler und wollte einen tollen Flügel-Sound kreieren. Für den Flügel habe ich letztlich das gleiche Geld investiert wie seinerzeit für die digitalen Varianten. Das Wichtige aber: die Inspiration! Am akustischen Instrument spielt man zwei Tasten, und es entsteht sofort mehr Sound als nur die Summe zweier Samples.“ Es sei wie mit den Recording-Emulationen, wenngleich die viel Basiswissen vermitteln: „Heute weiß jeder, was eine SSL-Simulation ist, und kennt zumindest oberflächlich die Klassiker der Studiogeschichte.“

Produzent im Tonstudio

Analog & Digital

Im Flur steht eine alte Otari-Viertelzoll-Mastermaschine. Viertelzoll, „Senkel“, war in Deutschland Standard, Halbzoll-Band als Abmisch-Format kaum vorhanden. Aus England wurde für eine Produktion das Format angefragt, und 2002 kaufte er kurzentschlossen eine Studer A80- MKII-Halbzoll-Mastermaschine. Als Mehrspur-Maschine dient dem Studio eine Studer A827 mit 24 Spuren. Er benutzt sie teilweise ohne Band, erzählt er, zum „Einpatchen“, um das Signal über die Verstärkersektion zu schicken. „Früher hat man über die Inputs abgehört, schon die Elektronik war für das Klangerlebnis Tape mit verantwortlich.“ Nach dem Aufnehmen kam das Signal noch mit einer leichten Bassanhebung, leicht geglätteter Höhenwiedergabe und weicher geformten Transienten zurück. „Durch das Wiederentdecken der Analogtechnik habe ich gemerkt, wie schwach digital eigentlich klang.“

Im Regieraum steht auch ein alter Mac G4. „Ein stark abgespecktes OS-9-System, das für mich aus Soundgründen und zum Editieren besser funktioniert als die späteren Versionen.“ Aus Kompatibilitätsgründen will er ein zweites System auf Pro Tools 11 aufrüsten. In Pro Tools kennt er sich aus, benutzt es allerdings möglichst in der reduziertesten Form. „Bei Moritz [Enders] ist das anders“, erzählt er, der sei im „digitalen Zeitalter“ groß geworden. Moritz Enders, Produzent des aktuellen Heisskalt-Albums, [siehe SOUND & RECORDING 7.2014] hat im zweiten Regieraum seinen Stammplatz eingerichtet: Neben einer SSL 4000-Konsole jede Menge Outboard − darunter verschiedene 1176-Kompressoren, ein Retro 176 und ein Shadow Hills Mastering-Kompressor. Auch eine ATR-102 Halbzoll-Mastermaschine steht dort.

Band-Sound vom Band

Krügers analoges Ideal? „Es gibt nichts Besseres als eine Band zusammen auf Band aufzunehmen. Analog von den Bändern zu mischen, ist selten geworden.“ Das passiere etwa bei Element Of Crime, sozusagen Stammgäste bei Tritonus. Auch beim Editieren von Spuren kann er der analogen Arbeitsweise Vorteile abgewinnen: „Manchmal geht man bei Punch-Ins beim Gesang in eine Note ›rein‹ − beim Rechner versucht man mühsam, die Übergänge zu überblenden, bei der Bandmaschine läuft das intuitiv.“ Der Grund: „Durch die Vormagnetisierung und die leichte Ungenauigkeit beim Einstieg auf Band ›verläuft‹ das Ergebnis automatisch ineinander über. Früher hat man das gemacht, wenn ein Sänger ganz nach oben musste und den Ton nicht lange genug halten konnte − dann ist man zwei Mal hintereinander ›rein‹ zum Verlängern; im Ergebnis hat man das nicht gehört! Mitunter war das analoge Arbeiten schneller als die Welt im Rechner − vorausgesetzt, der Künstler trifft den Ton einigermaßen.“ Für analoge Aufnahmetechnik spreche auch der Entscheidungsdruck des Moments: „Das ist der Klassiker bei Element Of Crime: sich für einen Take entscheiden zu müssen.

Man könnte noch weiter rumprobieren, aber sie hören auf, wenn es für sie passt. In dem Moment ist die Entscheidung auch ein Zeitdokument, wie bei bildender Kunst auch: Wenn man immer wieder anfängt, in seinem Kunstwerk rumzumalen, hat man am Ende ein Ergebnis, das immer mehr an Charakter verliert“, erzählt Krüger. Die Recall-Fähigkeit, an jeden Punkt wieder zurückkehren zu können, sei zwar „insgeheim der Wunsch eines jeden, aber gänzlich erfüllt kann er kontraproduktiv sein.“

 

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